3. Die Ordination nach den hauptsächlichen Ordinationsformularen

Für die Weiterverfolgung unserer Frage ist zuallererst die Auslegung der entsprechenden liturgischen Texte, der tatsächlich gebrauchten Ordinationsformulare wesentlich. Sie müssen zwar im Kontext der theologischen Lehre ihrer Zeit und der dogmengeschichtlichen Entwicklung verstanden werden, aber doch in sich selbst verständlich und auslegbar sein. Was sie nicht enthalten und erkennbar intendieren, kann keine theologische Theorie nachbringen. Es kann auch ihre verbindliche Bedeutung nicht von einem in jeder Hinsicht durchgebildeten und gesicherten theologischen Consensus abhängig gemacht werden: sie müssen schon für sich stehen. Drücken sie auf der einen Seite bestimmte theologische Lehren aus, so begrenzen sie diese doch insofern, als das nicht konkret Ausdrückbare und Vollziehbare dabei stillschweigend beiseitetritt; insofern haben sie auch eine kritische Funktion.

Die Behandlung des Ordinationsproblems ist bisher einseitig von der Ordinationslehre ausgegangen. Es wurde vorausgesetzt, daß bei

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Klärung der Lehre über die Ordination deren Form eben einfach dem folge: die Lehre und das theologische Bewußtsein erschienen als das esse der Kirche, welchem das operari dann folge. Die Gestaltungen fanden deshalb regelmäßig Interesse nur als Mittel zur Erhellung der Lehre, und zwar der eigenen, konfessionsverwandten. Die Formgeschichte des Volzuges trat demgegenüber ganz zurück.

Die altkirchliche Ordination hat ihre einfache Grundform in der Zusammenordnung von Wahl und Weihe in einer mehraktigen gottesdienstlichen Versammlung. Die verschiedenen Akte verbinden sich in diesem Gesamtvorgang so sehr, daß es den Betrachtern nicht immer gelungen ist, die Elemente in ihrer Besonderheit mit unverkürzten Verständnis zu unterscheiden. Im Laufe der Geschichte wurde jedoch die kanonische Wahl von der Weihe getrennt, aus dem Gottesdienst herausverlagert. Deswegen mußten ihre Ergebnisse in den nunmehr verkürzten Ordinationsvorgang eingeführt oder in anderer Weise ein Surrogat geschaffen werden, welches die Auswahl gerade dieser Ordinanden begründete und rechtfertigte.

Seit 1485 ist mit der Schaffung des Pontificale Romanum eine einheitliche Handhabung der Ordination angestrebt worden. Diese maßgebliche Fassung ist mit relativ geringen Änderungen bis heute in der römischen Kirche in Kraft und zwar diejenige, mit der sich die Reformatoren auseinandersetzten, die ja selbst Weihen nach dieser Ordnung empfangen hatten.

Ich vergleiche hier
1. das Pontificale Romanum (= PR)
2. den Libellus de consecratione archiepiscoporum et episcoporum, et de ordinatione presbyterorum et diaconorum Eduards VI von 1550, rezipiert durch den in der Form von 1563 geltenden Art. XXXVI der 39 Artikel der Kirche von England, ergänzt 1661, abgedr. im Common Prayer Book (= A)31
3. Luthers Ordinationsformular nach: Lieberg, Amt und Ordination bei Luther und Melanchthon, Erl. Diss. 1959 (= L)
4. Die Agende IV der Ver. Ev. Luth. Kirche Deutschlands (Geleitwort von C. Mahrenholz), welche an Luthers Ordnung sich anschließt und in wesentlicher Übereinstimmung mit lutherischen Kirchen außerhalb Deutschlands steht (= IV).

Die genannten Ordnungen haben folgenden Aufriß:

PR: 1. Aufruf der Ordinanden A: 1. −
  2. Präsentation derselben durch den Archidiakon an den Bischof als Ordinator   2. wie PR
  3. Zeugnis der Würdigkeit durch den Archidiakon   3. wie PR

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PR: 4. Befragung des Volkes A: 4. wie PR — Abendmahlsgottesdienst mit bezügl. Lesungen (Eph. 4, Matth. 9, Joh. 10)
  5. Belehrung der Ordinanden   5. wie PR
  6. Benediktionsgebet (Anrufung d. Heiligen)   6. Examination und Befragung
  7. Gebet um den Geist und schweigenden Handauflegung   7. veni creator
  8. Weihepräfation: in ihrem Zentrum Gebet um den Geist   8. Präfation und Gebet umd den Geist, ähnlich PR 8
  9. Überreichung der priesterlichen Gewänder   9. Handauflegung mit „accipe” für Predigt, Sakramente und Schlüsselgewalt
  10. Salbung   10. Übergabe der Bibel und Übertragung der Autorität zu predigen und die Sakramente zu verwalten
  11. Übertragung der Opfergewalt — Sodann folgen Offertorium und Canon der Messe —   11. Credo
— Fortsetzung der Messe
  12. Berufung zur Teilnahme am bischöflichen Amt   12. Benediktionsgebet
  13. Credo    
  14. Übertragung der Schlüsselgewalt mit Handauflegung (accipe...)    
  15. Vollendung der Einkleidung    
  16. Gelöbnis der reverentia und oboedientia    
  17. Schlußvermahnung und Zitation von Joh. 1    
       
    IV: Predigtgottesdienst bis zum Gebet nach der Predigt
L: 1. Gebet der Gemeinde nach der Predigt für die Ordinanden und alle Diener   1. Vorstellung der Ordinanden ohne Befragung der Gemeinde

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L: 2. Gebet der Ordinatoren um den Geist, Chor „veni sancte spiritus”, Kollekte um den Geist IV: 2. Litanei oder Lied
  3. Schriftlektion (Taufe, Vokation, Amtspflichten, 1. Tim. 3, Acta 20)   3. Schriftlesungen Matth. 28, Joh. 20, 2. Kor. 5, Eph. 4, 1. Tim. 3/4
  4. Ermahnung und Befragung   4. Befragung der Ordinanden
  5. Handauflegung, Ordinationsgebet um den Geist aus Vaterunser und Paraphrase der ersten drei Bitten, Bezugnahme auf Matth. 9 unter Einschuß des ganzen (schon ordinierten) Ministeriums   5. Vaterunser u. Gebet um den Geist mit Handauflegung
  6. Amtsbefehl mit 1. Petr. 5   6. Überantwortung des Amtes
  7. Benediktion und Segenswort — Gemeinde: nun bitten wir ... Vaterunser, Abendmahl   7. Übergabe der Hl. Schrift
      8. Sendung und Benediktion — Fortsetzung des Gottesdienstes (Abendmahl)

Hier sind die Formulare für die Presbyterordination der römischen und anglikanischen Kirche mit denjenigen für das lutherische Pfarramt verglichen worden. Im Verhältnis zu diesen abendländischen Formen ist der entsprechende ostkirchliche Ritus ungleich einfacher. Der Ordinand wird vom Archidiakon und einem Diakon schweigend hineingeführt. Er kniet am Alter nieder, der Bischof bedeckt ihm das Haupt mit seinem Homophorion, segnet ihn dreimal. Ohne weitere Überleitung erfolgt nun die Handauflegung mit einem Segensgebet, nach diesem erneut dreifache Senung, und eine zweite Handauflegung mit einem zweiten, direkt auf das Amt bezüglichen, epikletischen Gebet. Sodann spricht ein Erzpriester ein Kollektengebet. Damit ist die eigentliche Ordinationshandlung bereits abgeschlossen. Die weiteren Gebete setzen bereits voraus, daß der Ordinand schon Priester ist. Neben einer Reihe symbolischer Handlungen ist dann nur noch von Bedeutung, daß am Ende, kurz vor dem Übergang in die Feier der Messe, zweimal das dreifache „axios” von allen Anwesenden ausgerufen wird: eine Akklamation als kirchenrechtlicher Rezeptionsakt. Eine vorgängige Bezugnahme

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auf eine Wahl erfolgt nicht, da jedenfalls nach dem hier wiedergegebenen Rechtsstande die Promotion des Diakons zum Priester in der Entscheidung des Bischofs liegt. Der gemeindliche Bezug ist nur in der Akklamation erhalten. Eine Übertragung der Amtsgewalt oder ähnliche Akte finden nicht statt: der Ordinationsakt enthält als solcher alles, was intendiert wird.

Für das Verständnis der römischen Presbyterordination ist wesentlich, daß als konstitutiv angesehen werden die (erste) Handauflegung (als „materia”), die Worte der Präfation (als „forma” sacramenti). Die übrigen, insbesondere die symbolischen Riten werden als solche juris ecclesiastici verstanden und könnten unterbleiben. Die auffällige zweite Handauflegung mit dem „accipe” und der Verleihung der Schlüsselgewalt haben trotz ihrer sakramentalen Form nur deklaratorische Bedeutung und enthalten andererseits in eigenartiger Vermischung der Handlungsweisen die Übertragung jurisdiktioneller Befugnisse, welche vom sacramentum ordinis getrennt vorgestellt werden.32

Das Bild wäre ohne einen kurzen vergleich der Presbyterordination mit der Bischofsweihe unvollständig. Dieser kann freilich nur für die bischöflichen Kirchen voll durchgeführt werden, während Luther nach der Gleichung Pfarrer = Bischof nur ein Formular hat und die Agende IV neben der Ordination zum Amt nur eine Einführung des Bischofs kennt.33

Gemeinsam ist den drei Formularen der griechischen, römischen und anglikanischen Kirche, daß der Ordinand als „Erwählter” bezeichnet wird. Die Erwählung erscheint als ein Rechtsstand, der jedoch verschieden interpretiert wird. Im griechischen Formular bezeugt schon bei der Vorstellung ein Kleriker die Wahl und die Bestätigung der Wahl (offenbar ist der Metropolit oder Patriarch als Bestätigender vorausgesetzt). Sodann beruft sich der Ordinand ausdrücklich auf Befragen des Ordinators auf die Wahl durch den Klerus. Die Bezugnahme auf die Wahl (durch den Klerus) als Rechtsgrund der Weihe erfolgt noch ein drittes Mal, durch den Ordinator selbst. Am Ende der Handlung erfolgt auch hier die Akklamation des „axios”.

In allen drei Akten wird der Bischofssitz der Stadt genannt, auf den er gewählt ist. Die doppelte Relation des Amtes: die kanonische Wahl und Vokation als Herkunft und die Bindung an eine bestimmte Gemeinde als Ziel kommt also in der Ordnung zum Ausdruck, obwohl diese relativ späten Formulare keine unmittelbare aktive Mitwirkung der Gemeinde aufweisen. In den abendländischen Formularen wird an Stelle dessen vielmehr das Vorliegen des apostolischen (päpstlichen) bzw. königlichen Mandats erfragt. Sodann erfolgt die römische Konsekration ohne Bezugnahme auf einen bestimmten Sitz. Die anglikanische Form dagegen, wiewohl in der Ersetzung der Wahl ganz analog aufgebaut, kehrt zur relativen Ordnung zurück, indem auf einen namentlich genannten Sitz geweiht wird. Die eigentliche Weihehandlung besteht

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auch hier in der Verbindung mehrerer Gebete mit der Handauflegung. Dies hat hier die positive Form des „accipe spiritum sanctum”… Die Verleihung oder Bezeichnung einer spezifischen potestas wie beim Presbyter erfolgt nicht, wenn sie nicht in den symbolischen Handlungen der Überreichung von Ring, Stab usw. als eingeschlossen anzusehen ist.

Luther und die lutherische Kirche hat, wie gesagt, nur eine Ordinationsform für das abstrakt gefaßte eine Amt der Kirche. Neben der Ordination gewinnt eine spezielle Einführungshandlung Raum und ein höheres Gewicht, als (nicht spezifisch liturgische) Installationshandlungen, wie sie auch in der römischen Kirche ausgebildet sind. Ordination und Einführung treten mehr oder minder ausdrücklich in ein Verhältnis von allgemeinem und speziellem Handeln.

Neben der allgemeinen Ordination versteht sich die auf die Übertragung des Bischofsamt bezügliche Handlung nicht als Ordination, sondern als Einführung und ist mit der Einführung in das Pfarramt in IV sinngemäß gleich gestaltet. An die Stelle der dort gebrauchten Wendung „überantworten wir dir das Amt der Kirche, segnen, ordnen, senden dich”, treten die Worte „ordnen und bestätigen” unter Nennung des konkreten Amtes. Infolgedessen hat bei dieser Konkretisierung die Berufung auf die vorangegangene kirchenordnungsmäßige Wahl und die Befragung der Gemeinde bzw. der Geistlichen der Diözese ihren Platz, also alles das, was bei der Ordination so auffällig fehlt. Jedoch erfolgt auch hier Handauflegung mit Gebet unter vorgängiger Zitation auf das Amt bezüglicher Schriftstellen. Das konkrete liturgische Handeln unterscheidet sich in Ordination und Einführung also nicht grundsätzlich. Die Einführung konkretisiert einerseits die abstrakt-absolute Ordination, sie stellt sie zugleich dadurch in Frage, daß trotz der anerkannten Unwiederholbarkeit derselben der gleiche Ritus noch einmal vollzogen wird. So nahe sich die Handlungen stehen, so verschieden sind die Intentionen: in der Ordination soll kraft göttlicher Stiftung das Amt der Kirche überantwortet werden, in der Einführung lediglich eine Amtseinweisung kraft menschlichen Rechtes erfolgen.

Zu beachten ist die Entwicklung, welche die subjektive Seite, die Beteiligung des Ordinanden an der Handlung durchmacht. In den orthodoxen Riten wird der Ordinand auch selbst befragt, was er begehre. Er beruft sich auf die vorausgegangene Wahl. Der Vorgang steht also noch sinngemäß im jurisdictionellen Bereich der Vocatio. Dann aber legt er das volle Glaubensbekenntnis ab. Das Moment der Willenserklärung fehlt hier oder tritt zurück. Der Charakter der Homologie als Selbstdarbietung zur Indienstnahme ist also erhalten.

Im PR fällt beides bei der Presbyterweihe fort. Der Bischof dagegen muß einen kirchlichen Gehorsamseid leisten und wird dann in einer Umkehrung des Bekennntisaktes über die Hauptstücke des trinitarischen Glaubens befragt. Ähnlich in A.

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In den lutherischen Formen folgt auf die Schriftlesungen eine Befragung der Ordination über die Bereitschaft zur Übernahme des Amtes. Diese Erklärung wird in der Einführungshandlung in IV ausdrücklich als „Gelübde” in Bezug genommen.

Das Credo folgt in allen abendländischen Formen erst im anschließenden Gottesdienst. Die Rationalisierung ist in diesen deutlich. Aber erst in den lutherischen Formen — in der Kirche des sola gratia! — gewinnt das Willensmoment diese Bedeutung und Stellung. Personale Oboedienz und Bekenntnis sind hier sehr knapp und interpretationsbedürftig in einem funktionalen Verständnis zusammengeflossen. Da die Frage an die Stiftungsworte anschließt, fühlt man sich an das eperotema von 1. Petr. 3 erinnert, die Vertragsfrage der sponsio, und die Mißdeutungen, die sich daran in der Tauflehre angeschlossen haben (s. Kap. V). Der verbreitete Irrtum, daß das Gelübde die Ordination trägt, ist so kaum zu vermeiden. Denn in welche Zuordnung führt der Akt (abgesehen von der Standesgemeinschaft, die wie wir sehen werden, eine unverhältnismäßige Bedeutung gewonnen hat) denn nun hinein? Die ethische Struktur der Verpflichtung erklärt das nicht.

Bemerkungen zur Interpretation:

a) Ordination und Vokation

Der Vergleich zeigt, daß das Verhältnis von Wahl und Vokation zur Ordination nicht nur höchst unterschiedlich zum Ausdruck kommt, sondern nicht einmal mehr als Thema und Aufgabe überall festgehalten wird. Auch die orthodoxen Riten haben die Wahl nicht in der Handlung festgehalten und nehmen allein bei der Bischofskonsekration auf sie Bezug.

Überall ist die Ordination wie in dem Bischofswahlbericht der apostolischen Konstitutionen entsprechend einer gesamtkirchlichen Tradition eine gottesdienstliche Handlung vor versammelter Gemeinde. Hierin liegt kein Unterschied zwischen bischöflichen Kirchen und reformatorischer Ordnung. Aber nirgends ist mehr der ganze Verlauf der Amtsbestellung in diesem Geschehen vor der Versammlung vereinigt. Es findet vielmehr keine kanonische Wahl mehr statt. Die kanonische Wahl wird ursprünglich von der gesamten ekklesia (Klerus und Volk) ohne Unterscheidung uno actu et sensu vollzogen. Die Befragung durch den Bischof als Ordinator dient dazu, die Maßstäbe kanonischer Wahl ins Gedächtnis zu rufen und das Gewissen für diese jurisdiktionelle Entscheidung zu schärfen, welche ausdrücklich als eine richterliche bezeichnet wird, die hier von der Versammlung zu treffen ist. Gleichzeitig wird von der Versammlung ein Zeugnis der Geeignetheit erfordert, auf Grund dessen die ordinierenden Bischöfe — sofern sie nicht selbst einen Hinderungsgrund sehen — zur Handauflegung schreiten. Eigenes, geistliches, maßgebliches Urteil der Gemeinde, welches die Gaben Gottes

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bei dem Ordinanden erkennt und anerkennt und sich damit selbst zum Gehorsam verpflichtet, und Zeugnis als Grundlage für Urteil und Handeln der Bischöfe fallen also in eines zusammen. Die Wahlhandlung selbst ist nun überall, auch bei den neueren Fassungen der orthodoxen Formulare, aus dem Vollzug selbst ausgeschieden. Die Kirche hat nirgends mehr die Unbefangenheit, aber auch die Disziplin, um den Wahlakt einschließlich möglicher Meinungsverschiedenheiten in dem Verlauf der gottesdienstlichen Handlung darin zu behalten. Sachlich entscheidend aber ist die Frage, in welchem Verhältnis die Wahl nun zur Ordination zu stehen kommt, ob sie noch konstitutive Voraussetzung ist, ob sie irgendwie in Bezug genommen oder ersetzt wird, oder völlig verschwindet. Zu beachten ist dabei die unterschiedliche Behandlung von Presbyter und Bischof. Eine so deutliche Differenzierung der Weiheformen von Presbyter und Bischof, wie wir sie hier überall vorfinden, ist den altkirchlichen Ordnungen ganz fremd. Die Kirchenordnung Hippolyts (can 30/32) verhält sich ausdrücklich darüber und beschränkt den Unterschied auf die Verleihung der Weihevollmacht an den Bischof.34 Eine schematische Übersicht ergibt ein sehr eigentümliches Bild:

  Presbyter: Bischof:
Orthodoxe (einschl. Unierter): Ernennung Wahl wird in Bezug genommen
Lateinische Katholiken: Befragung des Volkes Ernennung durch apostolisches Mandat
Anglikaner: Befragung des Volkes Ernennung durch königliches Mandat
Lutheraner: Einheitsordination ohne Bezug auf Wahl. Vocatio nur in Gestalt des Verweises „auf bestandene Vorbereitung”. Bezug auf Wahl und besondere Befragung der Gemeinde in den Einführungshandlungen, welche Ordination voraussetzen.

Im strengen Sinne konstitutiv für die Ordination ist die Wahl also nur noch beim orthodoxen Bischof einschließlich der Unierten. Einen Übergang von den altkirchlichen Formen (mit vollem Wahlakt) zur Form des PR mit Präsentation und Befragung des Volkes stellen die gallikanischen Riten der zweiten Hälfte des 1. Jahrtausends dar, die weitgehend mit den römischen Formen verschmolzen worden sind. In dieser Fortbildung sind aber gerade die Elemente der kanonischen Wahl zurückgebildet worden. Jedoch finden sich in PR und A Reste der kanonischen Wahl. Vom Archidiakon als dem für den Diözesanklerus verantwortlichen ersten Mann wie von der Gemeinde wird das Zeugnis der Eignung erfragt. Aber im Gegensatz zur alten Kirche sind Klerus und Volk in dieser Befragung getrennt. Es fallen auch Zeugnis und Wahlurteil nicht mehr zusammen. Das Zeugnis wird für die Entscheidung

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des Ordinators erfordert. Eine eigene Entscheidung dieser Zeugen liegt nicht mehr vor. Es gibt nur noch die Möglichkeit, Hinderungsgründe geltend zu machen, eine Art kanonisches Aufgebot. Im PR ist der Akt ganz formalisiert: es wird nicht mehr damit gerechnet, daß ein Einspruch erfolgt, und zwar gerade wegen der Öffentlichkeit. So wie das Placet der Kardinäle zu neuen Kreationen im öffentlichen Konsistorium nur noch eine Form ist, während ehedem im geheimen Konsistorium hart um die Ernennungen gerungen wurde, so ist diese Befragen nur noch eine freilich nicht unwesentliche Erinnerung an die kanonische Mitwirkung der ekklesia. Im Gegensatz zur PR sieht die anglikanische Form ausdrücklich vor, daß bei ernstzunehmenden Einwänden die Handlung bis zur Klärung unterbrochen werden soll.

In den lutherischen Ordnungen finden sich dagegen keine Reste der Wahl. Sie ist weder in den Gottesdienst zurückgeführt noch wird sie als geschehene in Bezug genommen noch sonst eine Mitwirkung der Gemeinde bei der Entscheidung zum Ausdruck gebracht. In IV wird lediglich kurz auf die vollzogene kirchenamtliche Prüfung hingewiesen. Die Ordination geschieht wie von jeher in und vor der Gemeinde. Aber diese wirkt allein als Gebetsgemeinschaft und als Forum der Kundbarmachung. Es ist mir daher unverständlich, wie das Begleitwort zur Agende IV (Mahrenholz)35 in Auseinandersetzung mit der katholischen Ordination sagen kann:

„In der alten Kirche konnte es … nur einen Akt der Amtsübertragung geben, weil ein Wechsel von einer Gemeinde zur anderen in gleicher Amtsstellung nicht üblich war und der einmal installierte Gemeindebischof bis an sein Lebensende in der gleichen Gemeinde blieb. Aus dieser Amtsübertragung hat sich die ,Weihe’ als Sakrament entwickelt, wie sie heute noch in der römisch-katholischen Kirche die herrschende ist … Die Reformation kehrt mit aller Konsequenz zu dem urkirchlichen Gedanken der gemeindlichen Installation als dem Schwerpunkt der Amtsübertragung zurück.” 36

Der altkirchliche Tatbestand ist hier nicht zutreffend dargestellt.
1. Die Unversetzbarkeit des Bischofs war nicht nur nicht „üblich”, — die Versetzung war vielmehr strikte verboten und machte Amtshandlungen auf der neuen Stelle nichtig. Es liegt auf dieser Auffassung ein ganz anderes Schwergewicht.
2. Es hat sich nicht aus dieser Art der Amtsübertragung die sakramentale Weihe entwickelt, vielmehr ist gerade schon diese unlösbare Verbindung des Bischofs mit der Gemeinde, aber auch jede andere Ordination in dieser Zeit als sakramentale Handlung gestaltet und verstanden worden. Was sich daraus entwickelt hat, ist die heutige in der römischen Kirche nicht nur „herrschende”, sondern im lateinischen Ritus gültige Form der absoluten Ordination.
3. Die Urkirche kennt keine Gemeindeinstallation in einem der lutherischen

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Form vergleichbaren Sinne. Vielmehr ist ihre geistverleihende, auch ohne die scholastische Sakramentslehre sakramental zu interpretierende Ordination ipso facto gemeindebezogen.

In den gezeigten Ordnungen der bischöflichen Kirchen beruht die Entscheidung zur Ordination allein beim orthodoxen Bischof auf der Wahl, sonst aber auf derjenigen des Ordinators bzw. des ihm vorgesetzten Kirchenoberhauptes und kann durch Einsprüche aus der Gemeinde (bei der Presbyteralordination der römischen und anglikanischen Kirche) gehemmt werden. Die lutherische form schließt sich der letzteren Tradition an, indem in ihrem Ordinationsformular die Entscheidung zur Ordination beim Ordinator bzw. den Ordinatoren liegt, wobei eine Ermächtigung oder Bestätigung durch ein diesen vorgesetztes Kirchenoberhaupt regelmäßig nicht in Betracht kommt. Dieser in sich vollständig ausgebildeten, selbst auf weitere Handlungen nicht verweisenden Ordination folgt jedoch dann die wesentlich analog gestaltete Einführungshandlung, innerhalb welcher sowohl die Vokation und Wahl zum konkreten Amt wie Akklamationshandlungen der Gemeinde in traditioneller Form ihren Platz haben. Die Rückkehr zur gemeindlichen Installation bedeutet also, daß an der autoritativen Ordinationsentscheidung, die ja eine Entscheidung über die vocatio impliziert, im Zuge der Tradition festgehalten, dann aber die gemeindliche Vokation in einem zweiten Akt für den bereits Ordinierten nachgebracht wird. Demnach ist die Ordination nicht mehr, wie die römisch-katholische „absolut”, d.h. unter Ablösung vom Gemeindebezug für sich bestehend, aber auch in sich vollgültig; sie ist vielmehr in dem Sinne abstrakt, daß sie auf eine Konkretion in der Einführung angewiesen ist, ohne dies jedoch selbst zum Ausdruck zu bringen. In dieser systematischen Bedeutung ist die Verdoppelung der Handlungen ein kirchengeschichtliches Novum. Mahrenholz behauptet, Luther habe seit 1535 (d.h. seit dem Beginn der ständigen Ordinationstätigkeit in Wittenberg auf Grund eines kurfürstlichen Auftrages) neben die kirchengemeindliche Installation die Ordination gestellt. Der Schwerpunkt dieses Aktes liege in der Feststellung der Geeignetheit und der Übertragung des Amtes durch die Gesamtkirche im allgemeinen; der Schwerpunkt des Einführungsaktes liege in der Anempfehlung (Commendatio) an die Gemeinde und in der Übertragung des speziellen Amtes, weshalb dieser Akt wiederholbar sei. Die gesamte kirchengeschichtliche und systematische Literatur zur lutherischen Amtslehre setzt jedoch die Akzente ganz wesentlich anders. Sie erwähnt, daß in den ersten Jahrzehnten der Reformation beträchtliche Schwankungen vorgekommen sind, man sich zum Teil mit einer Einführungshandlung minderer Bedeutung zu begnügen bereit war. Das faktische, nicht grundsätzliche Nebeneinander von Ordination und Einführung wird später als ordinatio generalis und specialis systematisch verarbeitet. Aber das Schwergewicht und der

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kontroverstheologische Vergleichspunkt für die Amtslehre der lutherischen Kirche liegt eindeutig bei der Ordination. Der Einführung wird ebenso eindeutig eine nur sekundäre Bedeutung beigemessen. Das ist sachlich darin vollkommen begründet, daß mit der Ordination die Amtsübertragung eben bereits vollzogen ist.

Daß jetzt die Einführung den Schwerpunkt bildet, ist eine Behauptung, die durch die Texte nicht bestätigt wird. Die Ordination hat nach wie vor ihr Gewicht darin, daß sie erstmalig und unwiederholbar ist, die Einführung darin, daß sie durch ihre wesentlich parallele Gestaltung die Bedeutung der Ordination ins Ungewisse zieht und den fundamentalen Gemeindebezug nachbringt. Anstelle der nur behaupteten Schwerpunktsetzung hätte das Verhältnis beider geklärt werden sollen. In Wahrheit baut diese Ordnung auf den gezeigten Entwicklung zur autoritativen Entscheidung über die Ordination auf, welcher von allen Formularen allein die orthodoxe Bischofsweihe widerstanden hat. Die Behauptung, man habe auf das altkirchliche Vorbild zurückgegriffen, ist in Wahrheit eine Art Entschuldigung für das Nachbringen des Gemeindebezugs. Die Form der Agende IV unterbietet also das altkirchliche Gemeinderecht ganz wesentlich. Eine altkirchliche Gemeinde würde eine solche Mitwirkung an einer Ordination nach Agende IV wegen Verletzung ihrer kanonischen Rechte unter Protest verweigert haben. Erst die vergleichende Interpretation der weiteren Ordinationshandlungen liefert die Gesichtspunkte für die Klärung der hier entstehenden Fragen.

Die reformierte Kirche hält strikt das Amt als Institution göttlichen Rechtes aufrecht.37 v. Allmen entwickelt sehr präzise die verschiedenen nach dieser Anschauung notwendigen Elemente der Amtsübertragung:
1. Examen
2. Der Wahlmodus „comment de l’election”, als eines geistlichen Geschehens: Gebet um Erleuchtung. „l’octroi de l’autorité pastorale n’est pas une mesure interne d’organisation, la nomination d’un fonctionnaire ecclésiastique, mais un evénément, que Calvin ne craint pas d’appeler sacramentel”.38
3. Die Wahl durch eine Kongregation, eine Kirche.
4. Die Ordination durch Handauflegung, und zwar durch Pastoren, nicht durch die beratenden Ältesten (conseillers presbyteraux).

Die Ordonnances ecclesiastiques de l’Eglise de Geneve von 1561 (Art. 14/15) erwähnen die Handauflegung überhaupt nicht, sondern nur „déclaration et remonstrances” über das Amt sowie Fürbittengebet. Trotzdem ist positiv-biblisch an der Handauflegung festgehalten worden. Calvin weist sogar 1538 die Züricher Kirche auf ihre Notwendigkeit hin, die nicht durch die Obrigkeit unterdrückt werden dürfe, sie gehöre den ministris. Die Tatsache ist charakteristisch für die Ingerenz zwinglianischen Staatskirchentums. Ähnliches klingt bei dem Votum Melanchthons zu dem Frederus’schen Ordinationsstreit in Pommern an.

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Zu beachten ist die sehr behutsame und vorsichtige Weise, in der Calvin39 die Handauflegung bei der Ordination behandelt. Der fortwährende apostolische Gebrauch auch ohne formelle Stiftung solle so gut wie ein Gebot gelten. Nach einer Reihe wesentlich noëtischer Gesichtspunkte wird gesagt, sie werde kein leeres Zeichen sein, und weil der Geist Gottes in der Kirche nichts umsonst eingerichtet habe, würden wir die Erfahrung machen, daß sie nicht ohne Nutzen bleibe. Hier wie in den Ordonnances erscheint der Ausschluß des abergläubischen Gebrauchs betont wichtig. Der Respekt vor dem biblischen Tatbestand ist größer als in der lutherschen Bereitschaft, solche Dinge unter die adiaphora zu subsumieren, aber andererseits sehr viel rationaler. Der volle biblische Bedeutungsgehalt, den Lohse erschlossen hat,40 ist reduziert. Wir finden also keine ausgebildete liturgische Form mehr vor: weder Weihepräfation noch Zitation der Stiftungsworte. Der adhortative Charakter, der schon in der Begrenzung der Schriftstellen bei Luther angelegt ist, tritt noch mehr hervor. Die Handauflegung wird festgehalten, aber kann in der Kirchenordnung unerwähnt bleiben.

Auch hier taucht, von v. Allmen nicht weiter untersucht, die Ordination als relative nach der Wahl wie als absolute vor der Wahl auf. Im übrigen betont er die Verwerfung des Donatismus und die Lebenslänglichkeit des Amtes, welches gleichwohl bei Unwürdigkeit verlorengehen könne.

b) Die Ordinationshandlungen im engeren Sinne

Die Ordinationshandlungen können nicht in abstracto ausgelegt werden, sondern müssen in der Rollensituation betrachtet werden, die durch das voraufgehende Handeln eingeleitet und geschaffen ist.

In allen Formularen finden wir eine Einführung des Ordinanden. Mit Ausnahme der orthodoxen Presbyterordination, bei welcher diese schweigend geschieht, wird der Ordinand ausdrücklich durch andere zur Ordination präsentiert. In den bischöflichen Kirchen wird der Ordinand durch einen Kleriker dem Bischof als Ordinator, in den lutherischen Ordnungen durch den Ordinator selbst der Gemeinde vorgestellt. Im ersteren Falle bezeugt der Präsentierende dem Ordinator die Eignung und erfolgte Prüfung des Ordinanden. Hier hat dann auch die Befragung des Volkes ihren Platz als eine, wenn auch bereits getrennte, aber doch sinnvolle Ergänzung dieses Zeugnisses. Deshalb hat sich hier dieser, wenn auch nur noch formelle Akt der Zustimmung und Akklamation erhalten. Die Vorstellung durch den Ordinator bedeutet jedoch die autoritative Verkündigung der vorausgegangenen Beurteilung, ein Zeugnis durch den Ordinator bzw. die Ordinatoren. Die Wendung an die Gemeinde bedeutet also gerade, daß diese hier nichts mehr dazu zu sagen hat: das gebildete Urteil schließt hier das zu bildende aus. Der bischöfliche Ordinator steht wenigstens formell noch wie ein

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Schiedsrichter zwischen dem Präsentierenden und einem möglichen Einspruch von seiten der Gemeinde, wie denn auch in der Form der apostolischen Konstitutionen die Bischöfe das Wahlvotum der Gemeinde nicht einfach vollstrecken, sondern selber noch prüfen. Die Praesentatio hat ihr biblisches Vorbild in Acta 6, wo die von der Gemeinde auf Geheiß der Apostel Gewählten den Aposteln zunächst vorgestellt werden, um dann die Handauflegung zu empfangen. Eine Präsentation in diesem Sinne erfolgt in den lutherischen Ordnungen lediglich bei der Einführung des bereits Ordinierten.

Wie die Form der Präsentation, so unterscheidet sich die Form der Ordination selbst. Jedoch stehen hier die griechische und die römische Form einerseits der anglikanischen und lutherischen Form andererseits gegenüber. In den alten Kirchen ist die Handauflegung verbunden bzw. eingeschlossen in eine Weihepräfation oder ein ihr ähnliches Gebet. In den reformatorischen Kirchen insgemein werden auf die Stiftung des Amtes bezügliche Schrifttexte verlesen und daran anschließend die Hände aufgelegt. In den bischöflichen Kirchen findet sich überall eine deprekatorische Anrufung des Heiligen Geistes. Diese fehlt in der lutherischen Form nicht. Als wesentlich wird in dieser jedoch das Vaterunser angesehen, welches als das eigentliche Weihegebet gilt.41 Daß es sich nicht nur um eine Veränderung des Gebetstextes, sondern um eine solche des Aufbaus der Richtung und des Gesamtverständnisses handelt, zeigt die Bemerkung von Mahrenholz, Vaterunser und Gebet würden bei der Ordination (Einsegnung) „zur Gemeinde hin” gesprochen. Dieses Verständnis des Gebets als Zuspruch für Ordinanden und Gemeinde macht das Bestreben sichtbar, den der lutherischen Kirche fremden Charakter der Epiklese zu vermeiden.

Präfation/Weihegebet haben einen entschieden epikletischen Sinn. Es wird die Treue Gottes angerufen, welche sich fort und fort in der Heilsgeschichte bewährt hat. Ihm wird anaphoretisch der Ordinand dargeboten, damit er ihn des Amtes und des Geistes zum Amte würdige. Insofern sind in der Struktur dieses Handelns Ordinator und Gemeinde durch ihr Handeln ad deum zusammengeschlossen. Die Zitation der Stiftungsworte dagegen hat Verkündigungscharakter gegenüber der Gemeinde. Die Aktualisierung dieser Stiftung für sie wird erbeten. Für die bischöflichen Kirchen ist die Präfation Epiklese, die Handauflegung Konsekration. Für die lutherische Auffassung gewinnt die Zitation und Verkündigung der Stiftungsworte konsekratorische Bedeutung, welcher Vaterunser und Fürbittengebet zugeordnet werden. Der epikletische Charakter wird vermieden. Auf diese Weise erklärt sich jedoch, daß die Handauflegung, das eine der beiden biblischen und seither immer festgehaltenen Elemente der Amtsbevollmächtigung ihre wesentliche Bedeutung einbüßt und zu einem ehrwürdigen traditionellen, aber nicht notwendigen Ritus herabsinkt. Die göttliche Stiftung wird kausativ

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vollstreckt, freilich nicht aus eigener Macht, sondern durch den erbetenen Geist. Die dialektische Struktur des liturgischen Handelns ist in doppelter Richtung zerstört. Die Gegenläufigkeit von Darbringung des Ordinanden und exhibitiver Geistverleihung wie der damit zusammenhängende Gegensatz von Bitte und Gabe ist ebenso aufgehoben, wie der Gegensatz von bereits gegebener Berufung zu zu verleihender Vollmacht. Das in seiner Anlage sehr viel ältere römische Formular bringt das kausative Verständnis selbst nicht zum Ausdruck, welches die eigene Theologie ausgebildet hat: in der lutherischen Form ist dieses kausative Verständnis in der Folge ausgeprägt: Verkündigung von Vokation und Stiftung, dann öffentliche Inkraftsetzung beider in konkreter Verbindung kraft der erbetenen Verheißung.

In der Richtung des Verkündigungshandelns liegt auch das den bischöflichen Kirchen insgemein ganz fremde Bedürfnis nach Selbstlegitimation der Ordinatoren: „auf Befehl der Kirchen durch unser Amt” (Luther); „kraft der Vollmacht, die Jesus Christus seiner Gemeinde gegeben hat” (IV).

Die anglikanische Form stellt hier eine Mittelbildung dar, weil sie zwar die Zitation der Stiftungsworte übernommen hat, aber unzweifelhaft die Handauflegung als konstitutiv versteht.

In dem aufweisbaren Handeln der älteren Formen sind Kontinuität und Aktualisierung beiderseits erhalten. Ein Überwiegen des Kontinuitätsmoments kann in der Vorgegebenheit des (bischöflichen) Ordinators allein noch nicht gefunden werden. Eine Sukzessionstheorie ist aus dem liturgischen Befund selbst nicht zu erheben. Insoweit handelt es sich um theologische Interpretamente sekundärer Art. Die Ersetzung der Präfation durch die Verkündigung der Stiftungsworte dagegen zeigt einen einseitig aktualen Charakter: für das gegenwärtige Handeln hat der Zusammenhang mit der offenbaren Bewährung der Treue Gottes in der Geschichte des Volkes Gottes keine tragende Bedeutung mehr.

„Diese urkirchliche Übung (der Handauflegung) ist von Luther beibehalten worden, weil sie der Schrift und der gemeinkirchlichen Tradition entspricht, ein öffentliches Zeichen des befohlenen Amtes ist und eine starke Versichterung des Berufenen darstellt, dem das Amt durch die Handauflegung quasi körperlich zugesprochen wird. So gebraucht die Reformation die Formel ,Auflegung der Hände’ als Bezeichnung für den Ordinationsakt überhaupt, und die lutherische Theologie kann sie — obwohl kein Zweifel darüber besteht, daß sie zu den adiaphora gehört — als einen ritus necessarius bezeichnen.” 42

Die völlig neue Konzeption der Ordinationsordnung durch Luther, die „in keinem Punkte an die vorreformatorischen Ordinationsgebete anknüpft”, hat also die einfache biblische Verbindung von Gebet und Handauflegung aufgelöst und die letztere nur noch konfirmatorisch verstanden. Woher jenes Urteil so zweifellos ist, wird bei Mahrenholz

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nicht ersichtlich. Im Gegensatz zu dem angeblichen „zweifellosen” adiaphorischen Charakter der Handauflegung kommt L. Fendt in einer Auslegung der Ordination bei Luther43 zu dem Schluß: „das Zentrum lutherischer Ordination ist die Handauflegung! So auch Melanchthon.” Fendt ist ein unverdächtiger Zeuge, da er dem selbst kritisch gegenübersteht und sehr willkürlich versucht, die Handauflegung von der agape her umzudeuten.

Nicht jene seltsame Selbsttäuschung, die gegenstandslose Behauptung des Rückgangs auf ein maßgebliches biblisches Vorbild ist hier das Wesentliche, und auch nicht die bloße Streichung eines schon einigermaßen formal gewordenen Restes. Unbemerkt vollzieht sich nämlich eine Umkehrung. In den traditionellen Formen bezeugen Klerus und Volk dem Ordinator die Tauglichkeit des Ordinanden. Sobald sie in dieser Rolle fortfallen, verwandelt sich der Sinn der Handlung: jetzt bezeugen die Ordinatoren der Gemeinde die Tauglichkeit. Die Ordination überhaupt gewinnt die Bedeutung der testificatio, der öffentlichen Bezeugung der Tauglichkeit. Das Wort kommt zwar in keinem Formular vor, wird aber um so öfter zur Bezeichnung und Erklärung der Ordination von den Reformatoren benutzt.

Die Reformation vollendet die Vernichtung der kanonischen Wahl und zerstört mit ihren Resten die liturgische Struktur der Ordination. Die schlichte Quintessenz der urkirchlichen und altkirchlichen Amtsbestellung, welche noch J.H. Boehmer44 ganz selbstverständlich vorführt, ist: die ekklesia wählt, die Apostel oder Bischöfe ordinieren. Dieses Gegenüber ist wesentlich. An die Stelle dieses Wechselbezuges tritt jetzt die einlinige Vollstreckung der Vokation durch die Ordination. Selbst wenn an der Vorentscheidung zur Ordination die Gemeinde beteiligt wäre, so wäre das nur eine Teilung der Kompetenzen — es bliebe das gleiche, rein konsekutive Verhältnis — die Erkenntnis der Berufung wird vollstreckt, publiziert, in unzweifelhafte sichtbare und äußere Wirksamkeit gesetzt. Es ist ein einliniges Handeln und deshalb ist das Forum der Gemeinde in dem Maße passiv wie die römische Meßgemeinde oder die reine Predigtgemeinde, hörend, mitbetend, aber an keiner Stelle darüber hinaus selbst in einer unverwechselbaren Rolle der Mitwirkung konstitutiv. Ist schon in der absoluten Ordination des PR unbeschadet jener Reste Entschluß und Handeln des Ordinators allein maßgeblich, so bringt die lutherische Form unter Zerbrechen der traditionellen Form die Einlinigkeit des abendländischen Denkens zum Ausdruck und hält diese Vollstreckung für biblisch. Wie gesagt: wenn selbst die Gemeinde an der Vorentscheidung beteiligt wäre, wäre es nicht anders: aber es ist eben doch nicht zufällig, daß eine regelmäßige konstitutive Einbeziehung der Gemeinde nicht gelingt. Denn mit ihrer Einbeziehung würde die Unterschiedlichkeit der Rollen und Handlungen von allein mehr oder minder deutlich wieder hervortreten. Daß die einen

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etwas erkennen, erwählen und darbringen, vorstellen und daß die anderen etwas geben und tradieren, dies eben verhält sich dialektisch und nicht konsekutiv zueinander. In der Präsentation und Wahl durch die Gemeinde ist eine Art Darbringung, der anaphora enthalten, und es gehört zur paradoxalen Existenz der Kirche (Erik Wolf), daß zu dem Dargebrachten und Vorgestellten, das Gott selbst gegeben hat, nun etwas gegeben wird — nicht in kausativer Konsequenz, sondern in der Paradoxie des Satzes „wer da hat, dem wird gegeben werden”, den schon Sohm anführt. Diese Paradoxie war in der Sache, wenn auch noch nicht in der bewahrenden liturgischen Form, doch theologisch im kausativen Verständnis der römischen Ordination aufgegeben. Mit dem Rest der Form wurde die Sache endgültig preisgegeben, welche man wiederherzustellen meinte.

Sieht man auf diejenigen Handlungselemente, welche nach der verbindlichen Auslegung der betreffenden Kirchen konstituierend für das sacramentum ordinis sind (Weihepräfation und Handauflegung), so ist eine reformatorische Kritik in Verlegenheit, biblische Gegengründe aufzuweisen und eine Neubildung zu rechtfertigen. Es müssen also wesentliche Gründe sein, welche sich aus diesen beiden Handlungen für sich allein nicht ergeben. Die Kritik der Reformation wendete sich in zwei Richtungen gegen die römische Priesterweihe: gegen die absolute, von der Beziehung auf eine bestimmte Gemeinde losgelöste Ordination wie gegen die Ordinationsintention selbst. Beide Gedanken berühren sich, decken sich aber nicht. Der zunächst anstößige Punkt waren die zahlreichen Meßstipendiaten, welche lediglich zum Versehen des Opferdienstes an einem Stiftungsaltar bestimmt waren. Aber auch die Ordinationsintention selbst wird mit der Begründung angegriffen, sie verleihe wesentlich die potestas offerendi pro vivis et mortuis, und entferne sich mit diesem Opferdienst von den stiftungsgemäßen Verrichtungen des Amtes (Predigt und Sakramentsverwaltung). Daneben werden Horenlesen und Ohrenbeichte kritisch genannt. Obwohl Luther keineswegs den ordo überhaupt angreifen will,45 sondern den ordo zum Meßopfer, fallen sehr extreme Worte „inordinatio diaboli”, als Weihe zum Opferpriestertum. Die tiefere Begründung liegt in der Auffassung, daß die Priesterweihe (gerade im Symbol der Salbung) Wort und Taufe Schmach antue (iniuria baptismi), weil der zu Weihende schon Priester sei.

Zu dieser Kritik kann nun nicht allein auf Grund der Gegenüberstellung von PR und lutherischen Entwürfen, sondern nur auf Grund der Gesamtentwicklung des Instituts Stellung genommen werden. Die hier vorgeführten, heutigen orthodoxen Ordnungen enthalten keine Umschreibung der Ordinationsintention. Es wird lediglich vom Priestertum im Sinne eines hierarchischen Grades mit sich von selbst verstehender Bedeutung, sodann im allgemeineren Sinne vom sacerdotium gesprochen. Eine inhaltliche Bezeichnung fehlt auch hier. Auch das Fürbittengebet

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bei der Bischofsweihe setzt das Bischofsamt als fest umrissene Größe voraus. Auf die göttliche Stiftung der Hierarchie wird Bezug genommen. Von den Amtsverrichtungen wird kaum geredet. Es heißt lediglich „heilige ihn, damit er würdig werde, Dir Gebet für das Heil des Volkes darzubringen …” Das Amt des Bischofs versteht sich in der entscheidenden Handlung von selbst. Allenfalls in den sekundären symbolischen Handlungen und in ihren Begleitworten kann eine gewisse Erläuterung und Umschreibung erhoben werden: konstituierend für die Ordination sind sie sicher nicht. Sodann ist das Bischofsamt von vornherein als ein bestimmter lokaler, städtischer Sitz konkretisiert. Andererseits enthält die orthodoxe Ordnung nichts über eine Amtsübertragung. Beim Presbyter fehlt sie offenbar, weil dieser in den Diözesanklerus unter der Autorität des Bischofs eingegliedert gedacht wird: beim Bischof ist sie mit der Konsekration auf den bestimmten Sitz ohne weiteres gegeben.

Eine inhaltliche Umschreibung des Amtes, aus der die Ordinationsintention zu erheben wäre, und an die sich Kritik anschließen kann, findet sich erst im PR. Aber was hier als Intention zu erheben ist, deckt in wesentlichen Punkten jene Kritik nicht, und zeigt die polemische Verkürzung. Denn die Belehrung der Ordinanden im PR, aus der unzweifelhaft die Ordinationsintention zu entnehmen ist, nennt zwar das offerre an erster Stelle, danach aber „benedicere, praeesse, praedicare et baptizare” und weist sodann auf die Pflicht zu vorbildlichem Wandel vor der Gemeinde hin. Die Übertragung der Opfergewalt mit den speziell angegriffenen Wendungen (pro vivis et mortuis) schließt sich erst an die bereits vollzogene Weihe an.

In der Weihepräfation finden wir trotz der konsekratorischen römischen Ordinationslehre ausgesprochen epikletische Momente verbunden mit der eulogia, der Danksagung. D.h. die Ordinationspräfation ist eine durchaus sinngemäße Abwandlung der Meßpräfation. Da die Ordination schon innerhalb der Präfation vollzogen wird, ist der Typus der eulogia sogar besonders rein erhalten. Eine Konsekration durch Zitation der Stiftungsworte wird erst durch die Reformation eingeführt, zu einem Zeitpunkt, zu dem der Konsekrationscharakter der Handlung selbst bereits in Frage gestellt wird. Der Typus der Weihepräfation liegt also noch vor der historischen Spaltung der Sakramentslehre zwischen Konsekration und Epiklese. Die Reformation tut also im Typus das, was die römische Kirche gelehrt, aber liturgisch gerade nicht getan hatte. Sie bringt die lateinische Tradition zu Ende und hebt sie zugleich auf. Die vorsichtige Begrenzung der Schriftstellen durch Luther zeigt die Doppeldeutigkeit dieser Lage an. Die Präfationsordination ist eben dadurch völlig organisch mit der Messe verbunden. Während die lutherische Ordination zwar nach der gemeinchristlichen Tradition ebenfalls innerhalb des Gottesdienstes geschieht, ist eine innere Verbindung nicht im

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gleichen Maße aufweisbar. Das resultiert aus dem zwar nicht aktualistischen, aber aktualisierenden, den pneumatischen Geschichtszusammenhang überspringenden Charakter des Handelns, über den schon in Kap. VI gehandelt wurde. Abendmahl und Ordination müssen immer in Parallele gesehen werden. Die Reformation hat also mit der scholastischen Ordinationslehre eine wesentlich vorscholastische Ordinationsliturgie beseitigt und ist in der eigenen Gestaltung scholastischer als diese: die spezifischen Worte als „forma” sind erhalten, während nun die „materia” des leiblichen Handelns spiritual als nur „Äußeres” erscheint und umgedeutet ist.

Der wesentliche Unterschied zwischen den altkirchlichen und den reformatorischen Ordinationsordnungen besteht also darin, daß die Präfationen durch Schriftzitationen ersetzt sind, dies freilich mit der Wirkung und im Zusammenhang einer durchgreifenden Wandlung der Struktur. Bestimmte Schriftworte als Stiftungsbelege in Verbindung mit dem Vaterunser erscheinen als konstitutiv — so sehr, daß das Vaterunser die Handauflegung als zentrale Handlung aus seiner Bedeutung verdrängt. Der Realcharakter des Handelns wird keineswegs geleugnet oder in bloße Zeichen aufgelöst, und doch wird es als wesentlich empfunden, es von einer Verbalpräsenz her zu begründen, zu fundieren. Deswegen gewinnen nun die hier zitierten Worte ein noch stärkere Bedeutung, als die Aussagen in der Amtsbelehrung, welche uns für das PR zur Ermittlung der Ordinationsintention dienen konnten. Aber in der Auswahl dieser Stellen zeigt Luther eine deutliche Zurückhaltung. Die Stellen 1. Tim. 3, Acta 20, Matth. 9 reden vom Amt mehr im Bild, in Bitte und Vermahnung als in konkreten Verrichtungen und als von der Vollmacht. Die stärksten Stellen (Matth. 28, Joh. 20) sind gerade nicht genannt. Für Joh. 20 mag dies darin begründet sein, daß die Absolution nach Luthers Anschauung, weil heilsnotwendig wie die Taufe, dem Amte nicht vorbehalten sei. Damit tritt aber ein gewisser Gegensatz zu den Aussagen von CA XXVIII hervor. Der Grundbestand der Handlung wahrt also die Tradition. Aber es wird versucht, diese Tradition von einem neuen Wortverständnis her zu verstärken. Eben dies aber deutet auf eine gewisse kritische Unsicherheit gegenüber dem Übernommenen hin — die Intention ist eine verhaltene. Die Verheißungen der Schrift werden voll in Anspruch genommen und der Geist mit Ernst erbeten — aber die volle Überzeugung, daß hier Vollmacht übertragen werde, das Paradox, daß dem Berufenen gegeben wird, kommt nicht zum unzweideutigen Ausdruck. Daß die Gläubigen in der Taufe den Geist empfangen hatten, hat bekanntlich schon die Urkirche nicht gehindert, den von ihr ins Amt zu Setzenden die Hände mit der Intention der Geistmitteilung aufzulegen.46 Dahinter steht das neu als Problem empfundene Verhältnis von Person und Funktion, welches so gerade nicht gelöst worden ist — und seither ebenso wenig. Daß die

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scholastischen Qualitätsvorstellungen gerade am wenigsten geeignet waren, um auszudrücken, daß der Mensch durch einen konkreten Akt der Kommunikation zum Diener, Freund, Ehegatten jemandes wird, ist uns heute deutlicher, als es damals in der Auseinandersetzung möglich war. So geriet die Ordinationsfrage in die falsche Alternative von angeblicher „personaler” Qualität und funktionaler Nichtqualität.

An den formellen Aufbau von L knüpft bewußt auch IV an. Die Schriftstellen erhalten die gleiche Bedeutung wie bei ihm. Aber sie sind deutlich erweitert. Von Erkenntnissen der neueren Exegese und Systematik des 19. und 20. Jahrhunderts gedrängt, haben jetzt die von Luther vermiedenen zentralen Stellen Matth. 28 und Joh. 20 Aufnahme gefunden. Die gewisse Suspension der Fragen bei Luther hat sich nicht voll durchhalten lassen. Das Mißverhältnis wird insbesondere darin sichtbar, daß Joh. 20 zwar zitiert wird, aber das dort ausgesprochene „accipite spiritum sanctum” nicht konkret zugesprochen wird. Aber auch der einfache pragmatische Ausgleich der Anglikaner ist nicht gewählt worden, welche Tradition und Reformation in einer Formel verbinden, freilich damit auf eine Klärung verzichten. So läuft Agende IV als eine offene Frage auf ihre Verfasser zurück.

c) Intention und Amtsübertragung

Wir haben also festgestellt, daß Luther eine bewußte Neubildung der Ordinationsform vorgenommen hat, ohne freilich damit aus der Tradition autoritativen Handelns heraustreten zu können. Auch seine Konzeption liegt im Gefälle der Formgeschichte.

Für die Bedeutung des Gesamtbildes und dieser Formgeschichte ist jedoch von Bedeutung, daß im Gegensatz zur orthodoxen Ordination diejenige des PR noch einen Fortgang nimmt. Zwar ist nach der schon angezogenen Entscheidung mit Weihepräfation und Handauflegung die Ordination vollgültig abgeschlossen. Die von den Reformatoren angegriffene Übertragung der potestas offerendi pro vivis et mortuis hat nur noch deklaratorische, keine selbständige Bedeutung. Der eigentliche Gegensatz liegt also in der Einbeziehung des offerre in die Amtsverrichtungen überhaupt. Jedoch folgt dann nach weiteren, ebenfalls lediglich signifikatorischen Handlungen (Überreichung von Gewändern und Geräten) noch ausdrücklich unter Handauflegung mit „accipe” die Verleihung der Schlüsselgewalt. Dem äußeren Bilde erscheint sie als eine sogar durch den Ausdruck verstärkte Verdoppelung der Ordination oder als Ordination für einen Amtsbereich, der in der vorausgegangenen Handlung nicht eingeschlossen sei. Jedoch täuscht die Gestaltung. In Rücksicht auf die bereits vollzogene Ordination ist dieser Akt lediglich deklaratorisch. In der Sache selbst bedeutet er die Übertragung bestimmter jurisdiktioneller Befugnisse. Das ist von großer Tragweite. Denn hier wird die von der Scholastik vollzogene Spaltung von potestas

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ordinis und jurisdictionis sichtbar. Der ordo kann verliehen werden ohne Jurisdiktion, ohne konkrete Entscheidungsbefugnis und Amtsbereich. Der orthodoxen Kirche ist diese sinnwidrige Trennung fremd, welche erst eigentlich den ordo aus einem Amt der Kirche zu einer verliehenen Qualität macht. Erst hier, nicht im Verlauf der Ordination bis dahin, wird das sichtbar. Freilich wird auch diese potestas jurisdictionis absolut, ohne Bezug auf eine bestimmte Gemeinde verliehen. Aber daß Jurisdictio wesentlich Schlüsselgewalt, nicht Entscheidung über die Angezeigtheit geistlichen Handelns überhaupt sei, wird hier eingeführt. Die Sonderung zweier Akte, der Ordination und der Amtsbefehlung oder Übertragung finden wir ebenso in dem Formular Luthers und ihm folgend dann in IV. Wir finden einen Anklang an diesen Tatbestand weiter in der Fassung der CA, welche zu Anfang in den Hauptartikeln unter Art. V das ministerium ecclesiasticum als Predigt- und Sakramentsverwaltung beschreibt, und dann sehr viel später, ohne aufweisbare Begründung der Anordnung und ohne Klärung des sachlichen Verhältnisses in Art. XXVIII die Sätze über die potestas ecclesiastica als Schlüsselgewalt. Und schließlich finden wir das gleiche Sachverhältnis noch einmal in der Ausbildung zweier analoger Handlungen, der Ordination und der Einführung, in welch letzterer die konkrete Amtseinweisung erfolgt und überhaupt erst ihren Platz hat.

Erst der Vergleich mit den orthodoxen Formen läßt erkennen, wieviel sich hier geändert hat. Für die Orthodoxie ist Ordination Verleihung des konkreten Amts in der konkreten Gemeinde. Wenn diese Ordnung auch schon abbröckelt und nur noch beim Bischof vollständig erhalten ist, so setzt sie doch diese Einheit voraus. Wird in der späteren Entwicklung die kanonische Wahl vorweggenommen, so wird doch in der Ordination direkt auf sie verwiesen. Eine sachliche Teilung der potestates findet nicht statt. Die Ordinationspräfation in den apostolischen Konstitutionen47 nennt neben der Vollmacht zum Opfer auch diejenige der Sündenvergebung, die Schlüsselgewalt. Dieses Gesamtgeschehen löst sich in der lateinischen Kirche schrittweise auf: die Wahl wird vorweggenommen, ihre Verbindung zur Ordination reduziert oder vollends abgeschnitten, gegen Ende entsteht eine gesonderte Amtsübertragung. In der Ausbildung einer gesonderten Einführungshandlung in der lutherischen Kirche wird diese Tendenz weitergeführt und noch gesteigert. Durch diese Abtrennung der Prämissen wie der Folgerungen wird die Ordination selbst immer mehr zu einem isolierten, für sich selbst stehenden Akt. Statt aber die Einheit wiederherzustellen, verstärkt die Agende IV reaktiv die Einführungshandlung, nachdem die Sakramentalität der Ordination selbst und die Bedeutung der bisher unbestrittenen exhibitiven Handauflegung in Zweifel gezogen war. Die lutherischen Ordinationsformulare vollenden die Auflösung des Gesamtgeschehens der Ordination, von welcher die altkirchlich-orthodoxen

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Formen bereits erkennbar bedroht sind und welche in der lateinischen Form dann konkrete Wirkungen zeigt. Während die Trennung der Handlungselemente bereits im PR vollzogen ist, wird erst in den lutherischen Ordnungen die liturgische Struktur aufgegeben. Handlungseinheit und liturgische Struktur sind zwar miteinander verknüpft, entwickeln sich aber nicht einfach parallel. Nur eine sehr eingehende Analyse deckt diesen Auflösungsvorgang und den dadurch hervorgerufenen Zustand auf. Dieser Zustand wird aber nicht bemerkt und nicht empfunden, weil nun das Ganze in den verschiedenen Kirchen von verschiedenen Hauptgesichtspunkten her betrachtet wird, auf die hin alles ausgelegt wird. Zugunsten dieses einheitlichen Hauptgesichtspunktes wird gerade die Unterschiedlichkeit der Handlungen zurückgedrängt und aufgehoben. Während die Ordination ursprünglich in Wahl und Weihe bestand, wird etwa in der römischen Kirche lateinischen Ritus’ alles auf die Weihe konzentriert. Alles übrige wird ihr zugeordnet. In der lutherischen Reformation tritt der Gedanke der Vokation bestimmend als eine faszinierende Entdeckung hervor. Aber da die Vokation ja göttliches Handeln ist, wird sie konkret in der Erkenntnis, Bezeugung und Verkündigung dieses Handelns, also im testimonium. Daher die gezeigte Handlungsrichtung, daher der noëtische und konfirmatorische Charakter. Hier darf auch als Beleg das älteste und sehr typische Ordinationszeugnis Luthers herangezogen werden:48

„iudicavimus eum idoneum esse ad ministerium evangelii et nostrum judicium publicae ordinationis testimonio declaravimus eique praecepimus iuxta mandatum Christi ut euangelium pure et fideliter doceat et sacramenta administret.”

Dem Pfarrer Sutel in Göttingen, der ohne Ordination amtiert hatte, gibt Luther mit der größten Entschiedenheit auf, sich der Sakramentsverwaltung solange zu enthalten, bis er sich von den anderen ministri das testimonium (Vokation und Lehrfähigkeit) unter Gebet und Handauflegung habe geben lassen.49

Bei Melanchthon erscheint der Begriff der testificatio in der „Sententia de ordinatione ecclesiae ministrorum” von 1551, ebenso in einem diesbezüglichen Brief an Christoph Vischer 1555. Schon 1536 erklärt Melanchthon in einem Gutachten für Dr. Jacob Schenk in Freiburg dessen Doktorpromotion in Wittenberg als ausreichendes Zeugnis der Lehrbefähigung.50

Testimonium und Amtsbefehlung in gottesdienstlicher Form und Öffentlichkeit erscheinen als Inhalt der Ordination. Die scholastische Unterscheidung von Form und Materie schimmert durch, nur umgekehrt und umgedeutet: die testierte Vokation, die Lehrbefähigung ist der Inhalt, die materia, die gottesdienstliche Ausrichtung „nur” die Form.

Damit werden in das Verständnis der Ordination Rechtsbegriffe und Rechtsbilder hineingezogen. Das testimonium als Zeugnis ist ein

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Rechtsvorgang, das deshalb in einem bestimmten Zusammenhange steht und auch in einem solchen (Notariatsakt) vorgeführt wird. Testificatio ist ein im Rechtsleben nicht vorkommendes, für den theologischen Bedarf gebildetes Abstraktum.

Diese Begriffe müssen noch auf ihre Schlüssigkeit und auf ihren historischen Gehalt untersucht werden. Eine solche Kritik ist bisher niemals unternommen worden, weil die maßgebliche Gültigkeit dieser Gedanken, aber auch die Verfügbarkeit der Rechtsbegriffe für den theologischen Ausdruck vorausgesetzt wurde.51

Die Grundsätze des Ordinationsrechts der alten Kirche sind also allein in der orthodoxen Bischofsordination bewahrt worden (Wahl und Relativität). Nach den Grundsätzen des Canons VI von Chalcedon wären die sämtlichen Ordinationen im abendländischen Bereich (von  den Anglikanern abgesehen) nichtig. Diese Grundsätze sind selbst in der römischen Stadtgemeinde bis 882 (Wahl des Papstes Marinus I) bewahrt worden. Sie waren also keineswegs theoretisch, im Gegenteil: Luther hat sie sich in seinen Angriffen auf die Ordination der Meßpriester ausdrücklich zu eigen gemacht und gemeint, diese würden erst durch die Installation in einer Gemeinde wirkliche ministri. Aber die von ihm selbst dann teilweise geübte und nun vollends in IV ausgebildete abstrakte Ordination wäre dann ebenso fragwürdig. Überblickt man die Gesamtheit der Ordinationsformulare, so ist die Bestimmtheit und Ausführlichkeit der Umschreibung der Ordinationsintention ganz außerordentlich verschieden. Es ist im Vergleich der anerkannten Formulare selbst nur sehr schwer auszumachen, was hier eigentlich für wesentlich angesehen worden ist und angesehen werden müßte. Die Kontroverstheologie, die gerade hier bestimmte Mangel betont, macht es sich in dieser Hinsicht recht leicht. Die römische Kritik vermißt bei den reformatorischen Ordnungen die potestas offerendi als das eigentliche Merkmal des sacerdotiums beim Presbyter, die exklusive potestas consecrandi beim Bischof. Die reformatorischen Kirchen haben den Opfercharakter des gottesdienstlichen Handelns teils strikt abgelehnt, teils entscheidend reduziert. Die Lutheraner im Gegensatz zu den Anglikanern lehnen auch die Beschränkung der Ordinationsbefugnis auf die Bischöfe ab. So erweist sich in der gegenseitigen Bestreitung der Ordination das Kirchenrecht als im strengsten Sinne liturgisches Recht. Nicht ein an und für sich bestehendes Amt tut dies oder jenes ja nach wechselndem theologischen Verständnis, sondern die Bestimmung der liturgischen Aufgaben macht das Amt.

Andererseits verdeckt die Kontroverse auch die Streitlage. Denn unzweifelhaft decken sich die Intentionen sehr weitgehend. Selbst nach dem PR ist das offerre nur eine, wenn auch die zuerst genannte unter den Verrichtungen des Presbyters. Und auf weite Strecken tun praktisch kraft Amtes der katholische und der evangelische Pfarrer heute

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wie ehedem das gleiche. Grundsätzlich ist es richtig, nach der Identität der Ordinationsintention zu fragen. Aber wie der Streit etwa um die anglikanischen Weihen zeigt, kann die Frage nicht allein von den Formeln der Ordinationshandlung her entschieden werden. Bis zu einem gewissen Grade wird der Kontext des dem Amte aufgegebenen, insbesondere liturgischen Handelns erklärend herangezogen. Nur in letzter Linie kommt es auf die Lehre vom Amte an, und jedenfalls nur soweit, wie sie auch im gottesdienstlichen Handeln sich ausprägt und ausgewiesen werden kann. Die Lehre vom character indelebilis ist z.B. dafür irrelevant.

Institutionelle Vorgänge können aus grundsätzlichen Gründen ihrer Struktur nicht abschließend definiert, sondern höchstens enumerativ umschrieben werden. Andererseits bedürfen sie der konkreten Bezeichnung, die am ehesten in der Typik eines bestimmten Amtes gegeben werden kann, in einem Namen. In der Abstraktion des dogmatischen Begriffs „Amt” kann das Amt nicht übertragen werden. Das wäre eine leere Tautologie.

Die Konkretion des Amtes und die Wahl auf dieses Amt muß in der lutherischen Form nachgebracht werden, so bedenklich die Vorwegnahme einer sich als vollgültige Ordination verstehenden Handlung an sich schon ist. Andererseits konkretisieren und vollenden tatsächlich die verschiedenen Einführungshandlungen die ordinatio generalis. Wenn beide Handlungen auch je für sich stehen und als von einander unabhängig ausgebildet sind, so reicht doch der Wechsel des Ausdrucks und vollends die theologische Interpretation nicht aus, ihre Bezüglichkeit aufzuheben. Es ist vielmehr zu urteilen, daß die abstrakte Ordination (wenn sie nicht schon, was nach dem Formular nicht notwendig ist, auf einer bereits erfolgten konkreten Vokation aufbaut) schwebend unwirksam ist, bis sie durch eine Vokation ergänzt wird. Sie ist nur deswegen nicht schlechthin nichtig, weil und soweit sie auf eine Konkretisierung in einem bestimmten Amt angelegt ist. Diese erfährt sie regelmäßig in der Einführung. Deshalb gibt die abstrakte Ordination nach Agende IV weniger, als sie meint geben zu können. Andererseits gibt die Einführung mehr, als sie meint. Sie kann sich selbst nicht verhindern, das zu ergänzen und zu konkretisieren, was die Ordination begonnen hat. Daß hier das Allgemeine dem ius divinum, das Besondere dem ius humanum zugewiesen wird, ist in sich unmöglich. Es zeigt nicht nur die Fatalität dieser Begrifflichkeit, sondern jenes scholastische Schema. Wir haben das ius divinum immer nur in der Form des ius humanum. Die Einführung (oder Vorausvokation) ist die Bedingung der Wirksamkeit der Ordination nach Agende IV. Sowenig die Transsubstantiationslehre Macht hat, dem in der römischen Messe ausgeteilten Abendmahl den Charakter der Stiftung Christi zu nehmen, so wenig auch eine unzulängliche Ordinationstheologie, sofern nur alle wesentlichen

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Elemente dieses Handelns sich zusammenfinden. Wenn Luther gemeint hat, die elenden Meßpfaffen würden erst in einem Gemeindedienst wirkliche ministri, offenbar doch ohne eine erneute Ordination, so enthielt das einen durchaus richtigen Gedanken, so polemisch das zum Teil auch nur war. Aber er hat doch nicht geahnt, daß in einer sehr viel korrekteren Lage sehr ähnliche Fragen für die reformatorischen Ordinationen auftreten könnten. Eine gebrochene Lösung bleibt es dabei doch.

Demnach enthielte die Einführung in das lutherische Bischofsamt eben auch die notwendige Konkretion in dieses besondere Amt des Oberhirten. Bedenklich wäre dabei nicht so sehr der Mangel der Intention einer Bischofsordination, da ja die Ordination in genere eine Ordinationsintention enthält, die erst durch die Konkretion ins Leben tritt, sondern die höchst bedenkliche Formulierung, die hier nun gerade nicht das Bischofsamt der Kirche, sondern das eines Bischofs der evangelisch-lutherischen Kirche übertragen will.52 So hätte Luther selbst niemals formulieren können. Denn er wie die übrigen Reformatoren verstanden ihr Tun als ein Handeln für die wahre katholische Kirche, nicht für eine spezielle, oder womöglich jetzt geschichtlich neu sich formierende Kirchengemeinschaft. Eine solche Formulierung widerstreitet dem ökumenischen Charakter des Kirchenrechts, demzufolge immer ja die Ämter der Kirche schlechthin übertragen werden. Gerade wenn die lutherische Kirche mit dem, was sie ist und was sie innerhalb der Christenheit zu geben und zu vertreten hat, sich als rechte Kirche anerkannt wissen will, darf sie so nicht handeln.

Diese Betrachtung rechtfertigt sich gerade auch nach dem Wortlaut der Ordinationshandlung selbst: eine Segnung kann gewiß vorgenommen werden. Aber was heißt denn „Ordnen”, wenn der Ordinand niemandem konkret zugeordnet wird, was heißt „Senden”, wenn seinem künftigen Tun nicht eine konkrete Richtung gegeben wird? Das ist ein beziehungsloser titulus nudus — das sind sehr volle und tönende Worte, die nicht über ihre Unausgefülltheit hinwegtäuschen dürfen. Wie kann man gegen die Lehre vom „character” polemisieren, wenn man vorweg etwas so Ähnliches schafft? Ordination heißt Einordnung und Zuordnung und kann dieser Bedeutung nicht entkleidet werden. Ist nach diesen Grundsätzen eine abstrakte Ordination ohne Vorausvokation oder Einführung nur bedingt wirksam, so kann sie zur vollen Wirksamkeit aber nicht nur durch die Erfüllung jener Bedingungen in der Person des Ordinierten kommen, sondern auch dadurch, daß er einem voll ordinierten, ordentlichen Pfarrer zugeordnet wird, unter dessen Autorität und Verantwortlichkeit er handelt. Die Versammlung der Gemeinde geschieht dann unter der Autorität dieses anderen. Der abstrakt Ordinierte handelt insoweit aus der Zuordnung des anderen und seiner eigenen Zuordnung zu diesem. Das ist etwas anderes als eine (sachlich-inhaltliche) Delegation: es ist eine Allegation personaler Art. So wenig ein

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Körper abgetrennte Glieder haben kann, so wenig können episcopi vagantes sine allegatione vermöge einer abstrakten Amtsbefähigung tätig werden. Um diese Anschauung durchzuführen, muß man nur mit einer stillschweigenden und unreflektierten, aber keineswegs stichhaltigen Voraussetzung brechen: daß nämlich die Ordinationshandlung, weil sie sich selbst als solche und als ausreichend versteht, deswegen auch schon für sich abgeschlossen und ausreichend sei. Aber weder der Name noch die Absicht gewährleisten das. Es besteht ebensowenig die ausschließende Alternative, daß dies entweder eine vollgültige Ordination oder keine sei. Ein durchaus rechtes Tun kann unvollständig, ergänzungsbedürftig, aber nichtsdestoweniger auch ergänzungsfähig sein.

Römisch-lateinische wie lutherische Ordination sind also gleichermaßen, wenn auch aus verschiedenen Gründen anfechtbar. Aber daß das Amt der Kirche nun eben doch beiderseits gelebt hat und unbestreitbar lebt, ergibt sich daraus, daß das Fehlende durch die Ergänzung und Allegationen nachgebracht worden ist, daß die Gemeinden, wenn schon nicht gewählt, so doch rezipiert haben.

Der Zerfall der Ordination gleicht in hohem Maße demjenigen der Messe: auch hier lebt die Kirche — zumal die abendländische von ihrer liturgischen Haeresie. Der Überbildung der isolierten römischen Priesterweihe entspricht die Unterbildung der biblischen Handauflegung zum konfirmatorischen und adiaphorischen Ritus. Wie man freilich ein Adiaphoron als ritus necessarius bezeichnen kann, bleibt bei alledem ein weiteres Rätsel.

d) testimonium und testificatio

Luther verwendet für die Ordination den Vergleich mit dem Notariatsakt:

„Auflegung der Hende, die Segenen, bestettigen und bezeugen solchs (scil. die Einigkeit von Kirche und Bischof bei der Wahl) wie ein Notarius und Zeugen eine weltliche Sache bezeugen, und wie der Pfarrherr, so Braut und Breutgam segenet, jr Ehe bestetiget und bezeuget, das sie zuvor sich genomen haben und offentlich bekand.” 53

Schon bei dem Luther wichtigen Rechtsvergleich der biblischen Testaments mit dem weltlichen Testament hatte er sich, wie gezeigt, an einem entscheidenden Punkte, dem Siegel, in der Sache vergriffen und den Vergleich zum Hinken gebracht. Wieder treffen wir hier das ihm offenbar naheliegende Bild der rechtlichen Solennisation. Wieder wird die Tragweite des Rechtsbildes in wesentlichen Zügen verkannt. Zunächst ist freilich schon nach sehr ausdrücklichen Äußerungen Luthers über den exhibitiven Charakter des Segens die Gleichstellung von Segnung, Bestätigung und Bezeugung schwer verständlich. Kann der Segen auch noch als Bestätigung und Bekräftigung, freilich schon in merklicher Abschwächung seiner Bedeutung begriffen werden, so doch eben

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gerade nicht als Bezeugung. Ein solcher Akt mag auch eine Publizität besitzen, aber dies ist nicht sein wesentlicher Inhalt und rechtfertigt nicht, daß hier ein Gefälle von der (unweigerlich exhibitiven) Segnung über die Konfirmation zur bloßen Bezeugung unter synonymer Verwendung der Begriffe geschaffen wird. Wie diese Deutung der Handauflegung mit den biblischen Vorbildern zu vereinen ist, vermag ich nicht zu sehen.

Wie schon der Zeugenbegriff, so kann auch der Begriff der testificatio nicht verstanden werden ohne Auslegung der Verfahrenslage, zu der er gehört.

Beim Notariatsakt sind hier drei Beteiligte vorausgesetzt: der Notar als Amtsperson und zwei Parteien als Ehe- oder Vertragsschließende, also in unterschiedlichen Rechtspositionen. Für den Notar andererseits ist charakteristisch, daß er einerseits hoheitsrechtliche Funktionen ausübt, andererseits nicht Herr über den Geschäftsinhalt ist: ob die vor ihm erscheinenden Parteien in das zu solennisierende Rechtsverhältnis eintreten, liegt ausschließlich bei ihnen und nicht beim Notar. Andererseits sind die Parteien in der Rechtsstellung des Bürgers, der selbst keine hoheitsrechtlichen Befugnisse besitzt und deshalb seinen Rechtsakten von Öffentlichkeitsbedeutung nicht selbst zur Öffentlichkeit verhelfen kann.

Die testificatio setzt also eine ganz bestimmte rechtliche Qualifikation der Handelnden voraus. Diese Handelnden sind geschäftsfähig, aber nicht imstande, ihren Rechtsakten selbst Publizität und damit Wirksamkeit innerhalb der Gemeinschaft zu verschaffen.

Wer obrigkeitliche, hoheitsrechtliche Funktionen ausübt, ist für den Bereich seines Amts grundsätzlich selbst in der Lage, seinen Akten durch Verkündigung Öffentlichkeitswirkung zu verschaffen. Er solennisiert selbst, ist nicht auf einen Dritten, den Notar, angewiesen. Er hält dazu gewisse Formen ein, welche seinen Öffentlichkeitswillen klarstellen. Es kann  sein, daß seine Akte der Zustimmung der Betroffenen (gleichviel in welchen Formen, Akklamationen usf.) bedürfen — aber einen Dritten brauchen sie nicht. Die prüfende Registrierung königlicher Verordnungen durch das französische Parlament ist ein Akt der Gerichtshoheit (weit mehr als ein Notariatsakt) und kann durch einen acte de présence (lit de justice) vom König in Person erzwungen werden. Ist der König unter ausdrücklicher Inanspruchnahme seiner Vollmacht „höchstselbst” anwesend, so wird die Registration zum Formalakt.

Im Notar stellt die öffentliche Gewalt ein Organ bereit, welches den von ihr bejahten und mit der Rechtsordnung in Übereinstimmung befindlichen Rechtsakten eine zweifelsfreie Öffentlichkeitswirkung gewährleistet, welche ihr selbst zur Vermeidung von Streitigkeiten erwünscht erscheint. Die vor einem Notar möglichen Rechtsakte, aber auch die Ehe, die nicht typisch vor dem Notar geschlossen wird, als

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consensus nupturientium sind Akte des liberum arbitrium. Die vocatio zum Amt dagegen ist bei allen Beteiligten, dem Bewerber, der Gemeinde, dem Ordinator ein Akt des Glaubensgehorsams. Der Notar bekräftigt und bezeugt, was freiwillig vor ihn gebracht wird, soweit es mit der öffentlichen Ordnung übereinstimmt — die Kirche hat Auftrag Presbyter und Diakone zu bestellen. Der Notar qualifiziert etwas, was er nicht selbst zu begründen vermag: den consensus. Öffentliche Gewalt und das von ihr umschlossene Privatrecht wirken hier zusammen. Für die Ordination ist bisher der Satz festgehalten worden: daß Christus selbst der Ordinator sei. Dann ist er aber auch der Vokator. Sollte jedoch — wofür jeder Anhalt fehlt — in der vocatio und folgeweise dann in der Berufung des konkreten Amtsträgers durch die Gemeinde wesentlich ein Akt der äußeren Ordnung gemeint sein, der nicht notwendig mit dem Glauben und dem Geist etwas zu tun hätte, dann müßte gerade der Ordination im engeren Sinne eine sehr viel höhere Bedeutung beigemessen werden, als die der Bekräftigung dieser Selbstverfügung der Beteiligten. Die biblische Paradoxie, die für die Ehe ausgesagt ist, daß die willkürliche Selbstverfügung der Menschen sie in die una caro führt und diese zum Abbild des Mysteriums werden läßt, ist gerade für das Amt der Kirche nicht ausgesagt.

Die Institutionen Ehe und Amt sind nicht gegeneinander vertauschbar. Sie sind konkrete unverwechselbare Stiftungen und nicht Einzelfälle eines Oberbegriffs „Stand” — geistlicher Stand wie Ehestand. Die Generalisierung des Standes- und Ordnungsbegriffs in der älteren lutherischen Theologie — einer Scholastik zweiter Hand — macht sich hier bemerkbar. Hier muß die Institutionenlehre mit aller Entschiedenheit sich gegen die Ordnungslehre durch die Betonung der Singularität der einzelnen Institutionen absetzen.

Die Bezeugung der zuvor geschlossenen Ehe in der Ordination widerspricht nun aber gerade der eigenen Ordinationspraxis Luthers und Melanchthons: wenn die Ordinatoren den Ordinanden als geeignet (idoneum) bezeugen, so ist dieses publicum testimonium etwas anderes, als die als Bestätigung und Bezeugung verstandene Trauung: es wäre, in diesem Bilde gesprochen, ein Ehetaughlichkeitszeugnis, ein testimonium in Bezug auf die zu schließende Ehe, kein Handeln in Bezug auf die bereits geschlossene. Testimonium und testificatio sind im Vergleich von Ordinationsaussage und der angezogenen Erklärung wesentlich verschieden und praktisch unvereinbar.

Aber offenbar hat Luther mit beiden Begriffen das gleiche ausdrücken wollen. Das Gemeinsame liegt aber wesentlich in dem Gedanken, daß schon abgeschlossen Vorliegendes bezeugt und dadurch öffentlich in Kraft gesetzt werde — sei es die Lehrbefähigung, sei es die Bindung zwischen Pfarrer und Gemeinde. Gegenüber dem Interesse, den bezeugenden, bekräftigenden, nichtkonstitutiven Charakter des Handelns

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auszudrücken, tritt der Unterschied der Lagen ganz zurück: das Ordinationszeugnis bezieht sich auf die Ordination (ordinatio generalis), das Ehebild auf die Einführung (ordinatio specialis).

Diese Begrenzung auf das Deklaratorisch-Konfirmatorische unterschätzt freilich die rechtliche Bedeutung des Notariatsaktes. Gehen die Parteien zum Notar, so treten sie in den Bereich der sogenannten freiwilligen Gerichtsbarkeit. Der Notar muß, soweit er kann, prüfen, ob der Vertragsinhalt überhaupt wirksam vereinbart werden kann, ob die guten Sitten oder spezielle Verbote ihm entgegenstehen. Auch in den Akten der freiwilligen Gerichtsbarkeit wird Jurisdiktion ausgeübt, wenn auch anders als in der streitigen. Damit zugleich gibt der Notar auch dem Rechtsakt durch die Beurkundung einen mehr oder minder gesicherten öffentlichen Rechtsbestand. Das Gewicht seines Handelns im Verhältnis zu dem der rechtsgeschäftlich handelnden Parteien ist sehr viel größer als dies in Luthers Vorstellung mit der bloßen Öffentlichkeitswirkung vorausgesetzt wird. Das Rechtsgeschäft wird in Beziehung zur objektiven öffentlichen Ordnung gesetzt und in seinem Bestande nicht unwesentlich verändert.

Ein rein deklaratorisches Handeln gibt es an und für sich überhaupt nicht, erst recht nicht hier. Gerade die wesentlichsten Akte notarieller Beurkundung sind solche, die unter die Formpflicht gestellt sind, die also ohne Beurkundung nicht nur einen weniger öffentlichen, weniger gesicherten Rechtsbestand, sondern überhaupt keine Gültigkeit besitzen. Die Entschiedenheit, mit der Luther an der Ordination festgehalten hat, wie im Falle Sutel von 1531, läßt, für ihn jedenfalls, im Gegensatz zu gewissen Äußerungen Melanchthons (Fall Schenk) und der Haltung der Oberdeutschen, annehmen, daß er dieses öffentliche testimonium für wesentlich angesehen hat. Das würde mehr in Richtung auf den Formzwang hinweisen. Die Unsicherheit und die große Schwankungsbreite der gesamten Praxis, das vorwiegende negative Interesse, das sich in der Formulierung ausdrückt, zeigt, wie fragwürdig diese Vergleiche sind.

Auch bei der Ehe bestehen erhebliche Widersprüche zwischen Bild und gemeinter Aussage. Der Akt des ehebegründenden Consenses (Verlobung) steht in einer doppelten Korrelation, sowohl zu dem Akt der Vergemeinschaftung (Trauung), der tatsächlichen Begründung der Lebensgemeinschaft, wie zu der Publizität, auf welche sie angelegt ist. Die kommunikatorische Seite der Ordination ist hier nun durch die einseitige Betonung der Vokation ausgefallen, — dies aber wird dann wieder durch die Betonung der Publizitätsseite verdeckt. Das Publizitätsmoment ist kein Ersatz für das kommunikatorische. Das heißt: schon die Ehe ist, wesentlich consensual, ohne Realakt der Vergemeinschaftung gefaßt, eine, wie im Kapitel über die Ehe und Trauung zu zeigen ist, entschiedene Unterbildung des Vorgangs. Die Bestellung zum Amt

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ist aber dann wesentlich vokatorisch begriffen. Auch diese solenn-öffentliche Ergänzung des Vorgangs bleibt also im Rahmen des Formzerfalls des Ordinationsvorgangs, der Vereinseitigung, Isolierung und Übersteigerung der jurisdiktionellen Seite. Das der ordinatio innewohnende Moment der traditio, der Vollmachtübergabe, findet in dieser Selbsterzeugung des Amtes keinen Platz, ist unerkannt und unbewältigt.

Es muß angesichts dieses Befundes noch einmal die Besorgnis darüber ausgedrückt werden, daß die Äußerungen der Reformatoren ohne Prüfung auf ihre innere Schlüssigkeit wie auf ihr Verhältnis zum konkreten Handeln ihrer Autoren selbst als maßgeblich tradiert werden, von der Formgeschichte dieses Handelns ganz zu schweigen.

In diesen Zusammenhang des Vergleichs der Ordination mit der Ehe gehört ein von Tuchel54 beigebrachter Gedanke. In seiner Darstellung spielt zwar die Ordination als solche kaum eine Rolle. Er entwickelt eine doppelte Begründung des Amtes: die vocatio interna durch den Heiligen Geist, durch Gott selbst, und eine externa durch Menschen. Aber in dieser typisch spiritualen Scheidung geht ein weiterer Gedanke doch nicht ganz auf: der der Autorisation. Er zitiert Elert:

„In einer solchen durch Menschen erfolgenden Berufung dürfen und sollen wir göttliche Berufung erblicken, wenn die Berufenden dazu von Gott autorisiert sind.” Neben den Eltern und der Obrigkeit habe Gott auch der Kirche Christi „eine solche Autorisation zur Erteilung einer Berufung” gegeben.

Es ist hier daran zu erinnern, mit welcher Entschiedenheit Luther für die Ehe die Zulänglichkeit des bloßen consensus nupturientium um der Autorität der Eltern nach dem IV. Gebot willen bestritten hat.55 Im Vervolg dieser Anschauung könnte der bloße, wiewohl unentbehrliche und legitime Wahlconsens  der betreffenden Gemeinde für sich allein als Grundlage der Ordination nicht ausreichen. Hier tritt eine Differenz zwischen dem Begriff der Kirche überhaupt und dem der Gemeinde auf. Eine Konkretisierung des Gedankens fehlt jedoch. Läßt man den Gedanken so nicht versanden, so erfordert er und bietet er zugleich zwei Momente dar: eine Mitwirkung der Kirche als Ganzer, als übergemeindlicher Gemeinschaft, und ein Moment personaler Autorität, in der diese Autorisation sichtbar wird.56

Dieses Moment, welches bei voller Durchführung des Vergleichs Ordination-Ehe bei Zugrundelegung von Luthers Ehelehre berücksichtigt werden müßte, ist völlig in Vergessenheit geraten und allein zufällig von Tuchel bemerkt worden. Aber man sieht, in welche Schwierigkeiten man überhaupt durch solche Vergleiche kommt, deren folgerichtige Durchführung dann nicht gelingt.

Über die immanente Kritik an diesen Rechtsbildern selbst hinaus, die schon eben gegeben wurde, ergebend sich weitere Einwände.

Der im Notariatsakt veranschaulichte Vorgang setzt begrifflich voraus,

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daß dem Deklarationsakt ein Deklarationsinhalt gegenübersteht, der von dieser Publizierung selbst unabhängig ist: Erklärungsinhalt, Inhalt der rechtsgeschäftlichen Willenserklärung und notarielle Publikation und Solennisation sind zweierlei: daher „declaratio”.

Nun kennen die älteren Rechte, insbesondere das römische und germanische Recht keine Konsensualkontrakte, keine freien, rechtsgeschäftlich wirksamen Willenserklärungen der Beteiligten, sondern nur Real- oder Formalkontrakte.57

Im Realkontrakt begründet die Gabe das Rechtsband, im Formalkonktrakt das gestaltende und gestaltete, geformte, rituelle Wort regelmäßig unter Beifügung eines symbolischen Zeichens. Das bloße Wort als solches ist niemals verpflichtend und kann es auch nicht durch schriftliche Niederlegung und Bezeugung werden. Urkunden sind mit dem rechtlichen Erklärungsinhalt identisch, verkörpern und verbriefen ihn, wie zum Teil noch heute im Wertpapierrecht. Eine Differenz zwischen Erklärungsinhalt und Erklärungsform ist nicht möglich. Deswegen bedeutet eine Beteiligung selbst von Zeugen hier etwas anderes, den bekräftigenden Beitritt zur Erklärung selbst, nicht die Bekundung des Aussageinhalts.

Die publica declaratio ist also als testificatio überhaupt erst denkbar, nachdem die Grundsätze des Real- und Formalrechts dem Prinzip des freien rechtsgeschäftlichen Konsenses gewichen sind, d.h. nachdem die rechtsgeschäftlich handelnde Person den Gegenständen ihrer Verfügung im Sinne des Verhältnisses von Subjekt und Objekt gegenübersteht, der Rechtsakt nicht mehr anteilgebende Präsenz des Handelnden ist, d.h. unter der Herrschaft des bürgerlichen Verkehrsrechts, der Wortjurisprudenz, die keinen Rechtsritus, sondern nur noch bestätigende Solennisation kennt. Vom Rechtsritus, seinem Wesen und seiner existenziellen Tiefe weiß nun freilich weder der gelehrte Humanist, noch der rechtserfahrene Bürger, noch der Jurist romanistischer Schulung mehr etwas.

Nun haben wir es aber in Abendmahl, Taufe, in Handauflegung und Segnung mit Handlungen zu tun, die, wie auch immer theologisch begründet und interpretiert, den Charakter des Ritus haben. Der Ritus aber nach seinem Begriffe tut, was er sagt und sagt, was er tut. Eine Trennung von Erklärungsinhalt und feierlicher Form ist nicht denkbar. Von dieser Identität von Form und Inhalt im Ritus kann man nicht abstrahieren. Infolgedessen ist der Begriff der testificatio auf die Ordination als konkretes Handeln der Kirche grundsätzlich unanwendbar. Seine Bildung bedeutet eine zeitgeschichtliche Eintragung, so wie zeitgeschichtliche Eintragungen von Rechts- und Sozialvorstellungen in das Bild der Urkirche in breitestem Ausmaße die Forschung des 19. Jahrhunderts bestimmt haben.58

Die Vorstellung der „zwischeneingekommenen” Riten als „bloße

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Zeremonien” ist eine frührationalistische Fehldeutung des Ritus, die, aus der Abwehr gegen Mißbildungen und Auswucherungen verständlich, die grundsätzliche Frage verfehlt. So gewiß es falsche, willkürliche, aber auch nur belanglose und adiaphorische Riten gibt, die belasten und verdunkeln, so wenig wird mit diesem argumentum ex abusu die Tatsache aus der Welt geschafft, daß in Abendmahl, Taufe, Handauflegung, Segnung Riten oder ritusförmige Handlungen mit dem Realcharakter der Identität von Form und Inhalt in der Heiligen Schrift bezeugt und tradiert, gestiftet und anbefohlen werden. Nun kann man vielleicht auf dem Wege einer radikalen Exegese unter Zerschlagung des Kanons und Preisgabe des Schriftprinzips sich dieser ganzen Dimension biblischer Aussagen entledigen. Dies war zweifellos nicht die Meinung der Reformatoren. Calvin setzt freilich bereits mit der Theorie von der Zeitgebundenheit der Handauflegung mit solchen Erwägungen ein. Auch bei Luther kann man solche Anklänge wesentlich unbestimmter finden. Aber im ganzen ist die Meinung doch eine andere. Dann aber bedeutet die Linie testificatio — declaratio auf alle Fälle eine unmögliche, unfolgerichtige Mittelbildung, noch nicht einmal einen bewußten, zu vertretenden Kompromiß, sondern eine einfache, in ihren zeitbedingten Gründen aufhellbare, erklärbare Selbsttäuschung in der Annahme, gerade dies sei nun die wahre Meinung der Schrift, so wie man bei Schleiermacher, Hatch und Harnack die Einflüsse idealistischer Sozialvorstellungen deutlich nachweisen kann. Erst eine gewisse Reife der religionsgeschichtlichen Forschung hat uns den Blick für die Eigenart solcher Formen wieder eröffnet. Aber damit sind sie eben nicht einfach relativiert; relativiert sind nur auf alle Fälle die Vorstellungen, die mit unkritischer Selbstverständlichkeit die ordinatorische Handauflegung als testificatio meinen verstehen zu können. Denn die Heilige Schrift geht nun eben nicht in dem religionsgeschichtlich Erklärbaren auf. Es hat vielmehr der Herr und der Heilige Geist sich des somatischen und des pneumatischen Elementes in den Realhandlungen bedient, um die Leiblichkeit und Geistlichkeit der Kirche zu begründen und zu erhalten. Und diese anstößigen, unmodernen und auch unbürgerlichen Handlungen und Vorgänge sind die großen Hindernisse, wegen deren wir uns der somatischen wie der pneumatischen Dimension entschlagen und entziehen. Beide hängen eng zusammen: kein soma ohne pneuma und kein pneuma ohne soma. Freilich differenzieren sich deutlich die mehr somatischen Handlungen der Taufe und des Abendmahls von den pneumatischen der geistverleihenden Handauflegung und der Segnung. Da die ersteren handhafter, auch positiver verordnet und leichter erkennbar sind, so werden sie positivistisch festgehalten, während die leichter mißdeutbaren pneumatischen Handlungen sehr viel früher dem Mißverständnis und der Derogation unterliegen.

Das Bild des Notariatsaktes für geistliche Vorgänge ist indessen so

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alt, daß zweifelhaft erscheinen muß, ob Luther es frei gewählt und neugebildet hat. Im Abschnitt über die Taufe wurden bereits die Vertragsvorstellungen erörtert, die sich in der patristischen Literatur an diese angeschlossen haben. Sie haben sich aber noch weiterentwickelt.59 Mit der Ausbildung des griechisch-ägyptischen Urkundenwesens, möglicherweise in Verbindung mit einem Verfall der römischen sponsio als reinem Verbalvertrag bildet sich die Vorstellung aus, daß die liturgischen Erklärungen der abrenuntiatio und des Taufgelübdes Urkunden seien, die zwar nicht realiter abgefaßt oder symbolisch angedeutet, aber ideell angenommen werden. So findet Hantsch bei Ephrem dem Syrer (S. 373) die Stelle:

„semel abrenuntiasti satanae et angelis eius, pactus autem es cum Christo coram multis testibus: at vide cuinam pactus sis, et ne parvipendas: Id porro noveris, quod Angeli in hora illa voces tuas et pacta tua, abrenuntiationemque tuam descripserint et in coelis usque ad horribiliem illum diem conservant.”

Die vielen Zeugen sind die Gemeinde: die Engel aber erscheinen als eine Art Notare, welche das pactum nicht nur niederschreiben, sondern wie in jenem Urkundenrecht als Urkundenhüter (syngraphophylax) verwahren.

Diese Vorstellung ist nach Hantsch genau in den Ritus der griechischen Mönchsprofess übergegangen. Aber auch bei der Taufe kommt die Vorstellung der Übergabe eines grammation vor, welche das Gelöbnis begleitet. So sagt ja auch heute noch die Redewendung, daß man sich einer Sache „verschrieben” habe, auch wenn in dieser Selbstverpflichtung in Wirklichkeit von einer Urkunde nicht die Rede sein kann. Parallel findet Hantsch bei Ambrosius von Mailand die Wendung „chirographum tuum in coelis tenetur” in Bezug auf die Taufe.

Westen und Osten haben also die gleichen Vorstellungen. Ob Luther die Notariatsvorstellung aus der Mönchstradition oder später aus der patristischen Literatur gewonnen hat, mag dahin stehen. Es ist jedenfalls sehr unwahrscheinlich, daß eine so alte Vorstellung sich ganz ohne solche Rückbeziehung neu bildet. Die Gedanken sind jedenfalls bei ihm eigentümlich verschoben. Bei Taufe und Gelübde sind die Partner der Mensch und Christus: die urkundliche Verbriefung hat keinerlei Bedeutung für die Wirksamkeit, sondern allein für die Kundbarkeit — der Mensch schafft einen Beweis gegen sich. Wenn auch das Schwurwort verhallt — es wird von den Engeln aufbewahrt. Bei Luther aber ist der Ordinator, der doch vice Christi handelt, gleichzeitig Notar. Die Unvergleichlichkeit der Partner, die ein Motiv abgibt, diese wichtige Verschwörung gerade festzuhalten, ist einem Pakt unter Menschen gewichen.

Diese Partner nehmen sich wie Hans und Grete zur Ehe, wobei der Pastor weder als Mann und Haupt hervorgehoben noch auch sub

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contrario als derjenige erscheint, der sich zum Dienste hingibt. Die Unterschiedlichkeit der Rollen, die in den biblischen Aussagen über die Ehe eine solche Rolle spielt, kommt in dem Trauungsbilde nicht vor. Andererseits ist der eschatologische Aspekt eine Dauer bis zum jüngsten Tage umgekehrt in die präsentische innerweltliche Bezeugung und Bekräftigung. Weder die unvergleichliche Überlegenheit und Würde des Herrn dieses Rechtsgeschäfts, welche immerhin noch in dem Gedanken des pactum supra partes festzuhalten versucht wird, noch der besondere Gehalt des Verhältnisses, noch ein eschatologischer Aspekt ist hier enthalten: es handelt sich um eine geradezu banale Publizität.