4. Die Rechtsstruktur religiöser Akte: Werk, Dienst und Recht

Wenn es in diesem Kapitel um die subjektive Möglichkeit des Kirchenrechts geht, um die Möglichkeit des eigentlichen, theologisch relevanten Rechtshandelns in der Kirche und durch die Kirche, so stoßen wir auf die in der Überschrift zu diesem Abschnitt genannten Begriffe und Verhältnisse, aber ebenso von vornherein auf vorgeprägte und vorbelastete Vorstellungen von ihnen. Auf diese Vorprüfungen wird sich der Jurist nicht einfach als Gegebenheiten der theologischen Tradition einlassen können. Er wird freilich den rechtlichen Gehalt dieser Begriffe im Blick auf ihre theologische Bedeutung, nicht nur um ihrer selbst willen zu untersuchen haben.

Die Theologie verwendet und erörtert die in der Bibel vorkommenden Rechtsbegriffe, ohne ihren Rechtsgehalt in vollem Umfange gegen sich gelten zu lassen. Sie werden als bildhafte oder allegorische, als nur gleichnishafte, deshalb immer hinkende und unabgeschlossene und uneigentliche oder als immer schon überbotene betrachtet. Der Rechtsgedanke aber will gar nicht etwas Anderes, Eigentliches ausdrücken: er meint, was er sagt. Er ist gelebte Wirklichkeit.

Mit Leidenschaft verficht die protestantische Theologie die Außerweltlichkeit Gottes. Aber sobald diese als Souveränität bezeichnet wird, geht die Aussage wieder auf einen Rechtsbegriff über. Das Gleiche gilt für den Begriff „Herrschaft”. Vollzieht sie sich radikal ohne uns, hat der Rechtsbegriff keine spezifische Bedeutung. Gott ist Robinson auf seiner Insel vor der Ankunft von Freitag. Ergreift sie den Menschen, so ist sie eben Recht — sein Recht und nicht unseres, aber eben doch ipso facto Recht. Das radikalste Unrecht, dessen wir fähig wären, würde uns immer noch in Beziehung zu dem setzen, der dann gegen uns Recht hat. Wir sind immer schon vorweg in diese Rechtsrelation eingeschlossen. Es wäre kindisch, dem entrinnen zu wollen. Vollends wenn uns irgendetwas zugestanden, geschenkt, gegeben, wenn wir fordernd oder strafend auf etwas zu Tuendes oder Getanes angesprochen werden: immer schafft das Wort Recht, ist Rechtswort. Angesichts der theologischen Notwendigkeit, diese Verhältnisse zu verstehen und begreiflich zu machen, haben die Rechtsvorstellungen aller Zeiten in hohem Maße auf die Theologie eingewirkt, so gut und vielleicht noch mehr als die philosophischen Begriffsmittel, nicht als ein Zusatz, sondern als ein

|123|

unvermeidliches Vehikel, welches sogar mit einer gewissen unkritischen Naivität verwendet wurde. Rechtsbegriffe werden sehr viel unbefangener gebraucht als philosophische. Diese sind von vornherein problematisch und immer neu bildbar. Rechtsbegriffe besitzen eine Objektivität, die von der Ausbildung eines historisch-kritischen Bewußtseins sehr leicht als kategorial verstanden wird. Noch heute verwenden philosophisch höchst beschlagene, äußerst kritische Theologen Rechtsbegriffe mit dieser vorhistorischen Unbefangenheit. Das Abheben auf den eigenen Standort wäre hier grundsätzlich sehr viel schwerer als irgendeine denkerisch Entscheidung. So haben Lehnsrecht wie entstehender Souveränitätsbegriff nicht als sog. außertheologische Faktoren, sondern als Mittel der innertheologischen Gedankenbildung die Kirchengeschichte beeinflußt.

Wenn nun aber Gott gibt, fordert, droht, verheißt, läßt er sich auf dem Wege Rechtens, seines Rechtes!, mit uns ein, — anders vermögen wir es nicht zu begreifen. Für das Verständnis stehen dann vielerlei Formen von der Gewaltausübung eines souveränen Herrschers (princeps legibus solutus) bis zum Vertragsrecht zur Wahl. Nur eines steht vorweg fest: solange er — in seinem Sinne, nicht im unsrigen — etwas von uns, der Menschheit erwartet, solange hält er sie, auf diese Erwartung hin, auf eine noch ausstehende Entscheidung, die über diese Erwartung befindet. Erfüllt aber diese Welt des Menschen in irgendeiner Weise — die wiederum eben nicht die unsrige zu sein braucht — seine Erwartung, so bestätigt, erfüllt und überhöht er das seinem Willen so gemäße Werk.

Was hier gemeint ist, ergibt sich noch deutlicher durch eine Interpretation der Rechtsverhältnisse, in denen das Neue Testament im Wege des Rechtsgleichnisses das Verhältnis Gottes zu seinen Menschen darstellt.

Zunächst ist bemerkenswert, daß diese Gleichnisse Gott in der Verkleidung eines großen irdischen Herrn zeigen, durchaus als Herrscher mit voller Gewalt über Leib und Leben, der sein Recht selbst durchsetzt, es nicht von einem fremden Richter nimmt. Aber dieser Fürst dingt Knechte, nimmt sie als Freie in Dienst, deren Unterworfenheit nicht von vornherein feststeht, nicht vorgegeben erscheint, deren Verpflichtung auf alle Fälle erst geschaffen wird. In dieser Rechtswelt ist die uns geläufige Unterscheidung von öffentlichem und privatem Recht, die ja eine historische und keine kategoriale ist, noch nicht vorausgesetzt. Infolgedessen kommen nun beide Seiten heraus. Auf der einen Seite wird streng im Raume eines nach unseren Begriffen privatrechtlichen Verhältnisses argumentiert, auf der anderen Seite straft der eine privatrechtliche Vertragspartner den schuldigen anderen an Leib und Leben, handelt für unsere Begriffe hoheitsrechtlich. Der Herr garantiert nach beiden Seiten, für und wider die Verpflichteten das Rechtsverhältnis und

|124|

seine gerechte Auslegung. In diesem Rahmen finden wir in den großen Gleichnissen ganz konkrete Rechtslagen, die präzise und mit genialer Sparsamkeit der Darstellungsmittel verwendet werden, um zugleich sehr viel mehr auszusagen, als ihr scheinbar alltäglicher Inhalt. Die juristische Genialität der Bibel steht ihrer Bildkraft in nichts nach.

Die Probleme des Opfers und des Werkes liegen für unsere Frage auf einer Strecke gleich und trennen sich erst an einem bestimmten Punkte. Die Kritik an Werk und Opfer setzt nun regelmäßig an zwei Punkten an:
a) mit Werk und Opfer gibt sich der Mensch nicht selbst Gott, sondern will ihn sozusagen abfinden, entzieht sich ihm also gerade unter dem Anschein bereiter Hingabe.
b) derselbe Mensch aber versucht Gott durch Werk und Opfer zu verpflichten, ihn mit einem Rechtsanspruch auf seiner Zusage zu behaften, ihn zur Gnäde zu nötigen. Er meint sogar, Gott habe sich dem Menschen in die Hand gegeben. Mit dieser Kritik verbindet sich der allgemeine Vorwurf einer Juridifizierung des Gottesverhältnisses, des Eindringend grundsätzlich unangemessener Kategorien.

a) Was ist nun ein Werk im Rechtssinne? Diese Frage erhebt sich, wenn des darum geht, ob die Gerechtigkeit Gottes durch ein Werk verpflichtet werden kann.

Werk ist nicht eine willkürliche Herstellungshandlung, sondern die Bewirtung eines Erfolges, den ein Auftraggeber oder Gesetzgeber gefordert und auferlegt hat, und welchen er um seiner eigenen Gerechtigkeit willen auch zu honorieren, zu belohnen bereit und verpflichtet ist. Die Werke des Gesetzes werden nicht ohne vergeltende Verheißung gefordert.

Sodann ist das Werk nicht lediglich eine Anstrengung, sondern begriffsnotwendig ist die Hervorbringung eines bestimmten Effekts. Ob es viel oder wenig Mühe und Sachaufwand kostet, ist grundsätzlich Sache des arbeitenden, nicht des Empfängers. Das Werk wird ohne Rücksicht auf die Bedingungen nach dem Ergebnis beurteilt, und der gerechte Lohn richtet sich nach dem durchschnittlichen Aufwand; die Chance besonders günstiger Bedingungen wie die Last besonders ungünstiger Verhältnisse liegt nicht beim Auftraggeber, sondern beim Ausführenden. Sodann ist das Werk ein abgegrenztes Einzelnes, ein für sich allein zu betrachtender Gegenstand der Bewertung.

Der Begriff des Werkes kommt nun sowohl in der Einzahl wie in der Mehrzahl vor: eine einzelne Handlung kann als „gutes” Werk, d.h. als lohnwürdiges Werk coram deo in diesem Sinne bezeichnet werden. Es überwiegt aber der Plural. Die Gebote Gottes erfordern, so betrachtet, vielerlei Werke. Das einzelne Werk des Menschen kann ihm nie genügen, und so bleibt der nach der Gerechtigkeit trachtende Mensch in

|125|

der ständigen Summation und Anhäufung von Werken begriffen.

Ist nun die Meinung juristisch sinnvoll, daß der Mensch Gott auch durch eine fortgesetzte Vielzahl von Werken in Erfüllung seiner Gebote sich verpflichtet? Dieser Mensch kann sich zunächst darauf berufen, daß ja Gott im Gesetz tatsächlich bestimmte dinge von ihm fordert, daß die Erfüllung ihm also nicht gleichgültig sei, und sich unauflösbar mit der Lohnverheißung verbinde. Gott wäre also in der Lage des Bestellers, der das bestellte Werk abnehmen und bezahlen muß, wenn er nicht seine eigene Gerechtigkeit verletzen will. In keinem banalen Lieferungsvertrag gibt es jedoch eine Verpflichtung zur Annahme und Vergütung von Leistungen ohne Prüfung der Qualität des Geleisteten. Das wäre ein Knebelungsvertrag, der die Existenz der einen Partei in Frage stellt und von jedem bürgerlichen Gericht wegen Sittenwidrigkeit für nichtig erklärt werden müßte. Der Verzicht auf die Prüfung wäre ein Forderungsnachlaß, der außerhalb des strengen Rechtsverhältnisses stände und jedenfalls weder gefordert noch etwa einfach vorausgesetzt werden könnte. Die Entschädigung nur für den guten Willen und die gehabte Mühe wäre eine freie Zuwendung, allenfalls der Billigkeit, aber nicht des Rechtes, und selbst aus Billigkeit nur am Platze, wenn die Unzulänglichkeit der Leistung vom Arbeitenden nicht zu vertreten wäre.

Bei der Prüfung der Leistung aber könnte Gott — auch im Rahmen eines so gedachten Verhältnisses — von Rechts wegen nur die Untauglichkeit und Wertlosigkeit der erbrachten Leistung feststellen. Das heißt: gerade bei rechtlicher Durchkonstruktion des Werkes als Rechtsverhältnis ergibt sich zwingend, daß Gottes Souveränität hier nicht eingeschränkt und seine Gerechtigkeit nicht gebunden werden kann. Nicht die Juridifizierung, sondern die unzulängliche rechtliche Betrachtung, nicht der Rechtscharakter, sondern der Rechtsirrtum führt zu theologisch unmögliche Folgerungen.

Dieser Rechtsirrtum aber ist nicht zufällig. Der Mensch könnte den Lohnanspruch aus dem Werk nur begründen, wenn dieses Werk so eindeutig bestimmt ist, daß seine Lohnwürdigkeit nicht in Frage gestellt werden kann. Damit würde das sicherlich nicht bestrittene Prüfungswerk Gottes gegenstandslos. Das Werk muß dann also so formal und verkehrsmäßig bestimmt sein, daß es auf alle Fälle seinen Wert in sich trägt. Das ist aber nur dort der Fall, richtiger: wird nur dort vorgestellt, wo ein extremer ritualistischer Formalismus mit einer ausgeprägten verkehrswirtschaftlichen Gesinnung zusammentrifft. In der Verkehrswirtschaft sind Leistungen aller Art funktionale, von der Person des Leistenden und den Bedingungen ihrer Erzeugung abgelöst, normiert und standardisiert, und werden nach einem eindeutig bestimmbaren Maßstab, regelmäßig dem des Geldes, bewertet. Verbindet sich eine solche Rechts- und Wirtschaftsgesinnung mit einer starken, aber formal gewordenen religiöser Tradition, so können auf diesem Wege quantitierbare

|126|

Leistungen religiöse Bedeutung erlangen. Beide Bedingungen treffen sowohl im Spätjudentum wie im Spätmittelalter zusammen. Der dezidierte Versuch der Werkgerechtigkeit in starker geschichtlicher Verbreitung beruht also auf einer bestimmten geschichtlichen Konstellation. Keines der beiden Momente darf fehlen, um diese typische Gesinnung zu erzeugen. In einer rein säkularen Welt trachtet man nicht nach religiös guten Werken, und außerhalb der Verkehrswirtschaft quantitiert man nicht. Weder im Ritus für sich allein noch im Werkvertragsverhältnis für sich allein ist diese Verbindung begründet. Denn gerade der Ritus unter Einschluss seiner ausgesprochenen Formaltendenz intendiert die Begegnung des ganzen Menschen mit Gott auf einem gefährlichen, nicht gleichgültigen und deshalb streng exklusiven Wege. Die rechtliche Übertragung von Gegenständen ebenso ist vor jener Spätentwicklung grundsätzlich immer zugleich Anteilgabe an der Person des Gebers. Person und Sache sind so miteinander verbunden, daß die hinzugebende Sache repräsentativ für den Geber steht, gerade als solche Kommunikation schafft. Die Gegegenstände des Besitzes sind so in den Lebensraum des Menschen hineingenommen, von seiner Lebenskraft durchdrungen, daß sie an ihm Anteil haben, und deshalb auch in der Weitergabe an ihm Anteil geben. Freilich besitzt die Gabe diese verbindende Kraft nur insofern und solange sie echte Gabe, inconditionelle Hingabe ist. Der Geber darf in diesem Wagnis des Verzichts der communicatorischen Kraft der Gabe vertrauen; er darf nicht meinen, sie im kausativen Sinne zu bewirken. Sobald der Gegenstand als machbares und vom Subjekt grundsätzlich getrenntes Objekt der Verfügung erscheint, wie in der Verkehrswirtschaft, wird erst die Vorstellung der Geschuldetheit und Forderbarkeit der Gegenleistung Gottes als eines analogen Subjektes möglich.

Erst eine bestimmte geistes-, rechts- und sozialgeschichtliche Entwicklung und Konstellation ermöglicht also eine Haltung der sog. Werkgerechtigkeit, wie sie Gegenstand der paulinischen und lutherischen Polemik ist. Zu den Bedingungen muß hinzukommen, daß die Frage der eschatologischen Gerechtigkeit grundsätzlich im Blickfeld ist, weil es um mehr geht als um die innerweltliche Verheißung, die der Gesetzeserfüllung in Gedeihen und langem Leben gegeben ist. Diese Frage ist aufgebrochen und wird nun mit Mitteln beantwortet, welche schon für die Gesetzesfrömmigkeit unangemessen sind. In dem Maße, in dem sich die religiöse Frage zur eschatologischen verschärft, sinkt die Antwort des natürlichen Menschen. Das hat weder mit der Gegenständlichkeit menschlicher Gabe noch mit dem Rechtscharakter des Verhältnisses etwas Grundsätzliches zu tun: denn wer die Gabe frei annimmt, bindend sich dadurch zur Gemeinschaft — und wo Gott erfüllbar fordert, verheißt er auch — auf der entsprechenden Ebene — Lohn, ohne sich damit etwas zu vergeben. Die Interpretation ist also ohne Berücksichtigung der

|127|

sozialgeschichtlichen Lage nicht möglich.

Nun geht es freilich nicht um Werke allein, sondern um die Werke des Gesetzes, ta erga tou noumou. Allzu oft wird von den Werken zu Gerechtigkeit schlechthin, ohne Rücksicht auf ihre Sinnbegründung im Nomos gesprochen. Der nomos, ein zugleich metajuristischer wie juristischer Begriff, ist die Gesamtrechnung der Welt, in der der Mensch steht, der er gegenübersteht, der er untersteht und der er zu entsprechen versucht. Der nomos ist also eine umfassende Einheit, welcher erst das einzelne Tun sinnvoll macht, auch wenn diese Einheit nicht im Ganzen begriffen und erfaßt werden kann. Die Tiefe des nomos ist nicht aussschöpfbar. Er erschließt sich dem frommen Gehorsam der Anschauung, aber er ist nicht beherrschbare Kausalität. Der Begriff der „Werke des Gesetzes” ist daher schon ein polemischer Begriff. Er stellt dieser lebendigen Einheit die tödliche Zerteilung, seiner Ganzheit die Vereinzelung des Tuns, der echten Frömmigkeit den Versuch gegenüber, sich dieser Ordnung zu bemächtigen. Die Polemik kann die Karikatur des Nomos benutzen, weil dieser schon im Sterben liegt, wie sich an seinem Missbrauch zeigt. Er stirbt geschichtlich, er ist nicht ewig, aber er stirbt nicht biologisch an einer Erschöpfung seiner Lebenskraft, sondern an der Frage nach dem Namen, unter dem er steht. Der Mißbrauch fordert diese Frage heraus. Es ist eine Rumpelstilzchenfrage. Weiß man den Namen, so ist die Wirklichkeit entzaubert. Der Nomos trifft aus seiner unheimlichen, namenlos-verdeckten Selbstmächtigkeit unter ein — neues — Vorzeichen, wird dadurch neu geschaffen, verwandelt. Diese Indienstnahme der Mächte und Gewalten, die der Nomos umschließt, entspricht der Differenz zwischen Werkrecht und neuem Dienstrecht mit dessen eschatologischen Hintergrund. Stände freilich hinter diesem Vorzeichen nur eine offene und leere Klammer, so würden wir dem Sieger den Triumph, dem Kämpfer die Krone, dem König die Herrschaft gerade absprechen, indem wir sie anerkennen, ihm in Wahrheit nicht zutrauen, daß er gesiegt hat.

b) In eine andere Rechtslage treten wir ein, wenn wir menschliches Tun gegenüber Gott unter dem Rechtsbegriff des Dienstes verstehen. Das Dienstverhältnis ist ein Rechtsverhältnis, in welchem der Dienende dem Dienstherrn seine Arbeitskraft in der Erwartung entsprechender Erhaltung des Lebens widmet. Das Dienstverhältnis ist ein gegenseitiges Treueverhältnis. Es ist sowohl personal wie an die Zeit geknüpft, während das Werkvertragsverhältnis sein Maß von seinem Gegenstande nimmt. Der Diener wird dem Herrn für sein ganzes Tun und Lassen verantwortlich, und dafür, daß er mit den ihm anvertrauten Mitteln zu Nützen des Herrn tätig wird. Denn Nutzen und Schaden gehen zu Lasten des Herrn, und daß es Nutzen und kein Schaden ist, dafür haftet der Diener dem Herrn. Während beim Werkvertrag der Effekt entscheidet und den Lohn bestimmt, Chancen und Risiken beim Arbeiter liegen,

|128|

liegen diese jetzt beim Herrn — er muß versäumte Zeit, verdorbenes Material und Werkzeug wenigstens zunächst tragen, und endgültig, wenn der Diener nicht Ersatz leisten kann. Vom Diener als Haushalter aber wird nicht mehr verlangt, als daß er treu ist, d.h. seine Kraft ganz einsetzt und zum Nutzen des Herrn arbeitet. Ein redlicher Arbeiter ist seines Lohnes wert, d.h. auch gegenüber Mißgeschick und höherer Gewalt. Seine Lohnwürdigkeit bleibt die gleiche, wenn auch der Herr nach Ermessen den erfolgreichen Haushalters besonders, ja nach Belieben auch die geringere Leistung als Akt der Treue voll belohnen kann. Der Lohn des Werkes ist Quantität — deswegen hat der Lohnwerker alsbald seinen Lohn dahin. Der Lohn des Dienstes ist Erhaltung und Erhöhung des Lebens. Werd sein Pfund vergräbt und noch nicht einmal andere zinstragend an seiner Statt arbeiten läßt, verkennt das Rechtsverhältnis, in dem er steht: er betrachtet das übergebene Kapital als zinsloses Darlehen, das er nur für die geschuldete Rückzahlung ängstlich aufbewahrt. Wieder ist es ein Rechtsirrtum, der dem Menschen in seinem Verständnis des Gottesverhältnisses unterläuft. Gerade das Dienstverhältnis macht noch einmal den Fehler des Werkgedankens sichtbar: Denn was rechtfertigt überhaupt, die Forderungen Gottes an den Menschen so gegeneinander zu vereinzeln, daß sie je für sich gesondert erfüllt und dann auf einer Abrechnung zusammen in Rechnung gestellt werden könnten? Die Gebote der 1. und 2. Tafel etwa, des Kultus und des Ethos, hängen als große Gruppen ebenso zusammen wie die einzelnen Forderungen nur als Einheit verstanden und erfüllt werden können. Die Verwechslung der Ganzheit mit der Summe der Teile erzeugt hier den Irrtum, der eben auch ein Rechtsirrtum ist und kein zufälliger. Auf die Quantitierung der Werke und den Rechtsirrtum antwortet freilich der bürgerliche Spiritualismus mit der Gesinnungsethik und der Entrechtlichung des Verständnisses, weil er der bekämpften Haltung viel zu verwandt ist, um sich nicht in eine dialektische Gegenposition treiben zu lassen. Nicht der zerstörte Lebenszusammenhang zwischen Person und Handeln wird gesucht, sondern die Ablösung der Person von der Gegenständen ihres Handelns wird weitergetrieben. D.h.: die Bekämpfung der Werkgerechtigkeit mit der Gesinnungsethik, Entrechtlichung, Entgegenständlichung ist die konsequente, wenn auch dialektische Vollendung eben dieser Werkgerechtigkeit: die negative gegen die positive. Eine spirituale Tendenz, die schon dem äußeren Formalismus der Werke zugrunde liegt, wird zuende gebracht.

Rechtsirrtum in dem hier gemeinten Sinne ist etwas anderes als die bloße banale Unkenntnis, über welche man sich bei gutem Willen und im recht verstandenen eigenen Interesse beim nächsten Rechtsanwalt aufklären lassen kann. Sie ist eine existentielle Verkennung der Lage des Menschen, ein radikales Entgegenstehen des gefallenen Menschen gegen Gottes Herrschaft — es ist schuldhafter Irrtum. Denn menschliche

|129|

Schuld — auch in rein innerweltlichen Sicht! — ist keineswegs nur Verletzung und Mißachtung von Geboten und Normen, sondern ebenso sehr und zu allererst der Versuch, etwas zu tun, darzustellen und zu sein, was man nicht kann und sein kann. Auch hier, in unserem Zusammenhänge will der Mensch etwas sein, was ihm nicht zukommt, auf eigene Rechnung und Gefahr ein gleichberechtigter Partner, wo er nur ein Diener sein kann.37 Daß Zivilklagen ursprünglich solche ex delicto waren, zeigt diesen Tatbestand deutlicher an als unser heutiges Schuldrecht, welches auf der Selbstverpflichtung an sich existenter Rechtspersonen beruht.

Die Selbstbindung Gottes, auf welche die katholische Auslegung der Rechtsgleichnisse so großes Gewicht legt, besteht, wie beim Dienstmann Person und Arbeit verbunden sind, eben auch nicht in einem isoliert-gegenständlichen Lohnversprechen, sondern in der konkreten Lebenserhaltung im Gottesverhältnis selbst. Es ist Dienstlohn, und wiewohl es dem Ausdruck nach zuweilen so scheinen könnte, kein von der Person abgelöster Werklohn.38

Worum es hier geht, zeigt eine weitere Erwägung. Die angeheuerten Arbeiter empfangen ihren Lohn postnumerando nach vollbrachter Arbeit, nicht praenumerando wie Beamte, die von vornherein unterhalten werden. Das ist im ganzen Erwerbsleben auch heute so. Wovon sie sich während der Zeit der Arbeit erhalten, wird überhaupt nicht erörtert — ob aus eigenem Besitz oder ob sie, — wie im landwirtschaftlichen Betreiben auch heute regelmäßig, — vom Herrn verpflegt werden und damit bereits einen Teil ihres Lohend empfangen. Auf alle Fälle dient der Lohn zum Unterhalt eines Lebensabschnittes nach Beendigung der Arbeit. Mit diesen sparsamen Mitteln, unter Verwendung einer innerweltlichen Selbstverständlichkeit wird angedeutet, daß dieser Lohn ein endzeitlicher ist: Der Lohn ist die Lebenserhöhung (ich will dich über vieles setzen, gehe ein zu deines Herrn Freude). Der Lohn ist zugleich die Gemeinschaft mit dem Herrn der Arbeit selbst. Der Dienstgedanke widerlegt den Werkgedanken und die bloße Bewahrung des Empfangenen: er überträgt den Lohngedanken ohne Sprengung des Rechtsgedankens in die endzeitliche Dimension.

Der Sachsenspiegel (Landrecht) unterscheidet drei verschiedene Rechtsformen des Dienstes: gemessene Dienste, ungemessene Dienste, und „Dienen auf Gnade”. Die beiden ersten Formen decken sich nicht ganz, sondern nur annäherungsweise mit dem uns geläufigen Unterschied von Werkvertrag und Dienstvertrag. Beim Dienen auf Gnade hat der Dienstmann nicht wie für die ungemessenen Dienste einen Anspruch auf Lebenserhaltung, sondern erhält nur, was ihm der Dienstherr frei zubilligt. Er vertraut auf die Gerechtigkeit und Freigebigkeit des Herrn zugleich.39

In dem scharfen antipharisäischen Gleichnis von den bösen Weingärtnern (Luk. 20) ist von dem Lohn der Arbeiter nicht mehr die Rede.

|130|

Hier tritt nur das Herrenrecht hervor, aber auch die Eigensucht, die dem Herrn das Seinige vorenthält und dadurch zu immer größeren Frevel gedrängt wird, und schließlich die Drohung des Gerichts. Aber selbst hier wird zunächst den Weingärtnern das Land „ausgetan”, ausgegeben als Pächtern oder in einem ähnlichen Rechtsverhältnis, in welchem wie für redliche Arbeit ihr Leben haben würden, aber den Ertrag dem Herrn schuldig werden.

c) Das Bild aber wäre unvollständig ohne zwei weitere Rechtsverhältnisse: das des Sklaven und das des Kindes.

Die Verpflichtung der freien Arbeiter geht von der nicht selbstverständlichen Voraussetzung aus, daß sie frei sind, sich selbst, aber damit auch den Dienstherr sich verpflichten können. Fällt diese hinweg, so sind die Arbeiter Sklaven, douloi. Dann sind sie ebenso vollständig verpflichtet wie die freien Diener, ja in noch höherem Grade mit allen Rechtsfolgen: nur ohne jeden Lohnanspruch. Sie sind Werkzeuge, die aus berechnender Überlegung erhalten werden; wenn sie ihren Zweck erfüllt haben, können sie beiseitegestellt, abgeschafft, verkauft werden, um anderen zu dienen: sie nehmen an der Freude des Herrn nicht teil, behalten auch nichts über die Fristung des Lebens hinaus.

Das Gegenbild des Sklaven ist das Kind. Das Kind ist in älteren Rechten nicht ein jugendlicher Erwachsener, eine von seinem Alter unabhängige Rechtspersönlichkeit, dessen Rechtserwerb schon im Mutterleibe geschützt wird (nasciturus pro jam nato habetur). Es erlangt Rechtsexisten erst durch Annahme durch den Vater, eine adoptionsähnliche Ritualhandlung (der ursprünglich noch die Möglichkeit der Verwerfung der Missgeburt durch Aussetzung gegenüberstand). Er ist dann „Kind im Rechtssinne” unwiderruflich, aber Kind nach dem Vater und durch ihn: er wird erst eigenen Rechtes durch den Tod des Vaters oder Freigabe aus der väterlichen Gewalt. Solange bleibt er unter Schutzgewalt und ausschließlicher Vertretung des Vaters. Was das Kind tut und erwirbt, tut und erwirbt es dem Vater. So erhält es keinen Lohn, indem es dient: Denn es hat zugleich als rechtmäßiges Kind an allem Anteil, was der Vater hat und überdies eine Anwartschaft auf sein zukünftiges Erbe: „sind wir Kinder, so sind wir auch Erben”. Bei vollkommener Gebundenheit, einer viel größeren Abhängigkeit als wir heute mit der Kindesstellung verbinden, einer höchstens teilweisen Rechtsfähigkeit und Mündigkeit, hat das Kind als solches Freiheit: es handelt im Sinne des Vaters, zugleich als an seinem eigenen, zukünftigen Besitz.

Der Gegensatz zwischen Werkarbeit und Dienst bei den freien Arbeitern kehrt in einer radikaleren Form zwischen Sklave und Kind, den ohne Lohn unbedingt Verpflichteten, noch einmal wieder. Werkarbeiter und Sklaven gewinnen eigentlich beide nur den Unterhalt. Dienstleute und Kinder gewinnen und haben Anteil an dem Leben des Herrn selbst.

Die problematische Voraussetzung der Freiheit der Arbeiter,

|131|

vermöge deren ein so ungleiches Vertragsverhältnis zustandekommt, wird in den Gleichnissen nicht zum Austrag gebracht und gleichsam den Arbeitern selbst zugeschoben: ob sie nämlich letztlich nur das Eigene suchen oder wirklich dienen. An der ontologischen Beantwortung der Frage der Freiheit sind die Gleichnisse nicht interessiert. Sie bleibt Arbeitshypothese, wird damit nicht endgültig behauptet. Diese Rückverschiebung ist zwischen Sklave und Kind nicht möglich. Ob man das eine oder andere ist, ist von dem modus des eigenen Verhaltens durchaus unabhängig. Nur durch einen radikal heteronomen Freilassungs- und Adoptionsakt vermöchte der Sklave Kind zu werden. Die Freilassung allein würde den Sklaven noch nicht zum Kinde machen, sondern ihm nur eine eigene, getrennte Rechtsexistenz ohne Gemeinschaft mit dem Herrn geben. So leidenschaftlich nun die Bibel die neue Kindschaft verkündet — und eben nicht nur die Entlassung aus der Sklaverei! — so kommt doch auch noch ein Mittelbegriff vor, der zwischen beiden steht: es ist der des Freigelassenen, als welchen sich Paulus bezeichnet. Die Freilassung ist hier nicht die Wiederherstellung eines an und für sich jedem Menschen zustehenden Rechtsstandes, den ihm ein philosophisches Postulat zugleich mit der Freiheit zuweist, und damit die Beseitigung eines absoluten Unrechtszustandes, wie es das rationale Naturrecht fordert.

Für die ganze Antike und auch die Bibel ist die Sklaverei ein möglicher Rechtsstand, ein personenrechtliches Rechtsverhältnis eigener Art. Wird dieses durch Rechtsverzicht aufgehoben, so vermag der Freigelassene auf eigene Rechnung Eigentum zu erwerben. Aber er bleibt immer noch dem Hause seines ehemaligen Herrn zugeordnet, hilfsverpflichtet, und dieser kann ggf. noch den Erwerb des Freigelassenen zurückziehen. Der Freigelassene verdankt dem Herrn mit der Fähigkeit des eigenen Rechtserwerbs nun alles — und beide bleiben durch diese Dankverpflichtung und den geschichtlichen Vorgang verbunden. Stehen sich Herr und freier Arbeiter gegenüber — auch in durchaus freundlichen Beziehungen, so schauen gewissermaßen Herr und Freigelassener in einer Richtung, der letztere gehört zum weiteren Umkreise des Hauses, zur Klientel. Der Freigelassene bildet auch seinen Namen nach dem seines Herrn bzw. dessen Geschlecht. Paulus drückt sich also nicht allein bescheidener aus, wenn er die neue Kindschaft für sich als Klientel bezeichnet, sondern er hebt auch ab auf den geschichtlichen Vorgang der Freiwerdung, der nicht ein nur hinter ihm liegender ist, und auch dem Christen noch anhaftet.

Wie sollte alles dies wohl ausgedrückt werden, ohne die präzisen Rechtsfiguren, denen doch nicht das Mindeste zugesetzt ist, die als Vergleiche noch nicht einmal hinken, und deren Bedeutung insgesamt unendlich viel größer ist, als die Institute sonst hergeben würden?!

Diese fünf Rechtsformen, unter denen das Gottesverhältnis dargestellt

|132|

wird, umkreisen gleichsam zusammengenommen eine Frage, die sie selbst nicht beantworten: die Frage nach der Freiheit. Denn in ihnen allen ist die Frage der Freiheit jeweils als eine schon entschiedene vorausgesetzt; die Arbeit und den Dienst in jedem von ihnen ist eine aus den verschiedensten Rechtsgründen geschuldeter. Die Freiheitsfrage, die sie als beantwortete voraussetzen, wird aus eben diesem Grunde nicht gelöst. Sie erscheint an einem anderen Punkte, wo die geschilderten Rechtsverhältnisse sich am weitesten von der Freiheit hoffnungslos entfernen: in der Sklaverei.

Zwischen dem Werkarbeiter und dem, der das Pfund vergräbt, auf der einen, dem Kind, dem Freigelassenen, dem Dienstarbeiter im Weinberg des Herrn, die in dessen Gemeinschaft sind oder sie erwarten dürfen, auf der anderen Seite, steht einsam der Sklave. Er hat weder das eine noch das andere, noch nicht einmal eine Chance, die er sich verderben kann, keine Gemeinschaft und keine Hoffnung.

Erst aus der Bejahung dieser nihilistischen Lage der vollkommenen Ausgesetztheit entsteht mit dem Gehorsam die Freiheit, als die Selbstpreisgabe, als das Nicht-Geschuldete, entsteht das Opfer als Akt dieser Freiheit.

An keiner anderen Stelle wird deutlicher, wie groß das Mißverständnis ist, welches der kantischen Ethik und den ihr folgenden Linien protestantischer Haltung zugrundeliegt. Wo immer der Mensch im Geiste oder vermöge der vernehmenden Vernunft eine legitime Forderung als Anspruch auf sein Tun zu vernehmen imstande ist, darf er — in jeder Bedeutung dieses Wortes — auf die Verheißung rechnen, die in jeder Forderung ebenso liegt wie eine Drohung. Diese drei Dinge gedanklich auseinanderzunehmen ist unmöglich. Es wird nur dadurch scheinbar möglich, daß die Vernunft subjektlos ist, so daß kein Fordernder dem geforderten Menschen gegenübersteht.

Die Kantsche Ethik ist der Versuch einer christologischen Ethik ohne Christus. Sie will Gehorsam und Freiheit auf dem Wege der Vernunft übereinbringen. Indem sie rigoros den Lohn ausschließt — was dem Neuen Testament fremd ist — verliert sie die Verheißung. Zu diesem Unternehmen hat das Glaubensmotiv der negativen Werkgerechtigkeit viel beigetragen. Das wäre nicht möglich gewesen, wenn die Trinitätslehre lebendig gewesen wäre.

Es ist gerade das unvertretbare, menschenunmögliche, einsame Opfer Christi, in dem Gehorsam und Freiheit zusammenfallen, das die Welt über den Abgrund des Nichts hinüberreißt.