11. Über das Recht der „Laien” in der Kirche

Der Begriff „Laie” ist hier in der Überschrift in Anführungsstriche gesetzt, weil er für das Gemeinte unzulänglich ist. Was über das Verhältnis von Priester und Laie zu sagen ist, ist in Kap. IV schon vorweggenommen worden. In der Sache stehen sich Amt und Nichtamt gegenüber — dieser Unterschied ist nicht aus der Welt zu schaffen. Es ist gewiß nicht von ungefähr, daß der Begriff Laie als Gegenbegriff dort auftritt,

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wo es um ein Handeln an Personen kraft einer besonderen Befähigung und Vorbildung geht, beim Priester, beim Juristen, beim Arzt. Freilich hat sich die Bedeutung darüber hinaus erweitert: man spricht eben so etwa vom wissenschaftlichen oder vom kaufmännischen Laien, weil und soweit auch hier eine gewisse Exklusivität des Wissens und der Erfahrung vorliegt. Regelmäßig kommt ein Moment der Professionalität hinein, weil solches Erfahrungswissen eine volle Hingabe an den Tätigkeitsbereich erfordert und voraussetzt. Andererseits führt der Streit um den Begriff regelmäßig nicht weiter.

In der Betrachtung der Rollen und Relationen, wie sie in Kap. IV vorgeschlagen wurde, scheint mir ein Weg gegeben zu sein, der hier aus den üblichen Objektivationen und falschen Antithesen herausführt.

Die katholische Ekklesiologie bemüht sich neuerdings stärker um eine Theologie des Laientums,181 setzt jedoch den Begriff in einem bestimmten Sinne — auch kirchenrechtlich — als gegeben voraus. Diese geistvollen und reichhaltigen Untersuchungen bedeuten eine Auflockerung der Anschauungen. Aber ihr konkreter kirchenrechtlicher Ertrag ist dabei doch gering. Wenn auch erkannt wird, daß „ein Gemeinschaftsprinzip zum hierarchischen Prinzip hinzutritt”, so bleibt eben dies doch in außerrechtlicher Spiritualität. Rechtskirche bleibt die hierarchische Kirche, Geistkirche sind Klerus und Laien zusammen. Es ist im Grunde genau wie bei uns, nur mit anderen Wertungen und Begriffsinhalten.

Ein begründetes Urteil über die Rechtsstellung des Laien in der Kirche kann nur an Hand der konkreten Verrichtungen in der Kirche, nicht aus allgemeinen Sätzen gewonnen werden. Sind nur jene vier Aufträge der Kirche gegeben: Taufe, Verkündigung, Absolution und Abendmahl, so muß man auch die Stellung des Laien an diesen klären.

1. Daß der Laie taufen kann, ist ein in allen Kirchengemeinschaften, welche die ökumenischen Symbole bewahrt haben, auch heute anerkanntes Recht. Dies ist einer jener wertvollen Sätze des allgemeinen Kirchenrechts, dessen Existenz Barth182 zu Unrecht ausschließt, und deren Vorhandensein für das konkrete Zusammenleben der getrennten Christen die wertvollsten Dienste leistet. Die praktischen Erfordernisse der Laientaufe (hinreichende Unterrichtung über die zu beobachtende wesentliche form, Anzeige an die Gemeinde) bereiten keine durchgreifenden Schwierigkeiten, so etwa bei Hebammen und Schwestern, die am ehesten zur Taufe veranlaßt sein können.

Sachlich ist die Befähigung und Befugnis zu unterscheiden. Die Befähigung des Laien zur Taufe ist auch im katholischen Kirchenrecht (can. 742 CIC) bejaht. Es genügt, dies hervorzuheben, weil die römische Kirche das Recht der Laien am weitesten zurückgedrängt hat, so daß, was sie davon bejaht, sicherlich überall sonst erst recht anerkannt ist. So bejaht auch etwa ein Kanon des Patriarchen Nikephorus von Konstantinopel (806-15 [829]) die Taufe durch einen Nichtpriester.183 Ist dies

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das geltende Recht, so stellt schon Kanon 38 des Koncils von Elvira (306), also vor Konstantin fest, daß auch Nichtordinierte zu taufen berechtigt sind, wenn auch nur im Fall der Not. Das setzt voraus, daß sie grundsätzlich dazu befähigt sind. Es wäre dieser Grundsatz der klerikalen Verdrängung wohl kaum entgangen, wenn nicht die großen Kirchenspaltungen des 3. Jahrhunderts die Frage der Gültigkeit der Ketzertaufe aufgeworfen und die Entscheidung der Frage veranlaßt hätten. Gegen die apostolische Konstitutionen und Tertullian hat sich die Bejahung der Ketzertaufe durchgesetzt.184 Während bei den Schismatikern und Häretikern vielfach die trinitarische Getauftheit der Aufzunehmenden vorauszusetzen war, erweitert sich später die Anerkennung der Ketzertaufe in die Anerkennung der Heidentaufe. So die Päpste Sergius I (687-701) und Nikoaus I (858-67) und ihnen folgend die allgemeine abendländische Tradition. Dieser Grundsatz macht vollends und endgültig die Beschränkung der Taufe auf den Klerus unmöglich. Es genügt nunmehr überhaupt, daß ein Beliebiger tut und intendiert, was die Kirche tut. Die Heidentaufe ist im Grunde eine reine Hypothese, eine theologische Grenzaussage. Ich habe keinen Beleg gefunden, daß sie je praktisch geworden ist. Sie erfordert sehr viel: ein Nicht-Glaubender, dem dies alles selbst nichts bedeutet, muß doch um anderer willen unter Anrufung der Trinität eine sakramentale Handlung mit entsprechender Intention vollziehen. Bei Unitariern, Mohammedanern und anderen Vertretern einer dezidierten Glaubenshaltung wird dies kaum möglich sein. Es setzt denn doch eine gewisse Nichtentschiedenheit gegen den christlichen Glauben voraus, fast im Sinne des biblischen Satzes „wer nicht wider mich ist, ist für mich”. Es bedeutet die Anerkennung der Ketzertaufe in erster Linie, daß es keine Taufsukzession gibt.185 Die orientalische Kirche hat die Anerkennung der Ketzertaufe nicht mit vollzogen. Das liegt im Grunde daran, daß sie die in ihr sich ausdrückende Geschichtlichkeitsproblematik nicht aufgenommen hat. Aber unser Problem der Laientaufe tritt bei ihr noch weniger auf als in der römischen, weil in ihr der Satz „omnis fidelis sacerdos est” noch kirchenrechtliche Bedeutung behalten hat, weil also der Laie sich gerade durch seine Taufbefugnis als Priester erweist.

Weiter bedeutet der Satz im übrigen auch das Verbot, die Gültigkeit der Taufe von dem Glaubensstande des Taufenden abhängig zu sehen. Daß Bekenntniseinheit nicht Voraussetzung der gültigen Taufe ist, sagt auch die „Erklärung der Generalsynode der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands in Ansbach von 1956186 zur Lehre vom Sakrament der Heiligen Taufe”, (I,3) wo es heißt:

„Wir preisen den Herrn der Kirche, daß er solche rechte Taufe nicht nur in den Kirchen unseres Bekenntnisses, sondern auch dort, wo falsche Lehren herrschen, dennoch als Werkzeug seiner Gnade erhalten hat. Die Taufe anderer christlicher Kirchen erkennen wir als gültige Taufe an, soferne sie mit Wasser und im Namen des dreieinigen Gottes vollzogen wird.”

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2. Die Absolution. Die Vollmacht der Sündenvergebung ist mit den Aposteln der ganzen Kirche gegeben ebenso wie die Weisung „beichtet einander”.187

Aber eben diese Anvertrauung an die ganze Kirche macht das Problem aus. Wird der einzelne Christ als pneumatisch begabt, als Träger des Geistes vorgestellt, so gibt es ihn doch nicht als isolierten einzelnen, sondern immer nur im Gefüge der ekklesia und unter ihrer Voraussetzung, in seiner Eigenschaft als Glied am Leibe Christi. Deshalb ist die Frage von vornherein immer unter zwei Gesichtspunkten, in zwei Richtungen und Dimensionen interpretierbar: des einzelnen und der Gemeinschaft. Beide stehen einander so sehr gegenüber, daß sie sich bei folgerichtiger Durchführung nahezu verdrängen. Blickt man auf die Befugnis als solche, so ist eine Begrenzung auf den Amtsträger biblisch nicht erweislich. Zieht man den eingliedernden Charakter solchen Handelns in Betracht, so ist die Zuweisung an den Amtsträger und der Vorbehalt für ihn zwangsläufig. Aber eben diese Gegenläufigkeit ist für uns in dem Maße sichtbar geworden, welche die Option für das eine oder das andere nicht mehr zuläßt. Eben diese ganz selbstverständliche Vorentscheidung für die Befugnis des einzelnen oder der ganzen, dann durch das Amt repräsentierten Kirche macht die gewohnten Entscheidungen so verdächtig. Wenn die Reformation wesentlich dahin im Ergebnis verstanden wird, daß sie einer allgemeinen Vorentscheidung für das Ganze und das (exklusive) Amt nicht wesentlich mehr als eine entsprechende Vorentscheidung für den einzelnen Christen entgegenzusetzen hat, ohne diese Gemeinschaftsdimension anders zu verstehen als eine abgeleitete Vertretung, so wäre das jedenfalls nicht zulänglich. Erst jenseits solcher bezüglichen Antithesen kann die Lösung gesucht werden. Wir müssen ferner damit rechnen, daß eben diese Frage nicht explizit zu voller rationaler Auflösung gebracht werden kann.

Die Frage der Befähigung, der Vollmacht kommt in der alten Kirche deswegen nicht zum Austrag, weil die Absolution als Rekonziliation in facie ecclesiae, vor versammelter Gemeinde, also unter deren Mitwirkung sich vollzog. Die wesentlich seltenere, offenbar damals noch als Ausnahme betrachtete Privatbeichte und Absolution erscheint als solche vor und durch den Priester. Hinzu kommt noch eine ausgebreitete Seelsorge durch Charismatiker. Daß aber grundsätzlich der Laie absolvieren konnte, zeigt noch die relativ späte Bestimmung des Provinzialkonzils von Trier 1310, die sich darauf bezieht.188

Wenn freilich der Laienbeichte von der katholischen Theorie ex voto Wirksamkeit zugesprochen wird, so ist eine solche Argumentation befremdlich. Mit Sicherheit läßt sich die Frage insoweit lösen, als die Öffentlichkeit der Gemeinde im Spiel ist. Die Rekonziliation desjenigen,

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der vom Glauben abgefallen ist, wie etwa in der alten Kirche ein traditor, heute ein „Deutscher Christ”, kann nicht Sache des einzelnen sein. Schon in der alten Kirche hat die den confessoren zugeschriebene geistliche Vollmacht (martyrium = ordinatio) große Schwierigkeiten hervorgerufen, weil sie, rein persönlich und zuweilen willkürlich handelnd, einzelnen ohne die Gemeinde die Versöhnung zusprachen. So kann auch die Wiederannahme des öffentlichen Sünders (CA XXVIII) nur Sache des Amtes sein, weil die ekklesia davon unmittelbar tangiert ist. In diesen Fragen wie erst in allen solchen des Glaubens und des Bekenntnisses überwiegt der Gemeinschaftscharakter so sehr, daß eine Ausspielung der geistlichen vollmacht eines einzelnen hier nicht statthaben darf. Wie die Geschichte des Bußrechts zeigt, sind beide Seiten der Frage eigentlich erst dadurch so sehr in ein Mißverhältnis geraten, daß eine Individualisierung des Personverständnisses wie des Sündenbegriffs sich durchsetzt. Dieser radikalen Individualisierung stand dann eine ebenso radikale Ausschließung der Laienabsolution gegenüber. Hieran hat sich der Konflikt in der Reformation entzündet. So paradox es klingt: je mehr der Individualismus in diesen Fragen überwunden wird, desto mehr wird sich die Spannung zwischen Amt und Nichtamt auf diesem Felde lösen lassen und von selbst entschärfen.189

3. Predigt und Lehre. Das gesamte Bild der urchristlichen und altchristlichen Gemeinden zeigt deutlich, daß die Lehre als ein Charisma von der speziellen Beauftragung und Bevollmächtigung nicht abhängig war. Hinschius führt Origenes an, welcher mit Zustimmung der Bischöfe als Nichtordinierter gelehrt habe.190 Erst Leo I. habe im Interesse der Aufrechterhaltung der kirchlichen Ordnung den Laien dieses Recht abgesprochen. Tatsächlich kann nun keine Kirche ohne ausgebreitete Katechtentätigkeit und schulische Belehrung vielfältigster Art auskommen. Es ist gar keine Rede davon, daß diese Aufgaben allein von Ordinierten wahrgenommen werden können. Erst recht gilt dies für die christliche Unterweisung durch die Eltern. Es kann dies auch nicht allein mit einer Delegation des Amtes begründet werden.

Aber ebenso gewiß ist die Predigt und Lehre in der versammelten Gemeinde als versammelnde, integrierende, leitende, auferbauende, aber auch abgrenzende und abwehrende Tätigkeit, zumal in dem besonderen Geschehen des Gottesdienstes Sache des geordneten Amtes. Sie ist keineswegs nur eine Frage der Gestattung durch die ekklesia, sondern ist bedingt durch die geistliche Vollmacht, welchem dem ordinierten Amtsträger zugesprochen und verliehen wird. Und in dem Maße, in welchem Lehre nicht das jederzeit erfordert missionarische Zeugnis, sondern ein planmäßiges Handeln ist, welches katechetisch der Versammlung der Gemeinde unter dem Worte Gottes zudient, in dem Maße bedarf es auch der ordinatorischen Bevollmächtigung. Es hat also die Lehre der Kirche eine aktuale und eine instituierende und deshalb

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institutionale Seite. Deshalb sind mit Recht mehr und mehr die Religionslehrer an öffentlichen Schulen mit einer kirchlichen Vokation und Einsegnung nach entsprechender Zurüstung und Prüfung versehen worden.

Wie die Typologie der drei Ämter der Kirche eine doppelläufige ist (Kap. V), also episkopales, presbyterales, diakonales Handeln im Amte und außerhalb des Amtes vorkommt, so ist auch die Verteilung auf Amt und Nichtamt in den einzelnen Verrichtungen doppelläufig, aber mit bemerkenswerten Unterschieden.

Daß die Taufe regelmäßig durch das Amt vollzogen wird, ist angesichts der allgemeinen Gültigkeit der Laientaufe wesentlich eine Ordnungsfrage. Bei Absolution und Lehre ist es dagegen entschieden bereits eine Sachfrage. Je weiter wir in dem Raum des geistlichen Handelns fortschreiten, von der Taufe zum Abendmahl, desto stärker tritt das Amt bis zur Ausschließlichkeit hervor.

Von jenen drei Verrichtungen unterscheidet sich das Abendmahl in wesentlicher Weise. Es ist nicht formlos wie die Lehre. Maurer sagt:

„Es ist kein Zufall, daß das Moment der Öffentlichkeit nur in Bezug auf die Lehre, nicht auf die Sakramentsverwaltung ausdrücklich hervorgehoben wird (scil. CA XIV — publice docere aut sacramenta administrare nisi rite vocatus). Denn die Lehre kann als Funktion des allen Gläubigen auferlegten ministerium verbi auch privat weitergegeben werden. Das geschieht legitim innerhalb der Familie durch den Träger des hausväterlichen Amtes, das geschieht in der mutua consolatio fratrum (?). Öffentlich aber, d.h. vor versammelter Gemeinde soll außer im Falle der Not nur durch den rite vocatus verkündigt werden … Damit ist aus dem allgemeinen Dienstamt … ein besonderes öffentlich-rechtliches Pfarramt ausgegliedert. Daß ihm — im Regelfalle — die Verwaltung der Sakramente ausschließlich vorbehalten ist, hängt mit deren Öffentlichkeitscharakter zusammen. Sie können legitim nur im Auftrag (?) und im Rahmen der versammelten Gemeinde ausgeteilt werden: ein Winkelsakrament ist vor allem in Hinblick auf das Abendmahl für das Verständnis der Reformation ein Widerspruch in sich selbst. Darum hält es Luther für unmöglich, im privaten Hausgottesdienst, bei dem der Hausvater das ministerium verbi innehat und im Notfall auch die Taufe vollziehen kann, das Abendmahl zu feiern.” 191

Das ist im einzelnen unscharf. Die mutua consolatio gehört nicht unter das docere. Vom „Auftrag der Gemeinde” ist hier zu kurz geredet, auch im Verhältnis zu genaueren Aussagen Maurers selbst. Das Verhältnis von Taufe und Abendmahl ist differenter als hier zum Ausdruck kommt, so wenig die Taufe ein Privatakt der geistlichen Selbstversorgung sein kann. Aber in der Hauptsache ist der Hinweis richtig, daß die Lehre nebeneinander privates und öffentlich-gemeindliches

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Handeln zuläßt, während dies bei den Sakramenten, hauptsächlich aber beim Abendmahl nicht der Fall ist. Die tieferen Gründe, die die Spannung zwischen der Gültigkeit der Ketzertaufe und dem strikten Vorbehalt des Abendmahls für das Amt hervorgerufen haben, habe ich darzustellen versucht. Dieses ist nicht individueller Zuspruch wie die Absolution. Es kann nicht von der Gemeindeversammlung abgelöst werden wie die Taufe. Es ist vielmehr in einer besonderen und entscheidenden Weise Gemeinschaftshandlung. Selbst das Krankenabendmahl ist entweder eine Feier in einer kleinen Gemeinde oder eine Aussendung oder Ausgliederung aus dem Abendmahl der Gemeinde. Es begründet nicht wie Taufe und Absolution die Gemeinschaft erst neu, sondern setzt die zu erneuernde und sich neu vollziehende immer schon voraus. Es führt nicht allein in die Grenzsituation wie die Predigt, sondern überschreitet in einer ebenso bedeutsamen wie gefährlichen Weise diese Schwelle. In einer unausweichlichen Weise fordert es in der Admissionsentscheidung des handelnden Liturgen wie in der Glaubensentscheidung des Empfangenden eben die Entscheidung in der Begegnung, so sehr, daß das vielfach eine unbegründete Sakramentsfurcht hervorgerufen hat. Es ist der Ort, wo die Gemeinschaft mit dem Herrn durch die Hand des Handelnden ihre dichteste Verwirklichung findet. Denn Predigt und Lehre verbinden selbst nicht mit der gleichen Unmittelbarkeit, sondern eher in der Folge, wenn sie recht aufgenommen werden. Der konsekutive Zug der Wortverkündigung und Lehre überwiegt den nicht fehlenden präsentischen ebenso deutlich wie umgekehrt im Sakrament.

Dieser schlechthin scheidende wie versammelnde Charakter des Abendmahls weist es nun im Gegensatz zu allen anderen genannten Handlungen eindeutig und ausschließlich dem Amte mit der Gemeinde zu. Aus denselben guten Gründen, aus denen die Reformation die Privatmessen (CA und Apol. XXIV in Übereinstimmung mit der alten und griechischen Kirche) verworfen hat, also Messe ohne Gemeinde ablehnt, aus denselben Gründen gehört das Abendmahl dem Amt und ist nicht Sache der Charismatiker hier und dort nach Bedarf oder gar Willkür. Es ist aber auch die Verwaltung des Abendmahls so sehr eine Sache der Leitung und Auferbauung der Gemeinde, daß es den zur Gemeindeleitung Beauftragten und Berufenen vorbehalten bleiben muß; es ist ein Fall der von Karl Barth gegeißelten kirchenrechtlichen Unernsthaftigkeit, wenn Kirchenleitungen und Pfarrer unordinierte Vikare da- und dorthin auf dem Wege der bloßen schriftlichen oder mündlichen Beorderung zur Sakramentsverwaltung veranlassen. Wenn sich hier die repraesentatio patris per filium in der Person des Vicarius im Amte vollzieht — hier und jedenfalls hier in der bestimmtesten Weise —, dann muß diese Vollmacht ebenso ernst genommen werden wie der Vollzug selbst und der Empfang. Es gibt also keinen Generalsatz, daß jedes Gemeindeglied alles zu jeder Zeit und an jedem Ort nach Bedarf

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kann. Auch bei den in der Erklärung des Oekumenischen Ausschusses der VELKD gemeinten Not- und Grenzfällen (Ziffer 11) kann es sich also nicht um ein Handeln außer dem Amt handeln, sondern um ein Übernehmen des Amtes in einer besonderen Weise. Wir unterscheiden hier thematisch diejenigen Handlungen, die jedem Christen vermöge der Taufe und seines besonderen Charismas zukommen und solchen welche die Amtsvollmacht erfordern. Unter welchen Bedingungen diese letztere sich bildet, ist im Abschnitt über die Ordination zum Amte schon erörtert.

Es ist daher die Bindung des Abendmahls an das ordinierte Amt nicht allein aus der Rücksicht auf den jurisdiktionellen Charakter der Zulassung oder Ausschließung nach Art. XXVIII CA zu begründen, der freilich schon die Schwergewichtigkeit dieses Handelns deutlich macht und ein nur gelegentliches Handeln ausschließt. Es geht darüber auch um den ordinatorischen Charakter der Feier, der mit der repraesentatio und dem kephalé-Charakter des Amtes verknüpft ist.

Worum es in der Tiefe hier geht, ist schon damit angedeutet, daß eingangs nicht von einem Allgemeinbegriff ausgegangen wurde, sondern vom konkreten Auftrag der Kirche. Es geht darum, daß nicht dem qualifizierten Subjekt im Klerus ein ebenso, nur umfassender qualifiziertes Subjekt im Laientum entgegengestellt wird. Bricht man mit diesen Generalbegriffen der ekklesiologischen Anthropologie, so wird sich das Verhältnis von Amt und Gemeinde, von besonderem Amt und den Diensten der Gemeindeglieder sehr viel einfacher lösen, als man nach der Streitlage annehmen könnte.

In diesem Sinne gibt es weder Klerus noch Laien, sondern verschiedene Berufungen und Vollmachten.

Aber die Triebkraft für die Entwicklung unseres Problems liegt nun auch noch an einem anderen Punkte. Alle die geistlichen Handlungen, die der getaufte Christ verrichtet, sind ja kein privates Handeln an einem ebenso privaten Menschen als Gegenüber. Sie sind immer Eingliederung des Betreffenden in den Leib Christi, Versöhnung mit Gott unter Hinzutun und Zurückführen in die Gemeinschaft mit der Kirche, sind Auferbauung der Gemeinde. Da sie so gemeinschaftsbezogen und gemeinschaftsbegründend sind, unterliegen sie auch dem Urteil und der Leitungsbefugnis des Amtes, so gut wie das Amt sich auch einer kritisch urteilenden, den Geist prüfenden Gemeinde gegenüber sieht. Es ist daher grundsätzlich das legitime Recht des apostolischen Amtes, alle solche gerade charismatischen Gaben in das Ganze der Gemeinde einzugliedern, sie zu begrenzen und an ihren Platz zu stellen, damit sie förderlich und nicht hinderlich seien. Diese Befugnis ist im echten Sinne geistliche Jurisdiktion als „Entscheidung über die Angezeigtheit geistlichen Handelns”. Das zeigt sich in der Rückprobe gerade darin, daß die Befugnis des Laien, selbständig zu handeln, also auch Jurisdiktion

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über die Angezeigtheit solchen Handelns zu üben, immer da am stärksten und unmittelbarsten hervortritt, wo die verfaßte Kirche und ihr Amt nicht wirksam werden können: bei Todesgefahr, unter Soldaten, auf See, in der Wüste, in der Gefangenschaft. Daß ein solches Handeln immer die Anerkennung der Kirche zu suchen Anlaß hat, besagt auch die Entschließung des Oekumenischen Ausschusses der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche zur Frage der apostolischen Sukzession.192

Nun hat aber das Amt seine legitime Jurisdiktion im Laufe der Geschichte immer stärker dazu benutzt, um über ihre Ausdehnung das jurisdiktionelle und ordinatorische Recht der Laien zunächst auf extreme Fälle einzuschränken, und dann völlig zu bestreiten. Die Ausübung des Rechtes ist so interpretiert worden, daß von ihm nur noch die leere Schale übrigblieb, die dann auch beiseitegetan wurde. Hierarchie und Klerus haben in steigendem Maße, allein bestimmend in der Bildung und Fortentwicklung des Kirchenrechts und in eigener Sache entscheidend, sich das Recht der Laien selbst vindiziert, um sie auszuschließen. Das war aber nur deshalb möglich, weil grundsätzlich das Problem der Zuordnung von Laiencharisma und Amtscharisma zu Recht bestand und deshalb in dieser Richtung entwickelt werden konnte. Das Gefälle ist evident. Das Mittel ist ein verhältnismäßig einfaches und führt unmerklich zur Abschaffung, zur derogatio silentiosa eines ursprünglich unzweifelhaften charismatischen Rechtes durch die willkürliche, um nicht zu sagen schikanöse Ausdehnung eines ebenso unbestreitbaren Rechtes. Deswegen wird aber auch das Problem durch die bloße Umkehrung der Konzeption aus einer klerikalen in eine laikale noch nicht gelöst.

Dieses Gefälle nimmt seine Kraft aus der Besorgnis, ja geradezu Angst, es könne irgendetwas Wesentliches in der Hand der Laien, im freien Wirken ihres Charismas verfehlt und in Unordnung gebracht werden. Das erscheint dieser Anschauung auf der Seite des Klerus jedenfalls in dem menschenmöglichen Maße ausgeschlossen, so wenig dieser deswegen grundsätzlich idealisiert zu werden braucht. Die gleiche Haltung finden wir allzu häufig auch ohne kirchenrechtliche Theorie in dem zum Ein-Mann-Amt entarteten Pfarramt, hier bezogen nicht auf eine mächtige hierarchische, aber auch planmäßig geleitete Körperschaft, sondern auf den sehr isolierten einzelnen, der über die Amtslast stöhnt, aber doch den Ämtern keinen Raum geben will.

Im ganzen aber handelt es sich um weit mehr als um falsches Sicherheitsstreben und menschliche Einseitigkeiten. Allen exegetischen, dogmatischen, kirchenrechtlichen Aussagen in diesem Bereiche liegen vielmehr sehr tiefe und grundsätzliche Entscheidungen voraus, die alles Nachfolgende in ihren Horizont einbeziehen, wie das Vorzeichen vor der Klammer. Man kann die Vorentscheidungen am ehesten als typologische bezeichnen. Es ist etwa die Entscheidung für den Typus des Klerus. Sie schafft die eindeutige Überzeugung, daß jedenfalls im Klerus

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immer eine unbezweifelbare, unwandelbare, undiskutable Basis gegeben ist, während alles andere demgegenüber als zweifelhaft, wandelbar, erst noch zu erhärten und zu erweisen ist. Sie schafft juristisch gesprochen eine unwiderlegbare Vermutung für das Amtsrecht des Klerus im ganzen. Das drückt sich darin weiter aus, daß das römische Kirchenrecht das Amtsrecht mit jeder wünschenswerten Positivität und Eindeutigkeit ausbildet. Für das Recht der Laien bleiben nur schwache, problematische Ansätze, zunächst das subjektiv-öffentliche Recht auf geistliche Versorgung und geringe, schwierig zu erhebende und zu interpretierende Mitwirkungs- und Akklamationsrechte. Die Kirche hat im Klerus — genauer im Papsttum und Bischöfen — ihren Stand, ihr Standbein. Der altkirchliche Satz: „ecclesia consistit in episcopo, clero et omnibus stantibus” ist seiner kirchenrechtlicher Bedeutung entkleidet.

Aber ist es bei uns irgendwie anders?! Liegt nicht bei uns allem und jedem auf dem gleichen Felde die Entscheidung für einen grundsätzlich laikalen Typus zugrunde? Ein gut biblischer Satz wie der von den zwei oder drei, die die Verheißung der Gegenwart des Herrn in der Versammlung für sich haben, wird zu einem Generalsatz ohne Interpretation und Limitation. Daß die Wirkungen dieser Präsenz sich zu denjenigen in anderen Versammlungen irgendwie verhalten müssen, daß die sich Versammelnden von etwas bereits herkommen (ut hanc fidem consequamur …), daß es noch andere ebenso gewichtige stiftende Herrenworte gibt, die in diesem Satze liegende Verneinung von Individualrechten!, alles dies kommt gar nicht mehr in Anschlag.

Das einzige, was festgehalten wird, ist, daß es sich nicht um eine Selbstversammlung, sondern um eine Versammlung durch das Wort Gottes handelt. Wie wenig ist selbst die Einsicht verbreitet, daß ein sog. Gemeindeprinzip schriftwidrig und keineswegs reformatorisch ist!

Freilich: Lutheraner und Altreformierte lehren als notwendiges signum ecclesiae das Amt bzw. die Ämter in der Mehrzahl. Aber während die umfassenden Rechte der Gemeinde und des einzelnen getauften Christen diskussionslos außer Frage stehen, ist bis heute eine geklärte Lehre vom Amte nicht vorhanden: innerhalb der Amtslehre gibt es alle Spielarten vom sacramentum ordinis bis zur Beauftragung durch die Gemeinde. Vierhundert Jahre nach dem Abschluß der reformatorischen Bekenntnisbildung kann es als eine bedeutsame und noch zu bewältigende Aufgabe bezeichnet werden, eine solche Lehre vom Amt zu begründen. Das bedeutet aber, daß diese Lehre ein so sekundäres Interesse besessen hat, daß man die Frage anstehen lassen konnte. Sie ist also keine prinzipale gewesen. Das geringe Interesse Luthers an der Ordination wird aus allen oben angezogenen Darstellungen sehr deutlich. Wäre vollends nicht der ständige Anstoß der bischöflichen Kirchen gegeben, welche auf diese Fragen hindrängen und den Mangel an Klarheit und geistlicher Ausprägung uns vorhalten,193 so würde keine

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Nötigung empfunden. Das macht auch die Angefochtenheit der lutherischen Amtslehre aus, die sozusagen zwischen zwei Feuer gerät. Ohne Zweifel hat der gesamte Protestantismus seine unangefochtene Basis im laikalen Typus und sein variables Element auf der Seite des Amtes.

Vor dieser inhaltlichen Entscheidung, die den gesamten ekklesiologischen Typus bestimmt, liegt, so wichtig und wirksam sie ist, eine noch wichtigere und wirksamere: eine formale. Eine uns mit der römischen Kirche gemeinsame, offenbar abendländischen Formalstruktur des Denkens läßt nur eine eingleisige, eine einheitliche, aus einer Quelle, in einer Linie verlaufende Auffassung und Konzeption zu, stößt alle antinomischen Momente aus und ab, welche diese Einheit und Reinheit durchbrechen. So wie die große katholische Dogmatik von Schmaus mit der geometrische Figur der Pyramide geschmückt ist, so geht alles entweder nur von dem einen Begriff des Sakraments, oder dem einen Begriff des Wortes aus. Alle Dualismen, Antinomien, dialektischen Verhältnisse und Komplementaritäten müssen noch immer wieder in unseren einen Zentralbegriff ausmünden, damit wir sie annehmen. Die Unbedingtheit des Glaubens scheint nur unter der Bedingung der Anpassung an unser Eindeutigkeitsbedürfnis bestehen zu können, und unsere Christlichkeit besteht um den Preis nicht nur der liturgischen, sondern der kirchenrechtlichen Häresie. Selbst das Geheimnis der Trinität wird letztlich doch immer wesentlich von einer Seit her interpretiert, soviel darüber auch gesagt werden mag. Nur eines schließen wir aus, daß Gott sich uns etwa in einer erkennbaren, nicht abzureden, sinnvollen, aber nicht auflösbaren Widersprüchlichkeit bezeugt haben könnte, und daß seine Souveränität, Heiligkeit und Unverfügbarkeit eben darin sich ausdrücken könnte, daß wir diese Widersprüche stehen lassen, nicht aufzulösen unternehmen und heilsam unter uns wirken lassen.

Die verschiedenen Linien der Betrachtung, die sachlich-inhaltliche, die geschichtliche und die typologische schließen sich hier wieder zu einer Einheit zusammen.

Letztlich geht die eine Linie der Haltung wesentlich von der Taufe aus, auf die man immer nur wieder zurückkehren, über die hinaus eigentlich nichts geschehen könne, und welche den Christen mit allen denkbaren Vollmachten wenigstens potentialiter ausrüstet, die nicht auf das Amt zu begrenzen sind. Die andere Linie geht vom Abendmahl, seinen rechtsbildenden Momenten aus, und stellt daher mit dem Ganzen das Amt exklusiv voran. In der Entscheidung dieser Fragen wird immer wieder unbewußt das Taufrecht gegen das Abendmahlsrecht ausgespielt. Dies ist der Zustand, die Haltung, die zu überwinden sind.