7. Der innere Aufbau der Ordination

Der Begriff der Ordination wird in einem doppelten Sinne gebraucht. Er bezeichnet einerseits den gesamten Vorgang der Betrauung mit dem Amt der Kirche mit allen darauf bezüglichen Akten, andererseits innerhalb dieses Vorgangs einen bestimmten Akt, der auch Weihe, Benediktion usf. genannt wird, dessen Verständnis und Ausgestaltung dann sehr unterschiedlich ist. Dieser verschiedene Gebrauch hat sehr viel zur Unsicherheit beigetragen. Trotzdem besteht auf der anderen Seite eine verhältnismäßig große Übereinstimmung darüber, daß die Ordination im weiteren Sinne eine gewisse mehraktige Grundstruktur besitzt. Erst auf Grund dieser zunächst nur formalen Übereinstimmung setzen die Unterschiede der Auffassung und Gestaltung an. Diese Grundstruktur wird freilich regelmäßig als Gegebenheit positivistisch hingenommen, mag man sie auf die Schrift gründen und in ihr wiederfinden,119 oder der Tradition folgen. Warum diese Handlungselemente auftreten und in

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welchem konstruktiven Zusammenhang sie stehen, begegnet einem verhältnismäßig geringen Interesse.

Mit ihren traditionellen begriffsgeschichtlichen und philologischen Hilfsmitteln kann die Theologie auch gar nicht zum Verständnis dieser (rechtlichen) Strukturen vordringen. Die katholische Theorie ist im wesentlichen positivistisch. Sie ist an der Aufdeckung von Begründungen und Problemen nicht sonderlich interessiert. Die protestantische Theologie kann rechtlichen Strukturen keine Bedeutung beimessen, weil dies dem in ihr vorausgesetzten Rechtsbegriff widerspricht. Weil das Recht grundsätzlich Folgeerscheinung, also ohne relevante Struktur ist, kann diese Theorie zwar jedes Erkenntnismittel benutzen, nur nicht die der Rechtswissenschaft. Das Recht ist ihr blinder Fleck.120

Die drei Elemente der Ordination im weiteren Sinne sind nun vocatio — benedictio, consecratio (ordinatio im engeren Sinne) — missio.121

a) Die vocatio

Wie in allen Teilakten des Ordinationsvorgangs ist auch bei der vocatio vorauszusetzen, daß Christus selbst der Ordinator, hier der Vocator ist. Die Gemeinde bedarf des Amtes. Gott selbst erwählt zum Amte geeignete Menschen, stattet sie mit geistlichen und natürlichen Gaben aus, erweckt in ihnen die Bereitschaft des Dienstes und erhält sie darin. Sache der Gemeinde ist es, die so Bereiteten zu erkennen, sie an die ihrer Bestimmung entsprechenden Plätze zu setzen. Der Erwählung Gottes entspricht die Wahl durch die Kirche (wobei die Frage, wer zu dieser Wahl berufen ist, zunächst zurückgestellt werden soll).

Da diese Wahl durch und in der Kirche die Folge der Einsetzung in das konkrete Amt haben soll, ist sie ihrem Wesen nach jurisdiktionelle Entscheidung, d.h. Entscheidung über die Angezeigtheit geistlichen Handelns, hier der Ordination im engeren Sinne.

Diese Entscheidung ist zugleich ein Akt der Annahme und des Bekenntnisses: die Wähler nehmen den ihnen als berufenen Präsentierten als einen von Gott Berufenen an, und zwar, weil und indem in diesem Vorgang sie als Geistträger den Geist in dem zu berufenden Berufenen erkennen. Die vocatio ist also in einem Akt jurisdictio, receptio, confessio.

Daraus ergibt sich sogleich, daß die Wahl in kirchliche Ämter nicht zur Verfügung der Wähler steht, die nach Gunst, Neigung, Interesse den ihnen menschliche Gemäßen wählen können, wie einen Abgeordneten oder Bevollmächtigten.

Die undifferenzierte Vorstellung, daß das Amt etwa aus der Beauftragung oder Gestattung der Gemeinde hervorgehe, ist vor jeder sonstigen Erwägung, und wenn man nur auf das blickt, was der Gemeinde zukommt, eine den Sinn entstellende Verkümmerung.

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b) Die ordinatio im engeren Sinne (benedictio, consecratio)

Der vocatio steht kontrapunktisch die ordinatio im engeren Sinne gegenüber, welche je nach Auffassung mit verschiedenen Termini bezeichnet wird — gemeint ist jedoch regelmäßig ein Akt, der den gleichen Sitz im Leben hat, nämlich die konkrete Amtsbevollmächtigung. Nach dem eingangs Gesagten brauch hier nicht noch einmal wiederholt zu werden, daß und in welchem Sinne die Ordination nach biblischem Verstande ein konstitutiver Akt ist. Erkenntnisse freilich, wie Lohse sie vertritt, haben weder Folgen für die liturgischen Formulare, noch für das kirchlich-theologische Gemeinbewußtsein. Mit Recht lehnt Heubach122 die Formulierung von Rietschel ab, daß die Ordination nichts anderes sei, „als kirchliche Konfirmation und Approbation der Vokation und als Übertragung des Rechts, das Wort Gottes zu predigen und die Sakramente zu verwalten”. Das erscheint bei Rietschel und bei anderen als ein rein theologisches Urteil. Es wird jedoch dabei übersehen, daß diese Vorstellung zugleich eine körperschaftsrechtliche ist. Die theologische Entscheidung impliziert eine solche für bestimmte rechtliche Denkformen, und diese wiederum für eine bestimmte Vorstellung von Menschen, während sie sich selbst als rein theologische versteht. Um der Scylla des römischen Weihebegriffs zu entgehen, fällt man in die Charybdis eines vom pneumatischen Recht ebenso weit entfernten Rechtsdenkens, welches weder „neutral” noch etwa nur „funktional” ist, sondern seinen Tribut fordert.

Braucht hier der Sachgehalt der ordinatio/benedictio nicht noch einmal erörtert zu werden, so doch die Tatsache, daß vocatio und benedictio als aufeinander folgende, aufeinander bezogene Akte einen institutionellen Vorgang darstellen, in dem in typischer Weise die beschlagnahmende Ausgrenzung von der inkorporierenden Zuordnung gefolgt wird, wie wir später bei der Ehe ausgrenzendes, eheschließendes Verlöbnis mit den negativen Ehewirkungen und die die Lebensgemeinschaft begründende Trauung neben und hintereinander finden. Die institutionellen Strukturen wiederholen sich in einem solchen Maße im opus proprium der Kirche, daß der immer wieder sich erneuernde Hinweis fast ermüden kann. Und doch ist er zur Bereinigung unendlicher verjährter Irrtümer unvermeidlich.

In der Antithese von vocatio und ordinatio wiederholt sich das dogmatische Spannungsverhältnis von Prädestination und Inkarnation. Es ist deshalb durchaus verständlich, daß eine der Prädestination zugeneigte Theologie die ordinatorischen Momente zurücktreten läßt, verdrängt und mit Mißtrauen betrachtet, während eine Inkarnationstheologie sich gern und leicht auf geschichtlich-konstitutive Momente einläßt und darauf vertraut, daß diese etwaige Mängel in der vocatio heilen, überwinden, durchtragen werden. Die Unverfügbarkeit des Wortes

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Gottes liegt hier eben darin, daß es eine explizite Synthesis dieses Gegensatzes für uns nicht gibt, und daß wir diesen Gegensatz nach bestem Verstande gegen die Versuchung der Häresie durchhalten müssen. Eine nur positivistische Interpretation dieser Spannung, hier derjenigen von vocatio und ordinatio, nimmt uns eine legitime Erkenntnis und wichtige Waffe der Lehre gegen die Vereinseitigung.

Zu den grundsätzlichen Mißverständnissen dieses Tatbestandes gehört auch die Vorstellung, daß zwar die vocatio, wenn auch kein reiner Rechtsvorgang, so doch einer rechtlichen Interpretation zugänglich sei, während die ordinatio als rein geistliche Handlung ausschließlich pneumatisch zu verstehen sei, um ihren eigentlichen Sinn zu wahren (so etwa Heubach in der Interpretation der neulutherischen Orthodoxie). Das führt jedoch nur dazu, im Stile von Rietschel, die ordinatio von der vocatio her, und zwar notwendig körperschaftsrechtlich auszulegen. Diese Neigung ist nicht erst im 19. Jahrhundert entstanden, sondern setzt schon in der Reformationszeit an. Sie beruht einerseits auf der rationalistisch-profanierenden Wirkung einer überwiegenden Prädestinationstheologie, dem Ausfall und Rückgang aller kommunikatorischen Rechtsvorstellungen im bürgerlichen Humanismus andererseits.

Die kirchlich-theologische Lehre von der Ordination ist also im hohen Grade in die Geistesgeschichte des Rechtes verwickelt, und ohne die Klärung dieser Zusammenhänge kann nicht zulänglich geurteilt werden.

c) Die missio (canonica)

Nach der Darstellung von Heubach und der von ihm aufgenommenen Autoren folgt auf die vocatio und ordinatio die missio. Auf Berufung und Bevollmächtigung folge die (konkrete) Sendung. Heubach läßt wie die gesamte ältere Geschichte des Ordinationsrechts auch die Tatsache außer Betracht, daß gerade an der Frage der missio sich die altkirchliche und griechische Ordinationslehre von der lateinisch-neukatholischen scheiden. Er rezipiert nicht nur hinsichtlich der ausdrücklich erörterten Reihenfolge der Handlungen,123 sondern auch schon in der Sache die lateinisch-abendländische Tradition, ohne sich mit der abweichenden Konzeption auseinanderzusetzen. Über die Frage der missio sagt Sohm:

„Seit dem Ausgang des 12. Jahrhunderts bedeuten die ordines nicht mehr geistliche Ämter, sondern nur noch geistliche Weihen. Die neukatholische Ordination gibt den Geist, ohne das Amt zu geben — ein Vorgang, der für die alte Zeit undenkbar gewesen wäre. Was in der altkatholischen Zeit Ordination hieß, Verordnung, Erwählung zum Amt, das heißt missio canonica. Die neukatholische missio canonica aber ist das Gegenteil von einem Sakrament. Sie ist Entsendung zu einem Kirchendienst durch die Kirche als Körperschaft … Die missio ist keine Entsendung, Amtsbestellung unmittelbar durch Gott … Sie ist eine Handlung der jurisdictio, des menschlichen Rechts, des Körperschaftsrechts …” 124

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Terminologisch ist auch dies nun, nicht ohne tiefere Gründe, nicht ganz sauber. Es kommt ja erst die missio canonica zur benedictio hinzu, tritt nicht an ihre Stelle. Die benedictio ist jetzt Weihe ohne Amtsverleihung, die missio gibt das konkrete Amt. Der Satz: „Was Ordination hieß, … heißt heute missio” ist also nicht genau. Die Ordination spaltet sich vielmehr auf. Richtig ist gesehen, daß die missio (auch) ein Akt der Jurisdiktion ist. Dieser Akt aber ist ehedem in der Wahl, über deren jurisdiktionellen Charakter schon gesprochen wurde, mit enthalten, weil es eine Wahl zu einem bestimmten Amt war, für welches die Tauglichkeit des Bewerbers ja gerade geprüft wurde. Eines schickt sich nicht für alle. Nicht der jurisdiktionelle Charakter der Entscheidung als solcher rechtfertigt das Urteil, daß es sich um einen Akt körperschaftlichen menschlichen Rechtes handle, sondern nur die Tatsache, daß sich dieser Akt an die abstrakte, absolute, amtslose Ordination, über sie verfügend, sie einsetzend anschließt. Das Kirchenrecht spaltet sich also in ein Sakramentsrecht, welches eine abstrakte Weihgewalt des Ordinierten schafft, und ein kirchlich-menschliches Recht, welches, freilich nach bestem Treuen, diese Kraft konkret an einem Platz einsetzt. Das ist für die Spaltung typisch, die man als Ansatz des spiritualen Kirchenrechts bezeichnen kann, in der nun eine Art geistlicher Vollperson den Objekten ihres Handelns als Subjekt gegenübersteht.

Der eigentliche Fehler Sohms, und gerade auch der Grund für seine auffälligen terminologischen Ungenauigkeiten, liegt nun darin, daß er im Rechtstypus der Jurisdiktion überhaupt schon das Merkmal des körperschaftlichen, menschlichen Rechtes im Gegensatz zum pneumatischen Recht sieht,125 einem frühr in der lutherischen Tradition ansetzenden Mißverständnis folgend. Wenn aber schon die receptio jurisdiktionelle Struktur aufweist, so ist dieses Urteil nicht mehr möglich. Jedes geistliche Urteil der Kirche trägt jurisdiktionellen Charakter.

Wer nun also die missio als einen dritten Akt der vocatio und benedictio gleichwertig anfügt, muß das als pneumatisches Recht begründen und muß sich andererseits mit der historischen Entstehung der missio in dieser ganz bestimmten Bedeutung auseinandersetzen. So treffen das von Sohm gesagte ist, so gibt es doch auch eine gewisse Rechtfertigung der missio.

In der missio wird nämlich neben Prädestination und Inkarnation ein eschatologisches Moment sichtbar, welches ihnen beiden zugehörig ist. Vocatio und ordinatio können nicht völlig begriffen werden, wenn nicht der Horizont der missio schon gleichsam vorgreifend mit im Blick ist. Im Hinblick auf die missio wird berufen, erwählt, wird bevollmächtigt. Auch die ordinatio ist in der Dimension des Sakramentalen wie alles Sakrament proleptische Eschatologie. In dem eschatologischen Moment ist ein teleologisches enthalten, gleichsam eingeklammert, ohne daß es als das Ganze verstanden werden dürfte.126

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Die Auslegung der missio wirkt freilich auf die vocatio und ordinatio zurück. Tritt in ihr das teleologische Moment beherrschend hervor, so verliert die vocatio an Bedeutung, wird sie zur Verfügung über das Amt. Der Wählende und Sendende beugt sich nicht mehr annehmend der göttlichen Erwählung, sondern rechtfertigt seine Entscheidung aus der bewußten Zweckmäßigkeit.

Das Verhältnis von missio zur ordinatio bzw. zu ordinatio und vocatio wird bei Heubach und von ihm angeführten lutherischen Autoren durch die Unterscheidung von „ordinatio generalis” und „ordinatio specialis” zum Ausdruck gebracht. Die erstere ist die Ins-Amt-Setzung überhaupt, alle drei Akte umfassend, die zweite die Konkretisierung auf Grund der gegenwärtigen kirchlichen Erfordernisse und der besonderen Eignungen des Ordinierten.127 Der in der ordinatio generalis erteilte Auftrag sei „katholisch und indelebilis”. Diese Ordination sei einmalig und unwiederholbar.128

Hier mangelt es an einer genügenden Klärung der Begriffe. Das Amt ist allerdings — auch hier nach gemeinchristlichem Recht! — ein Amt der ganzen Kirche. In diesem Sinne gibt es keine partikularrechtliche Ordination. Aber dieser Anschauung können zwei sehr verschiedene Kirchenrechtskonzeptionen zugrundeliegen. Nach der altkirchlichen Lehre von der relativen Ordination ist das Amt deswegen ein gesamtkirchliches, ist es „katholisch”, weil es sich auf eine bestimmte ekklesia exklusiv bezieht, und weil diese ekklesia als gottesdienstlich versammelte alle pneumatischen Eigenschaften und Rechte besitzt, wie alle anderen Ekklesien, mit denen sie in konstitutiv notwendiger Beziehung steht. Nach der Lehre von der absoluten Ordination dagegen gibt es nur eine Kirche als einen einheitlichen Körper, eine Körperschaft mit lokalen Unterteilungen. Dieser Einheitskirche steht dann ein für den ganzen Bereich handlungsfähiges geweihtes Subjekt gegenüber. Nun vermeidet Heubach bewußt den Begriff „character indelebilis” und spricht nur von der Unzerstörbarkeit des Auftrages. Aber der Begriff „Zerstörung” setzt substanzielle Begriffe voraus, kann auf den Begriff Auftrag nicht wohl angewendet werden. Was er mit Recht meint, ist die Geschichtlichkeit und Unwiederholbarkeit der Ordination, eine ebenfalls gemeinchristliche Rechtsüberzeugung. Deswegen wird bei Versetzung in ein anderes Amt eben nicht wieder ordiniert, sondern nur eingeführt. Das ergibt sich schon aus dem konstitutiven Charakter der Ordination, welchen Heubach in Übereinstimmung mit der neulutherischen Orthodoxie des 19. Jahrhunderts (Vilmar, Kleifoth, Löhe) selbst bejaht.129

Die Spaltung des Auftrages dagegen in einen einmaligen und einen aktuellen, rücknehmbaren ist in sich problematisch. Rein vordergründig mag man wohl zwischen dem allgemeinen Auftrag der Verkündigung und Sakramentsverwaltung und der Einweisung in eine bestimmte kirchliche Aufgabe unterscheiden.

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Im Lichte jener Geschichte des Ordinationsrechtes ist es jedoch schwieriger. Nun wendet sich freilich Heubach gegen habituelle Vorstellungen in Verbindung mit der Ordination. Aber das Denkschema bleibt dasselbe und wird nur mit anderen Akzentsetzungen ausgefüllt. Wenn eine nicht mehr habituelle ordinatio die generelle und die missio die spezielle Ermächtigung ist, so kann sich nur das Interesse von einer reduzierten Weihvorstellung auf das Spezielle verlagern. Dann wird die Ordination wesentlich zur Einführung, verliert den Charakter der Unwiederholbarkeit, und es kann, nach einem von Heubach nicht grundsätzlich abgelehnten Brauch der Reformation und vieler anschließender Kirchenordnungen,130 bei jeder Einführung neu ordiniert werden. Das concretum der ordinatio specialis zehrt in echt nominalistischer Weise das abstractum der ordinatio generalis auf. Wie auch immer man hier die Gewichte verteilt, man bleibt im Zirkel des Generalienproblems. Das ist der Grund, weswegen auch orthodoxie und hochkirchliche Bestrebungen, der Ordination wieder größeres Gewicht zu verleihen, immer einen romanisierenden Anhauch gewannen — eben weil der Ausbruch aus dem Generalienstreit nicht gelungen ist und jede mögliche Entscheidung hier immer schon ihren Platz hat.

Heubach metaphysiziert vielmehr die römisch-katholische Ordinationslehre lateinischer Tradition und erhebt sie zur allein wesentlichen Vollgestalt des (freilich zu bekämpfenden) Begriffs, neben dem nur unzulängliche und bedeutungslose Abschwächungen vorhanden seien. Diese Erhebung des Gegners in das begriffliche Absolute schmiedet auch Heubach eigene Haltung sozusagen an eine Anti-Metaphysik, läßt eine freie Inangriffnahme des Problems infolge dieser Abhängigkeit gerade nicht zu.

Das noch heute geltende orientalische Kirchenrecht, einschließlich des codex orientalis für die griechisch-unierte Kirche, enthält ein von der lateinischen Kirche abweichendes Ordinationsrecht. Nach diesem Recht erwirbt der griechische Bischof aller Jurisdiktionen, auch der päpstlichen, sein Amt nicht durch Ernennung, auch nicht durch missio, sondern erst durch Konsekration. Dadurch werden missio und — im Sprachgebrauch Heubachs — benedictio eng aneinander gebunden, der Auseinanderfall von ordinatio generalis und specialis und ihre gegenseitige Abwertung oder Verdrängung vermieden. Das fatale Schema Allgemeines-Besonderes ist jedenfalls ausgeschieden.

In dieser Linie hat die alte Kirche grundsätzlich das Problem des Verhältnisses von Amtsperson und konkreten Auftrag zu lösen unternommen. Daher das strenge Versetzungsverbot bei Vermeidung der Exkommunikation und Nichtigkeit aller Amtshandlungen. Sohm hat gezeigt, welche Schwierigkeiten die rational-folgerichtige Durchführung dieses Grundsatzes mit sich gebracht hat. Immerhin ist das Problem ein Jahrtausend lang in den Formen der Zeit gelöst worden.

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Die Frage besteht auch für unser, für jedes Ordinationsrecht. Die Lösung kann nur unter unbedingtem Ausschluß des Schemas „generell-speziell” gesucht werden. Sie kann aber wohl keine explizite sein. Deutlich kann gezeigt werden, daß das Verhältnis von ordinatio und missio, von personaler Vollmacht und konkretem, situationsbedingten Auftrag, von Person und Sache ein mindestens dialektisches, wenn nicht komplementäres ist. Je einseitiger auf die Person gesehen wird, desto mehr wird die Sache verfügbar, je mehr auf die Sache gesehen wird, desto mehr verschwindet der personale Charakter der Vollmacht. Heubach bildet gelegentlich für den gemeinten lutherischen Amtsbegriff die monströse Bezeichnung „personal-funktional”.131 Der Kontext zeigt jedoch eindeutig, daß er sich des antinomischen Charakters dieser Verbindung keineswegs bewußt ist. Denn tatsächlich überwiegt der funktionale Charakter entscheidend den personalen. Das volle Gewicht der personalen Ordination ist nicht in substanziellen Vorstellungen auszudrücken, aber um so entschiedener festzuhalten, weil seine Vernachlässigung das vielfältige Gefüge der Ordination im weiteren Sinne in Unordnung bringt und das Amt entleert. Die tieferen Gründe für den radikalen Versucht, von der Person im Amte gleichsam abzusehen, wurden schon in der Auslegung der Rechtsrollen im Abendmahl aufgedeckt.132 Solange das so bleibt, ist der vom Dienstgedanken verschleierte lutherische Amtsbegriff nur eine Korrespondenzbildung zum absoluten ordo, der lateinischen Tradition und der Subjekt-Objekt-Spaltung verhaftet.

Sohm, der von ihm vorzugsweise bekämpfte und als endgültiger Abfall von der Urkirche bezeichnete Neukatholizismus, und schließlich der lutherische Neuorthodoxe Heubach sind sich nun darin einig, daß sie sich nicht an den Grundsatz vom liturgischen Kirchenrecht halten, weder Sohm, der ihn als Grundlage des älteren Kirchenrechts dargestellt hat, noch die Träger der lateinischen Tradition bis hin zu Heubach. Es geht ja nicht darum, die vielfältigen Charismata um ihrer selbst willen zur Entfaltung zu bringen, sondern sie in den Dienst des Auftrages der Kirche zu stellen, ihren Gottesdienst, in dem dieser Dienst, mit Barth zu reden, seine „distinkte” Mitte hat. Dieser fand frühzeitig seine große Form im eucharistischen Gottesdienst, dem alle Kräfte in je eigener Rolle eingeordnet wurden, dessen zielgerichtetes Geschehen den Maßstab dieser Einordnung abgab. Solange diese Struktur nicht als Unterlage, als Bezugspunkt der Ordination dient, kann diese nur als habituell oder als funktional, als beliebig einsetzbar durch die Verfügung der missio verstanden werden. Was an der Ämterlehre durchhält, kann nur aus der Interpretation der Rollen und Relationen im gottesdienstlichen Vollzuge ermittelt und sinngemäß gestaltet werden. An dieser Stelle treten also die Gedanken in ihr Recht, die schon bei der Erörterung des Begriffs Priestertum in Kap. IV wie in der Auslegung des Missionsbefehls

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als Ordnung der Nachfolge (Kap. V/1) sowie der Strukturelemente des Abendmahls (Kap. V/3) entwickelt wurden.

Vor diesen Maßstäben besteht die Tradition der „drei Ämter” Bischof, Presbyter, Diakon, nicht schlecht, und zwar je weniger sich damit eine explizite Bestimmung ihres Verhältnisses verbindet. Die herkömmliche Stufenfolge Diakon-Presbyter-Bischof ist, wie bereits erwähnt, noch keineswegs theoretisch abgeklärt. Anstelle der Stufenfolge könnte man auch sagen, daß der Bischof zwischen Diakon und Presbyter in der Mitte, im Zentrum steht, oder das Presbyter und Bischof beinahe eine einzige Rolle mit einem Januskopf seien — nach verschiedenen Richtungen blickend. Diese Mittelposition des Bischofs und ebenso seine Blickwendung ad hominem (s. Kap. IV) hat ihm seine regimentlichen Funktionen und damit das endliche Übergewicht über den Presbyter verschafft. Weder mit der prinzipiellen Gleichheit noch der ebenso prinzipiellen Ungleichheit wird dieses eigentümliche geschichtliche und sachliche, d.h. am Gottesdienst orientierte Verhältnis zulänglich umschrieben. Von der Auslegung der Rollen kommt man dann auch zur Einsicht, daß diese drei Ämter sich in der Aussonderung kraft Ordination wie innerhalb der Gemeinde allgemein darstellen (Kap. IV). Wenn es doch nur gelänge, die leidige Konkurrenz zwischen „Klerus” und „Laien” von Grund auf aufzuheben! Der Weg dazu geht nur über die entschlossene Differenzierung. Denn die Betonung des besonderen Priestertum hat zur Beiseitestellung der Gemeinde, die Lehre vom allgemeinen Priestertum zur Entleerung des Amtes geführt. Eine Gemeinde, die sich der Vielfältigkeit ihrer eigenen besonderen Dienst bewußt wäre, könnte auch ganz anders die Vollmacht des Amtes respektieren.

Sohm hat den Unterschied zwischen den noch ungeformten Ämtern der Urgemeinde und der Stufung des ordo einseitig negativ gesehen. Daß sich die Ämter so präzis ausbildeten, ist nicht nur Verhärtung, sondern ebenso „Geist der Frühe”, der mit unerschöpfter Prägekraft etwas ganz Bestimmtes schafft, gibt und in langer Dauer durchhält. Aus dieser Formkraft hat gerade die missionierende Kirche eine Art „Antriebsüberschuß” gewonnen.

Auch heute kann die relative Ordination in ihrem wesentlichen Sinn verwirklicht werden. Sie ist nicht abhängig von einer archaischen Form wie der bald durchbrochenen Unversetzbarkeit. Der Vikar sollte am Ende seiner Lehrzeit nicht irgendwo, „absolut” ordiniert werden, um dann ebenso irgendwo eingesetzt zu werden. Es sollte seine Ordination im Zusammenhang mit seiner Wahl auf die erste Gemeinde erfolgen. Zu den (Teil-)Verrichtungen, die ihm schon vor dem zweiten Examen in der Ausbildungszeit übertragen werden, sollte er ordiniert werden. Die Vorstellung einer „Unteilbarkeit des Amtes” — im Reflex des „Einen Amtes” ist angesichts der biblischen Diakonenordination nicht haltbar. Der sog. Personalismus und das sog. Gemeindeprinzip haben

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weder zur Achtung vor dem personalen Charakter der Ordination, noch zur Wahrung ihres Zusammenhanges mit der Gemeinde geführt: in dem Maße, in welchem geistliches, gottesdienstliches Handeln als wirkliches Geschehen begriffen wird, werden sich Auftrag und Vollmacht, Sache und Person gegenseitig tragen.

Das strenge Verbot des Koncils von Chalcedon (Canon VI): „medena de apolelymenos cheirotoneisthai” hat seine bleibende Bedeutung, Person und Amt zusammenzuhalten, es weder römisch zu objektivieren noch protestantisch zu funktionalisieren. Beides entspricht einander, ist eines Geistes.

Nach alledem kann, wenn man weiß, was man tut, die missio als drittes Glied des Gesamtvorgangs der Ordination wohl stehen bleiben. Sie erinnert mit ihrem eschatologischen und teleologischen Zug daran, daß die Gemeinde immer nicht nur eine schon konstituierte, sondern eine zu konstituierende ist, der aufzuhelfen ist, wie die Apostel die von ihnen gegründeten Gemeinden gestärkt und durch Sendboten ermahnt haben. Es ist nicht ohne Grund, daß die Missionsgebiete nach römischem Kirchenrecht unter Missionsrecht, d.h. einem höheren Maß eingreifender Leitung stehen als die volleingerichteten, sich wesentlich selbst versorgenden und erhaltenden älteren Diözesen. Aber man muß bedenken, daß ein Überwiegen des Missionsrechts der besonderen Sendung, des freien Eingriffs so weit gehen kann, die geschehene Mission als Geschichte aufzuheben, alles in das diskretionäre Entscheiden zu stellen, die regelmäßige Struktur gerade des pneumatischen Rechts außer Kraft zu setzen.

Die 39 Artikel der Kirche von England behandeln die Frage der Ordination in den Art. XXIII und XXXVI, also in zwei weit von einander entfernten Abschnitten. Art. XXIII handelt in deutlicher, wörtlicher Anlehnung an CA XIV unter dem Titel „de ministrando in ecclesia” von der Notwendigkeit des Amtes überhaupt, Art. XXXVI bestätigt die Gültigkeit des unter Eduard VI. eingeführten Ordinationsformulars (libellus de consecratione Archiepiscoporum et Episcoporum et de ordinatione Presbyterorum et Diaconorum editus nuper temporibus Edwardi VI et auctoritate Parliamenti illis ipsis temporibus confirmatus). Die Theologie der anglikanischen Bekenntnisschriften erörtert beide Artikel aus sachlichen Gründen zusammen.133

Art. XXIII beginnt fast genau wie CA XIV: „Non licet cuiquam sumere sibi munus publice praedicandi aut administrandi Sacramenta in ecclesia”, — um dann in einer höchst bemerkenswerten Weise anders zu enden, nämlich: „nisi prius fuerit ad haec obeunda legitime vocatus et missus”. Das „legitime” wird im zweiten Satz dahin erläutert, daß die vocatio und missio von Leuten vollzogen sein muß, denen diese Befugnis in der Kirche „publice concessa est”.

Der Artikel ist ein Kompromiß zwischen Lutheranern und Anglikanern

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in gemeinsamer Abwehr der Wiedertäufer und ihrer Ablehnung des öffentlichen Amtes. Die sonst ziemlich unbestimmte Formulierung zeigt jedoch, daß eine völlige Übereinstimmung nicht erzielt ist. Die anglikanische Kirche interpretiert diesen Artikel ausdrücklich im Zusammenhang mit Art. XXXVI und in seinem Lichte. Hier ist ausdrücklich als biblische und apostolische Lehre und Tradition die Lehre von den drei Ämtern übernommen. Die nach dem Ritual Edwards VI. consekrierten und ordinierten Amtsträger werden unter Abwehr des Vorwurfs, es enthalte etwas Abergläubisches oder Unfrommes („superstitiosum aut impium”) für rechtmäßig erklärt. Die Vorrede zu einer Neufassung134 im Jahre 1661 sagt, daß niemand als rechtmäßiger Bischof usw. in der Kirche von England angesehen werden sollte, der nicht nach dieser Vorschrift „berufen, geprüft und zugelassen sei, nach der nachfolgenden Form oder derjenigen, die sie als bischöfliche Consecration oder Ordination bisher gehabt hat”.

Der Kommentar wendet sich hier gegen die römische Kritik an den anglikanischen Weihen. Diese beruft sich darauf, daß eine konkrete Bezeichnung des Amtes erst nachträglich, 1661, in das Ritual eingeführt worden sei.

Systematisch interessant ist, daß neben der vocatio der traditionelle Begriff der missio (canonica) zu stehen kommt, der in den lutherischen Bekenntnisschriften völlig fehlt. Eine Verhältnisbestimmung beider ist freilich weder erkennbar noch wird sie in der Kommentierung gegeben. Indem nun Art. XXIII und Art. XXXVI zusammengenommen werden, sind alle drei Elemente des Ordinationsvorgangs — vocatio, consecratio und missio rezipiert und erhalten. Das Verhältnis beider Artikel zueinander wird ebensowenig erörtert und erklärt, wie dasjenige von vocatio und missio. Es ist eine pragmatische Lösung, die in vieler Hinsicht aus der Zeitlage zu verstehen ist. Sie läßt auch deutlich den Wunsch der Anglikaner erkennen, die gute Tradition der Kirche mit den Erkenntnissen der Reformation zu verbinden, die Tradition nicht zu zerbrechen, sondern sie zu reinigen. Trotzdem hat dieser maßvoll-ausgleichende und kompromißhafte Pragmatismus gleichsam unter der Hand mehreres grundsätzlich Wichtige erreicht:
1. die Erhaltung aller drei Momente der Ordination, die nicht erst, wie die Arbeit von Heubach deutlich macht, mühsam rekonstruiert werden müssen,
2. die bloße Nebeneinanderstellung beider Artikel genügt, um durch die Rückbeziehung der consecratio auf die vocatio die absolute Ordination im Grundsatz auszuschliesen. Denn die vocatio ist das, was dem römischen Kirchenrecht verlorengegangen ist.
3. Ohne Verletzung des in Art. 6 ausdrücklich übernommenen Schriftprinzips ist ein Bruch mit der Tradition, aber auch jener Apriorismus vermieden, welcher nötigt, aus sehr knappen und vieldeutigen

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Bekenntnisformulierungen wie etwa eben CA XIV das für das Leben der Kirche Notwendige zu deduzieren.
4. Mit der Ersetzung des problematischen „rite” durch das engere, aber klarere „legitime” stellt die Kirche von England ihre innere Freiheit unter Beweis, das der Kirche gemäße Recht zu bilden und zu handhaben. Bis heute bezeichnet die Kirche von England ihr Recht unbefangen als canon law, und hat es als ihr eigenes planmäßig weitergebildet.