1. Die Struktur des Bekenntnisses

Alles geistliche Geschehen hat seinen Ursprung, nimmt seinen Ausgang von der Offenbarung. Gott spricht uns an in der Heiligen Schrift, durch Menschenmund innerhalb und außerhalb der geordneten Verkündigung der Kirche. Sein Anspruch ist unausweichlich und treibt zur Entscheidung. Entziehen wir uns ihm, verneinen wir ihn. Dieser Anspruch bestände auch, wenn er uns gegenüber nicht ausgesprochen und erhoben würde, sondern nur im Gericht geltend gemacht und vollzogen würde. Schon indem er uns überhaupt anspricht, offenbart er sich als der Gnädige und Barmherzige, der uns fragt und uns auffordert ihn anzuerkennen. Vor jeder sonstigen Aussage ist ja dies am schwersten zu glauben, daß Gott so konkret persönlich, so menschlich mit uns verfährt. Aber indem er es tut und uns überhaupt anspricht, macht er uns schon zu seinem Partner. Indem er uns dieser Ansprache würdigt, macht er sich zu unserem Rechtsgenossen, der wenigstens auf dieser Ebene als Gegenüber, als Anspruchsgegner uns vorlaufend anerkennt, ob wir es verdienen oder nicht. Dieser Herrschaftsanspruch ist zugleich ein konstitutives Urteil über unser Sein, welches uns unseren Platz anweist und uns die Verheißung einer Zukunft eröffnet. Weil es ein Urteil ist, darum kann es verkündigt werden. Es ist daher weder eine bloße Aussage noch etwa nur ein Befehl.

Wenn nun der Mensch diesen Anspruch nicht verwirft und übersieht, sich nicht verstockt oder auflehnt, muß er ihn anerkennen. Diese Anerkenntnis geschieht im Bekenntnis. Darin liegen zwei miteinander zusammenhängende, aber dennoch zu unterscheidende Dinge, welche in unserer Rechtssprache klarer auseinandertreten.

Bekenntnis und Anerkenntnis liegen hier ineinander. Bekenntnis ist die wahrheitsgemäße und darum nicht im freien Belieben stehende Bezeugung einer vorausgegangenen (rechts-)erheblichen Tatsache, welche die Behauptung des Gegenteils, das Bestreiten, aber auch das Bestreiten mit Nichtwissen ausschließt. So bekennt man als vorausgegangene Rechtstatsache etwa den Empfang eines Darlehens. Das Anerkenntnis bedeutet dagegen die Bezeugung einer aus der vorausgegangenen Tatsache folgenden Verpflichtung für die Zukunft, künftig etwas zu tun, z.B. etwas zurückzugeben. Das Recht kennt auch die Loslösung (Abstraktion) einer solchen Verpflichtung vom vorausgegangenen Schuldbekenntnis. Das Bekenntnis bezeugt die empfangene Gabe, das Anerkenntnis die (daraus folgende) Verpflichtung.

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Es hat sich in der neueren Exegese die Erkenntnis durchgesetzt, und Wilhelm Maurer hat in seiner Schrift „Bekenntnis und Sakrament”1 besonders eindringlich gezeigt, daß das Bekenntnis der Kirche nicht primär aus dem apologetischen Bedürfnis der Abwehr von Häresien entstanden ist, welchen man mehr oder minder ausgedehnte prägnant formulierte dogmatische Sätze entgegensetzte. Bekenntnis heißt vielmehr homologia, übereinstimmendes Reden. Es stammt aus der Taufliturgie, ist ursprünglich Taufbekenntnis. Gott hat uns angeredet, und wir antworten ihm im Bekenntnis. Das Bekenntnis als Antwort geht auf die Person: in ihm bezeugen wir, daß dieser Gott sich uns offenbart hat, daß er uns anspricht und verpflichtet.

In diesem Sinne finden wir eine Fülle von Bekenntnisakten in der Heiligen Schrift. Adam, der auf den Ruf des Herrn nicht antwortet, ist der sich nicht bekennende Mensch, der Gott ausweichen will. Die Propheten bekennen sich im Gehorsam, zweifelnd und erschreckend, bis Gott ihnen Gewißheit schenkt, daß Er es ist. Maria dagegen bekennt „Siehe, ich bin des Herrn Magd” und anerkennt ihre Gehorsamspflicht in ihrem „fiat” — „mir geschehe, wie du mir gesagt hast”. Auch das Wort des Petrus „Du bist Christus” ist, weil das Bekenntnis auf die Person geht, echtes Bekenntnis. Er kann so kurz sprechen, weil er dem Herrn von Angesicht zu Angesicht gegenübersteht. Sonst ist der Bekennende immer genötigt, die Konkretheit dieser göttlichen Person und ihres Anspruches durch die Tatsachen zu belegen, durch die er sich offenbart hat. Gott selbst verschmäht es nicht, im Ansprechen des Menschen sich durch die vorausgegangenen Heilstatsachen zu identifizieren und zu legitimieren, indem er etwa in der Offenbarung des Gesetzes sich selbst als denjenigen bezeichnet, der das Volk Israel aus dem Diensthause geführt hat. So ist auch die Glaubensformen des Islam: „Gott ist Gott und Mohammed ist sein Prophet” nach ihrer Struktur ein echtes Bekenntnis. Es will besagen: Gott ist der über alle Definitionen erhabene allmächtige Herr, aber er hat sich in der Prophetie Mohammeds für mich, den Bekennenden verbindlich offenbart, also nicht in einem anderen, vor allem nicht in Christo. Deshalb bekennt der Christ nicht aus theologisch-dogmatischem Interesse, um seinen Standpunkt zu explizieren, sondern weil die Beziehung zu diesem persönlichen, konkreten Gott — nicht die Idee Gottes! — die Grundlage seiner Existenz, seines Heils ist. Er bekennt sich zu dem, der in der Schöpfung, in der Inkarnation, in der Gegenwart des Heiligen Geistes sich als ein- und derselbe dreifaltige Gott geschichtlich offenbart hat und weiter offenbart. Die Bezeugung dieser Heilstatsachen ist deshalb immer zugleich Gebet und Lobpreis Gottes. Deshalb umfassen die altkirchlichen Symbole die ganze Trinität und die ganze Heilsgeschichte, nicht etwa nur dogmatisch streitige Punkte. Deshalb kann man ein echtes Bekenntnis wie das Nicaenische auch beten.

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Das Bekenntnis, die homologie ist jedoch nicht nur übereinstimmende Zusage zu dem Anspruche Gottes. Es ist damit zugleich immer Absage an die Welt. Widersagst du dem Teufel und allen seinen Werken? ist eine alte und sinngemäße Frage an den Täufling. Beides gehört zusammen: das ansprechende Wort will den Angesprochenen aus der Bindung an die verfallene Welt herausrufen, herausnehmen. So wie aber der Mensch die Zusage nicht aus eigener Einsicht und Kraft zu vollziehen vermag, so auch nicht die Absage; ebenso aber wie er in die leibliche Gemeinschaft und Gleichzeitigkeit des Tauftodes Jesu hineingenommen wird, so muß er durch das Handeln des Taufenden in der Taufe der Welt entnommen, von ihren Mächten losgerissen werden. So gehört zur Taufe der Exorzismus. So entspricht jedem heilsamen, Gemeinschaft mit Gott schaffenden Handeln zugleich immer ein Abgrenzen und Befreien.2

„Jedes im Bekenntnis enthaltene Strukturmoment enthält zugleich eine Abgrenzung: die Unterstellung unter Christus ist zugleich die Absage an die Mächte …, das Einstimmen in das Bekenntnis der Gemeinde ist zugleich die Scheidung von den Bekenntnissen anderer Gemeinschaften, und die Selbstpreisgabe im Glauben schließ in sich das Bekenntnis der eigenen Schuld und die Abkehr von der eigenen Vergangenheit. Alle diese Negationen sind in jedem Bekenntnis enthalten, aber sie werden keineswegs notwendig explizit faktisch.” „Das Bekenntnis wird vor Gott und der Gemeinde abgelegt: es ist für es selbst noch nicht konstitutiv, daß es auch vor und gegenüber der Welt förmlich und expressis verbis geschieht. Aber indem es absagt und befreit, Befreiung annimmt, bevollmächtigt es zugleich und beauftragt es zum Zeugnis — ohne dieses Zeugnis ist es fruchtlos. Es kann nicht verschwiegen werden. Es hat zunächst den Doppelcharakter: pro deo und contra mundum: aber es bezeugt dann voll deum pro mundo: wer mich bekennt vor den Menschen, den will ich bekennen vor meinem Vater. Das übereignende und das missionarische Bekenntnis können wohl unterschieden, aber nicht geschieden werden.”

Dem anbetenden Bekenntnis der Heilstaten des dreifaltigen Gottes entspricht also zugleich immer die Absage an falsch Ansprüche widergöttlicher Mächte, die sich auch in falscher Lehre ausdrücken können. Diese Seite des Bekenntnisses ist seit langem fälschlich allein in das Blickfeld geraten. — Damit aber verlor sich zunehmend der personale Charakter und eine dogmatische Lehrformel schien übrigzubleiben. Die abgrenzende Verneinung aber darf immer nur das Widerbild jenes anbetenden personalen Bekenntnis sein. Das verwerfende Anathema gehört zum Bekenntnis; aber es wird einseitig und sogar gefährlich, wenn es nicht der Schatten des Lobpreises ist. Nur wo Licht ist, kann Schatten sein. Dieses Bekennen ist ferner dem Mißverständnis ausgesetzt, daß es sich um für sich bestehende losgelöste Sätze eines „Für-Wahr-Haltens”

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handele. In Wahrheit geht es immer um die Abwehr höchst realer Mächte, wie sie etwa in unserer Zeit in dem radikalen Anspruch des Nationalsozialismus und Kommunismus als Pseudoreligionen, überhaupt eh und je in den geistigen und politischen Bewegungen der Welt aufgetreten sind. Das Bekenntnis darf nicht entmächtigt, nicht akademisiert werden. Zugleich lehrt die Geschichte der Kirche, daß es nicht unbeschränkt viele solcher Irrlehren und Mächte gibt, sondern nur ganz bestimmte, die in verwandelter, zeitbedingter Form immer wieder auftauchen. Darauf beruht nicht zuletzt die Beispielhaftigkeit und bleibende Bedeutung der geistigen Kämpfe der ersten Jahrhunderte und der in ihnen gefällten Entscheidungen der großen oekumenischen Konzilien. Mit dem Arianismus etwa sind auch ganz bestimmte moderne Irrlehren bereits mit getroffen. Die Erfahrung der Kirchengeschichte lehrt weiter, daß die Häresien paarweise erscheinen, in korrespondierenden Abweichungen nach beiden Seiten. Es ist also nicht damit getan, sich von einem erkannten Irrtum möglichst weit und radikal zu entfernen. Dann kann man sicher sein, in die entsprechende entgegengesetzte Verfehlung zu verfallen. Wesentlich für das Bekenntnis ist deshalb nicht die positive Explikation im Sinne philosophischer Sätze, sondern die Grenzsetzung, so daß der Variation des positiven Ausdrucks ein gewisser Spielraum verbleibt.

„Die Einheit der dogmatischen Aussage braucht nicht in der gemeinsamen Übernahme ein- und derselben Formel, sondern kann auch in der Gemeinschaft der wechselseitigen Anerkennung3 verschiedener dogmatischer Formulierungen bestehen. Umschließt ja auch die Einheit des neutestamentlichen Kanons verschiedene Zeugnisse von Jesus Christus, und ist doch in ihm das eine Evangelium in der Gestalt von vier ,Evangelien’ überliefert.” 4

Ein bedeutsames Beispiel für die Fragen des Bekenntnisrechts scheint die Wittenberger Konkordie von 1536 zu sein, wenn die Auffassung von Walter Köhler zutrifft. Danach haben damals die Oberdeutschen den Wittenbergern ein Bekenntnisdokument eingereicht, welches diese angenommen5 haben. Der Sinn dieser Annahme ist aber nicht der, daß dieses Bekenntnis nun dasjenige der Wittenberger sein sollte, sondern daß es von den Wittenbergern als eine ausrichende Grundlage für die Zuerkennung oder Fortsetzung der Kirchengemeinschaft verbindlich beurteilt und angesehen wurde. Es wird also hier erstens deutlich, daß ein gewisser Spielraum theologischer Formulierung gegeben ist, zweitens aber, welche Bedeutung die wechselseitige Anerkennung von Bekenntnisakten besitzt.

Es ist das Bekenntnis immer ein doppelseitiges: es ist Antwort auf den Anspruch Gottes und dadurch Absage an die Welt: es ist sodann Antwort auf den Anspruch der Welt als Welt, gegen die Welt und Bekenntniszusage zu dem Anspruch Gottes. Niemals werden wir dabei

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gefragt ob wir dies oder jenes über Gott und die Welt meinen, nicht über unsere theologischen und philosophischen Meinungen, — beide, Gott und Welt — fordern etwas von uns, nein, fordern uns selbst. Sie fordern, daß wir sie anbeten. Es ist immer eine Macht, die uns und unsere Hingabe fordert, und nur insofern eine Wahrheitsfrage, als wir in allem, was hier gedanklich zu sagen, zu reden und zu begründen ist, nach der Wirklichkeit, dem Recht, der Beständigkeit und damit eben Wahrheit dieser uns fordernden Macht, nach unserem Glauben daran gefragt sind. Bekenntnis und Bekennen ist deshalb immer ein personaler Akt, für den alles Explizieren, Lehren und Begründen nur sekundären Charakter hat. Das Bekenntnis ist nicht eine kurzgefaßte summa theologica, sondern ist erklärte Hingabe, wie es im Petrusbekenntnis deutlich wird.

Im gebetenen Bekenntnis bekennt sich der Bekennende mit der ganzen Kirche schuldig und bereit, diesem so bezeugten dreieinigen Gott allein die Ehre zu geben, ihm zu glauben und zu vertrauen — und gibt ihm diese Ehre. Wer darum nicht so bekennt, ist nicht einer anderen menschlichen Meinung, über die zu reden wäre, sondern hängt einer anderen Macht und Gewalt an und ist darum nicht mit uns in der Kirche, so als ob jemand meinte, er könnte im gleichen Schiff mit uns sein und hätte doch einen anderen Kapitän als den, dessen alleiniger Leitung dieses Schiff anvertraut ist.

Die grundlegende kirchenrechtliche Bedeutung des Bekenntnisses, der Bekenntnischarakter des Kirchenrechts liegt daher in der Erkenntnis der Identität Gottes, des Gottes, dem der Mensch im Bekenntnis gegenübertritt und den er damit als Gott bezeugt. Sie liegt zugleich in dem Festhalten dieser Identität. Mit dieser Identität ist aber zugleich der Umkreis des Bekennens abgesteckt, ihre Gemeinsamkeit vor allen Gemeinsamkeiten sonstiger Art begründet und begrenzt. Die Identität ist aber schon in Frage gestellt, wenn dem bezeugten Gotte noch etwas an die Seite gestellt, hinzugefügt wird. Denn dieser dreieinige Gott ist ein eifriger und ausschließlicher Gott, der keine Götter neben sich duldet, auch nicht Vermittler, außer Christus, die wir ihm zugesellen.

„Im Urakt des Bekenntnisses ist die Negation mit der Totalität des Ja gesetzt, ohne besonders ausgesprochen zu werden … Diese ,Sachlichkeit’ des Bekenntnisses ist die eines Rechtsaktes: nämlich das Ja des Glaubenden zu dem Rechtsakt, den Gott am Kreuz zugunsten der Welt vollzogen hat, — das Ja zu dem Bund, den Gott in Christi Tod gestiftet hat.” 6

Das Bekenntnis begegnet uns von vornherein in den wesentlichen gottesdienstlichen Verrichtungen: als Taufbekenntnis ist es Voraussetzung für den Vollzug der Taufe,7 im Wortgottesdienst,8 im Sakramentsgottesdienst.9 Es wird später direkt als commemoratio, als lobpreisende Vergegenwärtigung Christi bezeichnet. Das Bekenntnis tritt nicht als

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eine lehrhafte Ausdeutung zu dem Sakrament hinzu, es bricht aus ihm heraus. Es ist ein Teil davon … Wort und Sakrament gehören zusammen.10

„Taufe und Abendmahl begründen die christliche Lebensgemeinschaft. Das Bekenntnis, das dabei laut wird, ist nicht zu trennen von der Tat brüderlicher Liebe. Wort und Tatbekenntnis gehören zusammen. So ist auch die Liebesgabe, die die Korinther für die Urgemeinde in Jerusalem gesammelt haben, eine homologia, ein Bekenntnis zu dem verpflichtenden Charakter des Christusevangeliums.11

Indem aber der ,Communiocharakter’ des christlichen Bekenntnisses sich durch den Tatbeweis … auswirkt, macht er sich auch geltend in der Sphäre des Rechts. Bekenntnis schafft Kirchenrecht. an dem Bekenntnis der Liebe, das die Christen aus aller Welt für die Urgemeinde ablegen, wird uns der gesamtchristliche Charakter des christlichen Bekennens deutlich — die Liebesgemeinschaft des Leibes Christi erfüllt den ganzen Erdkreis … Denn es ist überall derselbe Christus … die Kirche als universale Liebesgemeinschaft ist als solche universale Bekenntnisgemeinschaft und als solche universale Rechtsgemeinschaft … Wenn man das urchristliche Bekenntnis in seiner umfassenden Bedeutung, in seiner sakramental begründeten Einheit von Wort und Tat, in seinem Communiocharakter erfaßt hat, dann versteht man auch seine rechtliche Bedeutung. Schon im N.T. gibt es ein Bekenntnisrecht … Deshalb findet Paulus in den Liebesgaben der Korinther einen Beweis für den Gehorsam ihres Bekenntnisses. Bei aller Freiwilligkeit der Leistung sieht er in der Tatsache … ein Zeichen für die gehorsame Annahme der apostolischen Verkündigung und damit auch für die Unterordnung unter das apostolische Amt. Die Gemeinschaft des Leibes Christi ist eine gegliederte Gemeinschaft. Dem Communiocharakter entspricht es, daß er den einzelnen in ein Verhältnis der Über- und Unterordnung verpflichtend hineinstellt.” 12

Kirchenrecht ist also zugleich liturgisches wie bekennendes Recht ohne Widerspruch. Sub specie des liturgischen Geschehens gibt sich Gott uns und wir geben uns, die erwiesene Gnade zurückbringend (gratiam referentes) ihm wieder. Sub specie des Bekenntnisses antworten wir auf die Anrede Gottes. Beides ist wesentlich identisch und nur im Schwerpunkt verschieden. Beides gegeneinander zu stellen oder eines von beiden höher zu werten, ist verfehlt. Diese Doppelheit macht verständlich, warum eine sich als kerygmatische Theologie verstehende Lehre das Bekenntnis bejaht, ohne ein Verhältnis zur Liturgie zu haben und zu vermissen. Die Liturgie ist auch ohne formelle Rezitation des Bekenntnisses durch die Anamnese Bekenntnis. Bekenntnis als Homologie ist Liturgie. Lehrhaftes Bekenntnis ohne liturgischem Vollzug wird akademisch, liturgischer Vollzug ohne Bekenntnis verfällt menschlicher Selbstmächtigkeit.

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In der schon angeführten Untersuchung sagt Edmund Schlink weiter:

„Im Bekenntnis fallen Gebet und Zeugnis, Doxologie und Lehre in eigentümlicher Weise zusammen … diese Zusammengehörigkeit findet sich in den neutestamentlichen Schriften nicht nur faktisch, sondern sie gilt auch grundsätzlich … (262).
Gemäß der eigentümlichen Konzeption aller Antworten des Glaubens im Bekenntnis wird man bei der Frage nach der Wurzel des Dogmas … bekenntnishafte, hymnisch-doxologische und kerygmatisch-lehrhafte Formeln nicht streng scheiden und die letzten keineswegs ausschließen dürfen. Im Apostolicum und Nicaenum … ist das Dogma noch in der Struktur des Bekenntnisses ausgesprochen. Diese beiden altkirchlichen Symbole sind Doxologie und Lehre, Gebet und Zeugnis in einem, und sie werden in Konzentration aller Antworten des Glaubens, sei es vom Täufling, sei es von der … Gemeinde bekannt. Diese Grundform des Bekenntnisses ist in der Dogmengeschichte nicht festgehalten worden, vielmehr begannen einzelne strukturelle Momente … sich zu verselbständigen und sich in verschiedenen Formen des Dogmas zu differenzieren.
Eine strukturelle Verschiebung wird so bereits sichtbar in den Eingangsworten zum Chalcedonense. Sie lauten nicht mehr ,wir glauben’ (Nicaenum), sondern ,wir lehren, daß zu bekennen ist’. Zwar sind die inhaltlichen christologischen Aussagen des Chalcedonense noch unverkennbar geprägt von der doxologischen Struktur, aber die Eingangsworte machen deutlich, daß es sich hier nicht mehr um das gottesdienstliche Bekenntnis selbst, sondern um die Lehre vom rechten Bekenntnis handelt. Die Verschiebung der Struktur des Dogmas vom Bekenntnis zur Lehre hat sich zumal im Westen (!) alsbald durchgesetzt, und zwar so konsequent, daß nicht nur in den Eingangsworten, sondern auch in den inhaltlichen Aussagen das im Bekenntnis mitenthaltene doxologische Moment verschwand.
Eine weitere strukturelle Verschiebung wird sichtbar im Athanasianum, wenngleich dessen inhaltliche Aussagen … noch unüberhörbar hymnisch klingen, — dessen Eingangsformel aber zeigt, daß hier aus dem Akt des gottesdienstlichen Bekennens herausgetreten wird: ,wer … selig werden will, muß vor allem den katholischen Glauben festhalten … Der katholische Glaube aber ist dieser, daß wir verehren …’ In diesem Dogma hat nicht nur eine Verschiebung vom Akt des Bekenntnisses zur Lehre vom rechten Bekenntnis sich vollzogen, sondern außerdem beginnt hier … das in jedem Bekenntnis implizit enthaltene Moment der Scheidung explizit zu werden …” (265/6).

Es wird weiter ausgeführt, daß nunmehr die verworfenen Lehren explizit definiert und ausdrücklich anathemisiert werden.

Schlink zeigt dann, daß die lutherischen Bekenntnisschriften zwar zum Teil den Charakter seelsorgerlichen Zuspruchs, nicht aber doxologischen

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Typus zeigen und deshalb auch gottesdienstlich nicht verwendet worden sind. Er entwickelt dann die Folgen, die sich jeweils aus der Verabsolutierung eines der im Bekenntnis enthaltenen Elemente ergeben, wenn die übrigen Elemente verdrängt werden (273 f.).

Was hier dargeboten wird, ist eine Kirchengeschichte im kleinen. Doxologie und Zeugnis treten zurück, die expliziten Lehraussagen in Thema und Anathema treten hervor. Aus der personalen Anrede und dem Hymnus wird die prädikativische Logik. Das Elend der Metaphysik beginnt. Der Nachweis dieses Umbruchs trifft in eigentümlicher Weise mit der wertenden Abgrenzung zusammen, welche in der Theorie vom Konsensus der ersten fünf Jahrhunderte ausgedrückt wird. Denn das Chalcedonense steht gerade noch an der Grenze. Und ist nicht gerade mit dem zunehmenden Verlust der doxologischen Dimension erst der personale Charakter des Glaubensverhältnisses zum Problem, ein besonderer theologischer „Personalismus” möglich geworden?

Hat das Bekenntnis nach Schlink und Maurer in einem so grundsätzlichen Sinne Rechtscharakter, so muß auch jener Strukturwandel die rechtliche Bedeutung des Bekenntnisses verändern und neue Fragen aufwerfen.

Eben wegen dieses grundlegenden Charakters des Bekenntnisses und seines gottesdienstlichen Zusammenhanges ist es zunächst als isolierte Glaubensformel für sich allein für die Kirchenzugehörigkeit nicht entscheidend, zumal die Formulierungen noch wechseln und oft ad hoc gebildet werden. So kann Maurer, der nach dem obigen Zitat den Rechtscharakter des Bekenntnisses so entscheidend betont, zugleich sagen, daß die rechtliche Bedeutung des Bekenntnisses (für die Kirchenmitgliedschaft) ursprünglich (mit Wirkung bis ins hohe Mittelalter) nur nebensächlich ist.

Seither stellen sich für die Rechtsbedeutung des Bekenntnisses drei Problemkreise:
1. Inhalt und Ausdehnung einer (expliziten) Glaubensformel
2. Die Rechtsstruktur der Verbindlichkeit des Bekenntnisses
3. Subjekt und personaler Gültigkeitsbereich des Bekenntnisses.

Zu 1. stellt sich die Frage, welche Aussagen denn überhaupt bekenntnisfähig sind. Ist das Bekenntnis Antwort auf das erfahrene Gnadenhandeln Gottes, so ergeben sich zwei Richtungen seines Aussagengehalts. Die eine geht auf die Identifizierung des sich offenbarenden Gottes als eines geschichtlich Handelnden, so daß hier von der ganzen Heilsgeschichte geredet werden kann und muß: von der Schöpfung über die Fleischwerdung, Passion bis zur Auferstehung und zum jüngsten Gericht. Deshalb kann und muß gerade auch die nackte Historie in Gestalt des Pontius Pilatus ihren Einzug in das Bekenntnis halten. Insoweit hat das Bekenntnis den Charakter der Anamnese. Was hier in weitesten Sinne zu Worte kommt, sind Trinitätslehre und Christologie. Die

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altkirchliche Bekenntnisbildung hatte diese Aufgabe noch vor sich und konnte daher diese sozusagen klassischen loci der Bekenntnisaussage mit gültigen großartigen Formulierungen besetzen.

Als zweite Richtung der Aussage zeigt sich der Heilsweg, die Gnadenmittel. Deshalb kann etwa formuliert werden: „Ich bekenne eine einige Taufe zur Vergebung der Sünden.” Dieses Bekenntnis zur Taufe schließt etwa die Wiedertaufe ausdrücklich aus, noch nicht aber den Baptismus. Wohl aber macht dieser Tatbestand verständlich, daß die hier nicht ausdrücklich genannten Sekundärauslegungen hinsichtlich der Taufe wie etwa im Baptismus kirchentrennend wirken können.

Das Bekenntnis hat also eine immanente und eine heilsökonomische Seite (de trinitate, de ecclesia). Unterschiede auf der letzteren Seite weisen meist auf Unterschiede im Verständnis der ersteren zurück (etwa einseitige Schöpfungslehre, einseitige Christologie usf.), ohne daß die Aussagen in diesem Bereich subjektiv preisgegeben oder ihre Verletzung einwandfrei aufweisbar zu sein brauchen. Andererseits sind scheinbar ganz geringe Abweichungen der Formulierung im Bereich besonders des „immanenten” Bekenntnisses geeignet, in der Konsequenz zu außerordentlich weittragenden Abweichungen zu führen. Die altkirchliche Bekenntnisbildung liefert die Beispiele dafür. Es ist daher der Spott über diffizile, minimale Unterschiede („kein jota”) sachlich nicht begründet.

Dem Bekenntnis tritt nun mehr und mehr die explizite, kirchlich verbindliche Lehraussage gegenüber, wie der gezeigte Ausdruckswandel im Chalcedonense ausweist (statt „credimus” im Constantinopolitanum) „confiteri docemus”, an die Seite oder auch an seine Stelle.13 Die kirchlich verbindliche Lehrformulierung hat daher grundsätzlich eine Hilfsfunktion gegenüber dem Bekenntnis, indem sie versucht, durch explizite Formulierungen solchen Abweichungen vom Bekenntnis zu begegnen, ihnen vorzubeugen. Wo es legitim geschieht, steht sie auf der Erkenntnis, daß bei Preisgabe dieser Aussagen jene Konsequenzen nicht wohl vermeidbar sind, weil der Rationalität des theologischen Gedankens eine gewisse Zwangsläufigkeit innewohnt. Diese Lehre hat aber mit jenem Grund auch ihre Grenze darin, daß sie
a) diese Schutzfunktion ausübt, sich in ihr bewährt und nicht für sich allein bestehende Sätze aussagen will,
b) daß sie sachlich bezogen bleibt auf
1. die Identität des im Bekenntnis zu bezeugenden Gottes (Trinität, Christologie)
2. den Heilsweg, den Inbegriff der Angebote Gottes zu unserem Heil (Taufe, Glaube, Abendmahl, Sündenvergebung, Kirche, Amt usw.) unverkürzt und unvermischt mit geistlich bedeutungslosen weltlichen Dingen.

Bekenntnis und Lehrformel, Dogma im engeren Sinne, haben daher

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verschiedene Dignität und einen verschiedenen Sitz im Leben der Kirche.

Aus dem Gesagten ergibt sich zunächst, daß die formelle Bezeichnung als Bekenntnis als solches noch nicht den sachlichen Charakter des Bekenntnisses zu begründen geeignet ist, wenn auch die Verwendung des Terminus ein wichtiger Hinweis auf die möglicherweise gegebene Bekenntnisstruktur ist. Wenn Schlink14 schon in den Formulierungen von Chaldecon den Verlust der doxologischen Dimension vermerkt, und zwar gerade unter Hinweis auf die lehrförmige Präambel, so könnte damit allen nachfolgenden Bekenntnisdokumenten der volle Bekenntnischarakter bestritten werden — auch dem Corpus der reformatorischen Bekenntnisschriften. Es ist indessen nicht wohl möglich, der ganzen Summe solcher sich selbst als Bekenntnis verstehender Akte auf Grund einer theoretischen Erwägung diesen Charakter abzusprechen. Man muß vielmehr sehen, daß ein Bekenntnis, welches den doxologischen Charakter verloren hat, immer noch in einem sekundären Sinne Bekenntnis ist. Was beiden Formen gemeinsam ist, ist immer noch der spezifische Gegenstand: Identifizierung Gottes und Beschreibung des Heilsweges. In der CA etwa ist sehr radikal die Exklusivität des trinitarischen Monotheismus gegen Marienverehrung, Heiligenkult usw. geltend gemacht (bei Übereinstimmung in der Gotteslehre), praktisch freilich nicht zu scheiden von der zweiten und überwiegenden Frage des Heilsweges. Obwohl alles die Form der Lehraussage angenommen hat, unterscheiden sich doch die Artikel in ihrer Struktur: Art. XVIII-XXI sind in höherem Grade im Sinne obiger Unterscheidung „kirchliche Lehre” als die vorangehenden, insbes. Art. IV, V, VIII usw.14a

Bekenntnis und Lehrformulierung verschmelzen sich jetzt, aber in einem bemerkbar verschiedenen Grade. Der Satz „hominem fide iustificari” ist zwar nicht mehr doxologisch, aber in einem höherem Maße Bekenntnis als Aussagen de causa peccati (CA IV im Verhältnis zu XIX). Das ist nicht unwesentlich für den Grad der Kirchenrechtsfähigkeit solcher Sätze. So können etwa die solaformeln (sola scriptura, gratia, fide) eher verbindlich werden als die Vielfalt von Lehrsätzen, auch wenn diese damit in sinngemäßer Verbindung stehen. Das im Bekenntnis aufweisbare „sola” ist nicht nur eine Abstraktion des „reformatorischen Ansatzes”, sondern doch auch seine bekenntnismäßige Zuspitzung. Im übrigen nimmt etwa auch die CA in den Artikeln de deo, de filio dei (I, III), wie über die Taufe (IX) in der Lehrform Aussagen des doxologischen Bekenntnisses in Bezug. Es liegt auf der Hand, daß eine formelle, exakte, an jeder Stelle aufweisbare Scheidung hier nicht durchzuführen ist. Sie ändert aber nichts an dem Recht der mehr schwerpunktmäßigen Unterscheidung.

In diesem nicht mehr liturgiefähigen Bekenntnis tritt das begrenzte Recht der früher allein zum Verständnis des Bekenntnisses üblichen Deutung hervor, dieses sei zur Abwehr der Häresien entstanden und

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geschaffen. Aber wie hier die schon im doxologischen Bekenntnis mitgegebene Seite der Absage in eine andere Strukturform überführt ist, so hat nach dem Gesagten dies doch auch nur ein begrenztes Recht und eben dies ist dann wieder für die kirchenrechtliche Qualität möglicher Bindungen von einschneidender Bedeutung. Deshalb kommt die Kirchenrechtslehre nicht darum herum, hier Stellung zu nehmen: Maurer15 weist ihr ausdrücklich diese noch nicht bewältigte Aufgabe zu. Denn damit ist zugleich die Frage nach der Geschichtlichkeit des Bekenntnisses und der von ihm jetzt nicht mehr durchgreifend unterscheidbaren Lehrbildung (Dogma im engeren Sinne) gegeben.