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3. Begründung zum Alternativentwurf einer Lex Ecclesiae Fundamentalis (Schema Revisum)

 

 

Die Notwendigkeit einer Reform des Codex Iuris Canonici (CIC) liegt darin begründet, daß die unmittelbar oder mittelbar kirchenrechtlich bedeutsamen Aussagen des II. Vatikanischen Konzils in die verbindliche Ordnung der Kirche überführt werden müssen. Als wesentliche Veränderung zeigt sich zugleich, daß nunmehr die Institutionen und Normen des kanonischen Rechts nicht mehr wie bisher positiv als gegeben dargeboten, sondern theologisch begründet und entfaltet werden. Aus diesen Gründen zeigt der Entwurf der Lex Ecclesiae Fundamentalis gegenüber dem geltenden Codex Iuris Canonici ein verändertes Gesicht. Zugleich ist die Lex Fundamentalis nach der ihr von Papst Paul VI. ausdrücklich zugewiesenen Bestimmung eine Lex Constitutionalis, ein Verfassungsgesetz, das — nicht unähnlich den weltlichen Verfassungen — den Rahmen und die tragenden Grundsätze künftiger gesamt- und teilkirchlicher Gesetzgebung ein für allemal festlegt.

 

I. Spaltung des Kirchenbegriffs

Von hervorragender Bedeutung ist angesichts dieser Aufgabe und Lage die Formulierung des Prooemiums, in welchem sowohl das Selbstverständnis der Kirche formuliert wie der Grund für die nachfolgende Verfassung der Kirche gelegt wird.

Der neuartigen Verbindung theologischer und kirchenrechtlicher Aussagen entspricht es, wenn im ersten Abschnitt des Prooemiums die Stiftung der Kirche bezeugt und der im Konzil in den Vordergrund getretene Gedanke des Volkes Gottes übernommen wird.

Die Verfasser sahen sich nach dieser Grundaussage vor die Notwendigkeit gestellt, eine gedankliche Überleitung zu der positiven Ordnung der Kirche zu finden. Sie versuchten dies im zweiten Abschnitt durch die korrespondierende Doppelaussage, daß die Kirche zugleich „communitas” von Glauben, Hoffnung und Liebe, wie auf Erden mit hierarchischen Organen ausgestattete „societas” sei. Eine gedankliche Verbindung von Abschnitt I zu II ist freilich nicht erkennbar. Zwar findet sich das Begriffsschema communitas-societas im Text der Konstitution „Lumen Gentium”. Es steht dort in dem vielfältigen und weitverzweigten Kontext von Aussagen über die

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Kirche; keineswegs bildet es einen Spitzensatz, aus dem die geschichtliche und historisch-institutionelle Wirklichkeit der Kirche abgeleitet oder in der sie wesentlich beschrieben werden könnte. Die Verfasser haben auch nicht versucht, den Rechtsgehalt auszuschöpfen, der in Abschnitt I mit dem Gedanken des erwählten Volkes, des Volkes Gottes bereits vorlag. Auch der Gedanke des neuen Bundes ist von ihnen nicht in den Text aufgenommen worden. Unter diesen Umständen bedeutet die Voranstellung dieses einen, deutlich aus der scholastischen Tradition stammenden Gedankens eine schwerwiegende Verschiebung der Gewichte, die, mit außerordentlichen Konsequenzen verbunden, das Gesamtwerk präjudiziert hat. Denn mit der Einführung dieser Doppelaussage wird eine tiefgreifende Spaltung des Kirchenbegriffs eingeleitet. Der Gesamtheit der Gläubigen, der communitas, wird die virtuelle und spirituale Mitwirkung am gesamten Leben der Kirche, an allen ihren Ämtern und Verrichtungen zugesprochen, während andererseits als aktive Träger von Rechten allein die hierarchisch verfaßte societas in Erscheinung tritt. Der Hierarchie-Begriff wird nicht nur prinzipiell eingeführt, sondern zugleich praktisch im Sinne der Ausschließlichkeit ausgestaltet (vgl. I u. II).

An diesem Ansatz ist offenbar schon im Laufe der Arbeit Kritik geübt worden. Die Verfasser verweisen demgegenüber in der Begründung darauf, daß nach dem Konzilstext selbst communitas und societas nicht als Gegensatz und im Sinne der Scheidung, sondern als komplexe, untrennbare Einheit zu verstehen seien. Diese theoretisch unanfechtbare Behauptung hat jedoch keinerlei Wirkung auf die konkrete Gestaltung der nachfolgend entwickelten Verfassungsordnung gehabt. Jene grundlegende theologische Einheit beider Begriffe fällt in den juristischen Folgerungen unvermittelt auseinander. Die theologische Substanz dieser Konzeption liegt in der für die Kirche konstitutiven Verbindung und Verflechtung von Charisma und Recht. Es ist höchst bedenklich, mit jenem Vordersatz eine systematische Vorentscheidung über den Gesamtentwurf zu vollziehen, statt sich im strengen Sinne auf Grundaussagen zu beschränken.

 

II. Hierarchische und synodale Struktur der Kirche

Die Folgen sind in der Tat schwerwiegend und bedenklich. In Canon 2 hat der Entwurf den entscheidenden Schritt des Konzils zur Überwindung der einseitig zentralistisch verstandenen Kirche aufgenommen. Hier ist die Einsicht festgehalten, daß der Zentralismus der Kircheneinheit entgegensteht. Von da aus ist nunmehr die Verfassung der Kirche neu gestaltet. Die Polarität besteht nicht mehr nur zwischen Papst und Kurie einerseits und den

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Diözesanbischöfen andererseits, sondern auch zwischen Papst und Kurie und der Bischofsgemeinschaft mit ihren Organen (den nationalen Bischofskonferenzen, der Bischofssynode und natürlich dem ökumenischen Konzil). Also beschränkt sich die Verfassung im wesentlichen auf die verschiedenen Gestaltungen und Verbände des Episkopats. Dagegen ist die Polarität zwischen den Bischöfen und dem niederen Klerus der Presbyter und Diakone nicht entfaltet. Letztere entbehren einer selbständigen verfassungsrechtlichen Stellung und werden wesentlich als Gehilfen der Bischöfe definiert. Der Text hat also die bedeutsame Neubildungen aufgenommen, die das Konzil im Bereich der bischöflichen Verfassung gebracht hat. Das Konzil hat aber neben diesen neuen kollegialen Organen, die je in ihrer Weise dem Primat und der Kurie gegenüberstehen, auch auf allen anderen Ebenen des kirchlichen Lebens von der Pfarrei bis zur Diözese die Bildung beratender Gremien gefordert oder angeregt. Sie sind inzwischen fast überall gebildet worden. Wir stehen im raschen Zuge der Bildung von noch sehr unterschiedlichen, vielfältig gegliederten Diözesanverfassungen. Das ruhmreiche Institut der Diözesansynode, über das Papst Benedikt XIV. ein immer wieder erwähntes Werk hinterlassen hat, ist zu neuem Leben erweckt worden. Nationale Synoden haben sich nicht mehr auf den Episkopat beschränkt. Die Kommission ist jedoch nicht bis zu der Einsicht vorgedrungen, daß die Bildung dieser innerdiözesanen Körperschaften der Beratung und Mitwirkung mit der Bildung solcher Organe innerhalb der Bischofsgemeinschaft in einem konstitutiven Zusammenhang steht. Sie hat nicht berücksichtigt, daß in der Verfassung der Kirche ein zweiter synodaler Zug der Beratung und Mitwirkung neben den Zug hierarchischer Vor- und Nachordnung zu treten begonnen hat.

Die Kirche befindet sich hier in einer zweideutigen Lage. Sie kann einerseits auf ihre reiche, bis in die frühesten Zeiten zurückgehende synodale Tradition zurückgreifen, die zum deutlichen Schaden im zweiten Jahrtausend immer mehr zurückgetreten ist. Sie steht aber auch vor der konstruktiven Schwierigkeit, eben diese Formen mit der für sie unaufgebbaren hierarchischen Struktur systematisch zu verbinden. Der einfachste Ausweg aus dieser Schwierigkeit ist freilich der, solchen Organen rechtliche Befugnisse nur dann zuzugestehen, wenn ihre Mitglieder ausschließlich der bischöflichen Hierarchie angehören. Mit dieser restriktiven Lösung ist jedoch das Problem nicht mehr zu bewältigen.

Andererseits besteht die Schwierigkeit, daß die genannten innerdiözesanen Bildungen noch in der Entwicklung und Erprobung begriffen, sehr unterschiedlich gestaltet und noch nicht auf allgemeinere Begriffe gebracht werden können. Es ist sogar die Frage, ob angesichts der partikularen Traditionen und unterschiedlichen Verhältnisse eine normative Vereinfachung

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überhaupt wünschenswert ist. Dies alles rechtfertigt jedoch nicht, daß diese konkreten Formen der Mitwirkung der Gesamtheit aus dem Verfassungstext ausgeschieden und höchstens in beiläufigen Erwähnungen aufgenommen worden sind.

Das Problem liegt darin, daß hier eine echte Dualität Ausdruck finden muß. Es kann sich längst nicht mehr darum handeln, daß jene Räte Vorschläge machen, die dan vom Bischof als Träger der gesetzgebenden Gewalt in höherer Instanz beschieden werden. Ebensowenig kann das bischöfliche Amt in die Synode einbezogen und demokratisch überstimmt werden. Eine solche Diözesanverfassung hat in der Römisch-Katholischen Kirche keinen Platz. Aber eben in dieser Schwierigkeit ligt zugleich die von der Kommission verkannte und nicht genutzte produktive Chance.

Das bisherige Kirchenrecht hat einen wesentlich exekutiven und administrativen Charakter. Das depositum fidei und die Sakramente werden von den dazu Berufenen zugunsten der bestimmungsmäßigen Empfänger autoritativ verwaltet. So versteht sich bisher der hierarchische Zug des Kirchenrechts — alles für das Volk — nichts durch das Volk. Für das im Gedanken der communitas beschworene Miteinander ist kein konstruktiver Platz. Nunmehr aber müssen Lebensformen, Verfahrensformen gebildet werden, in welchen deliberativ beide Teile zum Zusammenwirken kommen, unbeschadet der integrativen Verantwortung, die dem bischöflichen Amt zukommt. Diese Verfahrensmaximen müssen erst gebildet, durchdacht, eingeübt und erprobt werden; aber ihre Ausbildung ist ebensosehr schon im Werden wie unabweisbar aufgegeben.

Die Abweisung dieser konstruktiven Aufgabe versäumt nicht nur produktive Chancen, widerspricht also den Intentionen des Konzils, sondern beschwört zugleich schwerwiegende Gefahren für die Kirche herauf, die für jeden politisch und geschichtlich Erfahrenen am Tage liegen. Jene in Bildung begriffenen Organe werden vom Entwurf nur, wenn überhaupt, als solche administrativen Rechts, als rücknehmbare Bildungen der Zweckmäßigkeit behandelt, auf die man auch gegebenenfalls verzichten kann. Tatsächlich kann nicht damit gerechnet werden, daß sie wieder aufgehoben werden. Sie haben längst auf dem Boden der Konzilsaussagen, aber auch durch ihr eigenes Gewicht verfassungsrechtliche Qualität gewonnen.

Nun besteht zwischen Verfassungsrecht und Verfassungswirklichkeit eine notwendige Differenz. Ein Kleid ist keine Haut; aber ein Kleid muß auch dem Körper angemessen werden. Wird die Differenz zwischen Verfassungstext und Verfassungswirklichkeit zu groß, so entstehen schwerwiegende Spannungen mit gefährlichen Wirkungen der Verwirrung und Zerstörung. Gerade werd vermeiden will, daß der Verfassung der Kirche ihr wesensfremde säkulare Prinzipien der Demokratie eingeimpft werden, muß der vom Konzil

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selbst eingeleiteten Entwicklung geordneter Mitbestimmung auf allen Stufen unverkürzten Raum gewähren.

In Abwägung dieser Aufgaben und Schwierigkeiten hat die Arbeitsgemeinschaft sich darauf beschränkt, in Canon 29 § 2 einen freilich weitreichenden Satz aufzunehmen, der die Verbindung zwischen Hierarchie und deliberativen Organen als Grundsatz statuiert, deren Gestaltung aber im einzelnen, insbesondere auch für die der Lex Fundamentalis nachfolgende partikulare Gesetzgebung offen läßt. Dort ist gesagt:

„Ein jeder, der ein hierarchisches Amt innehat, ist gehalten, um dieses besser auszufüllen, und vorbehaltlich seiner Amtskompetenz, frei und offen mit denjenigen Räten zusammenzuarbeiten, welche seinem Amte entsprechen und zu einer solchen Ergänzung eingerichtet sind oder eingerichtet werden sollen.”

Die Frage, ob die genannten Organe beschließende oder beratende Zuständigkeit besitzen oder erhalten sollen, ist demgegenüber nicht entscheidend. Ebenso wie eine unabhängige Präsenz des Bischofskollegiums gegenüber der römischen Zentrale unabweisbar geworden ist und die Rechtsstellung der neugebildeten Bischofssynode gegenüber dem apostolischen Stuhl der Ausgestaltung und Erprobung bedarf, ebenso muß auf allen Stufen unbeschadet der verschiedenen Arbeitsformen dem synodalen Zug Raum gegeben werden. Der Überschritt in diese neue Anschauung muß um der Sache selbst willen wie zur Vermeidung der genannten Gefahren vollzogen werden.

 

III. Laien

Der Übergehung der dringenden nachkonziliaren Verfassungsproblematik entspricht auf der anderen Seite die Ausgestaltung der Rechtsstellung der Laien. Hierzu hat unsere Begründung schon zu Schema III folgendes gesagt:

„Die Rechte der Laien ... sind nirgends konzentriert. Zugleich werden diese Rechte mit soviel Vorsichtsmaßregeln und Einschränkungen verbunden, daß mehr die Furcht vor der Verwirrung oder des Mißbrauchs hervortritt als die Erwartung einer freien und fruchtbaren Zusammenarbeit. Enttäuschung und Protest derjenigen ist vorauszusehen, welche die Entfaltung aller geistlichen Kräfte in der Kirche erwarten und schon mit großer Wirkung den Laienapostolat ausgeübt haben. Aber selbst wenn jene Rechte der Laien mit größerer Liberalität und Freiheit umschrieben würden, blieben sie doch die Rechte eines jeden Einzelnen, nicht der in der Kirche und ihren Gliederungen Verbundenen. Die Institute jedoch, deren in Canon 13 § 3 gedacht wird, werden nicht selbst behandelt, sondern allein um der

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Einzelnen willen, die in ihnen — hauptsächlich beratend — tätig werden sollen. Das innere Band der Gemeinschaft in der Kirche und die Zusammenarbeit für ihre Sendung und ihr Werk unter den Getauften in Pfarrei, Dekanat, Diözese und jene grundlegenden Einrichtungen der Kirche selbst werden nirgends für sich behandelt. Diese erscheinen in den Canones über die Hierarchie nur als zugeteilte Abschnitte und Anhängsel ihrer Vorsteher.”

Gegenüber der wesentlich einschränkenden Tendenz des Schemas haben wir versucht, den Text durch Korrektur zahlreicher Einzelstellen zu verbessern: 1. durch Ausscheidung der sich immer wiederholenden, zum Teil geradezu peinlich wirkenden Einschränkungen (vgl. 13 § 3,16-19, jeweils der Schluß); 2. durch die Ergänzung des Textes mit dem Ziele besserer Ausgestaltung der Individualrechte und des Rechtsschutzes (Can 21 §§ 3, 5).

 

IV. Ökumenismus

Ein viertes Hauptthema der Reform bildet der ökumenische Bereich.

1. Der Gesamtentwurf sollte erkennbar dem Ziel unterstellt werden, die ökumenische Gemeinschaft zu bestärken, künftiger Gemeinsamkeit vorzuarbeiten und diese nicht zu verbauen. Es wäre von unabsehbarer Bedeutung, wenn das im Prooemium ausgedrückte Selbstverständnis der Kirche wenigstens vor einem großen Teil der von Rom getrennten Kirchen angenommen werden könnte. Daher sollte vermieden werden, schon in diesem Textabschnitt kirchentrennende Unterschiede hervortreten zu lassen. Aus diesem Grunde hat die Arbeitsgemeinschaft schon gegenüber der ersten knappen Prooemium-Formel der Prima Adumbratio und jetzt gegenüber Schema III und IV eine Formulierung vorgelegt, die diesem ökumenischen Anliegen Rechnung trägt. Diese Formel nimmt den Grundsatz auf, daß in der Kirche Charisma und Recht von Grund auf verbunden sind und daß die Kirche die ihr eingestiftete Verfassung zu wahren wie fortzubilden hat. Die in Abschnitt 3 des Prooemiums (und Can. 2 § 4) formulierte Dialektik von Bewahrung und Reformation ist als ein bemerkenswerter Fortschritt zu begrüßen und wird unschwer Annahme finden.

2. In Canon 7 geht der Entwurf auch auf die von der katholischen Kirche getrennten getauften Christen ein und gebietet, sie „verdientermaßen als Brüder im Herrn anzuerkennen”. Obwohl hier in § 2 die Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften erwähnt sind, denen diese Christen angehören, vermeidet es der Entwurf — im Gegensatz zu den Texten des Konzils —, deren Existenz selbst Aufmerksamkeit zu schenken oder kirchenrechtliche Relevanz, sei es auch in unterschiedlichem Maße, zuzubilligen. Vielmehr werden lediglich in Canon 9 integrale, maximale Bedingungen voller

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Kirchengemeinschaft aufgestellt. Durch diese völlige Übergehung der anderen Hälfte der Christenheit tritt der absurde Zustand ein, daß in Caput III die Kirche ihre Verpflichtung ausspricht, in Ansehung ihrer Weltverantwortung mit säkularen Institutionen der verschiedensten Art zusammenzuarbeiten, daß aber das Vorhandensein außerkatholischer kirchlicher Gemeinschaften unerwähnt bleibt, obwohl gerade auf ökumenischem Felde das Zusammenwirken längst große Ausdehnung gewonnen hat und ständig als wünschenswert bezeichnet wird.

Demgegenüber ist zu betonen, daß schon jetzt, auch unabhängig von einem etwaigen Eintritt der katholischen Kirche in den Ökumenischen Rat der Kirchen ein, wenn auch relatives und unvollständiges, kirchenrechtliches Verhältnis zwischen der katholischen Kirche und jenen außer ihr stehenden Kirchen usw. besteht (Un. Redint.). Denn sowenig die Kirche die Tatsache übergehen und über sie verfügen kann, daß der einzelne getaufte Christ als solcher an sie verwiesen ist, so wenig kann sie die weitreichende Gemeinsamkeit übersehen, welche sie mit der anderen Hälfte der Christenheit verbindet. Die in den Konzilstexten wiederholt hervorgehobenen theologischen Gemeinsamkeiten zwischen den getrennten Kirchen haben wegen der engen Verbindung von Dogma und Recht für die katholische Kirche auch rechtliche Bedeutung: sie implizieren insoweit eine (wenn auch begrenzte und unvollkommene) Rechtsgemeinschaft zwischen den getrennten Kirchen.

Die Arbeitsgemeinschaft hat daher schon von Anfang an und wieder zu dem gegenwärtigen Entwurf die Aufnahme folgender Aussage vorgeschlagen (Canon 2 § 4):

„Die katholische Kirche anerkennt eine, wenn auch noch nicht vollständige Gemeinschaft zwischen ihr und anderen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften, ebenso, daß sie nach dem Auftrag Christi mit diesen zusammen gehalten ist, auf eine volle Gemeinschaft hinzuarbeiten.”

Mit der Anerkennung dieser tatsächlichen Rechtslage innerhalb des gemeinsamen Rechtskreises der Kirche und der Proklamierung dieses ökumenischen Ziels entspricht die Kirche den Intentionen des Konzils, ohne sich etwas zu vergeben.

3. Die katholische Kirche hat insbesondere im geltenden Kodex und der kanonistischen Doktrin eine universale Interpretation ihres Jurisdiktionsanspruchs über alle Getauften vertreten (Can 12 CIC). Die formale Konsequenz dieses Grundsatzes kann dazu führen, daß Getaufte mit Rechtsfolgen in Anspruch genommen werden, obwohl die konkret mit der katholischen Kirche niemals in Berührung gekommen sind. Im Blick auf die ökumenische Gemeinsamkeit erscheint es nötig, jenen Generalgrundsatz, der als solcher unbestritten sei, praktisch so einzuschränken, daß Konflikte vermieden

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werden, die dem Ansehen der Kirche, der ökumenische Gemeinschaft wie den betroffenen Gläubigen selbst gleichmäßig abträglich sind. Eine entsprechende Ergänzung von Canon 6 ist dort in § 3 formuliert worden.

4. Schema IV nimmt — anders als Schema III — auch das Kardinalskollegium in seinen Stoff auf. Das bedeutet, daß dieses Institut nicht mehr, seinem Ursprung entsprechend, als ein solches des lateinischen Kirchenrechts, wenn auch mit bedeutender Wirksamkeit für die universalen Kirche, betrachtet wird. Der Text ordnet, entgegen früherer Ordnung, die Kardinäle in den Episkopat ein. Dem entspricht die seit 1962 bestehende Regel, die Kardinäle durchgängig zu (Erz-)Bischöfen zu konsekrieren. Andererseits sind seit einigen Jahren die suburbikarischen Bischöfe nunmehr Titularbischöfe ihrer eigenen Diözesen neben besonderen Ordinarien. Objektiv bedeutet dies einen weiteren Schritt zur Internationalisierung der Kirche, der gegenüber die traditionelle Bindung an die römische Stadtkirche durch Verleihung lokaler Titel an Bedeutung verliert. Dies erleichtert auch die schon begonnene Einbeziehung der orientalischen Patriarchen in das Kardinalat. Jedoch bleibt abzuwarten und zu prüfen, wie sich die orientalischen Kirchen zu dieser Entwicklung stellen.

Generell muß in Übereinstimmung mit Canon 2 sorgfältig darauf geachtet werden, daß nicht, wie früher oft, den orientalischen Christen Bestimmungen und Begriffe aus der partikularen lateinischen Tradition zugemutet werden, die für sie anstößig sind. Auch unter diesem Gesichtspunkt ist die axiomatische Voranstellung des aus lateinischen Ursprung stammenden Begriffspaars communitas-societas besonders bedenklich.

Überhaupt sollte in allen Bestimmungen des Grundgesetzes darauf geachtet werden, daß eine bestehende Gemeinsamkeit des Rechtes und der rechtlichen Auslegung nicht unnötig durchbrochen, sondern durch Wahrung gemeinsamer Rechtstradition auch eine zukünftige Gemeinschaft erleichtert werde.

 

V. Emendatio restrictiva

Außer diesen drei sachlichen Komplexen erscheint erforderlich, auf die Form und die Grenzen der Aussage einer Lex Ecclesiae Fundamentalis aufmerksam zu machen.

Eine eindringliche Beschäftigung mit dem Text läßt erkennen, daß die zentralen Aussagen mit großer Sorgfalt formuliert und ineinander verflochten sind, so daß rasche und unbedenkliche Korrekturen sich verbieten. Gleichwohl bietet der Text den Eindruck der Plerophorie. Wiederholungen und volltönende Ausdrücke sind nicht vermieden. Dem Gewicht der legitimen

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ekklesiologischen Aussagen wird entschieden Abtrag getan, wenn sie sich unbedenklich, insbesondere durch die Parallelität von Caput I und II, mehrfach wiederholen. Die Verheißung der Präsenz des Geistes in der Kirche sollte vollends nicht in einer Form zum Ausdruck kommen, daß dieser Geist wie eine Art Rechtstitel erscheint.

Die kanonistisch neue Aufgabe, mit rechtlichen Aussagen theologische Sätze zu verbinden, hat ferner dazu geführt, daß theologische Aussagen insbesondere in der Sakramentenlehre aufgenommen worden sind, die rechtlichen Ausdrucks nicht fähig und hier überflüssig sind. Die Lex Fundamentalis kann nicht die Aufgabe haben, bestimmte zeitbedingte Ausprägungen der Dogmatik mit gesetzlicher Gültigkeit zu versehen.

Für die Wirkung des Gesetzes, seine Anerkennung und Überführung in das Leben der Kirche wird wesentlich sein, ob es gelingt, durch eine, der Größe seines Gegenstandes entsprechende, würdige und sparsame Prägnanz zu überzeugen. Es ist daher der Vorschlag zu erwägen, den Entwurf im Ganzen einer emendatio restrictiva zu unterwerfen.

Die hier vorgetragenen Vorschläge und Erwägungen bedeuten eine immanente Kritik des Entwurfs, die an keiner Stelle dem Gesetzgeber zumutet, die Fundamentalgrundsätze und die historische Identität der Kirche einzuschränken oder in Frage zu stellen. Die ergänzend verwendeten authentischen Aussagen des Konzils sind an keiner Stelle überinterpretiert oder gegen ihren Sinn verwendet worden. Die Vorschläge werden eher der Kritik begegnen, daß andrängenden Fragen und Tendenzen im Schoße der Kirche selbst zu wenig Rechnung getragen als daß ihnen gefolgt wurde. Um so dringlicher ist die Forderung, zur Vermeidung schwerer, am Tage liegender Gefahren den bezeichneten Aufgaben der Verfassungsgesetzgebung nicht auszuweichen.