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Vorwort

 

Im Jahre 1971 wurde auf gesamtkirchlicher Ebene eine Studienkommission über die Theologie der Ehe und das Problem der Mischehe gegründet. Beteiligt sind die katholische Kirche, der Lutherische und der Reformierte Weltbund. Orthodoxe und Anglikaner sind leider nicht vertreten. Die besondere Position der Kirche von England soll durch einen katholischen Theologen aus England eingebracht werden.

Eine ökumenische Studienarbeit auf diesem Gebiet ist neu. Der ökumenische Rat der Kirchen hat sich zwar bereits in früheren Jahren mit Fragen der Ehe und des Eherechts befaßt. Eine direkte Begegnung mit der katholischen Kirche war jedoch noch nicht erfolgt. In vielen europäischen Ländern sind nach dem Zweiten Weltkriege weitreichende Reformen des Ehe- und Familienrechts erfolgt. Zu dieser Gesetzgebung haben die partikularen Kirchen mehr oder minder ausführlich und grundsätzlich Stellung genommen. Aus diesen Arbeiten sind besonders zu erwähnen die inhaltsreiche Studie der Kirche von England unter dem Titel „Putting Asunder”1 und die Denkschrift der Evangelischen Kirche in Deutschland zur Ehescheidung2. In diesen Erwägungen konnte die katholische Position nie außer Betracht bleiben, zumal sie durch den katholischen Bevölkerungsanteil in den betreffenden Ländern konkrete Bedeutung besaß. Die staatskirchenrechtlich gesicherte Geltung des kanonischen Eherechts in den katholischen Ländern ist bekanntlich neuerdings in Frage gestellt und Gegenstand von Verhandlungen.

Die Arbeiten der Studienkommission kommen insofern relativ spät, als die meisten dieser Reformen auf nationaler Ebene praktisch abgeschlossen sind und die Mischehenfrage durch die neuere kirchliche Gesetzgebung seit 1970 zwar nicht formell gelöst, aber doch im wesentlichen ihrer Schwierigkeiten entkleidet worden ist. Trotzdem behält diese erstmalige Bemühung zur direkten Gegenüberstellung und Verarbeitung der unterschiedlichen kirchlichen Traditionen ihre volle Bedeutung.


1 London 1966.
2 Zur Reform des Ehescheidungsrechts in der Bundesrepublik Deutschland. Eine Denkschrift der Familienrechtskommission der Evangelischen Kirche in Deutschland, hg. vom Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland, 1969.

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Die Scheidungsdenkschrift der EKD ist von der Familienrechtskommission der EKD erarbeitet worden, welche, 1950 gegründet, seither den ganzen Gang der Familienrechtsreform mit ihren Stellungnahmen begleitet hat3. Auch hier waren immer wieder ökumenische Bezüge gegeben. Die Frage der Eheschließung, die zeitweilig von der katholischen Seite neu aufgeworfen worden war, führte zu umfassenden Forschungen über die Geschichte des Eheschließungsrechts und der Trauliturgien ebenso wie zur Kritik des Trienter Eherechts. Eine Studie über das „Decretum ‘Tametsi’ de Reformatione Matrimonii” von 1563 habe ich seinerzeit dem Konzilsbeobachter der EKD, Professor Schlink, zur Benutzung auf dem Konzil zur Verfügung gestellt. Ebenso mußte Eheverständnis und Scheidungspraxis der orthodoxen Kirche dargestellt werden.

Als im Jahre 1972 mit der Neuwahl des Rates der EKD auch Mandat und Zusammensetzung der Familienrechtskommission erneuert wurde, habe ich Anlaß genommen, in einem umfassenden Referat vor der Kommission eine Gesamtübersicht über die Einwirkung der Kirche auf die Geschichte des Eherechts vorzulegen. Diese Abhandlung und eine große Zahl von Einzelarbeiten aus dem Bereich der Familienrechtskommission habe ich 1974 in dem Buch „Kirche und Eherecht”4 veröffentlicht, darunter auch die Studien zum Trienter und zum orthodoxen Eherecht. Nach Erscheinen dieses Buches wurde ich von der erwähnten Studienkommission zu einem rechtsgeschichtlichen Referat über die Entwicklung des Ehescheidungsrechts in den getrennten Kirchen aufgefordert. Hatte ich angenommen, daß jene Gesamtübersicht auch einen gewissen Abschluß meiner Erwägungen auf diesem vielfältigen — gewiß unerschöpflichen! — Gebiet bedeute, so stellten sich auf der ökumenischen Ebene die Fragen in überraschender Weise neu. Es ist ein Anderes, in einem partikularen Bereich auch die Positionen anderer einzubeziehen, als sich der direkten Konfrontation dieser Traditionen zu stellen. Das auf diese Weise entstandene Referat wurde auf der 4. Arbeitstagung der Studienkommission im Dezember 1974 in Straßburg gehalten. Es füllte dort offenbar eine allgemein empfundene Lücke aus. Die sachkundigen Teilnehmer dieses Gesprächs hatten erklärtermaßen in der umfangreichen Literatur eine schlüssige Zusammenfassung


3 H.A. Dombois/F.K. Schumann (Hg.), Weltliche und kirchliche Eheschließung (Glaube und Forschung 6), 1953; dies., Familienrechtsreform (Glaube und Forschung 8), 1955.
4 Kirche und Eherecht (Forschungen und Berichte 29), 1974 (u. als K+E zitiert).

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vermißt. Die historischen Darstellungen waren nicht in vollem Maße den Grundsatzfragen gewidmet, die grundsätzlichen Arbeiten boten die historischen Tatbestände nur sehr zum Teil. Gesamtkirchlich orientierte Arbeiten lagen bei dem entschieden konfessionellen Interesse der meisten Verfasser erst recht nicht vor. Apologetische Gesichtspunkte verkürzten nicht selten die historischen Sachverhalte.

Nach Abschluß der Beratungen wurde ich von Mitgliedern der Kommission, insbesondere deren Sekretär, Professor Dr. Harding Meyer/Straßburg, gebeten, den Text durch Veröffentlichung allgemein zugänglich zu machen. Dankenswerterweise haben die Herausgeber dieser Schriftenreihe, die Herren Professoren Rendtorff und Steck, sich bereit erklärt, die so entstandene Schrift zu übernehmen. Für die Druckfassung mußte naturgemäß der Vortragstext wesentlich überarbeitet werden. Bezugnahmen auf die internen Kommissionsmaterialien wurden ausgeschieden. Andererseits habe ich die Ergebnisse der Generaldebatte einzubringen versucht und insbesondere solche Punkte näher ausgeführt, an denen Mißverständnisse oder auch wesentliche Gegensätze zu klären und herauszuarbeiten waren. Die Teilnehmer der Tagung finden daher den Vortragstext in einer fortgeschriebenen Form. Er kann für den unbeteiligten Leser die zu erwartende Veröffentlichung der Arbeitsergebnisse der Kommission nicht vorwegnehmen oder ersetzen, versucht aber in eigener Verantwortung, den Stand der Kontroverse zu umreißen. Den ursprünglichen Arbeitstitel „Ist die Unauflöslichkeit der Ehe absolut?” habe ich durch einen verständlicheren ersetzt.

D. Dr. Hans Dombois

Schriersheim, Januar 1976