4. Die Funktionalisierung des Begriffs „Priestertum”

Dieser personale Charakter priesterlichen Handelns, der sich auf Christi Vicariat bezieht,22 schließt den Funktionsbegriff aus.

Nur im übertragenen und unwesentlichen Sinne kann man von einer Funktion des Priestertums sprechen. Wo immer von der Funktion gesprochen wird, kann man sicher sein, daß Priestertum nicht gemeint und auch nicht möglich ist, mag noch so viel davon geredet werden. Wer heute in einer funktionalen Gesellschaft den Begriff der Funktion unkritisch als eine ohne weiteres dem geistlichen Leben angemessene Kategorie verwendet und ansieht, zeigt, daß er vor dem Problem und den geistesgeschichtlichen Bedingungen des modernen Funktionalismus und seinen Folgen für das Menschsein des Menschen, für seine Personalität die Augen verschließt. Aber es ist seltsam, daß eine sich als

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personalistisch verstehende Theologie in ihrer Lehre von der Kirche den Funktionalismus heiligspricht. Die Verweisung auf die Innerlichkeit des einzelnen und die ethische Verpflichtung des Dienstes ist demgegenüber nur eine Ausflucht.

Es wird nicht gesehen, daß sich dieser Funktionalismus mit der Personalität des Menschen ebenso stößt wie mit dem theologischen Personalismus der reformatorischen Theologie. Jedenfalls hat ein weltliches Amt seine Fruchtbarkeit in dem, was innerhalb und über die vorgezeichneten Vorschriften und Aufgaben hinaus an schöpferischen Möglichkeiten wahrgenommen wird, und wie es getan wird. Die funktionale Gesellschaft mit ihrer überwältigende Fülle von Zwangsläufigkeiten, der fast unbegrenzten Teilbarkeit und Vertretbarkeit der Funktionen lebt trotzdem davon, daß sie nicht voll funktionalisiert ist, daß an hunderttausend Nahtstellen transfunktionale, personale Verknüpfungen stattfinden, ohne daß auf diese als solche noch positiv das System aufgebaut werden kann. Auch sie beruht auf Vertrauen, Zusammenarbeit, Fürsorge, Autorität. Für Staat und Wirtschaft sieht die Kirche nicht mit Unrecht einen Teil ihres Beitrages in der Hilfe zur Vermenschlichung der sachlichen Gefüge. Für sich selbst jagt sie einem Funktionsbegriff nach, der nun plötzlich etwas anderes bedeuten soll. Die Instrumentalität der Geistbegabung wird mit der kausalen Kategorie der Funktion auf eine falsche Ebene gebracht und dadurch in falsche Gegensätze hineingestellt. Ein solches, von Geschichtlichkeit und Leiblichkeit abgelöstes, substratloses und von allen Vorgegebenheiten abgelöstes Tun, „Funktionieren” des Menschen gibt es in Wahrheit nicht, und müßte ihn vollkommen entmenschlichen. Von dieser Verzerrung abgesehen wäre das Höchstmaß der Ablösung von allen Vorgegebenheiten im Raum der Kirche und Kirchengeschichte in der Rolle der Prophetie und des Märtyrers gegeben, welch letzterem die Gabe der vollmächtigen Verantwortung ja verheißen ist. Aber sie gilt nicht für den Apostel, der mit einem lebenslangen Dauerauftrag die Gemeinden gründet, fördert, mahnt, straft, der pflanzt, begießt, falsche Triebe abschneidet, mit der Geduld des Landmanns, mit Vorbedacht und geeigneten Werkzeugen. Ein weiterer Grund für die Verschiebung liegt in der Ausschließlichkeit des normativen Rechtsdenkens, welches Rechtsformen nur als Sollensnormen zu verstehen imstande ist und deshalb mit jeder Inanspruchnahme des Menschen in den Zirkel des Gesetzesbegriffes und der Ususproblematik gerät. Erst die Rechtsformen des Gnadenrechts, und damit gerade institutionelle Formen lösen diesen Widerspruch und diesen Krampf. Erst von daher kann Freiheit im Recht begründet werden, ohne in die Aporie des Verhältnisses von Gesetz und Freiheit zu geraten. Die Funktionsvorstellung deckt also ihr theologisches Motiv nicht wirklich auf, führt den Gedanken deshalb nicht zu Ende und verschiebt das Problem zugleich auf die Ebene einer falschen Begrifflichkeit.

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Die eschatologisch-zukünftige Prophetie und das Martyrium, welches gegen allen Augenschein die gegenwärtige Herrschaft Gottes bezeugt und verherrlicht, ergeben auch zusammengenommen noch nicht das Apostolat, auch wenn sich beides überschneidet. Stellt man die besondere Erwählung in Prophetie und Martyrium und ihre Losgelöstheit von jeder Vorgegebenheit in den Vordergrund, und stellt man dies in einen wertenden Gegensatz zur „Regelsituation”, so macht man beides zum Gesetz: denn Regel und Ausnahme liegen auf der gleichen Ebene. Zugleich wird stillschweigend zwischen Prophetie und Martyrium das Apostolat gleichsam ausgespart. Die Scheu vor der „Voll-Macht” des Apostolats ist echt. Aber sie ist ein Ausweichen. Denn jene besondere Erwählung sagt nichts über Auftrag und Verheißung des Apostolats.

Die Funktionalisierung ist eine sozialgeschichtliche Erscheinung; sie ist auch in der Spätantike festzustellen, aber sowohl dem biblischen Denken wie der konkreten Umwelt der Heiligen Schrift fremd. Der Funktionalismus entsteht durch eine folgerichtige Anwendung kausaler Denkformen auf alle personal-sozialen Zusammenhänge. Dieses Merkmal hat er mit den bürgerlichen Lebensformen gemeinsam. Es liegt im Wesen der Funktion, daß in der reinen Sachlichkeit des Handelns von der Person des Handelnden abgesehen werden kann, weil er auswechselbar und darum selbst nur als kausale, nicht mehr personal-unvertretbare Größe erscheint. So hat das Anliegen, der Alleinigkeit des Heilshandelns Christi Raum zu geben, zu dem Aberglauben an die vom Menschen abstrahierende reine Funktion geführt. Gegenüber der scholastischen Vergegenständlichung von Handlungen, Wirkungen, Begriffen in der Statik des Substanzbegriffes suchte man nach der lebendigen Dynamik des Heiligen Geistes, ersetzte aber in Wahrheit den Substanzbegriff nur durch den entsprechenden der Kausalität. redet man anstelle von Korpuskeln von Wellen, so ist man immer noch in der gleichen klassischen Physik. Man glaubte mit dieser Dynamisierung ein wirklich Neues gefunden zu haben, weil man bekanntlich beide Aspekte ein und desselben Gegenstandes nicht gleichzeitig beobachten kann. Zugleich bestätigte man sie umkehrte. Während bis jetzt das Handeln aus dem Sein folgte (operari sequitur esse), wurde jetzt die Innerlichkeit des Glaubens (die res credens) gegen die Äußerlichkeit des Handelns (die res externa) gestellt. Ehedem folgte alles aus dem konstitutiven sakramentalen Handeln, jetzt alles aus dem deklaratorischen Wort. Die Struktur des Denkens ist die gleiche.

Aus dem Bereich des geistlichen Handelns müssen um seines streng personalen Charakters willen alle kausalen und der Kausalität analogen Vorstellungen als inadäquat ausgeschieden werden. Personal-soziale Bezüge können noch nicht einmal rein innerweltlich mit kausalen Kategorien verstanden und geklärt werden.

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Haben wir das Priestertum in einem ganz bestimmten Sinne umschrieben und es uns im alleinigen Priestertum Christi und im Vicariat des Christen vergegenwärtigt, so sollte dadurch hinreichend ausgeschlossen sein, den Begriff des Priestertums in der Allgemeinheit eines philosophischen oder anthropologischen Satzes zu verstehen und zu gebrauchen, so unverzichtbar und notwendig die darin beschlossene Erkenntnis ist. Latet dolus in generalibus. Daß priesterliches Handeln in dem besteht, was der Mensch an sich nicht allein vollziehen, was deshalb funktional nicht verstanden werden kann, besagt noch nicht ohne weiteres, daß dieser andere immer ein Mensch ist. Im Gegenteil: allem priesterlichen Handeln liegt die Anschauung zugrunde, daß unter dem menschlichen Handeln Christus der eigentlich Handelnde ist. Deshalb gibt es kein eigenständiges Priestertum mehr, sondern nur noch ein Vicariat.