Dombois, H.

Zur Reform des Personenstandsgesetzes

1955

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Zur Reform des Personenstandsgesetzes

(Entwurf eines Gutachtens)

 

von Hans Dombois

 

Die Eherechtskommission der Evangelischen Kirche in Deutschland hat sich in ihrer Sitzung vom 29. bis 31. Januar in Fulda auch mit der beabsichtigten Reform des Personenstandsgesetzes befaßt. Der größte Teil der Bestimmungen dieses Gesetzes berührt die kirchlichen Interessen nicht. Von erheblicher grundsätzlicher wie praktischer Bedeutung für das kirchliche Leben ist jedoch die Strafvorschrift des § 67 und die Vorschrift des § 8 über die Form der bürgerlichen Eheschließung.

So wenig die Notwendigkeit einer Regelung des Personenstandsrechts zur Erörterung stehen kann, so wenig kann übersehen werden, daß das geltenden Personenstandsrecht seinen Ursprung in der Zeit des Kulturkampfes hat. Wenn sich dieser auch zwischen Reich und katholischer Kirche abspielte, so sind doch auch damit zugleich Interessen der evangelischen Kirche in Mitleidenschaft gezogen worden. Bei der Neufassung des Gesetzes muß in klarer Besinnung auf das rechte Verhältnis von Staat und Kirche eine endgültige Loslösung von der Kampfsituation des 19. Jahrhunderts vollzogen werden.

 

I.

Die Strafvorschrift des § 67 verbietet den Vollzug einer kirchlichen Trauung vor dem zivilen Eheschließungsakt. (Voraustrauung). Diese Vorschrift ist nur in sehr seltenen Fällen praktisch geworden. Weder zur Zeit des Kulturkampfes noch später haben Geistliche die Ablehnung der Zivilehe durch bewußte Verletzung dieser Vorschrift zum Ausdruck gebracht. Die Einwände gehen heute nicht gegen das Verbot als solches, sondern dagegen, daß die Vorschrift bei Vorliegen unbehebbarer bürgerlicher Eheschließungshindernisse es unmöglich mache, sittliche Notstände, insbesondere langjährige Konkubinate ehewilliger Partner durch kirchliche Trauung zu beseitigen, daß also die Ausnahmevorschrift des Absatzes 2 (Zulässigkeit der Voraustrauung bei lebensgefährlicher Erkrankung) zu eng sei. Daneben sind freilich auch Stimmen laut geworden, die die völlige Beseitigung der Vorschrift anstreben.

Die seltene Anwendung der Strafvorschrift besagt nichts über ihre grundsätzliche Bedeutung. Sie bestimmt das öffentliche und öffentlich-rechtliche Verhältnis zwischen weltlicher Eheschließung und kirchlicher Trauung. Die kirchliche Trauung als geistliche Handlung

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ist zugleich ein kirchenrechtlicher Akt mit kirchenrechtlichen Folgen. Sie schließt eine Wiederholung im Regelfalle aus und begründet für die kirchlich Getrauten den Anspruch, innerhalb der Kirche als Eheleute angesehen und behandelt zu werden. Dies ist zwar ohne bürgerliche Rechtswirkung, erzeugt jedoch einen für die Öffentlichkeit sichtbaren innerkirchlichen Rechtsstatus, der dem Staate nicht gleichgültig sein kann. Angesichts der öffentlichen und öffentlich-rechtlichen Stellung der großen christlichen Kirchen, denen die weit überwiegende Mehrzahl der Staatsbürger angehört, hätte der Staat im Falle der rechtlichen Zulässigkeit der Voraustrauung ein echtes Interesse daran, die kirchlich geschlossene Ehe zur bürgerlichen Rechtswirkung zu bringen und ein Auseinanderfallen von kirchlicher und bürgerlicher Ehe möglichst zu vermeiden. Die wechselseitige Achtung und Anerkennung von Staat und Kirche verbietet es beiden, die Rechtsakte des anderen zu ignorieren und damit grundsätzlich zu mißachten. Die Lösung des Problems in der laizistischen Gesetzgebung Frankreichs, welche die kirchliche Voraustrauung einfach ignoriert, aber auch straffrei läßt, (Prinzip der Dissimulation) ist keine echte Lösung des Problems. Sie entspricht weder dem rechten Verhältnis von Staat und Kirche nach evangelischer Sicht, noch der geschichtlich gewordenen staatskirchenrechtlichen Lage in Deutschland.

Es besteht die Gefahr, daß im Falle der Voraustrauung die kirchlich getraute Ehe in nicht ganz wenigen Fällen nicht zur bürgerlichen Rechtswirkung kommt. Nachlässigkeit und Rechtsunkenntnis der Eheschließenden, zwischenzeitliche Todesfälle, Einwirkung mißgünstiger Familienmitglieder, Zerwürfnisse der jungen Eheleute könnten die Nachholung des zivilen Aktes hindern; aus dem Vollzug der Ehe könnten jedoch Kinder hervorgehen. Auch der Rechtsschutz Dritter wäre gefährdet. Die Voraustrauung könnte also eine Fülle vermeidbarer Konflikte und ein bedeutendes Maß von Unordnung erzeugen. Der Vorschlag, die Frage der fakultativen Zivilehe (kirchliche Eheschließung mit bürgerlicher Rechtswirkung) durch einfache Aufhebung der Strafvorschrift des § 67 PStG zu umgehen, kann keine Lösung bedeuten. Es hat zur Debatte gestanden, eine Bestimmung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches zu übernehmen, wonach die bürgerliche Eheschließung der kirchliche Trauung vorauszugehen hat, jedoch ohne Strafandrohung. Es kann nicht die Sache der Kirche sein, dem Staat eine Strafvorschrift gegen ihre eigenen Amtsträger vorzuschlagen. Die kirchliche Trauung bleibt immer eine pflichtmäßige Handlung des Geistlichen, des Amtsträgers einer öffentlichen Körperschaft. Strafbare Verletzungen sind, wenn überhaupt, regelmäßig nicht aus einer Mißachtung des Staatsgesetzes, sondern aus echten Pflichtenkollisionen entstanden. Aber ebensowenig hat die Kirche ein Recht, die Aufhebung der Strafvorschrift zu fordern. Jedoch erscheint ihre Revision unumgänglich.

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1. Das Reichsgesetz vom 6. 2. 1875 sah eine Höchststrafe von drei Monaten Gefängnis vor. Das Delikt war damit als Vergehen gekennzeichnet, jedoch im Strafrahmen nur wenig über einen Übertretungstatbestand hinausgehoben. Delikte mit so niedriger Höchststrafe sind in unserem Rechtssystem selten. Das Personenstandsgesetz vom 3. 11. 1937 droht jedoch Geldstrafe oder Gefängnis schlechthin an, erweitert also den Strafrahmen auf fünf Jahre. Damit hat der kirchenfeindliche Nationalsozialismus eine entscheidende Verschärfung zugleich im Sinne einer Abwertung der kirchlichen Trauung vorgenommen. Ein völliger Verzicht auf die primäre Androhung einer Freiheitsstrafe erscheint geboten, um die Vorschrift jeden diskriminierenden Charakter zu nehmen. Den Geistlichen nur wegen Verletzung der Zeitfolge im Verhältnis zu einer staatlichen Handlung mit einer Freiheitsstrafe zu bedrohen, ist offenbar unbillig und auch in der gemäßigten Form der Fassung von 1875 ein Restbestand des Kulturkampfes. Falls Bedenken entstehen, die Strafvorschrift als Übertretung auszugestalten (Höchststrafe 150 DM, ersatzweise sechs Wochen Haft) und damit der kürzeren sechsmonatigen Verjährung zu unterwerfen, so sollte als primäre Höchststrafe eine Geldstrafe von etwa 300 DM genügen.

2. Zu erwägen wäre, den Absatz 2 (Strafbefreiung bei kirchlicher Nottrauung im Falle der Todesgefahr) zu erweitern. Art. 26 des Reichskonkordats erweitert bereits zugunsten der katholischen Kirche die Ausnahmebestimmung des § 67 Abs. 2. Es heißt dort:

Unter Vorbehalt einer umfassenderen späteren Regelung der eherechtlichen Fragen besteht Einverständnis darüber, daß außer im Falle einer lebensgefährlichen, einen Aufschub nicht gestattenden Erkrankung eines Verlobten, auch im Falle schweren sittlichen Notstandes, dessen Vorhandensein durch die zuständige bischöfliche Behörde bestätigt sein muß, die kirchliche Einsegnung der Ehe vor der Ziviltrauung vorgenommen werden darf. Der Pfarrer ist in solchen Fällen verpflichtet, dem Standesamt unverzüglich Anzeige zu erstatten.

Im Schlußprotokoll ist der Begriff des schweren sittlichen Notstandes definiert.

Ein schwerer sittlicher Notstand liegt vor, wenn es auf unüberwindliche oder nur mit verhältnismäßigem Aufwand zu beseitigende Schwierigkeiten stößt, die zur Eheschließung erforderlichen Urkunden rechtzeitig beizubringen. — Zur Vermeidung von Härten und im Interesse der Rechtsgleichheit wären diese Grundsätze in die Neufassung des § 67 aufzunehmen.

 

II.

Die äußeren Formen der zivilen Eheschließung haben seit der Einführung der Zivilehe eine von der Öffentlichkeit nicht sehr beachtete, aber doch einschneidende Weiterentwicklung erfahren. § 51 ff. des PStG von 1875 und die sachlich übereinstimmende

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Vorschrift des § 1318 BGB regelten den bürgerlichen Rechtsakt erschöpfend. Der als Regelfall betrachteten kirchlichen Trauung wurde die bürgerliche Eheschließung lediglich vorgeschaltet. Die Regelung vermied jeden zeremonialen Charakter. Die sehr unterschiedlichen Durchführungsbestimmungen der Bundesstaaten schrieben die Vornahme der Ziviltrauung in einem angemessenen Raum und getrennt von anderen Dienstgeschäften vor, vermieden aber ebenfalls jede zeremoniale Ausgestaltung. Im völligen Gegensatz dazu steht § 8 des Personenstandsgesetzes von 1937. Nunmehr soll „die Eheschließung in einer der Bedeutung des Ehe entsprechenden würdigen und feierlichen Weise vorgenommen werden”. § 444 der Dienstanweisung für die Standesbeamten bekümmert sich jetzt um die Ausschmückung des Amtsraumes und regt das Anlegen eines, von anderen staatlichen und kirchlichen Amtstrachten unterschiedenen Amtstracht der Standesbeamten an. Nach § 449 ist es dem Standesbeamten unbenommen, in kurzen Worten auf die Bedeutung der Ehe und Familie hinzuweisen. Durch eine weitere Generalklausel ist schließlich vorgesehen, daß der Standesbeamte auch noch besonderen Wünschen der Verlobten um Ausgestaltung des Aktes entsprechen kann. Der maßgebenden Kommentar von Stölzel (1939) interpretiert diese Regelung dahin, daß die Ziviltrauung nunmehr als der eigentliche Heiratsakt und Nachfolger der deutsch-rechtlichen Trauung anzusehen sei (vgl. im einzelnen hier den Aufsatz von Blötz in diesem Bande). Es ist bemerkenswert, daß in der Deutschen Demokratischen Republik die gleiche Tendenz hervortritt, durch feierliche Ausgestaltung der Eheschließung eine quasikirchliche Weihe zu geben (Amtstracht und Ansprache des Standesbeamten, Ausschmückung des Raumes und eine feierlich-sentimentale Musikfolge, die die Eheschließenden über sich ergehen lassen müssen).

Die Revision des Gesetzes gibt Veranlassung, zu diesem Tatbestand grundsätzlich Stellung zu nehmen. Erst mit dem Gesetz von 1937 und den Durchführungsbestimmungen unternimmt es der Staat als organisierte Weltanschauungsgemeinschaft mit den christlichen Kirchen in bewußter Konkurrenz zu treten, was er bisher streng vermieden hatte. Die Kirche vermag dem Staat grundsätzlich nicht das Recht zu solenner Ausgestaltung seiner Hoheitsakte zu bestreiten, zumal gerade die wichtigsten Vorgänge des Staatslebens notwendig in solchen Formen stattfinden. Es gibt insofern kein ausschließliches privilegium solemnitatis der Kirche. Jedoch kann der Staat nur solche feierlichen Handlungen vornehmen, die unter Wahrung des Grundsatzes der Glaubensfreiheit für alle Staatsbürger erträglich und verbindlich sein können. Es kann daher niemals die Aufgabe des Staates sein, für nicht-christliche Eheschließenden in Gestalt des Standesbeamten eine Art als Ersatzgeistlichen bereitzuhalten, welcher weltanschaulich gefärbte Reden über den Eheschließungsakt hält. Das gilt auch dann, wenn die Eheschließenden dies selbst wünschen; mit der Erfüllung dieses Wunsches würde der Staat grundsätzlich seinen

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Bereich überschreiten. Die Fassung der betreffenden Vorschriften läßt auch eine deutliche Unsicherheit der Haltung erkennen, da ja alles dies in das Ermessen des Standesbeamten gestellt wird, der Staat also offenbar eine echte verbindliche Gestaltung gar nicht vorzunehmen imstande ist.

Aus den gleichen Gründen kann es nicht Recht und Aufgabe des Standesbeamten sein, im Sinne des § 449 Ansprachen an die Eheschließenden zu richten, welche die Bedeutung der Eheschließung würdigen. Zwischen der christlichen und einer rein profanen Auffassung der Ehe bestehen grundliegende Unterschiede. Für den Christen kann das Wesen des von Gott gestifteten Ehestandes von er sittlichen Selbstverpflichtung des Menschen her nicht zulänglich begriffen werden. Der Christ als Staatsbürger kann daher auch nicht verpflichtet werden, etwa idealistische Gedanken über die Ehe aus dem Munde des Staatsbeamten entgegenzunehmen. Der Staat muß mit dem durch die Glaubensfreiheit geschützten Dissensus der Anschauungen rechnen. Das übrigens völlig unkontrollierbare Recht der Ansprache des Standesbeamten sollte daher beseitigt werden. Wird eine Ansprache doch für wünschenswert oder zulässig gehalten, so kann sie sich nur auf die Darlegung der durch die Eheschließung begründeten gesetzlichen Pflichten beschränken. Es ist also gegen das Bestreben des Staates und auch der Standesbeamten selbst nach würdiger Gestaltung der Eheschließung nichts einzuwenden. Der Christ wird sich auch nicht für berechtigt halten dürfen, durch betonte Mißachtung etwa in der Kleidung den Staatsakt bewußt herabzusetzen. Der inhaltlichen Ausgestaltung des Staatsaktes sind jedoch durch die Grenzen staatlicher Wirksamkeit überhaupt und durch das Grundrecht der Religionsfreiheit im besonderen enge Schranken gesetzt, die in der Neufassung des Gesetzes und der Durchführungsbestimmungen zum Ausdruck kommen sollten.