Scheuner, U.

Die verfassungsrechtlichen Grundlagen der Familienrechtsreform

1955

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Die verfassungsrechtlichen Grundlagen der Familienrechtsreform

 

von Ulrich Scheuner, Bonn

 

Die folgenden Ausführungen beschränken sich, ohne zu den Fragen der möglichen oder wünschenswerten Ausgestaltung der Familienrechtsordnung im einzelnen Stellung zu nehmen, auf die Darlegung des verfassungsrechtlichen Ausgangspunktes, von dem jede auf der Grundlage des Grundgesetzes stehende Reform unseres Familienrechts auszugehen hat. Im besonderen wird dabei die Bedeutung der Artikel 3 Abs. 2 und 6 GG und ihr gegenseitiges Verhältnis ins Auge gefaßt; denn diese beiden Bestimmungen legen den Rahmen fest, in dem sich jede Reformgesetzgebung halten muß.

 

I. Vorgeschichte des heutigen Rechts.

Das Problem der Gleichberechtigung der Ehegatten ist erstmals 1919 bei der Beratung der Weimarer Verfassung in den Gesichtskreis des deutschen Verfassungsrechts getreten. Die Frage blieb damals aber ganz am Rande des Interesses. Das Augenmerk wandte sich in jenen Tagen der Gleichstellung des unehelichen Kindes zu, um die ausgedehnte Debatten geführt worden sind. Daß man in die Verfassung einen besonderen Artikel über den Schutz der Ehe einfügte, entsprang einem gewissen systematischen Bedürfnis. Man glaubte das Institut der Ehe in dem ausgedehnten Katalog der Grundrechte nicht übergehen zu sollen1. Erst in der Beratung des Plenums wurde — von sozialistischer Seite — der Antrag gestellt, die Gleichberechtigung der Geschlechter aufzunehmen, der nach sehr kurzer Debatte angenommen wurde2. In den Äußerungen der Mitglieder der Nationalversammlung bestand dabei darüber Übereinstimmung,
a) daß diese Vorschriften der näheren Gesetzgebung weitesten Spielraum lassen würden3,


Anmerkung: Der Aufsatz ist aus einem in der Eherechtskommission der Evangelischen Kirche in Deutschland gehaltenen Referat entstanden. Er ist mit Genehmigung des Kreuz-Verlages, Stuttgart, aus dem Heft „Ehe und Eherecht” (Schriftenreihe „Kirche im Volk”, Heft 12) entnommen.
1 Abg. Beyerle, Verh. d. Verfgeb., Dt. Nat. Vers., Bd. 328 S. 1598 A.
2 Nat. Ver., 70. Sitzung v. 30. 7.1919, Sten.Ber., Bd. 328 S. 2126 D.
3 Abg. Beyerle, a.a.O., S. 1598 A; ferner Frau Emmy Rebstein-Metzger, Verh. d. 36. Dt. Jur.-Tages 1931, Bd. 1 S. 540f.

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b) daß die Gleichberechtigung nicht in einem formalen Sinne zu verstehen, sondern den historisch-sozialen Gegebenheiten anzupassen sei. In diesem Sinne sei hier die Äußerung des Abg. Waldstein (Nat.-Vers. Bd. 328 S. 2126 D) angeführt:

(Die Annahme des Antrages auf Gleichberechtigung bedeutet, daß) „der Zustand, daß die Frau durch die Eheschließung den Namen des Mannes erwirbt, durchaus bestehen bleiben kann, ebenso der Zustand, daß bezüglich des ehelichen Güterrechts die Regelung getroffen wird, die nach allgemeinen wirtschaftlichen Anschauungen und Bedürfnissen und nicht aber auf Grund der perhorreszierten Ungleichheit zwischen Mann und Frau als die richtige erscheint.” Der Abg. Waldstein betonte ferner, durch eine wirtschaftlich richtige Lösung des Güterrechts werde die Gleichberechtigung nicht berührt: „Wir müssen uns dagegen verwahren, daß durch die Annahme dieses Antrages eine prinzipielle Gleichmacherei in solchen Punkten beabsichtigt und herbeigeführt wird, wo eine Gleichmacherei eine Unmöglichkeit ist.”

Im Ganzen wurde dem Art. 119 der Weimarer Verfassung nur eine geringere Bedeutung zugemessen. Man sah in ihm — entsprechend der damaligen Tendenz bei manchen Grundrechtssätzen — nur einen bloßen Programmsatz, der lediglich den Gesetzgeber künftig binde4. Das Maß dieser rechtlichen Bindung wurde begrenzt auf die Erhaltung der Institution der monogamischen Ehe, wie sie in der Rechtsentwicklung der europäischen Kulturstaaten gegeben ist5. Art. 119 sicherte nach dieser Ansicht also die Erhaltung des Charakters der Ehe als einer lebenslänglichen Gemeinschaft und eine Anerkennung der Familie. Ebensowenig aber wie mit der näheren Untersuchung der Folgerungen aus Art. 119 für die Gestalt der Ehe befaßte man sich damals mit dem Verhältnis der Norm zu anderen Grundrechtsartikeln, z.B. der Gleichstellung der unehelichen Kinder in Art. 121; man begnügte sich hier einfach mit der Feststellung eines Widerspruches6.

Mit der Durchführung des gesetzgeberischen Programms der Gleichberechtigung haben sich die Juristentage von Heidelberg (33. J.-Tag 1925, Berichte von Kipp und Wieruszowski) und Lübeck (36. J.-Tag 1931, Gutachten von Frau Rebstein-Metzer und Dronke, Berichte von Schultz und Frau Marianne Weber) befaßt. Für die damalige Rechtsauffassung ist es bezeichnend, daß die Frage, welche Weisungen die Verfassungssätze im näheren enthalten, bei diesen Beratungen de lege ferenda überhaupt nicht aufgeworfen wurden.

Im ganzen ging man in der Weimarer Zeit keineswegs von einer formalen Gleichheit aus, sondern rechnete mit Lösungen, die von der


4 Wieruszowski in Nipperdey, Grundrechte und Grundpflichten, Bd. 2 S. 76; Anschütz, Kommentar zur RV, 14. Aufl. 1953 S. 560.
5 Wieruszowski, a.a.O., S. 76.
6 Gustav Giere, Das Problem des Wertsystems der Weimarer Grundrechte (Abh. d. Rechtsw. Fak. d. Univ. Königsberg, Heft 3) 1932, S. 87.

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Verschiedenartigkeit der Geschlechter ausgingen, und wünschte dem Gesetzgeber beträchtlichen Spielraum zu belassen. Nicht die formelle Gleichberechtigung, sondern die Anerkennung der menschlich-sittlichen Gleichwertigkeit stand im Vordergrund7.

 

II. Beratung im Parlamentarischen Rat.

In die gleiche Richtung weist eine eingehendere Prüfung der Beratungen des Parlamentarischen Rates. Art. 3 Abs. 2 GG ist aufgenommen worden als eine nähere Ausformung und Verstärkung des allgemeinen Gleichheitsgrundsatzes für das Verhältnis der Geschlechter auf allen Rechtsgebieten. Er geht also inhaltlich erheblich weiter als Art. 119 Weim. RV. Bei den Beratungen ist aber in betonter Form eine formale Gleichbehandlung abgewiesen worden. Frau Weber (CDU) erklärte (Hauptaussch. Prot. S. 539): „Dabei denken wir durchaus auch an den Eigenwert und die Würde der Frau und denken nicht an eine schematische Gleichstellung und Gleichberechtigung.” Und übereinstimmend äußerte Frau Selbert (SPD) sich dahin (Hauptaussch. Prot. S. 540): „Es ist ein grundlegender Irrtum, bei der Gleichberechtigung von der Gleichheit auszugehen. Die Gleichberechtigung baut auf der Gleichwertigkeit auf, die die Andersartigkeit anerkennt. Mann und Frau sind nicht gleich.”

Einzelfragen sind in den Diskussionen des Parlamentarischen Rates nicht berührt worden. In dieser Hinsicht wurden die Zweifelsfragen offengelassen.

 

III. Auslegung des Art. 3 Abs. 2 GG.

Es soll nun zunächst Art. 3 Abs. 2 GG für sich allein, noch ohne die Berücksichtigung des Gesamtzusammenhanges der Verfassung, geprüft werden. Die Gleichberechtigung von Mann und Frau ist, wie schon die Stellung dieses Satzes in Art. 3 beweist, eine Folgerung oder eine Weiterführung des Grundsatzes der allgemeinen Gleichheit. Es ist daher — mit einem gewissen Vorbehalt — möglich, aus der Sinngebung des allgemeinen Gleichheitssatzes bereits einen Anhalt auch für die Auslegung des Art. 3 Abs. 2 zu gewinnen. Nach der herrschenden Lehre besagt Art. 3 Abs. 1 GG, daß der Gesetzgeber zu einer sachgerechten Gleichbehandlung oder, wo wesentliche Unterschiede bestehen, zu einer entsprechenden Differenzierung angehalten ist. Gleichheit ist also kein formaler Begriff absoluter Gleichsetzung, sondern die aristotelische relative, d.h. sachgerechte Gleichbehandlung8. Im Kerne dieses Grundrechtssatzes liegen dabei gewisse unverrückbare Prinzipien, die den der ganzen neueren


7 Frau Rebstein-Metzger, Verh. d. 36. Jur.-Tages, Bd. 1 S. 546. Daselbst auch ihr Vorschlag, die Frau solle im Namensrecht ihren Namen dem des Mannes zufügen dürfen (S. 562f.).
8 Leibholz, Deutsches Verw.-Blatt, 1951 S. 1951. Coing, Grundzüge der Rechtsphilosophie, 1950 S. 221.

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abendländischen Geschichte gemeinsamen Grundanschauungen von der Menschenwürde und von der fundamentalen Gleichsetzung aller Menschen in bestimmten elementaren Beziehungen entsprechen9. Insoweit birgt sich im Gleichheitssatz ein auch naturrechtlich zu verstehender inhaltlicher Bestand grundlegender Humanitas, der Unfreiheit, Entrechtung oder Diskriminierung ganzer Menschengruppen, Rassen oder Glaubensrichtungen schlechthin ausschließt. Für die Gestaltung des Ehe- und Familienrechts kommt diese Seite deshalb nicht in Betracht, weil der überlieferte Rechtsbestand der Ehe und Familie in der abendländischen Tradition bei allen Unterschieden im einzelnen stets auf der Wahrung dieser grundlegenden menschlichen Qualitäten der Gleichheit von Gatten und Kindern aufgebaut ist.

Im übrigen aber muß erkannt werden, daß der Gehalt des Gleichheitssatzes — mag man ihn von der materiellen Gerechtigkeit der iustitia distributiva oder von ihren Grenzen, d.h. vom Willkürbegriff her definieren — nicht in formaler Weise zu bestimmen ist, sondern im Laufe der Zeit den Wandlungen des historischen Werturteils unterliegt10. Gleichheit ist kein logisch zu ermittelnder konstanter Begriff, sondern eine Relation, die mit dem Wandel der historisch-soziologischen Anschauungen und Verhältnisse der Veränderung innerhalb der vorhin gekennzeichneten festen, gewissermaßen unverrückbar fixierten Grenzen unterliegt. Diese Veränderlichkeit kann an zahlreichen Fragen festgestellt werden. Die Progression der Steuertarife, um die Mitte des 19. Jahrhunderts als eine Art Enteignung angesehen, erscheint heute als ein Gebot verhältnismäßiger Gleichheit und Gerechtigkeit der Besteuerung. Die Sondergesetzgebung gegen große „marktbeherrschende” Unternehmen, die neuestens aufkommt, würde noch vor Jahrzehnten als schwerer Verstoß gegen die Gleichheit aufgefaßt worden sein.

Aus der Betrachtung des Gleichheitssatzes ergibt sich also, daß auch innerhalb der Vorschriften des Art. 3 GG die Gleichheit nicht formal auszulegen sein kann, sondern im Lichte der gegebenen ethisch-politischen Anschauungen zu verstehen ist.

Gegenüber der allgemeinen Gleichheitsgewährung des Art. 3 Abs. 1 GG kann die in Art. 3 Abs. 2 ausgesprochene Gleichstellung gewiß als eine spezielle Ausprägung und Verstärkung erscheinen. Sie wäre als solche wohl nicht ohne weiteres aus dem allgemeinen Gleichheitsprinzip, einschließlich Art. 3 Abs. 3 GG, abzuleiten. Es ist aber von grundlegender Wichtigkeit, daß auch die Gleichberechtigung des Art. 3 Abs. 2 GG nur auf dem Grunde historisch-soziologisch vorgehender Würdigung näher bestimmt werden kann. Das gilt für alle Gebiete. Die heute von den Frauen erstrebte Berufsbetätigung wäre früheren Zeiten — mindestens doch der Oberschicht


9 Leibholz, a.a.O., S. 197; Festgabe f. Laforet 1952, S. 237, Wintrich.
10 Konrad Hesse, AÖR 77 (1951) S. 204ff.

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und weiteren bürgerlichen Kreisen — keineswegs als Gleichberechtigung erschienen, sondern als soziale Benachteiligung.

Einen Beweis für den Zusammenhang der Auslegung des Gleichheitssatzes mit den sozialen Verhältnissen und den politisch-sittlichen Anschauungen liefert die völlig abweichende Auffassung, die Rechtsprechung und Schrifttum der Sowjetzone für die Gleichberechtigung des Art. 7 der Verfassung der DDR entwickelt haben. Entsprechend den Grundanschauungen des dortigen Regimes wird hier die Gleichheit ganz unter wirtschaftlich-soziale, vom Kampf der Klassen, d.h. von dem Gedanken einer bisherigen „Ausbeutung” der Frau bestimmte Gesichtspunkte gestellt. In Wirklichkeit freilich führt diese so scharf gegen jede Ungleichheit als Überrest des ausbeuterischen Struktur der patriarchalischen Ehe gerichtete Tendenz dort dahin, die Frau unter dem Vorzeichen voller Gleichberechtigung mit dem Manne soweit wie möglich in den produktiven Wirtschaftsprozeß einzuspannen, d.h. also als Arbeitskraft zu gewinnen. Das tritt bisweilen in den vorliegenden gerichtlichen Urteilen mit erschreckender Deutlichkeit hervor. Selbst der schuldlos geschiedenen Frau wird höchstens für eine Übergangszeit der Anpassung von etwa einem Jahre ein Unterhaltsanspruch gewährt. Sie soll nicht, wie der Oberste Gerichtshof (Urt. vom 1. 12. 1950 NJ 1951 S. 128) betont, auf Kosten des Mannes ein „Faulenzerleben” führen. Immerhin bemüht sich die Rechtsprechung der Sowjetzone hier wie bei anderen Fragen, im Rahmen ihrer Prinzipien mildere und billige Lösungen zu ermöglichen. Die erwähnte Entscheidung beläßt daher einer bereits älteren, noch in früheren Verhältnissen aufgewachsenen geschiedenen Frau eine kleine Rente, die sie bezieht. Aber der ökonomische Gesichtspunkt durchzieht doch die gesamte Stellungnahme. Das AG Erfurt (NJ 1952, S. 137) spricht der Mutter, die geschieden mit dem Kinde in einem Zimmer wohnt, tagsüber zur Arbeit geht und das Kind daher nach der Schulzeit zum Aufenthalt im Kindergarten oder in der leeren Wohnung nötigt, dennoch die Sorge für das Kind an Stelle des wiederverheirateten und zur Übernahme der Sorge bereiten Vaters zu, weil eine andere Entscheidung doch den Gedanken nahelegen könnte, als ob die der Arbeit nachgehende Frau nicht ausreichend für ihr Kind zu sorgen vermöchte.

Wenn wir für die Bundesrepublik solche Auslegungen ablehnen, so geschieht das aus unseren traditionellen und sozial ganz anders aufgebauten Verhältnissen heraus, nicht aber aus Gründen formaler Logik. Auch Art. 3 Abs. 2 GG kann letzen Endes nur mit Zuhilfenahme soziologischer Beobachtungen und gesellschaftlich-historischer Werturteile ausgelegt werden. Gerade in der Beurteilung der für die Auslegung des Art. 3 Abs. 2 GG anzuwendenden Maßstäbe gehen aber die Meinungen weit auseinander. Man kann etwa drei Gruppen unterscheiden:

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a) Von der frauenrechtlichen Seite her wird eine radikale und formale Ausdeutung vorgenommen. Gleichberechtigung bedeute volle inhaltliche Gleichheit, abgesehen nur von den rein physiologisch bedingten Unterschieden, die den Mutterschutz im Arbeits- und Gewerberecht, den strafrechtlichen Schutz der Frau, die Wartezeit der Witwe usw. bedingen11.

b) Ihr tritt eine andere Auffassung entgegen, die als funktionale oder organische bezeichnet wird. Sie will bei Anerkennung der Tendenz des Gesetzgebers zur Angleichung doch die Gleichberechtigung nur im Rahmen der tatsächlichen Verschiedenheit der Geschlechter, wie sie sich auf dem Grunde zeitgenössischer Anschauungen entfalten, für geboten ansehen12. Sie erkennt dem Gesetzgeber einen gewissen Spielraum der Entscheidung zu13.

c) Eine dritte Richtung, die namentlich von F.W. Bosch vertreten wird, verweist auf Art. 6 GG und hebt die Notwendigkeit hervor, den Begriff der Gleichberechtigung im Sinne der traditionellen christlich-abendländischen Gestaltung des Institutes der Ehe zu deuten14. Auf Art. 6 GG ist noch zurückzukommen. Zu der anderen Komponente dieser Anschauung, der Meinung, Art. 3 — oder auch Art. 6 — enthalte eine ganz bestimmte religiös fundierte Eheansicht, muß ich indes Bedenken anmelden. Das Grundgesetz ist ebenso wie die Weimarer Verfassung ein Kompromiß verschiedener weltanschaulicher Richtungen, wie sie in den Parteien des Parlamentarischen Rates zum Ausdruck kamen. Das Grundgesetz nimmt in allen seinen Bestimmungen über Ehe, Erziehung, Schule einen ausgleichenden Standpunkt ein und kann nirgends von einer bestimmten religiösen oder weltanschaulichen Basis aus ausgedeutet werden. Man kann die Gleichberechtigung wohl mit dem Maße der relativen aristotelischen Gleichheit15, aber nicht an dem Leitbild der Ehe messen, das auf einer bestimmten religiösen Grundlage gewachsen ist.

In diesem Rahmen einer sachgerechten, relativen Gleichberechtigung unter Berücksichtigung der historisch-sozialen Anschauungen erweisen sich aber Differenzierungen zwischen den Geschlechtern keineswegs nur, wie man gemeint hat16, allein aus physisch-psychischen Unterschieden begründet. Aus solchen psychologischen Erwägungen lassen sich unschwer die Regelungen des Mutterschutzes oder die strafrechtliche Sicherung der Frauenehre — dagegen schon


11 Vgl. Ulmer. 38 JTag, Bericht B S. 32 und vor allem Frau Maier-Reimer DRZ 1952, S. 289ff. Frau Scheffler 38. JTag, Bericht B S. 3ff. und Frau Krüger JZ 1952, S. 613ff.
12 Hierfür Ulmer a.a.O., S. 31ff.
13 Ulmer a.a.O., S. 88 und Frau Plum dort S. 96.
14 F.W. Bosch, Familienrechtsreform, Siegburg 1952.
15 Molitor, Die arbeitsrechtliche Bedeutung des Art. 3 des Grundgesetzes, 1951 S. 387. Raiser, Ztschr. f. Handelsrecht 111 (1948) S. 76.
16 Frau Scheffler, 38. JTag, Bericht B S. 4/5.

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nicht mehr die Sonderdeliktsnatur des § 217 StGB — ableiten. In einem viel weiteren Rahmen aber gewährt das öffentliche Recht der Frau besondere Rechtsbegünstigungen und Rechtsstellungen. Ohne Zuhilfenahme herkömmlicher sozialer Anschauungen läßt sich die Witwenpension des Beamtenrechts ebensowenig ableiten wie die Erlaubnis zur Fortführung des Gewerbebetriebes des verstorbenen Ehemannes durch die Witwe gemäß § 46 GewO. Oder könnte man unter solchen Gesichtspunkten etwa die Gewährung bestimmter Ansprüche aus Kriegsbeschädigungen beanstande, die tatsächlich nur für Männer in Frage kommen? Diese Regelung steht doch andererseits wiederum in Korrelation zu der Freistellung der Frau von militärischen Dienstpflichten, die als eine traditionelle Grundregel anzunehmen ist. Selbst dieses Prinzip ist aber — im Zusammenhang mit der Diskussion über die Verfassungsmäßigkeit eines Verteidigungsbeitrages der Bundesrepublik — angezweifelt worden. Man hat die alleinige Heranziehung der Männer zu Kriegsdiensten als Ungleichheit im Sinne des Art. 3 GG bezeichnet, scheinbar in der Ansicht, die Einführung der Wehrpflicht für die männliche Bevölkerung könne künftig nach Art. 3 Abs. 2 GG nur mehr in verfassungsändernder Form erfolgen, wenn sie nicht zugleich die Frauen erfasse. Diese Meinung zeigt, zu welchen überraschenden Folgerungen eine formale Deutung der Grundrechtsbestimmung führen kann.

Die Abgrenzung dessen, was als gleich und demgemäß gleich zu behandeln anzusehen ist, von dem, was Differenzierungen erlaubt oder gebietet, wird niemals ohne Werturteile erfolgen können17. Das darf nicht zu einer Überbetonung des Relativen in der Gleichheit und damit zu einer Auflösung der Gleichheit führen18. Aber es mahnt, jedes Rechtsverhältnis auf seine inneren Maßstäbe der Gerechtigkeit und Ordnung abzustellen und formallogischen Argumenten hier zu mißtrauen.

Es ist lehrreich, auch hier wieder den Blick auf die Rechtsprechung der Sowjetzone zu lenken. Daß sie die Unterhaltsfrage der geschiedenen Frau formal behandelt — aber aus ökonomischen Gründen —, ist schon vermerkt worden. Dennoch hat sich die ostzonale Judikatur auch hier bemüht, gewisse Schutzbestimmungen für die Frau zu erhalten. So hat sie aus der Gleichberechtigung der Frau als alsbald geltendes Recht einen Anspruch auf Teilung des Zugewinstes hergeleitet und die Frau an einem aus ehelichen Ersparnissen gekauften Grundstück beteiligt (KG Urt. v. 30. 3. 1950 NJ 1951 S. 330), oder hat ihr die Rückzahlung eines Darlehens beim


17 Zu diesem Urteil in der Abgrenzung von gleich und ungleich siehe Beitzke, JZ 1952 S. 745 und Nawiasky, Veröff. d. Ver. Staatsrechts- (1927) S. 40.
18 Hierzu Max Imboden, Der Schutz vor staatlicher Willkür, Zürich 1945 S. 11f.

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Ehemann nach Scheidung erlassen, soweit es diesem Anteil am Zugewinst entspricht (OG Urt. v. 11. 9. 1952 NJ 1952 S. 489).

Auf der anderen Seite lehrt die Rechtsprechung der Sowjetzone, daß eine soziologische Würdigung in der Tat eine Reihe von herkömmlichen Vorschriften als nicht mehr mit der Gleichberechtigung vereinbar ansehen muß. Das gilt für solche Vorschriften, die auf einer überholten Auffassung der Ehe als spätliberal-bürgerlicher Sicht beruhen. Ohne den radikalen Übertreibungen jener Rechtsprechung zu folgen, wird man anerkennen müssen, daß eine Vorschrift wie § 1300 BGB, der eine einseitige Geschlechtsmoral für einen Teil der Verlobten beinhaltet und die Virginität ökonomisch bewertet, nicht mehr haltbar erscheint (vgl. das freilich einseitig wirtschaftlich-klassenkämpferisch begründete Urteil des OG vom 4. 9. 1952 NJ 1952 S. 451). Mit Recht hat daher der Entwurf der SPD-Fraktion (S. 7) diese Vorschrift gestrichen18a. Daß die Aussteuerpflicht nicht mehr mit der Gleichberechtigung vereinbar ist, auch wirtschaftlich-sozial zu den überholten Vorstellungen und Einrichtungen des BGB zählt, erkennt der Regierungsentwurf an19. So vorsichtig man in der Verwertung von Beispielen aus dem sowjetisch beeinflußten Raume sein muß und so sehr jeweils die politischen Bestandteile der Urteilsbegründungen für uns ohne Überzeugungskraft sind, so weisen die Entscheidungen doch auf Vorschriften hin, die auch von einer objektiven, auf dem Boden des Grundgesetzes stehenden Auffassung berücksichtigt werden müssen. So ist z.B. die Bestimmung des § 195 STGB, die wohl dem Ehemann bei Beleidigung der Ehefrau das Recht zur Antragstellung für sie gewährt, nicht aber der Ehefrau für den Mann, ebenfalls nicht mehr zu verteidigen (desgl. § 232 Abs. 3 StGB, der auf §§ 195, 196 verweist20).

Mit Recht weist Molitor darauf hin, welches Gewicht dem Art. 3 Abs. 3 GG zukommt, der eine Bevorzugung oder Benachteiligung wegen des Geschlechtes untersagt. Bei Ablehnung einer sozial-traditionellen Auslegung stände diese Norm allen nicht rein physiologisch begründeten Begünstigungen der Frau, die zu den aus wesentlich sozialen Gründen eingeführten Bestandteilen der Rechtsordnung gehören (Witwenpension im Beamtenrecht, leichterer Unterhaltsanspruch der geschiedenen Frauen gegenüber dem Manne usw.), entgegen.

Bereits aus einer zunächst auf Art. 3 Abs. 2 GG sich beschränkenden Auslegung ergibt sich also, daß die Gleichberechtigung nicht im Sinne radikaler Gleichstellung, sondern als Gleichbewertung im


18a Daß der Regierungsentwurf die Vorschrift beibehält (vgl. Maßfeller, Das neue Familienrecht 1952 S. 46) scheint mir mit Art. 3 Abs. 2 GG nicht vereinbar.
19 Maßfeller a.a.O., S. 222; dazu KG Urt. v. 16. 5. 52, NJ 1952 S. 377.
20 Vgl. OG Urt. v. 17. 10. 1951, NJ 1952 S. 123.

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Rahmen der maßgebenden soziologischen Verhältnisse und zeitgenössischen Wertanschauungen verstanden werden muß. Eben wegen der Erscheinungsbreite und langsamen Wandlung solcher Vorstellungen verbleibt damit dem Gesetzgeber ein gewisser Spielraum der Entscheidung.

 

IV. Art. 3 Abs. 2 GG im Verhältnis zu Art. 2, 4 und 20 GG.

Es gehört zu den Grunderkenntnissen der neueren Grundrechtsauslegung, daß — wie es auch für die anderen Verfassungsnormen gilt — Einzelbestimmungen niemals isoliert interpretiert werden dürfen, sondern nur im Zusammenhang mit anderen, besonders aber mit stärker akzentuierten Vorschriften der Verfassung. Insbesondere sind alle Grundrechte, wie schon Art. 79 GG ergibt, im Hinblick auf Art. 1 (Personenwürde) zu verstehen, auch wenn man nicht ohne weiteres der üblichen Formel folgen will, daß sie gewissermaßen Ausprägungen dieses einen Fundamentalrechtes seien. In diesem Sinne ist auch Art. 3 mit anderen Grundrechten in Beziehung zu setzen, vor allem mit der ebenfalls als fundamental anzusehenden Norm des Art. 2 Abs. 1. Wenn hier in Art. 2 Abs. 1 in einer für alle Grundrechte maßgeblichen Form bestimmte immanente Grenzen der Grundrechte aufgewiesen werden, so gilt das auch für Art. 3. Niemand kann sich auf die Gleichheit der politischen Anschauungen (Art. 3 Abs. 3) als Schutz vor verfassungswidrigen Bestrebungen berufen. Gerade der Begriff „verfassungsmäßige Ordnung” in Art. 2 Abs. 1 GG enthält aber für unseren Fall eine wichtige Bedeutung. Verfassungsmäßige Ordnung beschränkt sich hier nicht wie in Art. 18, 21 u.a. auf die „freiheitliche demokratische Grundordnung”, auf die eigentliche Verfassungsordnung, umfaßt andererseits natürlich nicht die gesamte geltende Ordnung. Der Ausdruck meint vielmehr die im Grundgesetz selbst festgelegte Grundordnung des politischen und sozialen Lebens, also insbesondere auch die grundlegenden Einrichtungen des rechtlichen und sozialen Daseins, die das Grundgesetz besonders verbürgt (wie Selbstverwaltung, Rechtsstaat) oder voraussetzt (wie Arbeitsrecht, Schutz des geistigen Eigentums).

Zu den in diesem Sinne vom Grundgesetz gewährleisteten Grundeinrichtungen des Zusammenlebens, mithin der „verfassungsmäßigen Ordnung”, gehören aber auch nach Art. 6 Ehe und Familie. Man mag aus der besonders akzentuierten Stellung, die Art. 2 GG zukommt, nicht ohne weiteres auf eine stärkere Betonung von Art. 6 GG schließen können, keinesfalls aber kann Art. 6 in der Weise dem Art. 3 Abs. 2 GG untergeordnet werden, daß man meint, dort sei nur die „Ehe im Sinne der vollen Gleichberechtigung” gewährleistet.

Ferner aber wird aus Art. 2 Abs. 1 GG und seinem Hinweis auf die „Rechte anderer”, vor allem aber aus dem mit Recht vom Bundesverfassungsgericht (Entsch. 1, S. 105) hervorgehobenen Prinzip des sozialen Rechtsstaates (Art. 20) geschlossen werden dürfen, daß innerhalb der Grundrechte überhaupt jede ausgesprochen

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individualistische Deutung ohne Rücksicht auf Gemeinschaft und Rechte anderer mit der Grundanschauung des Grundgesetzes nicht übereinstimmt. Eine solche Interpretation im älteren streng liberalen Sinne ist nicht nur bei den wirtschaftlichen Vorschriften, sie ist auch bei den personalrechtlichen nicht möglich. Vor allem muß sie es ausschließen, bei einem seinem ganzen Wesen nach rein individueller Auslegung unzugänglichen Rechtsstande wie der Gemeinschaft der Ehe eine formale Deutung des Gleichheitssatzes zu vertreten, die nur das Recht des einen und anderen Gatten auf Gleichberechtigung als Individuum, nicht aber die Institution der Ehe und die zu gründende und zu erhaltende Gemeinschaft an die erste Stelle rückt. Man sagt also nicht zuviel, wenn man die allein aus Art. 3 Abs. 2 GG argumentierende Betonung eines strengen formalen Gleichheitsprinzips als mit höheren Prinzipien der Verfassungsordnung (Art. 2 Abs. 1, 20 GG) im Widerspruch befindlich bezeichnet.

Die gelegentlich vernommene Heranziehung von Art. 4 GG für unseren Zusammenhang vermag ich andererseits nicht für begründet zu halten.

 

V. Auslegung des Art. 6 GG und seiner Bedeutung zu Art. 3 GG.

Die wichtigste Bestimmung, die zur näheren Umschreibung des Gehaltes von Art. 3 Abs. 2 ergänzend heranzuziehen ist, ist Art. 6 GG. Wie erwähnt, ergibt sich die Notwendigkeit einer beide Bestimmungen miteinander verbindenden Betrachtung aus dem Prinzip, daß die Verfassung ein durchgängiges Ganze bildet und jede ihrer Normen daher im Verein mit dazugehörigen anderen Verfassungssätzen zu interpretieren ist (BVerf. GE 1 S. 32). Damit ist nicht einer Deutung das Wort geredet, die alle vorhandenen sachlich-weltanschaulichen Gegensätze und Brüche innerhalb der Verfassung und gerade im Rahmen der Grundrechte leugnen oder aufheben will, wie sie etwa zwischen Art. 6 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 5 GG bestehen. Aber auch in solchen unverkennbaren Fällen eines gewissen Widerspruchs ist es doch notwendig, nicht von einem einzelnen Satze, sondern stets von seiner systematischen Stellung im ganzen und seiner Relation zu anderen Bestimmungen auszugehen.

Rudolf Smend hat schon vor langen Jahren darauf hingewiesen, daß die Grundrechte mehr sind als eine Aneinanderfügung einzelner Berechtigungssätze, daß sie ein Wert, und Kultursystem zu normieren unternehmen, das eine Basis des nationalen Lebens bilden soll21. In diesem Sinne liegt es, wenn man neben der subjektivrechtlichen Seite eines Grundrechtes zugleich auch seine Funktion als objektiver Rechtssatz, als Prinzip der staatsbürgerlichen und rechtlichen Ordnung betrachtet. Das gilt schon für die Gleichheit, die nicht nur subjektives Recht, sondern zugleich ein objektives Grundprinzip der


21 Verfassung und Verfassungsrecht 1928 S. 1631, Bürger und Bourgeois 1933 S. 12f.

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Rechtsordnung und Rechtsanwendung darstellt. Das hat jüngst in einer bemerkenswerten Entscheidung der württ.-bad. Verwaltungsgerichtshof (Verw. Rspr. 4 S 696) ausgesprochen. In ganz besonderem Maße ist dies der Fall bei Bestimmungen, die eine Einrichtung des öffentlichen Lebens als institutionelle Garantie schützen (Art. 28 GG) oder die eine grundlegende Lebensordnung des Volkes als sog. Institutsgarantie, als Gewährleistung einer Grundordnung des nationalen Lebens sichern. Art. 6 will den Bestand der Familie und die Einrichtung der Ehe als den einer bestimmten rechtlichen Ordnung und einer natürlichen Lebensform unseres Daseins erhalten und bewahren. Eine solche Bestimmung ist nicht denkbar ohne ein bestimmtes Leitbild einer solchen Einrichtung. Sie läßt sich formal überhaupt nicht bestimmen, weil sie dann einfach den jeweiligen gesetzlichen Bestand festlegen und sichern würde. Ebensowenig darf Art. 6, wie schon hervorgehoben, einfach im Sinne einer formal bestimmten Deutung des Art. 3 Abs. 2 interpretiert werden. Das sind rein formale Konstruktionen, die dem inhaltlichen Sinn der Vorschrift nicht beizukommen vermögen. Aus der Entstehungsgeschichte der Bestimmung ergibt sich vielmehr eindeutig, daß sie einen traditionalistischen Zug enthält. Es soll hier, wie schon für Art. 119 WeimRV der Berichterstatter Abg. Beyerle (Verh. d. Nat. Vers. Bd. 328 S. 1598 A) feststellte, „Ehe und Familie als die von jeher in Deutschland anerkannte Normalform des menschlichen Geschlechts- und Gemeinschaftslebens” geschützt werden22. Art. 6 sichert also die Ehe als Gemeinschaft in ihrer durch die lange Entwicklung der europäischen Kultur ausgeprägten Form. Das heißt nicht, daß damit eine spezifisch christlich verstandene Ehe gewährleistet wird. Seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts hat die Institution der Ehe in unserer Rechtsordnung diesen christlichen Charakter aufgegeben, um einen bürgerlichen anzunehmen. In dieser immer noch Bestandteile der christlichen Überlieferung enthaltenden Form ist sie in Art. 6 gesichert. Aus dieser Interpretation des Art. 6 lassen sich auch Leitsätze für die Deutung des Art. 3 Abs. 2 GG im Hinblick auf die Ehe gewinnen. Keine der beiden Vorschriften hat den Vorrang vor der anderen. Aber beide zusammen ergeben erst das, was der Verfassungsgesetzgeber über die Gleichberechtigung der Frau aussagen wollte. Ebenso wie andere Seiten der Gleichberechtigung der Frau nur im Zusammenhang mit anderen Vorschriften verstanden werden können — z.B. die beamtenrechtlichen Fragen der Heranziehung des Art. 33 Abs. 5 GG bedürfen —, so kann die besondere Ausgestaltung der Gleichberechtigung im Ehe- und Familienrecht


22 Vgl. ferner den Abg.Ablaß, Bericht d. Verf.Ausschusses Bd. 336 S. 378 und Abg. Sinzheimer S. 505, der sich dagegen verwahrt, daß damit das heutige Eherecht festgelegt werde, wogegen ihm der Abg.Ablaß erwidert, daß damit keineswegs die Einzelheiten des geltenden Rechts fixiert würden.

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nicht ohne den Blick auf Art. 6 Abs. 1 und 5, Art. 6 Abs. 2 und Art. 7 Abs. 2GG definiert werden. Art. 6 legt aber — das ist schon in der Weimarer Zeit für Art. 119 WeimRV angenommen worden23 — den Charakter der Ehe als einer grundsätzlich und begrifflich lebenslangen, vollen Gemeinschaft von Mann und Frau fest, die auch Gemeinschaft des Zusammenlebens, also prinzipiell an den gleichen Wohnort und Haushalt gebunden ist. Daraus ergeben sich auch gewisse äußerste Grenzen des Ehescheidungsrechts. Ebenso folgt aus Art. 6 Abs. 1 und 5, daß zwar gewisse rechtliche und soziale Nachteile des unehelichen Kindes beseitigt werden sollen, aber eine volle rechtliche Gleichstellung mit den ehelichen Kindern den Sinn der Verfassung verkennen würde, wenn damit die auf der Ehe beruhende Familiengemeinschaft gefährdet würde.

Das Wort „stehen” in Art. 6 deutet auf den Schutz bereits bestehender Einrichtungen hin. In diesem Sinne fordert Art. 6 die Sicherung des bezeichneten Bildes der vollen, lebenslangen Gemeinschaft. Für ihre rechtliche Gestaltung läßt er dabei eine gewisse Entscheidungsbreite. Mit ihr vereinbar erscheint eine gewisse in der besonderen Funktion jedes Ehepartners begründete Differenzierung der Ehegatten. Freilich sind diese Abweichungen begrenzt. Nicht ein älteres oder ein spezifisch christliches Bild der Ehe ist gemeint, sondern die überlieferte Form, die die Ehe in der modernen Zeit trotz aller Erschütterungen und Auflösungen bewahrt hat. Sofern dies Bild durch die übermäßige Betonung der Individualrechte der Ehepartner gegeneinander gefährdet würde, mag es daher zulässig sein, das Gemeinschaftsinteresse der Ehe und der auch die Kinder umschließenden Familie in bestimmten Fällen höher zu setzen als individuelle Rechte. Das entspricht Wesen und Bedeutung von Ehe und Familie.

Vor allem ergibt Art. 6 noch eine wichtige Erkenntnis. Soweit der Staat Freiheitsrechte als natürliche Ordnungen anerkennt, sichert er damit jeweils einen umgrenzten Lebensraum individueller Entfaltung. Soweit dabei Bereiche des persönlichen Lebens betroffen sind, geht es um die äußere und die dadurch gesicherte innere Freiheit der Lebensführung, jenseits staatlicher Eingriffe, jenseits einer Durchformung dieses Gebietes durch gesetzgeberische Regulierung (z.B. Meinungsfreiheit). Verwandtes gilt aber auch von den Sicherungen bestimmter Ordnungen des Gemeinschaftslebens. Wenn der Staat Ehe und Familie unter seinen besonderen Schutz stellt, so gewährleistet er damit die Unversehrtheit des intimen und geschlossenen Charakters dieser engsten menschlichen Gemeinschaft. Es ist damit nicht vereinbar, daß staatliche Gestaltung in alle Fragen dieses Bereiches hineingreift und sie etwa staatlichem Einfluß oder dem Eingriff staatlicher Gerichte oder anderer Instanzen unterwirft. Schon von diesem Gedanken her ließen sich verfassungsrechtliche


22 Wieruszowski in Nipperdey, Grundrechte S. 77ff.

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Bedenken gegen das von manchen Seiten angestrebte staatliche (vormundschaftsgerichtliche) Bestimmungsrecht in ehelichen Lebensfragen (§ 1354 BGB) herleiten. Der innere Raum der Ehe entzieht sich als ein nicht oder nur unvollkommen justiziabler Bereich staatlicher Formung und Jurisdiktion. Auch verfassungsrechtlich ist er als ein intimer, der fremden Einmischung staatlicher Administration oder Justiz entzogener Raum geschützt und der eigenen Gestaltung der Gatten überlassen. Anders steht es dagegen bei der Bestimmung über die Kinder. Hier sieht Art. 7 Abs. 2 GG von vornherein staatliche Mitbestimmung und Überwachung vor.

Wenden wir diese Richtlinien auf die beiden hier in Frage stehenden Hauptvorschriften an, so ergibt sich: Nicht mehr mit dem Sinne der Verfassung zu vereinbaren ist ein ehemännliches Entscheidungsrecht ohne die Eröffnung einer Möglichkeit der Anrufung einer konfliktentscheidenden Instanz. Anders steht es aber mit einem ehemännlichen Entscheidungsrecht, das nur als Stufe einer Auseinandersetzung eingefügt würde in der dem anderen Teile die Anrufung des Vormundschaftsgerichtes offen stände. Ander steht es aber auch mit einem auf die heutige wirkliche soziale Struktur der Ehe abgestellten und mehr als Pflicht verstandenen Sorgerecht für gewisse grundlegende Fragen des gemeinsamen Lebens24. In jedem Falle aber müssen ernste Bedenken dagegen erhoben werden, einer allzu leichten und weiten Anrufung staatlicher Instanzen in inneren Fragen des Ehelebens die Tür zu öffnen. Hier würde möglicherweise die Grenze des in Art. 6 gewährten Schutzes für den ungestörten inneren Raum der Ehe verletzt und damit von dieser Seite her ein verfassungsrechtliches Bedenken begründet werden.

Anders steht es bei § 1628 BGB. Hier ist es verfassungsrechtlich zulässig und auch dem Sinne der Rechtsordnung mit ihrer Betonung der Verantwortung der Eltern und der staatlichen Überwachung entsprechend, wenn bei Konflikten das Vormundschaftsgericht eingeschaltet wird. Hier steht nicht nur der innere Raum der Ehe zur Entscheidung, sondern der die Gemeinschaft wegen der Zukunft der Kinder berührende Bereich der Erziehung.

 

LEITSÄTZE

1. Aus der Weimarer Reichsverfassung ergibt sich für die heutige Diskussion nur ein geringer Anhalt, da damals die Gleichberechtigung der Frau nur als Programmsatz für künftige Gesetzgebung aufgefaßt wurde. Einer formalen Auslegung trat man damals allgemein entgegen, nahm vielmehr einen weitgehenden Spielraum des Gesetzgebers an.

2. Auch im Parlamentarischen Rat wurde eine rein formale Ausdeutung der Gleichberechtigung abgelehnt und die Beweglichkeit des Gesetzgebers bei der näheren Durchführung betont; das letztere


24 In diesem Sinne etwa Beitzke, JZ 1952, S. 745.

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schon dadurch, daß man eine Übergangsfrist festlegte, die als solche die Schwierigkeit und nicht allein mit logisch-formalen Gründen zu bewältigende Natur der Aufgabe kennzeichnet.

3. Art. 3 Abs. 2 GG ist im Rahmen des allgemeinen Gleichheitssatzes als einer relativen, sachgerechten Gleichbehandlung auszulegen, wobei anzuerkennen ist, daß Art. 3 Abs. 2 dem gegenüber eine verstärkende und formalere Deutung der Gleichheit in bezug auf die Stellung der Frau bedeutet.
Aber auch das Prinzip der Gleichberechtigung kann nicht formal verstanden werden, sondern muß sich auf Werturteile stützen, die von historisch-sozialen Momenten abhängen und gewissen Wandlungen unterworfen bleiben.
Nicht eine absolute formale Gleichheit, sondern eine der Verschiedenartigkeit der Geschlechter und den herrschenden Wertungen entsprechende Ausgestaltung der Gleichberechtigung wird dem Sinn des Art. 3 Abs. 2 gerecht.
Art. 3 Abs. 3 schließt eine nur formale Deutung deshalb aus, weil er sonst die herkömmlichen sozialen Begünstigungen der Frau in zahlreichen Rechtsgebieten ausschließen würde.
Art. 3 läßt dem Gesetzgeber innerhalb festen Grenzen, die eine bewußte und entschiedene Abkehr vom Bilde der patriarchalischen Eheordnung bringen, einen gewissen Spielraum der Gestaltung.

4. Art. 3 Abs. 2 GG ergibt für zahlreiche Gebiete des privaten und öffentlichen Rechts wichtige Folgerungen, die noch nicht alle in den jetzigen Vorschlägen der Bundesregierung berücksichtigt sind.

5. Aus dem Grundsatz der systematischen, vom Ganzen der Verfassung ausgehenden Auslegung folgt, daß Art. 3 Abs. 2 nur zusammen mit anderen einschlägigen Vorschriften verstanden werden kann.
Aus Art. 2 und 20 GG ist abzuleiten, daß eine rein subjektiv-individuelle Verselbständigung und Berechtigung nicht der Sinn der Bestimmungen des Grundgesetzes ist, die vielmehr alle eine Gemeinschaftsbezogenheit und eine Bindung an bestehende Gemeinschaften in sich schließen.

6. Für die Auslegung des Art. 3 Abs. 2 auf dem Gebiete des Familienrechts müssen Art. 6 Abs. 1, 2 und 5 und Art. 7 Abs. 2 GG notwendig herangezogen werden.
In Art. 6 Abs. 1 ist die Ehe als eine Institution des objektiven Rechts in ihrer durch die christliche Tradition geprägten, seit dem 19. Jahrhundert bürgerlich ausgestalteten Form gesichert.

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7. Art. 6 Abs. 1 GG gewährt der ehelichen Gemeinschaft Schutz in ihrer eigentlichen inneren Sphäre; in sie soll der Staat durch seine Entscheidung nicht eingriffen dürfen.
Dagegen weist Art. 6 Abs. 2 dem Staate eine überwachende und daher mitbestimmende Rolle bei der Erziehung der Kinder zu.

8. Mit der Verfassungsordnung sind daher Abweichungen von einer rein formalen Gleichberechtigung innerhalb des eigentlichen vom Staat freien inneren Raumes der Ehe vereinbar. Bei der Kindererziehung ist die Gleichberechtigung der Eltern in der Verfassung stärker betont; hier darf sie durch staatliche Organe gesichert werden.

9. Die Namensgebung ist nicht eine Frage bloßer technischer Ordnung oder nur ein Ausdruck gleichberechtigter Rechtsansprüche der beiden Ehegatten. Sie ist vielmehr ein untrennbar mit der ganzen Einrichtung der Familie herkömmlich verbundener öffentlich-rechtlicher Status, dessen Umgestaltung im Sinne der vollen Freiheit der Namenswahl für Eltern und Kinder die überzeitliche Einheit der Familie auflösen würde. Eine solche Namensregelung wäre daher verfassungswidrig.