10. Die Ordination nach der Agende IV der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands

Inhalt und geschichtliche Stellung dieser Agende ist bereits in Abschnitt 3 dieses Kapitels im Zusammenhang erörtert worden. Es bleibt übrig, besondere Fragen zu behandeln, welche durch diese Gestaltung und ihre Begründung aufgeworfen werden.

Auf S. 13 des erwähnten Begleitwortes wird die Frage des geistlichen Standes wie folgt erläutert:

„Es kann nicht geleugnet werden, daß derartige Motive (Aufnahme in eine besondere Gemeinschaft der Amtsträger) auch bei der Ordination der Pfarrer mitsprechen. Ordinieren heißt ja ursprünglich nichts anderes, als die Aufnahme in einen bestimmten ordo vollziehen. Auch die Ordination der Pfarrer schließt mit der Übertragung des

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gesamtkirchlichen Auftrags … die Aufnahme in den ,geistlichen Stand’, oder besser: in den ,Stand zum pfarramtlichen Dienst verpflichteter Amtsträger’ ein und darin besteht praktisch der charakteristische Unterschied der Ordination von der Einführung … Für Luther gibt es neben dem Stand der Ehe … und dem Stand der Obrigkeit auch den ,geistlichen Stand’. Die Stände sind für ihn die von Gott geschaffenen Ordnungen, deren Gliedern bestimmte Aufgaben und Dienste übertragen sind, und die in Erfüllung dieser Dienste eine Gemeinschaft, einen Stand oder ordo bilden.”

Der Begriff ordo (wie das griechische Synonym taxis) hat nun unzweifelhaft eine doppelte Bedeutung, ist zweiseitig: er bedeutet sowohl eine bestimmte personale Rolle (mehr als eine bloße Funktion), aber auch die Gemeinschaft der Rollenträger. Die Brücke zwischen beiden Bedeutungen liegt darin, daß der Träger einer solchen Rolle eben dadurch in einen bestimmten gruppenmäßigen Zusammenhang eintritt.165

Der Zusammenhang von ordo und Stand ist weitgehend erst eine Frucht des konstantinischen Bundes. „Einen gleichen Aufschwung nahm die bürgerlich und soziale Stellung des Klerus. Er war zwar in Rom selbst schon im dritten Jahrhundert aus der in bischöflicher Verwaltung stehenden Kasse unterhalten worden. Allgemein aber löste ihn erst die konstantinische Gesetzgebung aus den bürgerlichen Berufen und erhob ihn zu einem besonders privilegierten Stande”.166

Aus der Untersuchung Sohms ergibt sich, daß zwischen dem konkreten Amt und Dienst einerseits und dem ordo ein sehr viel engerer Zusammenhang besteht als nach den Ausführungen des Begleitwortes. Der ordo als Amt ist die Bedingung der Zugehörigkeit zum ordo als Stand. Die Unterscheidung der (allgemeinen) Übertragung des gesamtkirchlichen Auftrages von der (besonderen) Einführung in das konkrete Amt ist hier undenkbar. Der Gedanke, es unterscheide sich die Ordination von der Einführung dadurch, daß hier der Ordinand in den Stand/Ordo eingeführt werde, verkehrt die Dinge nun vollends. Die Eingliederung in die Standesgemeinschaft gewinnt ein sehr viel größeres Gewicht, als sie in der von Sohm geschilderten Übung und Auffassung besitzt. Das ist aber die Folge der im Begleitwort übersehenen Tatsache, daß die Ordination nach Agende IV dem neukatholischen Typus der absoluten, von einem konkreten Amt abgelösten Ordination folgt und entspricht. Der Ordinand wird durch die Ordination zunächst mit dem allgemeinen Auftrag betraut und damit in den Stand eingegliedert, und dann erst in ein konkretes Amt eingeführt. Eben dadurch gewinnt der ordo als Stand jenes Gewicht. Es ist zwar nicht mehr der stufenmäßig gegliederte Stand, sondern der Stand neben (nichtgeistlichen) Ständen. Aber die Gemeinsamkeit ist dennoch sehr groß. an die Stelle des (realistischen) Kosmos der Stufen tritt das (nominalistische) Nebeneinander freier göttlicher Anordnungen und Stiftungen von Ständen. An die Stelle der

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einen Hierarchie treten die drei Hierarchien der lutherischen Soziallehre.

So wie die Hierarchie der Stufen sich mehr und mehr von der gottesdienstlichen Zuordnung der ordines, ihrem Quellpunkt entfernt und sie überformt, so gewinnt auch der Standesgedanke ein unverhältnismäßiges Gewicht: freilich mit dem charakteristischen Unterschied, daß es sich nicht mehr um Ämter, sondern um das eine Amt handelt, welches neben sich zudienende Verrichtungen, aber keine eigentlichen geistlichen Ämter mehr kennt.

Damit ist nun unausdrücklich, aber nicht weniger entschieden das eine Amt in der geschichtlichen Gestalt des Pfarramts festgelegt. Denn ausgehend von dem Gedanken des geistlichen Standes wird nun der Hauptamtlichkeit des Amtes ein ganz wesentliches Gewicht beigelegt. Die Ordination nebenamtlicher Diener der Kirche wird für den Regelfall ausdrücklich abgelehnt.167 D.h.: die Professionalität des Amtes, das bei weitem äußerlichste Merkmal, wird zum bestimmenden. Das eine Amt (der Verkündigung und Sakramentsverwaltung, bezogen auf die Gemeinde) + Professionalität ergibt als Produkt das historische Pfarramt. So wird die historische Gestalt zur begrifflich geforderten. Und die Kirche, die sich grundsätzlich funktional und jedenfalls frei von zu fordernden historischen Gestaltungen versteht, wird auf die engste aller historischen Formen kirchlicher Ordnung gestellt.

Der Unterschied wird durch den Vergleich beider obigen Zitate deutlich: nach Sohm ist urkirchlich-altkirchlich jede Verrichtung im Raum der Kirche, jede Verrichtung am Leibe Christi geistlichere Dienst und deshalb ordinationsfähig und ordinationsbedürftig. Die lutherische Kirche definiert vorweg den Dienst der Kirche als Verkündigung und Sakramentsverwaltung und degradiert im strengen Sinne jeden anderen Dienst der Auferbauung der Gemeinde. Ganz unzweifelhaft hat aber schon die Urkirche solche Ämter durch Handauflegung ordiniert, welche ausdrücklich nicht selbst zur Verkündigung und Sakramentsverwaltung bestimmt waren, wie die Diakone nach Acta 6, 1. Tim. 3, 8 ff. War die Begriffsbestimmung der Kirche in CA V und VII von Verkündigung und Sakramentsverwaltung her eine positive zu wertende Loslösung von der generalisierende Definition, so ist doch diese Loslösung nicht voll durchgeführt. Statt vom Gottesdienst her die Ämter zu entwickeln, wird vorweg wieder der Gottesdienst definiert und ausgeschlossen, was sich von einer sogar restriktiven Auslegung dieses Begriffs her nicht als „Amt” darstellt. Es geht auch nicht um den Unterschied zwischen dem einen Amt und einer bestimmten Zahl von Ämtern, wie sie der Calvinismus gefordert und ausgebildet hat. Der Vorwurf, daß diese Vierämterlehre biblizistisch-gesetzlich begründet worden sei, dürfte so einfach nicht zu begründen sein. Viel stärker ist der Einwand, daß hier überhaupt vorweg und ganz allgemein bestimmte Ämter ohne spezifischen Rückbezug auf den Gottesdienst gefordert werden. Hier wirkt

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sich die Prädestinationslehre, der Gedanke der Lehre und Kirchenzucht aus. Die aus einem definitorischen Denken entsprungene Lehre vom einen Amt widerspricht jedenfalls der Vorstellung von Kirche und auftraggemäßem geistlichen Handeln, welche wir sowohl in der Urkirche wie auch noch durch das erste Jahrtausend hindurch in der alten Kirche bis zur Ablösung des ordo vom Amt vorfinden. Es handelt sich auch nicht nur um diffizile Verschiebungen theologischer Begriffe, sondern um deutlich unterschiedene, konkret-historische Gestaltungen.

Im Zusammenhang der Entwicklung des Ordinationsrechts weist sich die Ordination nach Agende IV als abstrakte Ordination aus, mit der Maßgabe, daß entsprechend der schon früher erörterten Bedeutungsverschiebung auf die vocatio der Ordobegriff auf den Standesbegriff umgesetzt wird. Damit gewinnt aber auch die Dreiständelehre, ein zeitbedingter Versuch der „Dogmatik zweiter Hand”, eine anschauliche Sozialkonzeption zu gewinnen, im Raum der Dogmatik erster Hand, der Ekklesiologie, eine unangemessene, weil zeitlose Bedeutung. Die Ekklesiologie sollte vermeiden, sich so stark in Richtung auf die allgemeine Soziallehre festzulegen.

Die Ordination wird vorgenommen durch einen Ordinator, der die Handlung leitet, und assistierende Geistliche. Nach der Vorbemerkung handelt es sich regelmäßig um zwei. Diese Ordnung geht auf den Kanon IV des Koncils von Nicaea I zurück. Dieser Kanon bezieht sich freilich sowohl auf die Wahl wie auf die Ordination. Nach ihm sollen bei der Ordination eines Bischofs grundsätzlich alle Bischöfe der Provinz beteiligt sein. Können nicht alle zusammenkommen, so sollen sich mindestens drei versammeln,  sich mit den abwesenden brieflich verständigen und dann die Cheirotonie, d.h. die sakramentale Handauflegung als Ordination vollziehen. In den Wahlakt gehört dann auch die unabdingbare Befragung der Gemeinde hinein, über welche die Apostolische Konstitutionen berichten. Die Nichterwähnung der Gemeindewahl in Kanon IV besagt also nicht, daß die Wahl allein Sache der Bischöfe war. Wohl aber war die Cheirotonie, innerhalb des Gemeindegottesdienstes, Sache der Bischöfe, wobei die Diakone durch Erhebung des Evangelienbuches über dem Haupte des Ordinanden mitwirkten.

Wilhelm Brunotte168 greift entsprechend seiner radikal antiordinatorischen Amtslehre auch diese Regel der Agende IV ausdrücklich an und fordert die Ersetzung der ordinierten Assistenten durch Kirchenvorsteher oder anderer Gemeindemitglieder. Seine Begründung, es werde der falsche Eindruck erweckt, es berufe Christus nur durch ordinierte Geistliche, beruht zunächst schon auf der bekannten Verwechslung von Berufung und Ordination. Es löst aber auch den genuin lutherischen Dualismus von Amt und Gemeinde auf, die im Gegenüber und Miteinander zueinander stehen. Soweit es sich hier um ein Handeln ad hominem und nicht ad deum handelt, müssen Amt und Gemeinde auseinandertreten:

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Kirchenälteste und Gemeindeglieder, welche den Ordinanden akklamieren, können ihn nicht gleichzeitig in der Rolle des Amtes ordinieren.169 Wie auch immer sonst verstanden, ist die Ordination ein Akt der Übergabe, der traditio, wie denn ausdrücklich vom „Überantworten” geredet wird.

Wir werden damit schon auf den Aufbau und Wortlaut der Ordinationshandlungen selbst geführt, welche nicht weniger von kirchenrechtlicher Bedeutung ist als die bisher erörterten Fragen.

Der Aufbau der Ordination in Agende IV folgt der lutherischen Tradition, welche Mahrenholz auch anderwärts grundsätzlich vertreten hat. Sie schließt an Luthers Formulierungen an und ist in den Grundzügen auch in anderen lutherischen Kirchen in Gebrauch. Danach sind die entscheidenden Handlungen die Zitation der betreffenden biblischen Stiftungsworte, ein spezielles Fürbittengebet und das Vaterunser. Daran anschließende Segenshandlungen werden grundsätzlich exhibitiv verstanden, die zuwendenden Erklärungen sind jedoch demgegenüber sekundär. Sie publizieren, verdeutlichen, aber sind als solche nicht konstitutiv.

Agende IV verfährt entsprechend. Sie hat die Zitation von Matth. 28, Joh. 20, 2. Kor. 5, Eph. 4, 1. Tim. 3 und 4, Vermahnung, Verpflichtung, Gelöbnis des  Ordinanden, sodann Vaterunser und Ordinationsgebet. Unter Handauflegung heißt es sodann: „kraft der Vollmacht, die Jesus Christus seiner Gemeinde gegeben hat, überantworten wir Dir durch Gebet und Auflegung unserer Hände das Amt der Kirche: wir segnen, ordnen und senden Dich zum Dienst am Wort und Sakrament im Namen des Vaters usw. …”

Von besonderer theologischer und kirchenrechtlicher Bedeutung ist hier die Formel „kraft der Vollmacht, die Jesus Christus seiner Gemeinde gegeben hat”, weil hier der tragende Grund des konkreten Ordinationshandelns namhaft gemacht wird. Was hier gesagt wird, muß einwandfrei richtig sein, es darf aber, wenn richtig, nicht mißverständlich sein oder eine Auffassung nahelegen, welche gerade ausgeschlossen sein soll.

Der Ausdruck „Gemeinde” ist hier offenbar gewählt, um den Gemeinschaftscharakter der Handlung zum Ausdruck zu bringen: Gemeinde wird in der reformatorischen Theologie auch dort verwendet, so sachlich eher Kirche als übergreifende Größe stehen könnte oder müßte, weil es keine Übersetzung von ekklesia gibt, welche den ökumenischen und den gemeindlichen Aspekt dieses Begriffs zugleich zum Ausdruck bringt. Sicher ist damit auch gemeint, daß hier das Amt der Kirche übertragen wird, nicht nur eine lokal begrenzte Befugnis. Sodann ist zu Recht damit gemeint, daß es sich nicht um die individuelle potestas der Ordinatoren, einzeln oder gemeinschaftlich, handelt. So richtig dies alles ist, so unrichtig ist doch zugleich, daß Jesus Christus seiner Gemeinde

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eine Vollmacht gegeben habe. Er hat dies vielmehr einer ganz konkreten Versammlung seiner Jünger getan, und zwar zu allererst den Aposteln. Will die Agende die Interpretationsproblematik aus dem Formular heraushalten, so müßte sie sagen „seinen Jüngern”. Alles das, was nach dem oben Gesagten festzuhalten ist, wäre damit auch gedeckt. Der Begriff Gemeinde sive ekklesia aber entnimmt dem Vorgang bereits aus der geschichtlichen Konkretion, weil hier Gemeinde einerseits die biblische Gemeinde, andererseits die Gemeinde überhaupt zu allen Zeiten ist. Das Herkommen von der Gemeinschaft der Apostel ist angedeutet, aber uno actu wieder abgeschwächt. Im Worte „Jünger” würde die Differenz zwischen den tatsächlichen Jüngern Jesu und unserem Jüngersein neben der zu behauptenden Identität der Vollmacht festgehalten und deutlich gemacht. Wichtig aber ist dabei, daß Jesus jedenfalls niemals einem unbestimmten, unabgegrenzten Kreise, allen etwa, die glauben würden, sondern konkreten Personen Vollmacht verliehen hat. Will man sich nicht, wofür manches spräche, auf das Faktische der „Jünger” beschränken, so müßte freilich gesagt werden, „kraft der Vollmacht, die Jesus seinen Aposteln verliehen hat, kraft apostolischer Vollmacht”, und zwar um so mehr, je weniger die Legitimierung dieses Handelns in einer Formalsukzession gesucht wird. Sonst ist auch hier, der Gesamttendenz freilich entsprechend, der Traditionscharakter der Ordination nicht gewahrt und deutlich gemacht.

Vollends ist nun bedenklich, daß die Fassung der Übertragungstheorie der Meinung Raum gibt, daß das Amt nicht kraft göttlicher Stiftung, sondern kraft Übertragung aus Gründen der bloßen Ordnung verliehen werde. Diese Meinung aber wird heute gerade von der lutherischen Ordinationstheologie ausdrücklich abgelehnt, insbesondere und zuletzt von Brunotte,170 also auch dort, wo das Ordinationsverständnis selbst stark reduziert ist. Die Ordinationsformel müßte so gefaßt sein, daß sie die theologisch eindeutig falsche Auslegung ausschließt, nicht dagegen sie zuläßt, ja provoziert. Die Begründung selbst schließt die Übertragungstheorie ausdrücklich aus.171 Warum dann nicht der Text?

Die Tragweite jener folgerichtigen Konzeption verbirgt sich auf eigentümliche Weise. Unter Heranziehung von Apologie XIII wird die Ordination im ganzen als sakramental interpretiert.172 Dagegen wird die Handauflegung, das Kernstück der biblischen und traditionellen Ordination ausdrücklich zu den adiaphora gerechnet!173 Sie ist gute Ordnung, aber nicht konstitutiv — sie kann fehlen. Als Segenshandlung ist sie exhibitiv verstanden, aber als Ordinationshandlung hat sie nicht die Intention der Geistmitteilung. Es wird vorweg Joh. 20 zitiert: Nehmet hin den Heiligen Geist! Als Rezitation der Stiftung des Amtes — aber in concreto wird gerade dieses nicht dem Ordinanden zugesprochen. Die gleiche stillschweigende Aussparung der Intention der Geistmitteilung sehen wir bei der Taufe. Wer das biblische Vorbild der ordinatorischen

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Handauflegung vor Augen hat, wird unwillkürlich diesem Akt eine andere Bedeutung beimessen, als dieser selbst meint. Die Handlung hat unvermerkt ein absteigendes Gefälle. Das von der Ordination geschichtlich abgetrennte Moment der Publikation und Amtsübertragung als Akt humani juris hat neben sich nicht mehr den kommunikatorischen Vorgang der eigentlichen Ordination im biblischen Sinne. Die Gründe haben wir kennengelernt. Aber nur der Kundige wird bemerken, welche Tragweite das hat. Nicht ohne Grund stößt sich W. Brunotte174 an der Handauflegung. Seine Forderung der Fortlassung wäre insofern gerechtfertigt, als mit der Beseitigung eines intentionslosen, adiaphorischen Ritus die tatsächliche Preisgabe des biblischen Vorbildes offenkundig würde.

Zu den einzelnen Worten:

„Überantworten” ist ein schöner, voller Ausdruck für das Traditionsmoment der Amtsübertragung. Durch „Gebet und Auflegung unserer Hände” nimmt bewußt biblische Formulierungen auf, verbirgt aber, daß die Intention mangelt, im Sinne der urkirchlichen Übung und des Verständnisses der Handauflegung eine konkrete Geistesgabe zu vermitteln. Denn nach jener Anschauung wird nicht das Amt übergeben, sondern der Geist zu einem Amt (1. Tim. 4, 14). Der nachfolgende Begriff „Amt der Kirche”, welches so anvertraut wird, ist ein (legitimer) dogmatischer Begriff, kein biblischer. Er ist als solcher nicht liturgiefähig. Die Liturgie kann nicht in abgezogenen Begriffen reden, sondern muß konkret und personal bezeichnen, was sie intendiert. Es könnte also gesagt werden: wir überantworten das Amt des Hirten, des Vorstehers usf. Nicht von ungefähr haben Ämter Namen. Die namentliche Benennung des zu verleihenden Amtes würde von ganz allein die Exklusivität des einen Amtes unmöglich gemacht haben. Denn so bedeutsam dieses Amt auch sein mag: als konkretes schließt es andere Ämter eben nicht aus. Die später nachfolgende inhaltliche Bezeichnung gleicht diesen Mangel nur zum Teil aus.175

Bei der Betrachtung der folgenden Dreierformel ist davon auszugehen, daß die Ordination in vocatio, benedictio und missio besteht.176 Bei der Ordinationsformel würde ein Rückgriff auf die vocatio sachlich nicht am Platze sein und ist hier offenbar auch nicht gemeint. Das dritte Wort enthält zu Recht die missio canonica. Die benedictio ist dagegen in einem Doppelbegriff entfaltet: Segnung und Ordnung. Wenn dies mehr ist als eine sprachliche Plerophorie, so würde es nur heißen können, daß mit der Segnung das auszurichtende Amt, mit dem Ordnen („verordneter Diener der Kirche”) mehr die Standesseite der Ordination zum Ausdruck käme. Die Segnung, die sich nicht grundsätzlich von der Einsegnung der Konfirmanden, der Brautleute usf. unterscheidet, ersetzt jedoch nicht den Mangel der Intention, welche von der Urkirche ab mit der Handauflegung bei der Ordination verbunden worden ist.

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Diese in so vielen Richtungen fragwürdigen Gestaltung der Ordination hat ihren zentralen Grund in einem bestimmten Geistbegriff. Daß die CA keinen Artikel über den Heiligen Geist hat, macht sich hier bemerkbar. Die Urkirche rechnet mit Geistgaben, Charismen, Gaben des personalen Heiligen Geistes, die als solche im Geiste erkennbar sind. Wie Schlink177 dargelegt hat, gibt es solche Geistesgaben als vielfältige in der Gemeinde, aber auch als spezielles Charisma des Amtes, der Leitung. Dieser Geist als eine die Menschen konkret ergreifende Macht ist jetzt ersetzt einerseits durch das Wort, welches sich in der Verkündigung und auch der formellen Zitation selbst imponiert, und andererseits im Glauben. Damit ist die Pneumatologie in die Christologie zurückgenommen.

Wenn das Begleitwort in Verfolg von Apologie XIII nicht nur unverbindlich von der Sakramentalität der Ordination zu reden unternimmt, dann müssen bei der Ordination alle die Fragen entstehen und Merkmale auftreten, die das Phänomen des Sakramentes ausmachen, Realcharakter, Applikation, Gültigkeit usf. Nach dem jetzigen Stande entbehrt auch die Bejahung des sakramentalen Charakters der Ordination der Folgerichtigkeit, mit v.d. Leeuw zu reden, der „logischen Struktur”. Dem entspricht das Bild der Agende IV.

Ein namhafter römisch-katholische Theologe der Gegenwart sagte kürzlich: „Es gibt Leute bei uns, welche behaupten, daß die Sakramente in der lutherischen Kirche keine Gültigkeit haben, weil ihre Diener keine Priesterweihe besitzen. Ich meine, daß es uns nicht zusteht zu beurteilen, wieviel Gnade Gott hier geben will.” Die lutherische Ordination ist sicherlich trotz allem sehr viel mehr, als sich aus dem Formular und seinem gemeinten Sinn erheben läßt — aber sie ist sicherlich auch sehr viel weniger, als sie sein könnte, wenn sie dem Vorbild der Heiligen Schrift in vollem Umfange folgte. Es geht dabei nicht um die Alternative einer zweiwertigen Logik, ob die Nichtbeachtung des biblischen Vorbildes einfach zur Ungültigkeit führt. Wohl aber steht hinter dem Rückzug von der Ordination auf die Segenshandlung die von Luther, Calvin, von Maurer und anderen aufgeworfene kritisch-skeptische frage, ob das Handeln der Urkirche in der gleichen Form unter uns Wirklichkeit und deshalb auch verpflichtende Gültigkeit haben kann. Wenn das so fraglich ist, dann müßte die Kirche auch aufhören zu segnen, vor allem aber zu predigen. Denn wenn die Wörtlichkeit des Wortes, seine Ausrichtbarkeit und Vernehmbarkeit nicht eine verbliebene naturale Möglichkeit des Menschen sein soll, ein verborgener humanistischer Pelagianismus, der uns immer noch bleibt, sondern auf beiden Seiten eine Gabe Gottes, dann wird die Kirche auch das tun können, was die Apostel und die biblische Gemeinde getan haben. Es muß angesichts des Sendungshandelns des Herrn nach allen vier Evangelien allerdings schon dem widersprochen werden, daß es hier (nur) um einen,

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gleichsam zwischeneingekommenen, wohl ehrwürdigen, aber nicht konstitutiven apostolischen „Brauch” gehandelt habe. Diese Bewertung ist eine petitio principii, eine These, deren Herkunft in der späten Geschichte der Ordinationslehre aufzuweisen ist.

Die „Theologische Einführung zum Pfarrergesetz der VELKD” 178 gibt in offensichtlich sehr sorgfältig erwogenen Formulierungen den verbindlichen Stand der lutherischen Ordinationslehre wieder, der bei der Begründung der Agenden nur erläuternd dargestellt war.

Der erste Abschnitt über das Wesen des Amtes gibt in Punkt 1 die biblischen Grundlagen. Hier wird ausschließlich vom Auftrag, niemals von der Vollmacht gesprochen, wie denn dieses Wort auch im weiteren Text nicht vorkommt. Dem entspricht in Teil III (Ordination zum Amt) die Aussage, daß der Ordinand innerhalb der Ordnung der verfaßten Kirche das Recht erhält zur Wortverkündigung, Sakramentsverwaltung und Gemeindeleitung. Das Vollmachtsproblem taucht nur in der anschließenden Ziff. 2 negativ in der Bemerkung auf, daß dieses recht keine unverlierbare Ermächtigung sei, also verlorengehen könne. Im positiven Ausdruck bleibt zwischen dem göttlichen Auftrag und dem in der sichtbaren Kirche verliehenen Recht eine Lücke. Die negative Formulierung (III/2) läßt die wohlwollende Deutung offen, daß das nicht verlorengehende Amt nicht nur ein Recht (nach der alten Terminologie juris humani), sondern auch Vollmacht besitze.

Die grundsätzliche biblische Zuordnung von Auftrag und Vollmacht und ihre Unterschiedenheit ist also verkannt, und wird durch die Unterscheidung und Entgegensetzung von göttlicher Stiftung = Auftrag (juris divini) und öffentlich verliehenem Recht (juris humani) zerrieben. Die Verdrängung der Vollmacht durch die Öffentlichkeit ist deutlich, aber auch typisch — wir werden sie auch im Eherecht mutatis mutandis wiederfinden.

Am Schluß von III wird die Reordination bei erneuter Beauftragung des Entamteten mit Recht abgelehnt, — der einzige deutliche Rest konkreter Geschichtlichkeit im Ordinationsgeschehen.

I/2 beschreibt das Amt nach einer funktionalen Seite, gebunden an den Vollzug, und nach einer personalen Seite, gebunden an den Glauben. Die Gleichsetzung von apostolischem Glauben und apostolischer Sukzession im Sinne des lutherischen „successio id est Evangelium” meint damit den personalen Charakter des Amtes zu erfassen, während in Wirklichkeit hiermit das Problem des Verhältnisses von Person und Kerygma verdeckt ist.179

Teil II wiederholt die Lehre von dem einen Amt, welches im Pfarramt seine Vollgestalt habe. Die Teilfunktionen des Diakonats werden als Ausgliederungen desselben ministerium ecclesiasticum verstanden, gesamtkirchliche Ämter oder solche der geistlichen Leitung werden in II/2 nicht als besondere Ausgleiderungen des ministerium ecclesiasticum

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— wenn man schon auf dessen formelle Einzahl solchen Wert legt — verstanden, sondern als Wahrnehmung des Pfarramtes in einer besonderen Weise. Damit ist der sachliche Fortschritt zunichte gemacht, den die Arbeiten des Theologischen Convents A.B. und in ihnen diejenigen Peter Brunners gebracht haben. Dort ist nämlich hinter die historische Form des Pfarrers auf das biblische Hirtenamt zurückgegangen, als dessen Ausgliederung Pfarrer wie Bischof verstanden werden können, während die Gesetzesbegründung das Bischofsamt zu einem gesamtkirchlichen Pfarrer macht. Der Begriff des Vollamtes, das die römische Kirche dem Bischof vindiziert, ist hier in das Pfarramt umgekehrt. Wie wir gesehen haben, ist eine einseitige und anthropozentrische Gottesdienstlehre die Grundlage für die Lehre vom einen Amt. Nicht weniger bedenklich ist der Begriff des Vollamtes (worin er immer gesehen wird). Er stammt ebenso aus einer Einseitigkeit des Gottesdienstes, aber auch aus einer scholastischen Denkstruktur. Der Begriff erlaubt zwar eine Quantitierung (ein Minderamt, welches Teilaufgaben wahrnimmt), oder andere Anwendungsformen, nicht aber echte verschiedene Gestalten. Er ist ein Idealbegriff als singulare tantum.

Um es mit aller Deutlichkeit zu sagen: die Lehre vom einen Amt ist der Schrift fremd. Mehr noch: sie ist erst unter ganz bestimmten geistes- und sozialgeschichtlichen Voraussetzungen denkbar. Diese Voraussetzungen sind aufweisbar, und erst ihre Aufweisung wird die Überwindung jener Lehre ermöglichen. Sie resultiert aus zwei Komponenten: die eine ist jene Tendenz zur Verallgemeinerung, dem Mißverständnis der Katholizität des Glaubens, wonach es legitim in der Kirche nur gibt, was für jeden gilt.180 Die andere Seite ist die Anschauung von der notwendigen Suffizienz jedes einzelnen Aktes. Aus diesen beiden Voraussetzungen, die aus der gleichen Anschauung stammen, kann es freilich nur ein Amt geben. Dieser Vorwegnahme des kantischen Rationalismus muß widerstanden werden. Subjektbegriff und kausales Denken sind hier in die Lehre von der Kirche eingebrochen. Erst der Abstand von alten, für klassisch ausgegebenen Gestaltungen ermöglicht hier eine sachgemäße Kritik. So kann die Gliederung des Amtes zur Frage der Freiheit der Kirche von ihr fremden Geistesmächten und Sozialstrukturen werden.