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Vorwort des Verfassers

 

Über ein Thema wie die Hierarchie zu schreiben, ist in einer Zeit ungewöhnlich, welche alle Formen der Autorität, darüber hinaus aber schon die Verbindlichkeit konkreter Strukturen in Frage stellt. Was sich hier für kritische Rationalität ausgibt, ist weit mehr der spontane Ausdruck eines veränderten Lebensgefühls und einer unbewältigten Situation. Das Interesse an Forschung und Reflexion ist deutlich begrenzt durch dogmatisch-ideologisch vorgegebene Wert- und Zielvorstellungen. Was außerhalb diese Bereichs liegt, wird auch phänomenologisch uninteressant. Bestimmte Gegenstände werden als nichtvorhanden behandelt und, wo sie sich bemerkbar machen, mit ein paar Stichworten als hinlänglich bekannt abgetan. Man beseitigt Tabus, um gleichzeitig neue zu schaffen. Die Soziologie spielt dabei eine eigentümliche Rolle. Auf der obersten Stufe kritischer Besinnung vollzieht sich ein sublimer Methodenstreit, der letztlich unentscheidbar erscheint. In der breiten Basis werden ihre Methoden und Ergebnisse verallgemeinert und popularisiert. Soziologisches Denken und Argumentieren verliert zunehmend an Verantwortlichkeit und Prägnanz. Es wird zur handlichen Keule, mit der man den Gegner niederschlägt; es ist vor allem nicht der Schuh, den man sich selber anzieht. Demgegenüber gewinnt jede Sachdarstellung, die ihren Gegenstand ernst nimmt, eine Art ironischen Charakter.

Hier werden nun, soweit ich sehe, zum ersten Mal Entstehungsgrund, Bedingungen und Grenzen einer so großen geschichtlichen Form, die säkulare wie die kirchliche Hierarchie dem positiven wie dem negativen Tabu entnommen und rationaler Reflexion unterworfen. Auch die reformatorische Theologie hat dies niemals der Mühe wert gehalten. Da selbst die Kritiker keinen Trieb gezeigt

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haben, das Phänomen näher zu untersuchen, muß dieses jetzt selbst erst einmal zu Wort kommen. Darum handelt es sich nicht um ein „und”-Thema — Hierarchie und Kirche, Hierarchie und Demokratie. Aber unvermeidlich müssen um der Sache selbst willen vergleichbare, gegensätzliche und korrespondierende soziale Formen in den Blick genommen werden. Dieser Versuch versteht sich zugleich als ein Beitrag zu dem großen geschichtlichen Umbildungsprozeß, in dem die römisch-katholische Kirche heute begriffen ist. Aus dieser ökumenischen Verantwortung setze ich hier die Erwägungen fort, welche ich 1967 im Band II des Konzilswerks von J.Chr. Hampe „Die Autorität der Freiheit” vorgelegt habe.

Heidelberg, im Frühjahr 1971

Hans Dombois