3. Bemerkungen zur oekumenischen Diskussion des Sukzessionsproblems

In der einen Welt des 20. Jahrhunderts, deren allseitig-wechselseitige Abhängigkeit und Verflochtenheit ständig zunimmt, sind sich auch die Kirchen in einer neuen Weise begegnet. Die Kirchen entdeckten sich gegenseitig, und eine jede bei anderen unzweifelhafte Zeichen pneumatischen Lebens gerade verbunden mit Lehren und Lebensformen, welche ihr anstößig oder mindestens fragwürdig waren. Der Morgensternsche Satz „und also schließt er messerscharf, daß nicht sein kann, was nicht sein darf”, der in vieler Hinsicht das Selbstverständnis der einzelnen Kirchen in der Bewertung anderer Gemeinschaften bestimmt hatte, wurde gründlich ad absurdum geführt. Die Kirchen sind — fast mehr durch die Facilitäten des Verkehrs als durch eine spontane Bewegung des Geistes — genötigt worden, sich gegenseitig ernstzunehmen. Wenn zwischen der römischen Kirche und dem Protestantismus nicht eine so tiefe Kluft der wechselseitigen Anathemata befestigt wäre, und die römische Kirche sich nicht selbst aus der oekumenischen Gemeinschaft ausschlösse, so wären auch hier beide Teile genötigt, sich ebenso ernstzunehmen, statt auf die evidenten Schwächen des anderen eine höchst ungeistliche Selbstrechtfertigung zu gründen. So auch in unserem Problem: die Kirchen ohne Succession im traditionellen Sinne mußten zugestehen, daß ihnen nicht nur ein Prinzip, sondern auch eine, wenn auch schwer zu erfassende geistliche Realität begegnete, und die Kirchen der Sukzession konnten denjenigen ohne solche das Kirche-Sein nicht einfach mehr in dem herkömmlichen Sinne bestreiten. So tastete man sich aneinander heran und tut es noch heute ohne ein endliches Ergebnis, aber doch unter merklicher Annäherung des Verständnisses und der Positionen. Aus methodischen wie sachlichen Gründen habe ich selbst versucht, die Frage auf einer anderen Ebene als der herkömmliche zu bearbeiten. Dabei bleibt mir übrig, nun noch einiges zum Stande der Erörterung zu sagen. Wichtig ist freilich, daß in einer

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Lehre von Kirche und Kirchenrecht von unserer Frage nicht mehr abgesehen werden kann.

Karl Barth würdigt an einer frühen Stelle der Kirchlichen Dogmatik den Gedanken der (apostolischen) Sukzession sehr positiv.22 Die Differenz zwischen der evangelischen und der katholischen Auffassung liege nicht im „Daß”, sondern im „Wie”:23

„Ist das Vikariat der kirchlichen Verkündigung echt, d.h. gründet die Kirche bei ihrer Verkündigung nicht heimlich doch in sich selbst, sondern in dem anderen, der ihr Her ist, ohne daß sie sein Herr würde, dann muß die konkrete Gestalt des Vikariats die Sukzession sein. Auch dieser Begriff aus der römisch-katholischen Definition des kirchlichen Amtes ist also nicht etwa an sich zu beanstanden.”

Als entscheidende Unterschiede führt er drei Merkmale auf:

„1. Wie wird ein Mensch vicarius Christi bzw. successor Petri? Nach römisch-katholischer Lehre wird er es durch seinen Ort am Fuß einer ohne Unterbrechung auf einen Apostel, letztlich auf Petrus und allerletztlich auf Christus als den Stifter der Kirche zurückgehenden Bischofsliste. Wir fragen: Wie dieser profane, nämlich historisch-juridische Tatbestand einer solchen Liste dazu kommt, die Rechtmäßigkeit des kirchlichen Amtes zu verbürgen? Was denn aktenmäßige mit wirklicher und d.h. dann doch wohl pneumatischer Sukzession zu tun haben möchte?
2. Wie besteht dieses Vicariat oder diese Sukzession? Sie besteht nach römisch-katholischer Lehre in einem Charakter, den der Bischof oder Priester zu seinem Menschsein hinzu durch seine Ordination auf Lebenszeit empfängt. Wir fragen: Wieso ein Charakter auf Lebenszeit, wenn anders Ordination sich doch nur auf die amtlichen Akte des Geweihten beziehen und auch in Bezug auf diese Akte mehr als die Verkündigung einer Verheißung nicht bedeuten wollen kann?
3. In was besteht dieses Vikariat oder diese Sukzession? Nach römisch-katholischer Lehre in einer dem kirchlichen Lehramt dauernd eigenen Vollmacht, irreformable Definitionen in Sachen des Glaubens und der Sitte aufzustellen und zu verkündigen. Wir fragen: Inwiefern kann die Ausübung solcher einer menschlichen Instanz dauernd eigenen Vollmacht, irreformabel zu reden, noch als Dienst Gottes verstanden werden? Inwiefern liegt hier noch eine Vertretung und nicht vielmehr eine Ersetzung Christi vor? Alle drei Fragen zusammengefaßt: Ist das Vikariat im römisch-katholischen Sinn nicht ein solches, dem vom Vikariat nur noch die Akzidentien erhalten sind, während es in der Substanz schlechthin die mit der Kirchenregierung identisch gewordene Regierung Christi ist? Wir verstehen: Diese ganze Lehre ist ein wahrhaft bedeutsamer Versuch, dem Problem der wirklichen Verkündigung gerecht zu werden. Aber bedeutet diese Lösung nicht, daß die Verkündigung entmenschlicht, d.h. in eine

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Sphäre gerückt wird, in der sie nur noch zum Schein ein menschlich anfechtbares, verantwortliches, überbietbares und also dienstbares Tun bedeuten kann.”

Während Barth das Sukzessionsproblem als ein echtes Problem empfindet und in seiner Weise aufnimmt, begegnet Maurer24 der Kritik Stahls an der Vernachlässigung dieses Problems in der Reformation mit dem äußersten Mißtrauen. Stahls Werk wird uns gerade deswegen als Musterbild der Abwege vorgeführt. Das Problem selbst beschäftigt Maurer nicht — sonst müßte es in seiner Lehre vom Amt wenigstens vorgeführt werden.

Der reformierte v. Allmen25 dagegen kann die apostolische Sukzession als das ekklesiologische Problem Nr. 1 bezeichnen.

Es scheint sich ihm (S. 39) wesentlich auf der Ebene der Bischöfe und nicht auf der der Pfarrer, auf der Ebene der Kirche und nicht auf der der Pfarrgemeinde zu stellen.

Die nicht nur bei Barth allein, sondern auch bei anderen Autoren (z.B. Joachim Heubach) bei der Erörterung solcher Probleme auftretende ganz selbstverständliche Betrachtung des evangelisch-katholischen Gegensatzes als des einzig wesentlichen legt die Frage nach, ob gerade deshalb dieser Gegensatz in der Tiefe ein dialektischer ist, innerhalb einer übergreifenden, freilich nicht synthetisch auszugleichenden Gemeinsamkeit verläuft. Sie begründet zugleich die Sorge, es möchte dieses so bisher nicht erörterte Verhältnis eben darum eine Abhängigkeit des Gegensatzes in sich schließen.

Das Eigentümliche der — für viele Stellungnahmen charakteristischen — Kritik Barths liegt darin, daß er zwei Merkmale erörtert, die für den Sukzessionsbegriff gerade nach der bekämpfte Lehre nicht konstituierend sind. Denn die beiden von ihm zuletzt genannten Merkmale (character indelebilis und Infallibilität) gelten in der orientalischen Kirche nicht. Sie kennt in Übereinstimmung mit der alten Kirche eine Vernichtung des ordo und lehnt die Unfehlbarkeit des Papstes nicht weniger bestimmt ab als der Protestantismus.26

Gleichwohl erkennt auch die römische Kirche die apostolische Sukzession der orientalischen Bischöfe uneingeschränkt an. Dies wäre nicht denkbar, wenn jene Merkmale bestimmend wären. Aber selbst in der römischen Kirche sind Sukzession und Infallibilität zwei in der Wurzel verschiedene Dinge, zumal der Papst und die Bischöfe in dem ihnen gemeinsamen bischöflichen Ordo an der Sukzession teilhaben, aber nur der Papst für infallibel gehalten wird. Die Sukzession versteht sich als eine Frage des Ordo, die Infallibilität als eine Frage der Jurisdiktion. Im übrigen werden Papsttum und Bistum als zwei Ämter eigenständigen göttlichen Rechtes betrachtet; das Papsttum bringt das Bistum nicht hervor. Beide Elemente sind im System des kanonischen Rechts nicht vollständig gegeneinander ausgeglichen, zumal auf dem Vatikanischen Konzil

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die Frage des Bistums anstand, aber nicht mehr behandelt wurde. Die protestantische Kritik am römischen Kirchenrecht hält leider oft aus materieller Unkenntnis der sehr differenzierten und keineswegs überall abgeschlossenen Tatbestände den extremsten Papalismus für selbstverständlich und hilft damit gerade die bestehenden Einschränkungen und Korrektive schwächen.

Die wirklichen Gegensätze zwischen Barth und der Sukzessionslehre der bischöflich verfaßten Kirchen sind vielmehr
a) nicht absoluter ordo und character indelebilis, sondern die mit der alten Kirche gemeinsame konstitutiv-sakramentale Ordination
b) nicht die Unfehlbarkeit des Lehramts, sondern der historische Episkopat als konstitutives, unverzichtbares Element der Kirche.

Barths Kritik wendet sich nicht gegen den wirklichen Gegner. Sind die Antithesen zu 2 und 3 nicht echt, so nimmt die zu 1 den Gegner nicht hinreichend ernst. Warum und inwiefern ist denn das hier intendierte und gemeinte so selbstverständlich „profan, juridisch, aktenmäßig”? Denn ohne Zweifel meint die Lehre von der bischöflichen Sukzession eben gerade in dieser konkreten Verbindung mit äußeren nachweisbaren Rechtsakten eine pneumatische Sukzession. Die Verbindung von Pneuma und Recht ist die Frage, die mit solcher Selbstverständlichkeit gerade nicht negativ beantwortet werden kann. Barths polemische Frage karikiert den Rechtsbegriff und steht im Widerspruch zu der Ernsthaftigkeit, mit der er früher und später selbst das Verhältnis von Rechtfertigung und Recht, von Kirchenrecht und Liturgie behandelt hat. So wenig der massive Positivismus befriedigen kann, der in der Kanonistik in einer so beschwerlichen und wunderlichen Weise das Bild bestimmt, so wenig reicht eine solche rhetorische Kritik aus. Barth benutzt in der Kontroverse hier wie anderwärts eine doppelte Methode: er versucht die Gegenposition durch die selbstverständliche Formulierung angeblicher extremer Konsequenzen ad absurdum zu führen, und verwehrt dadurch dem anderen Teil eine bewußt gemäßigte Begründung; sodann wählt er die Frageform, die den anderen verantwortlich macht, ohne selbst seine eigene These dagegen zu stellen. Und doch empfindet er offenbar die Frage so nicht als abgetan, wenn er von dem „rätselhaften Riß” redet, der seit 400 Jahren durch die Kirche geht (S. 101). Wären die Gründe so einfach zu klären, wie in jenen Gegenüberstellungen, so könnte davon nicht die Rede sein.

Und doch wickelt Barth in die zitierten kurzen Sätze ohne weitere Entfaltung eine inhaltliche Entscheidung in der Sache selbst ein. Er bejaht, wie in dem hierher gehörigen, schon früher zitierten Wort, das Vikariat Christi in den gegenwärtigen Kirche. Dieses Vikariat aber ist ihm Vikariat der Verkündigung.

Wenn er die Successionslehre — auch so wie er sie gegen die Meinung ihrer Verfechter versteht — als einen bedeutsamen Versuch, „dem

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Problem der Verkündigung gerecht zu werden” würdigt, so nimmt er damit die sich stellende Frage nach dem personalen Element kirchlichen Handelns grundsätzlich auf, und beantwortet sie in seiner Weise. Wie ihm die Taufe ein Element der Verkündigung ist, aus welcher der Getaufte durchaus als der gleiche hervorgeht, so ist ihm auch Ordination wiederum allein Verkündigung einer Verheißung. Die Gründe, aus denen wir diese Ordinationslehre als schriftgemäß nicht anerkennen können, die Bedingtheiten, denen sie unterliegt, wurden schon entwickelt.

Damit ist aber bei Barth ausgesprochen, daß die Ordination so oder wie immer verstanden, für die Frage der Succession ohne konstitutive Bedeutung ist. Denn diese Verheißung besteht dann, ob sie dem Verkündenden verkündet wird oder nicht. Das opus operatum besteht per se — und die Verheißung besteht, ob sie mir in concreto zugesprochen wird oder nicht — das sind die durchaus analogen Konsequenzen!

Da keinem geweihten Priester — auch nicht einmal dem Papst selbst kraft Ordination die Unfehlbarkeit vindiziert wird, so kann der Gegensatz zwischen Unfehlbarkeit und Fehlbarkeit die hier gestellte Frage nicht treffen. Es ständen sich so gesehen gegenüber die Vollstreckung kirchenregimentlich-unfehlbare Sätze (als Verkündigung einer solchen Kirche) und der immer neue verfehlbare Versucht der (schriftgemäß-apostolischen) Verkündigung. Einmal wäre der Verkündigung ein herrschendes, Christus selbst verdrängendes Subjekt vorgeordnet, ein andermal ein dienend-versuchendes. Die thematisch aufgenommene, bejahte Frage nach dem Verhältnis zwischen Personalität des konkreten Amtsträgers der Kirche und seinem Handeln (verengt in den Begriff der Verkündigung) wird, um der menschlichen Herrschaft über das Kerygma zu entgehen, dahin beantwortet, daß es sich um einen, unter der Verheißung stehenden jeweiligen verfehlbaren Versuch handelt. Damit ist aber zugleich entschieden, daß die Successio als wie auch immer verstandene personale Folge hierfür keine konstitutive Bedeutung haben kann, sondern nur eine noëtische: es ist mit Sorgfalt und Bedacht darauf zu sehen und zu hören, wie unter der gleichen Verheißung frühere Generationen den gleichen Versuch gemacht haben. Die Kontinuität der Kirche ist so eine Kontinuität der Verheißung einerseits, menschlicher Versuche andererseits. Eine positive Verhältnisbestimmung beider wird, indem sie nicht versucht wird, zugleich in der Sache abgewiesen. Eine andere Verhältnisbestimmung, als die behauptete und bekämpfte, daß ein infallibles Subjekt Kirche bzw. Hierarch das Objekt Verkündigung selbstmächtig verwalte, wird als Lösung nicht erwogen. Die Frage der Sukzession wird a limine zugelassen, ab instantia abgewiesen. In einer (von mir nicht übernommenen) traditionellen Terminologie gesprochen: Verbindung und Ausgleich zwischen ius divinum und humanum gelingen nicht und werden daher aufgegeben. Einer in Begriffsmitteln und Inhalt anfechtbaren Lösung wird die Nichtlösung

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gegenübergestellt. Sachlich schließt die behauptete Konsequenz Christusverdrängender Herrschaft und die Gegenposition der Dienstbarkeit den hier zu erörternden, aber nicht auftretenden Verbindungsbegriff der Vollmacht aus. Er kommt hier gar nicht vor. Obwohl die Frage nach dem personalen Element aufgeworfen wird, wird sie doch in die Frage nach der Sachidentität zwischen apostolischer und gegenwärtiger Verkündigung hineingezogen. Dazu hätte es der anspruchsvollen Thematik der apostolischen Sukzession allerdings nicht bedurft. Aber wie bei der unausgefüllten These vom liturgischen Kirchenrecht ist es doch von Bedeutung, daß Barth die Frage nach der apostolischen Sukzession als eine legitime zu bejahen nicht umhin kann.

Den Schluß eines längeren Kapitels der oekumenischen Debatte bedeutete die Entschließung der Konferenz für Glaube und Kirchenverfassung von Lund 1952, nach welcher die apostolische Sukzession „ein Element in einem organischen Gefüge des Lebens und der Anbetung, des Glaubens und der Ordnung ist, die in ihrer Gesamtheit das Prinzip der Kontinuität ausmachen”.

Diese „successio complexa” bedeutet die grundsätzliche Übernahme der Forderung, daß die Kirche in der apostolischen Succession sehen müsse, und kann als solche kaum ernstlich bestritten werden. Sie ist aber sehr wenig konkret. Sie arbeitet weder das Verhältnis von Person und Kerygma als Grundproblem noch die Traditionsstruktur heraus. Nach dem oben Gesagten kann hierzu jedoch sehr viel bestimmter geredet werden.

Im Verhältnis zu Lund bedeutet die schon erwähnte Entschließung des Oekumenischen Ausschusses der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands von 1957 eher einen Rückschritt. Mit Recht sagt Schlink27 von ihr, daß ihr in Hinblick auf die oekumenische Gesamtentwicklung keine endgültige Bedeutung beikomme.

Eher sind repräsentativ die Positionen, welche sich in der fortlaufenden und ausgebreiteten anglikanischen Auseinandersetzung über die Succession ausgebildet haben.

Die einen rechnen sie schlechthin zum „esse”, die anderen nur zum „bene esse”. Schlink28 beurteilt die erstere, die anglokatholische These als unhaltbar, die zweite, die evangelikale als theologisch unzureichend. Beiden gegenüber wird jetzt eine umfassendere Lehre vertreten, welche sie zum „plene esse” „innerhalb der Ganzheit des kirchlichen Lebens und als Zeichen der Raum und Zeit umfassenden Einheit und Fülle der Kirche” rechnet.

Sie schließt sich weitgehend an Lund an, jedoch liegt in dem „plene” eine bestimmtere Forderung gerade der bischöflichen Succession, die freilich auch hier als ein wesentliches Element in einen Gesamtzusammenhang gestellt wird.

Diese Lehre scheint Schlink zuzuneigen, ohne es ausdrücklich zu

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sagen, und indem er sie eher restriktiv interpretiert. Als Zeichen der Sukzession sei die Folge der bischöfliche Handauflegungen zu begrüßen, und wo sie fehle, anzustreben. Aber das signum dürfe von der res, nämlich der Überlieferung der apostolischen Lehre selbst nicht losgelöst werden. Das Zeichen könne weder die immer neu notwendige Unterwerfung unter die historische Lehre der Apostel ersetzen noch den ohne dieses Zeichen geschehenen apostolischen Hirtendienst abwerten.

Bemerkenswert tauchen hier die termini einer spiritualen Sakramentstheologie auf (signum und res). Aber signum ist hier nicht die — mit Jeremias Auslegung der Pastoralen nicht als Sinnbild, sondern als Geistmitteilung verstandene — Handauflegung (S. 87), sondern die Rückbezogenheit dieser Handauflegung in der Kette als solche. Zeichenhaft versinnbildlicht aber wird nicht die Vollmacht, sondern die immer wieder und dann auch hier erfolgte Übernahme des apostolischen Kerygmas. Also das eigentliche Anliegen, und der Versuch der bischöflichen Kirchen insgeheim, die personale Seite und die Vollmachtsfrage zum Ausdruck zu bringen, wird nicht eindeutig aufgenommen. Gerade wenn und soweit diese Fragestellung noch nicht zu einwandfreien und befriedigenden Lösungen geführt hat, kann ihr durch den erneuten Übergang auf die andere Seite des Problems kein Genüge getan werden.

Es ist gewiß nicht zu bestreiten, daß geistliche Vollmacht charismatisch auch ohne Ordination entstehen kann (so auch Schlink). Er selbst verweist darauf, daß diese dann vom Amt anzuerkennen, zu rezipieren, zu bestätigen sei, wie ich es auch in Kap. VIII vertreten habe. Wenn ebenso Vollmacht kraft Ordination ohne bischöfliche Sukzession entsteht, so will Schlink sie, wo sie fehlt, in den Sukzessionszusammenhang einbinden und eingliedern. Aber welchen Sinn soll das haben, als den Ordinanden in den denkbar umfassendsten personalen Traditionszusammenhang zu stellen und einzuordnen?!

Die Fragwürdigkeit des Zeichenbegriffs wird hier deutlich. Eine reine Personalsukzession ohne die gleichzeitige Bekenntnisgemeinschaft hat es ja niemals gegeben: immer wird vom Ordinanden das Bekenntnis gefordert — am breitesten ausgeprägt in der Bischofskonsekration. Aber wem wird denn hier das Zeichen gegeben? Das Zeichen der Übernahme des Kerygmas mag es für die hörende Gemeinde sein, die diesem Hirten deshalb nun vertrauen soll. Für den Ordinanden kann es dies nicht oder jedenfalls nicht allein sein, für ihn ist es das „Zeichen” (auch) seiner apostolischen Vollmacht. Sowie man konkret fragt, für wen welche Handlung was bedeutet, beginnen sich die Dinge zu klären.

Der einseitig anthropozentrische Charakter der lutherischen Gottesdienstlehre und Ekklesiologie, den wir schon früher verzeichneten, tritt hier wieder hervor.

Nach der Schlinkschen Auslegung würde es sich in allen hier aufweisbaren

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Vorgängen allein um Rezeptionsakte handeln: Anerkennung der Übernahme des apostolischen Kerygmas, Anerkennung des vorhandenen Charismas. So gewiß es dies alles auch ist, so gewiß geschieht eben doch noch mehr, eben wirkliche personale traditio, des Amtes und der Amtsvollmacht, und wo sie etwa schon vorauszusetzen wäre, ihre Bestätigung, Bekräftigung, Eingliederung in den ganzen Lebenszusammenhang. Es zeigt sich hier, wieviel das Fehlen konkreter kirchenrechtlicher Grundbegriffe zur Entstehung von Unklarheit beiträgt, allgemeine Abstraktionen begünstigt.

Auf der einen Seite scheint Schlink wieder in Richtung auf die zweifellos unzulängliche Gleichung successio-evangelium auszuweichen. Auf der anderen Seite erscheint der erstrebte Anschluß an die Succession fast wie eine Aufwertung der an sich zulänglichen successionslosen Ordination. Im Grunde bleibt es ein zu respektierendes, wesentlich unklärbares Faktum. Neben dem Element der geschichtlichen Faktizität aber liegen in der Succession differente, aufeinander gewiesene Elemente, die ich oben zu entwickeln versucht habe.

Im Hintergrund steht schließlich bei Schlink wohl der Gedanke der Liebe. Um der Gemeinschaft der Liebe willen solle man nicht die Freistellung fordern, sondern umgekehrt auch bei unterschiedlichem Verständnis als gute Gabe annehmen, was den anderen wichtiger ist. Damit wird einem Geist der Negation entgegengetreten, der leicht verweigert, aber nur schwer annimmt, mitträgt. Aber nur Glaube und Liebe zusammen werden dieser für die Gemeinschaft der Kirche so entscheidenden Frage gerecht werden können:

Das Sukzessionsproblem muß in sich selbst verständlich und lösbar sein. Es ist nicht ein Teil einer Verfassungssystematik, sondern umgekehrt ein grundlegender Tatbestand für das, was man mit kritischem Vorbehalt als Verfassung der Kirche bezeichnen kann. Aber ein Blick auf diesen Gesamtzusammenhang sei deshalb doch erlaubt.

Die katholische Ekklesiologie, vor allem in Frankreich und Deutschland, bemüht sich in einer umfangreichen Literatur von erheblichem Rang um die Klärung solcher Fragen und versucht auch der protestantischen Kritik gerecht zu werden, ihr zu stehen. Ihr Mut und ihre innere Freiheit ist ebenso groß wie ihr Spielraum begrenzt ist. Mit guten kanonistischen Gründen bemühen sich etwa Karl Rahner und Joseph Ratzinger um den Nachweis, daß die römisch-katholische Kirche gerade auch auf Grund des Vatikanums bipolar, ellipsenartig auf Papsttum und Bischofsamt aufgebaut ist. Die tiefen Wandlungen und harten Kämpfe der Geschichte deuten andere Autoren mit der milden Formel, ehedem seien „die Bischöfe mit dem Papst”, jetzt „der Papst mit den Bischöfen” die Struktur der Kirche gewesen. Allen aber ist ganz selbstverständlich, daß es nur um diese beiden Größen geht. Von der Gemeinde, der universitas fidelium, von den sancti, die omnes sacerdotes sind, ist dabei

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regelmäßig nicht die Rede, jedenfalls nicht davon, daß sie eine kirchenrechtliche Bedeutung besitzen. Wenn aber die Verbindung von Vollmacht und Kerygma das Problem der apostolischen Nachfolge ausmacht, ihr Auseinanderfall in Behauptung und Bestreitung sichtbar wird, so steht damit die Spaltung zwischen Hierarchie und universitas fidelium in offenkundiger Parallele. Beides wird nur miteinander in Ordnung kommen. Daß eine solche Verbindung nicht unmöglich ist, zeigt das ganz andere Verhältnis von Hierarchie und Gemeinde in der orientalischen Kirche bis zur Mitwirkung von Laien im Regiment der Diözesen. Es zeigt sich hier, wie einseitig die abendländische Tradition ist. Sie hält die Ausbildung kontradiktorischer Gegensätze und die Bindung an eine einwertige Logik für ihre Glaubens- und Wahrheitspflicht, auch wenn diese Wahrheit der Wirklichkeit der Kirche widerspricht und ihre Einheit zerstört.

Die apostolische Nachfolge hat zwei Seiten: apostolische Vollmacht und apostolisches Kerygma. Um ihr Verhältnis, um ihre konkrete Verbindung geht es.