1. Der Missionsbefehl als Ordnung der Nachfolge

Wenn Karl Barths Meinung richtig ist, daß Kirchenrecht von der Wurzel her liturgisches Recht ist, vom Gottesdienst zu ordnendes, in ihm immer wieder zu findendes und ihn seinerseits immer wieder ordnendes Recht, dann können die näheren Bestimmungen und angemessenen Begriffe des Kirchenrechts nur aus einer Auslegung des im Gottesdienst Geschehenden, nicht aus Ordnungs- und Zweckvorstellungen außerhalb desselben gefunden werden. Das Geschehen „Gemeinde” hat, so sagt Barth,1 in dem besonderen Ereignis Gottesdienst seine distinkte, d.h. unterschiedene und unterscheidbare Mitte. Trotzdem und gerade deswegen fehlt im Neuen Testament, wie Wilhelm Hahn2 sagt, „ein den christlichen Gottesdienst klar abgrenzender Begriff”. Er sagt3

„Der Gottesdienst wird in der Urgemeinde nicht in den ethischen Gehorsam und das glaubende Handeln aufgelöst, so gewiß das ganze Leben des Christen ein Gottesdienst sein soll. Vielmehr nimmt die gottesdienstliche Versammlung der Gemeinde im Leben der Urchristenheit die alles bestimmende Stellung ein und regiert und trägt das ganze sonstige Leben und Handeln der Gemeinde und des Christen”.

In Auflösung dieses nur scheinbaren Widerspruchs finden wir den speziellen Begriff im Neuen Testament für Gottesdienst in der Versammlung selbst: im Namen Jesu versammelt sein (synerchesthai).4 Der Gottesdienst ist Versammlung — ekklesia. Dieses Zusammenkommen steht unter der Verheißung der Gegenwart des Herrn. Es nimmt also sein Spezifikum nicht primär von bestimmten, inhaltlich genannten kultischen Verrichtungen oder ihrem Inbegriff. Dieses Zusammenkommen aber ist nicht eine religiöse Vereinigung, welche die Gläubigen etwa, überwältigt von der erfahrenen neuen Wirklichkeit von sich aus suchen und veranstalten, als eine religionssoziologische Folgeerscheinung eben dieses Phänomens. Es hat vielmehr einen sehr konkreten Inhalt, um den es sich vollzieht und geht auf ausdrückliche Stiftungsakte und Anordnungen Jesu Christi selbst zurück. Wir finden sie im Missionsbefehl und in der Einsetzung des Abendmahls.

In der neueren Exegese5 wird die Auffassung vertreten, daß der so entstandene christliche Gottesdienst als eine der Kirche allein eigentümliche Lebensform von vornherein ein einheitliches Ganzes dargestellt hat, in welchem Lehre und Mahlfeier zusammengehören, wie es sich etwa in Acta 2, 42 und 20, 7-11 abzeichnet, wiewohl beide in den

|281|

Stiftungsworten getrennt erscheinen. Dagegen war von Anfang an der Vollzug der Taufe als Einverleibung nicht notwendig und auch nicht regelmäßig mit diesem Gottesdienst verbunden. Indem aber so die zum Glauben Gekommenen zur Gemeinde „hinzugetan” werden, vergleichbar mit der Anhäufung eines Schatzes, weist dies wieder auf die Versammlung hin. Wiederum kann dieses Handeln in und zur Versammlung nicht wohl in Gegensatz gebracht werden zu der Vollmacht der Sündenvergebung, mit der Jesus seine Jünger ausgerüstet hat. Wenn diese wahre Vollmacht ist, löst sie nicht nur den Menschen aus der Gewalt des Bösen, sondern ordnet ihn eben der Gemeinschaft im Neuen Äon ein oder wieder ein. Sie ist keine von der Gemeinde abgelöste Privatseelsorge. Wenn also selbst die Einheit des Gottesdienstes nicht positiv als bezeugt angesehen werden könnte, so begründet der Leibcharakter der Gemeinschaft eine Sinneinheit der Handelns der Kirche. In jedem Handeln und gegenüber jedem Handeln stellt sich die Zugehörigkeitsfrage.

Damit haben wir den vierfachen Grundbestand eines Handelns vor uns, der seither das Leben der Kirche ausgemacht hat: Wort als Verkündigung und Lehre, in Taufe, im Abendmahl und in der Absolution. Zu diesem Dienst hat die Kirche Auftrag und Recht, in ihm findet sie ihr Recht, und von da aus ordnet sie ihr Recht, läßt sie sich recht verstanden ordnen. Eben darum ist aus der Auslegung der darauf bezüglichen Stiftungsurkunden das Kirchenrecht inhaltlich zu entwickeln. Es ist nicht zuerst die Kirche als ein Kollektivsubjekt gestiftet, das mit Organen ausgerüstet dann folgeweise alles dies täte. Vielmehr bildet sich die Kirche eben daran und dadurch, daß sie dieses tut und hat ihre Verheißung, ihr Bleiben, ihre Kontinuität eben in diesem gehorsamen Tun. Die früher häufig erörterte Frage, ob Jesus eine Kirche gestiftet habe, ist daher falsch gestellt. Das Ja wäre falsch, wenn und soweit damit eine allem gottesdienstlichen Tun vorausliegende, an sich existierende Größe gemeint wäre. Das Nein wäre falsch, weil und soweit damit der Versammlungs- und Geschehenscharakter der Kirche zugunsten religiöser Unmittelbarkeit und Individualität verneint wäre.6 Wiewohl es immer um den Glauben und die Glaubensentscheidung des einzelnen geht, ist doch das Neue Testament, wie besonders Ernst Käsemann7 scharf herausgearbeitet hat, an einem geistlichen An-sich-Sein außerhalb und unabhängig vom Leibe Christi gänzlich uninteressiert, kennt es die neue Existenz gerade nur im Hereingenommensein in diese konkrete Gemeinschaft. Es geht weder um die kollektive Entität der Kirche noch um die individuelle Entität des glaubenden Menschen, sondern um die Zuordnung und Einordnung in den Leib Christi. Kollektivistisches wie individualistisches Heilsverständnis widersprechen gleichermaßen dem Begriff der ekklesia als soma Christou.8

Das Handeln Gottes in der Gemeinschaft des neuen Gottesvolkes, in

|282|

der Kirche und durch sie bedeutet eine neue Epoche der Heilsgeschichte. Sie beginnt in der Epiphanias des Auferstandenen. In ihr redet Christus nicht mehr zur Welt, sondern allein zu seinen Jüngern, aber zur Welt nur noch durch sie. Er proklamiert seine eigene Herrschaft über Himmel und Erde, er sendet die Jünger aus, die Herrschaft zu verkündigen, zur Akklamation zu bringen — diese Proklamatio weiterzutragen, die in ihr der Welt verheißene Gabe anzubieten.

Er gibt den Jüngern einen bestimmten Auftrag, aber er gibt ihnen zugleich die Vollmacht,9 den Geist, um diesen Auftrag zu erfüllen.

Dies doppelte Handeln berichten alle vier Evangelien in unterschiedlichen Versionen dennoch einheitlich:
Matth. 28, 19 f. Aussendung — Verheißung des Beistandes bis an das Ende,
Markus 16, 15 f. Aussendung — Verheißung des vollmächtigen Handelns,
Lukas 24, 49 f. Aussendung und Verheißung des Geistes — Segnung zu Bethanien,
Johannes 20, 21 f. Aussendung — Verleihung des Geistes durch Anhauchen.

Der in allen vier Evangelien bezeugte Dualismus des Vorgangs ist von weittragender Bedeutung. Diese erschließt sich nicht ohne weiteres philologischer Betrachtung, zeigt sich aber mit Evidenz in der rechtlichen Interpretation als ein typischer Zusammenhang. Auftrag und Vollmacht sind zweierlei. Der Auftrag spricht imperativisch eine Erwählung zu einem Tun aus, sondert den Beauftragten zu dem Werke aus, — die Vollmacht rüstet ihn mit den Fähigkeiten aus, deren er bedarf, läßt ihn teilhaben an der Macht des Auftraggebers selbst, der ihn zum Stellvertreter macht. Wie schon früher ausgeführt, ist die Vollmacht ein „Indikativ”, der auf einem Kommunikationsvorgang der Bevollmächtigung beruht. Es handelt sich um einen Gesamtvorgang, ein Gesamtgeschehen, dessen Einheit in der Unterschiedenheit der Akte gesehen und gewahrt werden muß. Es ist ein institutioneller Akt. Die zum Dienst Erwählten werden in das Dienstverhältnis eingesetzt. Die Evangelisten haben hier einen Vorgang geschichtlichen Handelns überliefert, der dieselben Strukturmerkmale aufweist, welche sich auch im geschichtlich-personalen Handeln im Bereich des Rechtes zeigt, und das nicht von ungefähr, weil es sich um einen Rechtsvorgang in zwei differenten Akten handelt. Daß sie damit bessere Juristen waren als manche Exegeten, welche Unterschiede, Stellenwert, Zusammenhang nicht verstanden oder verwischten, dafür können die Juristen nichts.

Der Verlust des Verständnisses für den Unterschied der Handlungen und ihre Zuordnung, die Zersetzung dieser Sinneinheit ist freilich kein banaler Irrtum, nicht zufällig — dieser Vorgang der Zersetzung bestimmt einen bedeutenden Teil der Kirchenrechtsgeschichte.10

|283|

Er zeigt die Exegeten und Dogmatiker in einer ganz bestimmten geschichtlichen Entwicklung, die von der Rechtsgeschichte her als Formgeschichte beschrieben und verstanden werden kann, so deutlich wie die Kunstgeschichte Gotik und Barock beschreibt. Diese Auslegung der Schrift ist eine geschichtlich gebrochene, keine unmittelbare. Hinter der Exegese der Formgeschichte tritt die Formgeschichte der Exegese hervor und liefert durch die Vergleichsmöglichkeit mit der Rechtsgeschichte als in konkreten Form ausgeprägter Geistesgeschichte wesentliche Aufschlüsse über die Theologie des Exegeten.

Der Dualismus von Auftrag und Vollmacht, von Ausscheidung, Auswahl und Zuordnung ist allen Akten der Rechtsübertragung eingestiftet. In jedem solchen Akt verbindet sich die Entscheidung zu einer bestimmten Wahl unter Ausscheidung anderer Möglichkeiten, ein zielgerichteter Willensakt mit einer verbindenden Hingabe. Diese Formverbindung tritt in dem Rechtstypus des Gnadenrechts und im Problembereich der Institution hervor.

Wenn dieser Doppelstruktur hier eine solche Bedeutung beigemessen wird, so geht es nicht um eine immanente Strukturgesetzlichkeit des juristischen Denkens. Es ist vielmehr umgekehrt diese Struktur die notwendige und als solche erweisliche Form personalen Handelns in der Geschichte.

Eine nur statische Macht ist ambivalent: sie ist abstoßend und anziehend zugleich. Tritt sei aber als personale Willensmacht in Erscheinung, die innerhalb der Welt wirkend ihre Herrschaft durchsetzen und zu einem Ziele bringen will, so wählt sie unter den Personen und Möglichkeiten scheidend, die einen annehmend, die anderen ausscheidend und verwerfend aus. Die so Erwählten aber ordnet sie sich zu, stellt sie in ihren Dienst und teilt ihnen mit diesem Dienstauftrag auch die Möglichkeit des Handelns zu. Indem die an sich ambivalente Macht sich als geschichtliche entfaltet, streckt sie sich in differente Akte der Aussonderung und Entscheidung auf der einen, der Zuordnung und Begabung auf der anderen Seite in einem Folgeverhältnis. So entsteht Geschichte als ein Weg zwischen zwei Punkten. Die Durchsetzung ihrer eigenen Macht, ihres eigenen und eigensten Rechtes wird zum „gestreckten Rechtsakt”. Aus diesem Grunde tritt in den rechtlichen Gestaltungsakten des Personen- und Sachenrechtes der Dualismus der gestreckten Rechtsakte hervor.11

Erst die Subjekt-Objekt-Spaltung, der beziehungslose, geschichtslose Auseinanderfall von Mensch und Welt, aber auch die Fiktion souveräner ethischer Monaten zerstört diese Struktur auch im Rechtsleben. Überall, wo noch Rechtsmacht übertragen wird, wie bei Auftrag und Vollmacht, erhält sich dieser geschichtliche und Geschehenscharakter.

Diese Akte einseitiger, freier Zuwendung stehen, wie im Kapitel über die Gnade (III) gezeigt, außerhalb der Gerechtigkeitsproblematik. Sie

|284|

müssen aber angenommen werden, was in den zitierten Schriftstellen stillschweigend vorausgesetzt wird. Diese Institution der Jünger zu Aposteln12 steht nunmehr wie eine Klammer, wie ein Vorzeichen vor dem, was sie zu tun haben.

Dem Worte Matth. 28, 18 f.
I. Mir ist gegeben alle Gewalt / im Himmel und auf Erden /
II. Darum geht hin und lehret alle Völker / und taufet sie im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes / und lehret sie halten, alles, was ich euch befohlen habe.
III. Und siehe, ich bin mit euch alle Tage / bis an der Welt Ende
hat Ernst Lohmeyer eine ausführliche Auslegung gewidmet, die in den seinem Gedächtnis dargebrachten Erinnerungsband aufgenommen worden ist.13 Er entwickelt zunächst textkritisch, daß der Taufbefehl eine — allerdings sehr frühe — Einfügung in ein dichterisch Logion ist, das er wie folgt wiederherstellt:

Gegeben ward mir alle Macht
im Himmel und auf Erden.
Darum geht, macht zu Jüngern alle Völker
in meinem Namen.
Und lehret sie alles halten,
was ich euch gebot.
Und siehe, ich bin bei euch alle Tage
bis an der Weltzeit Ende

Lohmeyer hebt hervor, daß dieser sogenannte Missionsbefehl einem festen Schema folge:

Selbstaussage — Auftrag — Verheißung

Diese von Lohmeyer hervorgehobene Dreiaktigkeit enthält ein Strukturproblem, welches Gerhard Gloege für den Bereich des Alten Testaments in einer Abhandlung aufgeworfen hat.14 Was Gloege in seinem Zusammenhang Ratschluß und Ereignis nennt, kann man auch als Selbstaussage Gottes in der Offenbarung bezeichnen. Eine solche finden wir auch in Matth. 28. Sie ist eine doppelschichtige. „Mir ist gegeben” ist keine Selbstsetzung, sondern greift auf ein innergöttliches, innertrinitarisches Geschehen zurück, welches dem Auferstandenen die dann im Zweiten Gedankenglied bezeichnete Macht, Hoheit und Herrlichkeit zuspricht. Der vorweltliche göttliche Ratschluß gewinnt so Beziehung auf das Geschaffene.

Es folgt als doppeltes Mittelglied dann der Anspruch an den Menschen, die Forderung des Glaubens und der Liebe. Aber er spricht hier nicht mehr zur Welt, nicht zu einer zufälligen Zuhörerschaft, sondern zu einem Kreise, der ihm bereits zugehört, zu den Jüngern. Nur durch sie spricht er die Menschen an. Es ist ein Doppelauftrag, den er ihnen erteilt.

Als Drittes erscheint die Verheißung der Anwesenheit, des Beistandes

|285|

bis zum Ende, bis zur Wiederkehr. Auch diese Verheißung ist den Jüngern gegeben, nicht der Welt.

1. In diesem wie in jedem Offenbarungsakt zeigt sich ein Moment vorzeitlicher Setzung, der Prädestination. Der Akt enthält aber zugleich jeweils ein Bezug auf Welt und Menschheit, eine geschichtliche, heilsbestimmte Zuwendung, Hinwendung und Bindung. Dies ist am schärfsten ausgedrückt im Begriff der Inkarnation, in dem gnadenreichen Eingehen in die Welt. Sie hat ihren Vorgang im Auszug des Volkes Gottes aus Ägypten, der leibhafte Bewährung und Verwirklichung des Bundes durch die Herausnahme Israels aus der Welt der Knechtschaft, sie hat ihren Nachgang, ihre Fortsetzung und Folge in der Kirche. Prädestination und Inkarnation sind aufeinander bezüglich, in ihrer Verborgenheit und Offenheit.

2. Die Offenbarung enthält sodann die Forderung, den Anspruch an den Menschen. Die erste Forderung ist die Anerkennung der Zugehörigkeit des Menschen zu Gott, seiner Unmächtigkeit, seiner Preisgegebenheit ohne Vorbehalt. Hier bekennt der Mensch seine existenzielle Lage gegenüber Gott, seine wahre Position oder richtiger Nichtposition, sein Geschöpf-Sünder-Jünger-Sein.
Zugleich aber wird hier gefordert, daß er über sich hinausgehe und das Mitgeschöpf respektiere, den Mitsünder liebe, den zukünftigen Jünger lehre. Beides ist korrelativ gefordert, nicht voneinander trennbar, und es steht zugleich in einem Spannungsverhältnis von Furcht und Liebe. „Wir sollen Gott ehr-fürchten und lieben, daß wir seine Gebote halten.” Diese Entscheidung ist zugleich Konditional mit der Verheißung verknüpft.

3. Denn auf das Gebot folgt schließlich die Verheißung. Sie ist in der Offenbarung des Gesetzes, im Dekalog deutlich eine Drohung des Gerichts, eine Alternative, in der zunächst die Drohung des Zorns vorangestellt wird und die Verheißung des Segens nachfolgt. In der Offenbarung des Erhöhten ist die Verheißung allein genannt. Aber andernorts und im Bekenntnis der gesamten Christenheit ist deutlich und zweifelsfrei ausgesprochen, daß auch diese eine Scheidung bedeutet, die zugleich mit der Erscheinung Christi im Fleisch bereits eingeleitet ist und ihrer offenbaren Vollendung entgegengeht. Jeder Offenbarung korrespondiert und entspricht eine Verheißung. Offenbarung ist immer und ipso facto ein eschatologisches Geschehen. Offenbart sich Gott, so offenbart er sich als der gnädige, aber stets nur unter der Bedingung des menschlichen Gehorsams und wird eben dadurch immer zum Richter. Zwischen Offenbarung und Verheißung ist als konditionales Zwischenglied das Gebot gegeben und bedroht den Menschen mit den Folgen seines Ungehorsams.15

Die Folge von Selbstaussage, Forderung und Verheißung steht in einem heilsgeschichtlich-progressiven, zielgerichteten Bedingungsverhältnis. Es

|286|

sind Abschnitte eines Prozesses, Schritte auf einem Wege des Prozesses Gottes mit der Welt, des Prozesses seines Heils in der Welt.16

Ein Prozeß ist nicht die Verknüpfung automatischer Folgen von Ursache und Wirkung, sondern er wird nach einem treffenden Sprachgebrauch (auf ein Endurteil zu-) geführt. Aus der Selbstaussage folgt die Forderung, an die Forderung knüpft sich conditional die Verheißung an. Alle drei Momente sind nicht in einem Satz der Prädikatenlogik unterzubringen. Es bleiben immer zwei Aussagen, die durch eine dritte verbunden werden. Sie sind also in ihrem Gesamtverhältnis und Zusammenhang nicht kausal aus einer Voraussetzung abzuleiten.17

Jedem Akt der Entscheidung (Prädestination, Glauben, Gericht) folgt ein solcher der Erfüllung (Inkarnation, Liebe, Erhöhung). Im Ratschlusse Gottes, der im Gericht offenbar wird, decken sich Prädestination und Erfüllung.

Mit dem Ansprüche Gottes an den Menschen ist zugleich ausgesprochen: ich werde — in meiner Zukunft — euch richten. Mein Anspruch treibt euch in die Entscheidung, die mir, dem allmächtigen Gott, nicht gleichgültig ist, in eine Entscheidung, die schon jetzt und jederzeit zu vollziehen ist. Dieser Entscheidung wird einmal eine Entscheidung Gottes entsprechen. Er wird sich als der in ihr erweisen, der er von Anbeginn war. Das ist seine Treue.

Dieser Charakter der Entscheidung sagt noch nichts darüber aus, wie die Entscheidung selbst ausfällt. Erst in ihr wird sich zeigen, ob sie Segen oder Fluch bringt. Im Gegensatz dazu ist unter uns, und insbesondere im theologischen Sprachgebrauch das Wort „Gericht” allzu selbstverständlich mit Verdammung gleichgesetzt worden. Das macht die Verheißung vergessen. Gemeinhin wird freilich nur der vor Gericht gestellt, der schuldig oder mindestens verdächtig ist. Trotzdem ist dieser Gebrauch unscharf. Das Urteil spricht nicht nur ab, sondern auch zu, es bestätigt, bekräftigt, was im Streite war. In den Gleichnisses des Neuen Testaments erscheint der Mensch regelmäßig nicht als Angeklagter, sondern als Beklagter, als Schuldner. Das ist ein wesentlicher Unterschied. Durch die anvertraute Gabe Gottes wird er zum Haushalter und in dieser Haushalterschaft zum Schuldner, dessen Untreue offenbar wird. Er kann sich gegen den erhobenen Klageanspruch entweder auf die Unbegründetheit der Klage — das scheidet Gott gegenüber aus — oder darauf berufen, daß die Schuld erfüllt sei. Erst indem sich die Untreue des Schuldners herausstellt, wird er zugleich aus dem zur Rechenschaft geforderten Schuldner zum Schuldigen, aus dem Beklagten zum Angeklagten, der bestraft wird. Wäre er nicht zuvor der Beklagte, so könnte die Schuld nicht für ihn erfüllt werden. Man muß die forensischen Bilder der Bibel präzise gebrauchen, wie sie sind. An der Untreue wird freilich die von vornherein bestehende Gefallenheit, Selbstverfallenheit sichtbar.

|287|

Wie aber auch das Urteil über den Menschen ausfällt: durch die Offenbarung hat sich Gott auf die Ebene des Menschen begeben, dem er gerechtes Gericht zusagt. Gerechtes Gericht besagt, daß er keine anderen Ansprüche als die offenbarten gegen ihn geltend machen will. In dieser Gleichstellung geschieht etwas Ähnliches, wie wenn in einem Rechtsstaat der Staat wegen zivilrechtlicher Ansprüche vor den eigenen Gerichten klagt und sich verklagen läßt. Auch das weltliche Gesetz ist seinem Wesen nach immer Selbstbindung der souveränen Macht des Richters oder Gesetzgebers, der bei seiner Treue verspricht, im Sinne des Verkündeten zu urteilen und damit auch das Gleiche gleich, nicht nach Willkür, sondern gerecht zu behandeln. Gott vergibt sich freilich durch diese Bindung nichts, denn sein Herrschaftsanspruch ist ein so schlechthin umfassender, daß er den Menschen immer der Nichterfüllung überführt. Grundsätzlich ist aber die Offenbarung eine Gnade, eine gnädige Selbstbindung.

Mit alledem ist auch eine ganz bestimmte, unvertauschbare Stellung der Beteiligten gegeben.

1. Die Stellung des Herrn selbst, die in der Selbstaussage Matth. 28/18 zum Ausdruck kommt. Er ist aus der völligen Hingegebenheit und Entmächtigung seines Erdentages zur allumfassenden Herrschaft erhöht. Das ist ein grundsätzlich neuer Status. Seine Erniedrigung in die Inkarnation ist verwandelt in die zugleich schon gegenwärtige wie erst zukünftige Herrschaftsgewalt des Erhöhten. In dem neuen Abschnitt der Heilsgeschichte nach der Auferstehung sind Gegenwärtigkeit und Zukünftigkeit, Endgültigkeit und Vorläufigkeit miteinander verschlungen und harren der endzeitlichen Auflösung. Dieser Status bleibt noch bis zur Wiederkehr verborgen. Die Auflösung dieser Dialektik von Gegenwart und Zukunft ist im Sakrament vorweggenommen: „proleptische Eschatologie”.18 Das zeigt sich heute unter uns darin, daß die Wiederentdeckung der Eschatologie die Wiederentdeckung der Sakramente nach sich gezogen hat.

2. a) Die Stellung der Jünger, denen er seinen Missionsauftrag gibt, verändert sich jetzt ebenfalls vollkommen. Bisher waren sie die ausschließlich Empfangenden, die Hörenden und Gehorchenden. Es kam auf den Herrn allein an, seine Taufe, seine Lehre, seine Passion. Jetzt sind sie nicht mehr seine Begleiter, die durch das unmittelbare Hören auf ihn in Anspruch genommen sind: jetzt erst werden sie wirklich ausgesandt und sind unter dem Beistände des verheißenen Geistes auf sich selbst gestellt. Nirgends wird die Souveränität des Herrn großartiger sichtbar, als in der Art, wie er das Versagen der Jünger, ihre Mißverständnisse, ihren Kleinglauben, ihr Geltungsbedürfnis immer wieder zurechtrückt und sie doch unbeirrbar an ihrem Auftrage festhält.

|288|

Mit der gleichen großartigen Überlegenheit aber wird den Jüngern eine Vollmacht erteilt, ein wirklicher Anteil an seiner Herrlichkeit und Herrschaft zugesprochen. Sie sind nicht nur die mündlichen Verkündiger einer abgeschlossenen Tatsache, sondern die Repräsentanten einer gegenwärtigen Herrschaft. Eine nur Tatsachen kognitiv übermittelnde Jüngerschaft und Kirche ist der Heiligen Schrift fremd. Sie handelt immer in Vollmacht, auch in der Verkündigung. Die Jünger sind „Sendschöffen”, die richten und begnadigen, bis der königliche Richter selber kommt. Aber diese Teilhabe an der Herrschaft ändert nichts daran, daß der Größte unter ihnen immer nur ihrer aller Diener sein, ihrem Dienst sich willig unterziehen soll.
Die Totalität und Positivität dieses Liebesgebot aber wird immer nur konkret, wo sie in die Partikularität und damit auch in die Negativität eingeht, wo der Jünger eine ganz bestimmte Aufgabe an einem ganz bestimmten Menschen und Ausschluß anderer Aufgaben, zu denen er nicht berufen ist, auf sich nimmt. Dieses Handeln, diese Beziehung wird stellvertretend ausgegrenzt: im Partikularen wird das Universale, im Teil das Ganze sichtbar. In, mit und uner allem Handeln steht die Mitbeziehung auf die Gemeinschaft mit dem Herrn. Daher heißt es: „in dem Herrn” und „als dem Herrn und nicht den Menschen”, wenn konkrete Weisungen gegeben werden.
Der Gedanke des Berufs als wirklicher „Be-ruf-ung” hat seine Fülle durch die grundlegende Beziehung auf die Inkarnation, auf ihr Jetzt und Hier in der Welt. Es ist damit kein einfaches „In-die-Zeit-Gestelltsein” ohne Beziehung auf die Heilsgeschichte. Die Ablösung des Berufsbegriffs von der Heilsgeschichte und sein rein innerweltlich-ethisches Verständnis hat seine Verabsolutierung und Sinnentleerung vorbereitet und ermöglicht.
b) Der soziologische Aspekt der neuen Stellung der Jünger zeigt sich im Verhältnis der Kirche zur Welt. Sie geht nicht auf in der gegebenen Welt, in ihren vorgegebenen Gemeinschaften, den Völkern, sie ist nicht einfach deren geistliche Seite, wie Kultus und Volk im Bereich der natürlichen Religion eine bruchlose Einheit bilden, sie löst sich aber auch nicht von ihnen und löst sie selbst nicht auf. Sie bleibt auch darin in der eschatologischen Spannung und Schwebe zwischen Gegenwärtigkeit und Zukünftigkeit. Sie würde sich von der Welt in einer falschen eschatologischen Sicht lösen, wenn sie sich als die Gemeinschaft der Erwählten betrachtete, die damit schon der Welt entnommen sind und nicht eben an dieser Welt zu dienen bestimmt sind. Sie hat immer eine Richtung auf das Ganze der Menschheit, der das Heil zugedacht ist, auf das Ganze der Welt, die in eine neue gewandelt werden soll und wird.
Diese ganz besondere Lage, daß die Jünger in der Welt für die Welt da sind, aber nicht von der Welt sind, wird als Verknüpfung zweier

|289|

entgegengesetzter Bestimmungen deshalb auch nach beiden Seiten verfehlt. So führt eine einseitige Theologie der Prädestination zur Leibfeindlichkeit und erzeugt einen Rigorismus, der auch in der Form antiklerikaler Weltlichkeit in Wahrheit die Weltlichkeit der Welt aufzuheben unternimmt. In der umgekehrten Ineinssetzung von weltlichem und kosmischem Geschehen mit dem Geschehen und der Existenz der Kirche werden Kirche und Welt, Kirche und Volk ununterscheidbar. Verschmilzt sich die Kirche mit einem Volk, einer Völkergemeinschaft, so wird die prädestinatarische Seite ihrer Existenz in Frage gestellt und verdunkelt. Das ist die Volks-Staats-Landeskirche, die sich von der Welt nicht mehr ausreichend zu scheiden vermag. Dieser Gefahr kann auch eine universale Kirchengemeinschaft erliegen, die sich in einem sehr weiten Sinne mit einer bestimmten geistesgeschichtlichen Größe gleichsetzt.

3. Die Stellung der Nichtjünger.
Das Heilsgeschehen in Christus vollzieht sich im Bereich des jüdischen Volkes, in direktem sachlichen und bewußten Bezug auf das Heilsgeschehen des Alten Bundes. Kein anderes Volk ist bisher in diesen Bund Gottes mit dem auserwählten Volke einbezogen worden. Diese Beschränkung ist dahingefallen. Alle Völker sind berufen: an alle werden die Jünger gesandt. Das missverstehen die Judenchristen. Sie begreifen nicht, daß das neue Heilsgeschehen, dessen Zeuge sie geworden sind, sich zwar in ihrem Volke vollzieht, jedoch darüber hinausweist. Aber es missverstehen sich auch die Heidenchristen, die nicht mehr der Beschneidung unterworfen werden, wenn sie meinen, die Tradition und Ziellinie dieses alten Bundes sei durch den neuen aufgehoben und gebrochen.

Jean Louis Leuba hat in seinem Buch „Institution und Ereignis” beide Linien herausgearbeitet und in ihrer Paradoxie nebeneinandergestellt  — die institutionelle Tradition des auserwählten Volkes, welche sich in der Kirche fortsetzt und die ereignishafte Durchbrechung dieses geschichtlichen Zusammenhanges. Es ist nicht verwunderlich, daß dieser nicht durch ein begriffliches Tertium, sondern allein durch den Tertius personal zusammengehaltene Gegensatz immer wieder verkannt wird. In diesem Dualismus gibt es weder in der einen noch in der anderen Richtung ein Folgeverhältnis.19 Institution ist hier nicht ganz im Sinne des präzisen juristischen und soziologischen Begriffs gebraucht.

Diese drei: Christus — Jünger — Völker stehen also in ganz bestimmten Zusammenhängen des Geschehens.
a) Das Heilsgeschehen erzeugt eine geschichtliche Folge. Christus ist als der zweite Adam, als der Erstgeborene aller neuen Kreatur vorangegangen. Ihm sollen die Jünger folgen, und sie wiederum sollen die Völker sich nachziehen.
b) Umgekehrt ist der Herr in den neuen Status seiner Herrschaft eingetreten.

|290|

Er sendet die Jünger aus und diese Sendung richtet sich eben an die Vielen, die noch keine Jünger sind.

Infolgedessen vollzieht sich die Selbsthingabe Christi zur Gemeinschaft seines Leibes und Blutes dergestalt, daß der Handelnde der empfangenden Gemeinde gegenübertritt (b). Er tritt instrumental und stellvertretend an die Stelle Christi selbst, der sich der Gemeinde gibt.20

Die Jünger und diejenigen, die durch sie ebenfalls zu Jüngern werden, werden in die Bewegung zum Vater neu aufgenommen (a). Wie aber vollzieht sich das am Menschen, auf den die Jünger verwiesen sind? In welcher Lage ist er demgegenüber und was hat an ihm zu geschehen?

1. Was im Missionsbefehl den angesprochenen Menschen betrifft, beginnt mit dem „matheteusate”. Diese Verkündigung ist für ihn der erste Beginn seines Lebens. Er muß anstelle der Position, die er bisher eingenommen hat, anstelle seiner natürlichen Existenz in seinem Stande, seinen Nicht-Stand im eigentlichen Sinne, sein Sünderin bekennen, zu dem er durch den Sündenfall bestimmt ist.
Dieser vernichtenden Erfahrung muß die Erfahrung des Heils, des Christus pro me gegenübertreten. Hier tritt nun der Einschub des Taufbefehls hervor, den die nach Lochmeyer frühe Überlieferung in das strenggegliederte Logion in Matth. 28 gemacht hat. Loymeyer erklärt diesen Vorgang historisch als sinngemäße Rückbeziehung auf die Taufe Christi, deren Bedeutung der Herr selbst hervorgehoben und die als Vorbild der Gemeinde gedient habe. Gegen diese Ableitung ist als solche nichts einzuwenden.
Aber sie klärt nichts im grundsätzlichen Sinne. Hier hat vielmehr die Urgemeinde im Vollzug des Missionsbefehls theologisch richtig gehandelt. Der Prädestination des Glaubensaktes, der Wendung aus der Sünderexistenz in den Glauben, muß die reale Inkorporation, das Ausziehen des alten und Anziehen des neuen Menschen dialektisch entsprechen. Weder historische Tradition noch beginnender Sakramentalismus erklärt dies, sondern nur die im Glauben erfaßte keineswegs notwendig vollreflektierte Folgerichtigkeit des Offenbarungsgeschehens in der Nachfolge. Die Gemeinde folgte dem Vorbilde des Gehorsams Jesu in dessen Taufe; sie vollzog damit eine theologische Notwendigkeit.21
„Es gibt daher auf dieser Erde nur einen ordentlichen Zugang zur Teilhabe an dem von Gott gewollten Gottesdienst: der durch das Evangelium von Jesus Christus gewirkte Bußglaube und die Taufe. Der Zugang zum Gottesdienst ist also ein Weg, der eine gewisse Erstreckung hat, und gleichzeitig eine Schwelle, die in einem einzigen Schritt überschritten wird ... Das hängt aufs engste damit zusammen, daß erst die Taufe dem Menschen die ontisch-reale Einpflanzung in den Leib Christi bringt ... Zweifellos bringt der der Taufe vorausgehende

|291|

Bußglaube an das Evangelium dem Glaubenden einen persönlichen Anschluß an Christus, aber dieser vor der Taufe stehende Glaube schafft den Menschen hinsichtlich seines Seins noch nicht um zum Glied am Leibe Jesu.” 22

2. Nachdem aber der Gläubige dergestalt in die Teilhabe am Opfer Christi, an seiner Erniedrigung eingetreten ist, muß er im Fortgang des Missionsgedankens gelehrt werden „alles zu halten, was ich euch gelehrt habe”. Es geht jetzt um das Bleiben in Christo. „Wer in der Liebe bleibt, der bleibet in mir.”
Dieses biblische „Bleiben in” gewinnt durch die Interpretation der Gnade als Rechtsakt einen eigentümlich prägnanten Sinn. Es ist weder zu verstehen als ein mystisches Innereien, noch als ein Tun, welches als Folge der Bekehrung sich ergibt, es bezieht sich auf die Freiheit, in die der Mensch wie in einen Raum durch die Zuwendung der Gnade versetzt ist, und in dem er, von Bedingungen und Auflagen frei, allein unter der eschatologischen Bedrohung des Gemeinschaftsbruchs durch Undankbarkeit steht. Diese Freiheit in der Liebe bedingt aber die Rückwendung zu Gott, wie die Weitergabe des Empfangenen. Darum hat der Gottesdienst einen unverminderten Lebenssinn für den Glaubenden, der hier nicht selbst missionarisch tätig wird.23

3. Als Drittes hat der Gläubige nunmehr Anteil an der Verheißung, die im Missionsbefehl ausgesprochen wird, und damit auch an der Auferstehung. Zum Zeichen dessen haben in der alten Kirche alle Vollmitglieder mit Ausschluß von Büßern und Katechumenen während des ganzen Gottesdienstes gestanden. Ecclesia consistit in episcopo, clero et omnibus stantibus, wozu natürlich auch Bischof und Klerus gehörten. Die communio ist ein Angeld auf diese Verheißung.
Der Missionsbefehl ist also nicht eine einfache Anweisung zur Ausbreitung der Lehre: er ist nicht die Inbezugnahme und Wiederholung dessen, was im Evangelium zuvor sehr viel umfassender entfaltet ist. Er ist vielmehr die Ordnung der Nachfolge, mit einem scharf und klar gegliederten Inhalt, der in die existenzielle  Situation des zu Bekehrenden sinngemäß übersetzt werden muß und kann, und schon im Evangelium durch den Einschub des Taufbefehls übersetzt ist. Mit dem Missionsbefehl ist beides angesprochen: das Zu-Jüngern-Machen, Lehren usw. ebenso wie das Sich-zum-Jünger-machen, lehren usw.-Lassen, ein Aktivum und ein Medium. In dieser doppelten Lage sind auch die Jünger selbst: auch sie müssen immer wieder Buße tun, sich lehren und in die Communio hineinnehmen lassen, zugleich aber alles ihnen Aufgetragene in der Welt tun. Während aber in dem Zu-Jüngern-Machen und dem Lehren, dem sich „Zum-Jünger-machen-Lassen” und Lehren-Lassen Apostel und Hörende, Empfangende notwendig gegenüberstehen, haben sie beide miteinander die gleiche Verheißung des Beistandes, der Beiwohnung des Geistes bis an das

|292|

Ende der Welt, das auf sie zukommt und auf das sie zugehen. Dieses Nachfolgen und Entgegengehen ist der eigentliche Vorgang der Wiederbringung der Welt und Menschheit durch Christus zum Vater. Gerade eine Kirche, die in der endzeitlichen Erwartung lebt, wird diese durch Christus geschehene Darbringung in ihrer Anbetung ausdrücken müssen, nicht als ob sie dem etwas hinzuzufügen hätte, sondern im Gegenteil: weil sie geschehen ist, muß sie sie so nachvollziehen, wenn sie ihr nicht widersprechen, ihr nicht untreu werden, sie nicht aus dem Blick verlieren will.

Damit ist zugleich einem jeden seine Stelle im Zusammenhang angewiesen und die Richtung seines jeweiligen Handelns angezeigt. Alles, was hier geschieht, geschieht per Christum, nichts ohne ihn. Die Selbsthingabe des Menschen im Glauben geschieht allein per Christum. Die Hingabe Gottes an den Menschen geschieht ebenfalls ausschließlich durch ihn. Das Problem des Synergismus erschient hier gar nicht. „Dabei ist zu beachten, daß in dem, was die Kirche als solche tut, Gott selbst handelt. So wie die Kirche Werk Gottes ist, ist sie auch Werkzeug in der Hand Gottes.” 24 Diese Doppelheit des zentralen Geschehens muß demnach in der Liturgie zum unverkürzten Ausdruck kommen. Erst durch das Miteinander und Gegenüber von Handelnden und Empfangenden, von Verkündigenden und Hörenden wird die Kirche konstituiert. Auch im Kreise der Apostel und Apostelschüler wird gelehrt und gegeben, gehört und empfangen. In dem Empfang der Gnadengaben Gottes, in der Hingabe des Glaubens sind wir wiederum alle nur eine brüderliche Gemeinde. Da aber nichts, was in der Kirche geschieht, kraft unserer Macht und Fähigkeit geschieht, sondern allein durch die Gnade Gottes und den Beistand des Heiligen Geistes, so liegt eben in diesem Gegenüber des Geschehens zwischen Geben und Empfangen, zwischen Reden und Hören das wahre Geheimnis der Kirche. Nur in und für diese Bezogenheit und diesen Dienst ist dem Amte der Beistand des Geistes verheißen. Weder Amt noch Gemeinde an sich haben oder gewährleisten ihn. Dieses Gegenüber drück sich nun immer wieder klar liturgisch aus. Jeder Abschnitt des Gottesdienstes wird durch die Salutatio: „Der Herr sei mit Euch — und mit Deinem Geiste” eingeleitet, ja geradezu durch diesen Gruß ebenso von neuem legitimiert, wie der ganze Gottesdienst ausdrücklich im Namen der Heiligen Dreifaltigkeit begonnen wird. Die Anrufung des dreifaltigen Gottes ist für jeden Gemeindegottesdienst ebenso konstitutiv und grundlegend wie etwa für die Taufe.

In dieser Arbeit ist in vielfachen Zusammenhängen diese Zuordnung entwickelt, welche das apostolische Amt mit der Gemeinde verbindet.25 So äußert sich auch Oskar Cullmann:

„Da der Christenstand der Korinther dem apostolischen Dienst entsprang, würden sie sich selbst als Christen aufgeben müssen, wollten

|293|

sie seine Legitimität bestreiten. Der Apostel ist das ihnen zugeteilte Maß gewesen, wie sie das seinige sind. Die von ihnen erfahrene  charis setzt die seinige voraus, wie seine die ihrige wirkte. Indem beide aber durch die Gnade verbunden sind, erkennt einer im anderen den gemeinsamen über ihnen waltenden Herrn, sind sie als gegenseitig ,Beweis’ und ,Ruhm’...”

Weder der Apostel noch die Gemeinde besitzen die ihnen zugeteilte Gnade für sich allein. Einer soll mit und am anderen wachsen.26

„Die Apostelzeichen sind unter euch gewirkt in aller Geduld, mit Zeichen und Wundern und Kräften. Mit dieser Stelle (2. Kor. 12, 12) sind Gal. 3, 5, Röm. 15, 19, 2, 22, II Thess. 2, 9, Hebr. 2, 4 zu vergleichen ... weil diese Charismen (Röm., Gal., Hebr.) in sonderlicher Weise mit der Austeilung des Heiligen Geistes verknüpft werden ... so bedeutet das, daß hier dem Wunder geradezu juristisch die Rolle eines Echtheitsbeweises für das Kerygma bzw. dessen Träger beigemessen ist. Es legitimiert und autorisiert. Dann ergibt sich, daß wir es hier mit einer traditionellen Anschauung des Urchristentums zu tun haben, die, wie auch 1. Kor. 1, 22 beweist, in den Kreisen des urchristlichen Pneumatikertums besonders gepflegt wird. Diese Anschauung widerlegt ... die immer noch nachwirkende Auffassung, als sei das Charisma im NT anders als der Amtsbegriff des Frühkatholizismus unjuridisch verstanden worden.” (S. 51 ff.)

So steht das apostolische Amt und die Struktur der Kirche überhaupt, mit Cullmanns Schlussfolgerung zu sprechen,27 zwischen Enthusiasmus und Traditionalismus.