2. Die Rechtsstruktur religiöser Bezüge: Bund, Testament, Repräsentation

Rechtliches Handeln ist immer Handeln zwischen verschiedenen Personen, unmittelbar oder mittelbar. Wo der Mensch originär durch Aneignungsakte Rechte erwirbt oder umgekehrt auf Rechte verzichtet, sich des Eigentums entäußert, hat dieses Handeln rechtliche Bedeutsamkeit nur im Hinblick auf die möglichen Rechte anderer Personen. Diese brauchen darum nicht Gleiche zu sein, sondern müssen nur hinsichtlich ihrer Personalität vergleichbar sein. Aber damit sie überhaupt miteinander in konkreten Akten kommunizieren können, muß zuvor die Möglichkeit dieser Kommunikation geschaffen sein, zwischen ihnen Rechtsgemeinschaft bestehen. Das gilt für Völker, Staaten, Einzelmenschen, denen diese Kommunikation keineswegs naturrechtlich, außergeschichtlich vorgegeben ist. Rechtsgemeinschaft zwischen Gott und dem Menschen bedarf wegen der absoluten Unvergleichbarkeit, dem prinzipiellen Rangunterschied zwischen ihnen erst recht dieser vorgängigen Begründung. Diese Gemeinschaft ist daher Geschenk, einseitige Gabe, in der selbst der Empfangende nicht vorhanden ist, sondern zugleich mit der Begründung der Rechtsgemeinschaft für diese Gemeinschaft und in dieser Gemeinschaft konstitutiv geschaffen, zubereitet, berufen, beigebracht wird. Diese Begründung der Rechtsgemeinschaft als Bedingung der Möglichkeit des Gottesverhältnisses ist der mit dem Begriff der Bundschließung gemeinte Vorgang. Bund (berith) ist zunächst überhaupt den feierliche Vertrag im allgemeinen, der sich aber nicht in gegenseitigen Versprechungen und Verpflichtungen ausdrückt und erschöpft, sondern eine personenrechtliche, statusrechtliche Zuordnung der Beteiligten herbeiführt. Es ist durchaus von sakralrechtlicher Solennität. In der Anwendung auf das Gottesverhältnis erfährt der Gedanke eine besondere Zuspitzung. Bund ist so im AT nach J. Begrich8

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„ein Verhältnis, in welches ein Mächtiger einen minder Mächtigen zu sich setzt und welches näher durch die dem Empfänger gegenüber eingegangene Bedingung und den Akt der Inkraftsetzung gekennzeichnet wird. Irgendeine aktive Bedeutung des Empfängers wird vom dem Begriff nicht eingeschlossen”.

Es ist eine „wirkliche Gemeinschaft des ,Lebens’ und des ,Segens’, in der der Schwächere Anteil an der ,Macht’ des Stärkeren gewinnt oder beide Partner einander gegenseitig Anteil an ihrer ,Macht’ geben. Daher werden sie ,Brüder’ ... zwischen ihnen herrscht ,Friede’, ... Sicherheit, ... und ,Treue’. (mit zahlreichen Nachweisungen aus dem AT) ... Der Gemeinschaftscharakter des Bundes kommt zum Ausdruck in den beim Abschluß getätigten Zeremonien: Handschlag, ... Hingabe der Kleider oder anderer Geschenke, ... Kuß, ... vor allem durch das gemeinsame Mahl ... Als Gemeinschaft umspannt der Bund auch die kommenden Generationen ... So ist er ... die ,Formel für die Ideologie der Geschichte’, nämlich für den Glauben an die Erwählung Israels zum exklusiven Eigentum Jahwes ...9.

Ist der alttestamentliche Bundesgedanke so radikal vergeschichtlicht, so enthält er doch in seiner Struktur und in seinen Darstellungsmitteln selbst nichts grundsätzlich anderes als den Begriff der Gnade selbst, wie er rechtssystematisch beschrieben werden kann10.

Das Griechisch des NT hat kein direkt auf den Vorgang der Bundschließung seiner Sprachwurzel nach hinweisendes Wort. An der entsprechenden Stell steht das Wort „diatheke”, welches im außerbiblischen Griechisch vorwiegend die Bedeutung „Testament” besitzt. Das bedeutet insofern eine wichtige Verschiebung, als der auf alle Fälle zweiseitige Bundschluß zu einer einseitigen Anordnung oder testamentarischen Verfügung wird. Aber wie in der Unvergleichlichkeit der Partner des Gottesbundes der Mensch nichts einbringt, sondern das ihm im Bund Gegebene nur übernimmt, so löst und hebt die Einseitigkeit der Anordnung Gottes die Frage nicht auf, wie diese dem Menschen zukommt. In jedem Falle schafft der Geber sich den Empfänger erst neu, indem er für ihn wirksam wird, mit ihm in Kommunikation tritt. Der Vorgang und das Problem bleiben gleich, ob man es nun von der Zweideutigkeit oder der Einseitigkeit her zu verstehen sucht. Der Gedanke der neuen Schöpfung bringt nur ein, im Kommunikationsvorgang selbst liegendes fundamentales Geschehen in radikaler Zuspitzung zum Ausdruck. Die Bedeutung der Begriffsgeschichte ist also begrenzt. Gerade dies kann die Begriffsgeschichte selbst nicht leicht in den Blick bekommen. Deshalb wird in deutschen Bibelübersetzungen das Wort nicht einfach zu Unrecht mit „Bund” übersetzt. Denn die Untersuchung auch des Begriffs Testament führt wieder auf die im Begriff Bund gemeinten Vorgänge und Verhältnisse zurück, so daß wir nicht zwischen beiden Bedeutungen zu entscheiden oder sie einander entgegenzusetzen brauchen.

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Das Testament. Wie es nicht eine Zeugenrolle an sich, einen Zeugenbegriff an sich, sondern immer nur ein Zeugnis innerhalb eines bestimmt verlaufenden Rechtsvorgangs gibt, verhält es sich auch mit der letztwilligen Verfügung, der Testamentserrichtung. Geschieht diese von dem Richter oder Notar als Träger der Gerichtshoheit, so ist es ein Akt der sog. freiwilligen Gerichtsbarkeit, in welcher der Verfügungsakt durch die Beurkundung durch den Richter einen besonders gesicherten öffentlichen Rechtsbestand gewinnt. Dadurch ist die Repräsentation dieser Öffentlichkeit durch die Zeugen nicht überflüssig. Testiert der Erblasser ohne Richter privat vor Zeugen, so steht die Gewährleistung des Rechtsbestandes in höherem Maße in seiner Selbstbindung durch die Verfügung. Der Abscheidende bindet in der Verfügung nicht nur seinen eigenen Willen (die Frage der Widerrufbarkeit interessiert hier nicht), sondern tritt nun auf diese Weise in einer seine lebendige, direkte Gegenwart überschreitende Weise in Verbindung mit den Personen, auf die sich seine Verfügung bezieht. Das ist in wesentlich verschiedenen Formen der Beziehung möglich.

Die gesetzliche Erbfolge und die freie Erbeinsetzung durch letztwillige Verfügung läßt eine bestimmte Person in dem Maße in die Rechtsstellung und Rolle des Abscheidenden treten, als dies überhaupt möglich ist. Dieser übernimmt insbesondere das Vermögen mit Aktiven und Passiven im Ganzen. Diese Zuwendung bedarf der Annahme und kann auch ausgeschlagen werden. Dieser Substitution der Person der Erblassers durch den Erben steht das Vermächtnis, die Zuwendung begrenzter Einzelgegenstände gegenüber. Diese bedeutet keine personale Fortsetzung der Rechtsrolle des Erblassers, sondern eine abgesonderte Einzelzuwendung. Diese beiden Formen letztwilliger Verfügung — Gesamtrechtsnachfolge wie Einzelverfügung — sind ungeeignet, den Gehalt des Testamentsbegriffes zu klären, der mit so umfassender Bedeutung sowohl über der gesamten Heiligen Schrift Alten und Neuen „Testaments” steht, wie zugleich in der Abendmahlseinsetzung speziell und zugespitzt vorkommt. Denn weder um die Fortsetzung der Rechtsperson des Abscheidenden noch um die Zueignung von etwas gegenständlich Begrenztem und von der Person Ablösbarem kann es sich hier handeln. Legt man Testament nach der personalen Seite aus, so gerät der Mensch in ein unangemessenes Verhältnis zu Gott, betont man die sachliche Seite, so verliert der Inhalt des Testaments seine wesentliche Qualität. Auch kommt hinzu, daß die Jünger im allgemeinen wie die Apostel als Zeugen der Abendmahlseinsetzung in diesem Zusammenhang niemals in der Rolle der Erben angesprochen oder verstanden werden. Die Gleichsetzung von Kindern Gottes und Erben steht nicht in diesem Zusammenhang. Bei alledem bleibt es aber letztwillige Verfügung. Es wäre ungewöhnlich, wenn der überaus präzise und nie nur ungefähre und unverbindliche rechtliche Sprachgebrauch der Schrift an einer so

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gewichtigen Stelle unscharf würde. Dies ist jedoch auch nicht der Fall.

Als weitere form letztwilliger Verfügung kommt nämlich diejenige der Stiftung in Betracht. In einer Stiftung werden Mittel ausgesondert und unter einer festen Zweckbestimmung einem Personenkreis gewidmet. Dementsprechend sind hierfür nur fruchtbringende Güter geeignet, die nicht einer Erhaltung durch andere Mittel bedürfen, sondern nur der Pflege ihres Ertrages selbst. So sehr also die Stiftung in Bezug auf die Erreichung ihres Stiftungszweckes festgelegt ist, so sehr muß sie jederzeit aktual in der Lage sein, die erforderlichen Erträge hervorzubringen. Sie ist also weder eine einmalige Gabe von besonderer Dauerhaftigkeit, noch ein bloßes Zukunftsversprechen. Sie bringt selbst die Früchte hervor, aus denen die bestimmungsmäßigen Empfänger genährt, gekleidet, unterhalten werden. Die Stiftung ist also kein Bund, sondern eine einseitige, begünstigende Verfügung des Abscheidenden, an dessen bereitgestellter Gabe immer wieder Empfänger teilnehmen dürfen.

Wie die übrigen Akte freier Zuwendung hat auch die Stiftung die Struktur eines mehraktigen Vorgangs, der sich von jenen nicht wesentlich unterscheidet. Sie beginnt mit einem Entschluss bestimmender Aussonderung, geht in einer konkreten Zuwendung an bestimmte Personen weiter, muß von diesen angenommen werden, setzt diese Empfänger in einen Raum freier Möglichkeiten und verbindet sie personal unter der Drohung der Verwirkung bei Verletzung dieses personalen Bandes.

Diese juristische Auslegung der Formen letztwilliger Verfügung wird bestätigt durch die Exegese des Wortes „diatheke”, wie sie Behm in Kittels Wörterbuch zunächst wie folgt zusammenfaßt:

„... Und in Jer. 31, 31 ff — um das für das NT wichtigste Beispiel zu nennen, das die höchste Erhebung, zugleich die Aufhebung der Bundesidee im AT bezeugt — läßt erst der Begriff kainé diathéke die Religion der Heilszeit, auf die der blick des Propheten gerichtet ist, als freie Gabe Gottes begreifen, als Kundgebung seines Heilswillens, als Gnadenoffenbarung, der Israel nur empfangend gegenübersteht. Verfügung, Willenskundgebung Gottes, sich in der Geschichte offenbarender, Religion stiftender Gotteswille — das ist der religiöse Begriff von diatheke in LXX, eine bedeutsame Zuspitzung des zugrundeliegenden hebr. Begriffs unter Wahrung seines wesentlichen Vorstellungsinhalts. Durch Beibehaltung des Begriffs Bund, der schon berith nicht deckte, durch Kompromissformeln wie Bundesverfügung, Vertragsordnung, Vertragsverfügung oder durch Einführung des der alttestamentlichen Gedankenwelt fernliegenden Begriffs Testament wird der sprach- und religionsgeschichtliche Tatbestand, der für die neutestamentliche diatheke-Idee grundlegend ist, verdunkelt oder verfälscht11”.
„Form und Inhalt des Begriffs diatheke verdankt das NT dem AT. Was zwischen AT und NT liegt, ist der Schritt von der Weissagung

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zur Erfüllung. Man darf nicht sagen, daß das NT die Tat der LXX wiederholt und das juristische Wort erneut zum Träger religiöser Gedanken gemacht habe: ,Testament und doch wiederum nicht Testament’, auch nicht von einer Wandlung des Bundesbegriffes, der den des Testaments in sich aufnehme, sprechen — weder ,Bund’ noch ,Testament’ gibt den eigentlichen Sinn des religiösen Begriffs diatheke in der griechischen Bibel wieder. Diatheke ist durchgehend die Verfügung Gottes, die machtvolle Kundgebung des souveränen Willens Gottes in der Geschichte, durch die er das Verhältnis zwischen sich und den Menschen gemäß seiner Heilsabsicht gestaltet, die autoritative göttliche Verordnung (Stiftung), die eine entsprechende Ordnung der Dinge herbeiführt.”

Behms definitorische Zusammenfassung widerspricht nicht dem, was über das Testament als Stiftung zuvor von mir aufgeführt wurde. Sie unterbietet es nur an Konkretheit. Stiftung ist nicht nur Willenskundgebung, Gestaltung und Ordnung eines Verhältnisses, sondern läßt viel klarer und distinkter die Art und Weise erkennen und erfassen, wie eben diese Stiftung dem Menschen zukommt, wie er sich in ihr und ihr gegenüber zu verhalten hat. Der Rechtsbegriff ist reicher und voller als jene Allgemeinbegriffe, die gerade den Modus des Weiterlebens der Stiftung doch wieder offenlagen. Die Ausscheidung des Rechtsgedankens in der Interpretation bedeutet nicht größere religiös-geistliche Unmittelbarkeit, sondern Einengung des Vorstellungsbereiches. Nicht in dieser Entgegenstellung verläuft der wesentliche Gegensatz, sondern darin, daß es Jesus selbst ganz persönlich ist, der sich zum Gegenstand der Stiftung macht. Nicht irgendein Gut, sondern er selbst ist Weg und Möglichkeit der Lebenserhaltung, welche kraft der Stiftung empfangen wird und eben darum in steter Aktualität sich unvergänglich erneuert. Wer nicht ihn, sondern irgendetwas Gegenständliches, wer andererseits nicht ihn selbst in den Gestalten, in denen er sich uns geben will, sondern nur ein Abbildliches, Bildliches oder Uneigentliches empfangen will, nimmt ihn nicht so auf, wie er sich uns geben will, in der unvergleichlichen Verbindung von Person und sichtbar-greifbarer Gabe. So schützt und erhält er sich in dieser Gegenwart selbst gegen unseren Zugriff. Der biblische Text ist die die nüchterne Konkretheit des Rechtsdenkens nicht nur an dem „Daß”, sondern vor allem auch an dem „Wie” dieser Kommunikation interessiert und drückt eben dies mit der klaren Prägnanz des Rechtes aus, welche nicht erst wieder der Übersetzung und Umsetzung bedarf. Wie Behm kurz zuvor treffend sagt: „Die neue Gottesordnung ruft sein blutiger Tod ins Leben, den der Abendmahlskelch vergegenwärtigt”12.

Otto Eger hat in einer Untersuchung13 neben anderen Interpretationen rechtlicher Begriffe in den paulinischen Briefen gemeint, daß aller Wahrscheinlichkeit nach Paulus bei der Verwendung des Begriffs diatheke

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im Galaterbrief nicht nur an einen allgemeinen, sondern an einen hellenistisch-galatischen Testamentsbegriff gedacht hat. Die Entwicklung des griechischen Erbrechts spreche gegen die Annahme, daß es sich um ein Adoptionstestament gehandelt habe, in welchem der Erbe durch das Medium einer künstlichen Verwandtschaft das Erbe erhalte. Gal. 3 (diatheke) und Gal. 4 (hyothesia) enthielten zwei verschiedene Rechtsbilder. Erbschaft (kleronomia) auf Grund der Verheißung = diatheke, Erbschaft auf Grund der Adoption = hyothesia, durch die die Begünstigten zu Söhnen und folgeweise zu Erben werden. Die Gedanken stehen hier nahe beieinander, während sie getrennt in Römer 4 und 8 erscheinen. In Jesu Leben finden wir die hyothesia bei der Taufe, die diatheke als gestiftete Gabe aber im Abendmahl.

Beides, Kindschaft und Erbeigenschaft stehen in wesentlich verschiedenen Zeitsituationen, die sich nicht grundsätzlich widersprechen, aber doch gegeneinander ausgeglichen werden müssen. Die Annahme und Einsetzung als Kind ist ein Anfang, die Erbeinsetzung ist nicht nur Anfang, sondern zugleich Abschied und Ende. Und wer, ohne Kind zu sein, zum Erben eingesetzt wird, wird wie ein Kind behandelt, welches der regelmäßige Erbe ist. Kinder setzen einen Vater voraus, ob er anwesend oder abwesend ist. Für die Erben ist der Erblasser als Abgeschiedener, grundsätzlich Unerreichbarer vorauszusetzen, so daß die Fortdauer seiner Person in seinem Willen und seinem Erbe zum Problem wird.

Um den paulinischen Begriff der diatheke auszuwerten, ist mit Recht das Bedürfnis empfunden worden, seine rechtshistorische Herkunft genau zu bestimmen, weil man sonst auf juristische Allgemeinbegriffe verwiesen ist. Gegenüber viel früheren Versuchen beschreitet E. Bammel14 einen erwägenswerten neuen Weg. Er verwirft den Gedanken des erst in Gal. 4 auftretenden Adoptionstestaments. Er empfindet besonders die Heranziehung des Todes des Erblassers als Vergleichspunkt als peinlich. Er zieht nun das hebräische Rechtsinstitut der Matannah heran, welches in Mischna, Tosefta und Gemara vorherrsche. Als frühester Beleg könne Sir. XXIII/19-23 angesehen werden. Sachlich handelt es sich um eine Vergabung unter Lebenden, durch die der Gegenstand sofort in den Besitz (gemeint ist: Eigentum) des Begabten übergehe, der Verfügende sich aber die Nutznießung bis zum Tode vorbehält. Die Verfügung ist unwiderruflich, was auf ihren personenrechtlichen Charakter hinweist. Es handelt sich um die Verfügung eines Gesunden; der Gedanke an den Tod bleibt, soweit dies bei einem solchen Akte überhaupt möglich ist, im Hintergrund15. Der Sache nach geht es um eine Vorwegnahme der Rechtsfolgen des zukünftigen Erbfalls ohne Schmälerung der Lebensgrundlage der Verfügenden. Dem entspricht der in Sirach ausgesprochene Gedanke, der auch dem deutschen Rechtsdenken nicht fremd ist: „Wer seinen Kindern gibt das Brot (die Nahrungsgrundlage), und

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leidet dabei selber Not, der schlag man mit der Keule tot16”. Die Matannah ersetzte die fehlende Möglichkeit, jemand, der nicht Blutserbe war, mit einer Erbschaft zu versehen, umging den mosaischen Ausschluß der Adoption. Im NT ist das Institut im Gleichnis von den bösen Winzern vorausgesetzt17. Diese Deutung, die Bammel am Galatertext nun zu erweisen sucht, scheint mir durchaus möglich. Sie verleiht dem Geschehen einen außerordentlich präsentischen Charakter der Vorwegnahme und hält ihn doch zugleich in einer eschatologischen Spannung auf den Todesfall, den Erbfall, der die Zuwendung erst in volle Wirksamkeit setzt, ohne seine gegenwärtige Gültigkeit einerseits zu vermindern, sie andererseits auf die Bedingung des Todes zu stellen. Wichtig ist, daß es sich um den Fremden, nicht den Leibeserben handelt, dem das Erbe ohnehin zukommt. Es mag exegetische Gesichtspunkte geben, welche auch dieser Deutung wieder entgegenstehen. Sie ist auf alle Fälle einer einfachen Anwendung des Testamentsbegriffs ohne Rücksicht auf historische formen desselben weit überlegen und macht gerade die Gefahren einer solchen Deutung sichtbar.

In dem Verhältnis von Kindschaft und Erbe steckt freilich noch ein Sachverhalt und ein Problem, welches festgehalten werden muß, und bei nur simultaner Verwendung beider Begriffe nicht hervortritt. Als Kind ist man Kind eines bestimmten Vaters — man kommt von ihm her und ist durch dieses „Herkommen von”, durch eine Vorvergangenheit legitimiert, kein Bankert unbestimmter Herkunft. Als Erbe aber hat man das Wesentliche noch vor sich, der Antritt dieser Erbschaft, das Mündigwerden und Selbständigwerden, die Erfüllung einer noch durchaus unvollkommenen, in der Erwartung stehenden Existenz. Paulus muß ein Interesse gehabt haben, beides ausdrücklich zu verbinden, obzwar die Gleichung Kinder = Erben so unmittelbar einleuchtet. Diese evidenter Gleichsetzung verbirgt einen Gegensatz: das Kind hat zwar die Herkunft und die Anwartschaft, aber noch nicht das Erbe. Der Erbfall hebt zwar nicht die Tatsache auf, daß die Erbschaft durch die Kindschaft bedingt wird, zugleich aber wird das Kind-Sein dadurch in einer neuen Weise transzendiert, in eine endgültige, nicht mehr vorläufige Lebensform verwandelt.

Die Gleichung Kind — Erbe zeigt also eine Zwischenexistenz an, die genau die des Christen ist. Kind wird er durch den jetzt und hier möglich gewordenen Glauben an Jesus Christus, wie es Joh. 1, 12 sehr exakt ausspricht: Gottes einmaligen Handeln in Jesus Christus kann so angenommen werden, daß der Glaubende Gottes Kind wird. Und doch lebt dieses Kind von der Verheißung der Erbschaft, die ihm erst zukommen soll. So ist sein Leben behalten von der immer neuen, in seinem Leben wirksam werdenden Erinnerung, aber eben so von der immer festzuhaltenden Zukünftigkeit der Verheißung. So getrost es Paulus ausspricht, daß Kinder auch Erben sind, so eben darum, weil beides nicht

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einen so einfach auszumachenden Schnittpunkt hat. Es kann sich freilich beides in einer verhängnisvollen Weise gegeneinanderkehren. Es gibt einen Glauben, der so sehr Glaube an die Kindschaft ist, daß für ihn die Zukunft keine lebensmäßige Bedeutung mehr hat, und es gibt eine Art christlicher Zukunftserwartung, die von nichts herkommt, die dieses Herkommen-von so sehr in Frage zieht, daß der Mensch in dieser Zwischenwelt nicht zu leben vermag. So wenig also das Verhältnis von Kindschaft und Erbschaft in einer übergreifenden Vorstellungs- und Handlungsweise objektiviert werden kann, so sehr ist es doch in Grenzen eingeschlossen: jedes von beiden wird durch das jeweils Andere konstituiert. Sehen wir allein auf die Stiftung, so verlieren wir die Zukunft aus dem Blick, sehen wir nur auf die Zukunft, so verlieren wir die Erinnerung an die geschehene Geschichte als Stiftung. Nicht ohne Tragik zeigt die Kirchengeschichte die Folgen: das treueste Festhalten an Erinnerung und Stiftung verliert die Offenheit für die Zukunft, und die höchst selbstkritische Offenheit für diese Zukunft verliert Erinnerung und Stiftung. Ohne Bruch mit dem Rechtsbild liegen in ihm und unter ihm die Probleme christlicher Existenz verborgen. Das heißt aber sehr praktisch für das Handeln der Kirche: zu dem, was uns stiftungsmäßig geboten ist zu tun, und was auf das Handeln Jesu selbst zurückgeht und sich beruft, muß immer noch die Zukunft des Geistes erbeten werden. Aber die Anrufung des Geistes geschieht immer in Bezug auf das, was nach dem Vorgang und Vorbilde Jesu und nach seiner Stiftung geschieht. Stiftung ist Herkommen von — Tun zur Erinnerung, zur anamnestischen Inbezugnahme; Verheißung ist Zukommen des Geistes zu diesem Tun. Erinnerung und Zukommen können nicht von uns zur Deckung gebracht werden18.

Mit dem bei Behm hervortretenden Begriff „Vergegenwärtigung” ist nun in diese Erörterung erneut thematisch ein Rechtsbegriff eingeführt. Er ist hier wie dort zentral für die Frage, wie zwischen Personen eine Kommunikation zustande kommt, wenn sie sich nicht direkt gegenübertreten, sondern durch eine irgendwie geartete Vermittlung in Verbindung treten. Das ist das Problem nicht einer technischen Übermittlung von Gegenständen, Lehren, Anordnungen, sondern dasjenige einer personalen Kommunikation. Eine solche geschieht durch Repräsentation.

Die Repräsentation. Der Tatbestand der Repräsentation begegnet uns in zwei zentralen Stellen und Zusammenhängen des Neuen Testaments, die beide rechtlich-institutionellen Charakter haben:
1. In der kainé diathéke, im Neuen Testament als Stiftung will Jesus selbst in Gestalt der sakramentalen Elemente gegenwärtig sein, läßt er sich in alle Zukunft von diesen ausgezeichneten Gegenständen repräsentieren19.
2. In dem unverkürzt und unverändert übernommenen und in Dienst gestellten Institut des Apostels; im Apostelamt wird dem so in Dienst

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genommenen Menschen eine Stellung verliehen, in welcher der Dienstherr im Beauftragten selbst gegenwärtig ist und vorgestellt wird.

Repräsentation ist demnach weder Verdoppelung, noch Abbild, noch etwa gar Reproduktion, sondern eine Weise der Kommunikation. Durch Repräsentation wird ohne Verlust an Inhalt und Bedeutung durch eine Angleichung der Vermittlungsform an die Fähigkeit des Empfängers, das ihm Zugedachte aufzunehmen, der Empfang ermöglicht. Sie ist nicht eine Überhöhung des Kommunikationsmittels, welches freilich dadurch eine außerordentliche Bedeutung gewinnt, sondern eine Herablassung des Repräsentierten, der durch ein so untergeordnetes Medium sich vollgültig vertreten läßt, damit er dem Anderen nicht fehle. Es geht überhaupt nicht um dieses Medium, sondern dieses ist reines Instrument.

Auch wo dieses Medium, wie es beim Begriff des Apostels der Fall ist, zum aktiven Handeln berufen und befähigt wird, bleibt es in dieser Rolle. Könnte der Abgesandte den Absendenden über seinen Auftrag hinaus und außerhalb dessen verpflichten, so würde sich das Verhältnis umkehren: der Abgesandte würde zum Herrn des Herrn. Das wird vom NT ins Auge gefaßt und ausdrücklich ausgeschlossen. Es tritt aber auch in der Repräsentation keine Gleichheit zwischen Herrn und Repräsentanten ein: die Fähigkeit wesenhafter Gleichheit ohne Aufhebung der Nichtidentität ist eine göttliche Eigenschaft, von der menschliches Gleichheitsstreben eine anmaßende Karikatur ist. So bleibt als angemessenes Verhältnis eben nur die schon entwickelte Unterordnung und Indienstnahme übrig — diese aber geschieht auch tatsächlich. Diese wirksame Bestimmung zur Repräsentation liegt genau zwischen qualifizierender Gleichsetzung und entleerender Uneigentlichkeit. Sie bezeichnet ein personales Zuordnungsverhältnis, durch welches weitere personale Zuordnung ermöglicht wird. Repräsentation ist Vergegenwärtigung der Person. Sie kann deshalb nicht geteilt, versachlicht, vergegenständlicht werden.

Im Begriff der Repräsentation trifft sich auch hier das Neue Testament mit allgemeinen Rechtsbegriffen, verwendet sie nicht nur beiläufig, sondern zentral. Es handelt sich dabei nicht um eine mehr oder minder weitgehende Juridifizierung, die deshalb auch mehr oder weniger kritisch zu begrenzen wäre, sondern um eine gegebene Verwandtschaft, weil das Recht nicht irgendeine metaphysische Idee oder Entität, sondern ein Relationsbegriff ist, und sich deshalb im Recht außerhalb des Heilsgeschehens dieselben Probleme der wirksamen Kommunikation ergeben. Blickt man nur auf den Adressaten, so tritt die Frage nicht mit der gleichen Dringlichkeit hervor: sie wird unausweichlich darin, daß der zu Repräsentierende, der nicht direkt anwesend sein kann, sich ein geeignetes Mittel schaffen muß. Eben darum ist sie nicht eine ganz besondere, qualifizierte Wirkungsweise, sondern eine Weise, die sich den vorfindlichen Möglichkeiten des Adressaten anpaßt.

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Repräsentation ist in ihrer Relationalität ein streng personaler Vorgang. Zu ihm gehören immer drei Personen: ein zu Repräsentierender, ein Repräsentant und einer, demgegenüber der zweite den ersten vertritt.

Zur Repräsentation gehört also zunächst immer eine Person, welche sich entschließt, sich repräsentieren zu lassen (der Repräsentand), sodann die Person, die willens und bereit ist, den Repräsentanden zu repräsentieren (der Repräsentant) und der durch den Akt der Bevollmächtigung in den Stand gesetzt wird, repräsentativ zu handeln, für den Repräsentanden zu stehen. Schließlich gehört ein Dritter dazu, demgegenüber sich die Repräsentation vollziehen soll, an den sie sich wendet, und der sie anerkennen soll. Die Akte der Repräsentation werden durch ihre Nichtanerkennung nicht unwirksam, aber derjenige, gegenüber den repräsentiert wird, entschlägt sich der ihm zukommenden Rechtswirkung der Akte, die ihm gegenüber vorgenommen werden.

Repräsentation vollzieht sich von oben nach unten: ein Herrscher läßt seine Hoheit repräsentieren. Aber sie vollzieht sich auch von unten nach oben: jemand steht für den anderen mit seiner Person ein. Der Gedanke des Königtums verbindet beides: der König repräsentiert Gott gegenüber seinem Volke: er repräsentiert dieses Volk gegenüber Gott und ist darin seinem Zorn ausgesetzt. Zwischen Gleichgeordneten ist sie problematisch und verläuft sie in ein einfaches Vertretungsverhältnis.

Akte der Bevollmächtigung, welche ein Repräsentationsverhältnis begründen, finden wir zahlreich im Neuen Testament. Aussagen wie „wer euch hört, hört mich”, „wem ihr die Sünden vergeben werdet ...” die vielumstrittenen Worte Matth. 16, 18 sind nur als Akte der Repräsentativsetzung verständlich. Die wesentliche Bedeutung des Apostelbegriffs wird nur durch die Repräsentativstruktur erfaßt. Die Schriftauslegung hätte Anlaß, nicht nur more philologico Begriffe auszulegen, sondern in einer Art „Verhaltensforschung” die Weisen zu klären, in welchen nach der Schrift Gott in Christo mit uns umgeht — und unsere „entsprechenden” Verhaltensweisen, die durch dieses Handeln gefordert sind.

Das dreiseitige Repräsentationsverhältnis ist ein personales. Aber die Aussage des Abendmahls „dies ist mein Leib...” erweitert diesen personalen Charakter in Richtung auf die gegenständliche Welt. Nur im übertragenen und bildhaften Sinne kann jemand der Repräsentant einer Sache, einer Idee, eines Anliegens usf. sein. Diese bildhafte Verwendung kann nicht ausgeschlossen werden, vernachlässigt aber Wesentliches.

Nun aber ist zu fragen, ob eine Sache eine Person repräsentieren kann. Diese Vorstellung ist im magischen Verständnis des Verhältnisses von Menschen und Dingen enthalten, eine tiefe Auffassung, die

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daran festhält, daß die Dinge nicht tot und die Welt nicht leer ist. Aber unsere Frage kehrt sich damit um. Es kann wohl eine Sache etwas repräsentieren, aber eben nur innerweltliche Lebensmächte, nicht das Eigentümliche der Person. So ist es gerade Überwindung der Magie unter Indienststellung der Dinge, wenn die sakramentalen Elemente dazu ausersehen werden, personale Kommunikation zwischen Gott und Mensch zu vermitteln, indem Christus in sie eingeht, sich an sie preisgibt. Darin gründet der Glaube der Christenheit an die Einzigartigkeit des Sakramentes gegenüber allen denkbaren Kulten.

Ernst Kinder wendet sich an verschiedenen Stellen seines ekklesiologischen Werkes gegen die Verwendung des Begriffs „Repräsentation”, ohne jedoch den Begriff selbst zu klären. Er setzt ihn vielmehr als eindeutigen voraus. Seine eigenen Bedenken jedoch gehen in zwei wesentlich verschiedenen Richtungen. Man dürfe nicht meinen, daß bestimmte Ordnungen als solche etwas der Kirche Wesentliches „repräsentierten”.20 Diese Befürchtung kann im psychologischen Sinne in Bezug auf jede kirchliche Ordnung begründet sein. In einem grundsätzlichen Sinne ist sie gegenstandslos, weil sie dem Begriff der Repräsentation widerspricht. Die andere Sorge Kindes richtet sich gegen einen pseudo-demokratischen, ungeistlichen Vertretungsgedanken in den Kirchenverfassungen. Nun geht eine so grundlegende Erscheinung wie die Repräsentation durch die ganze Rechts- und Sozialgeschichte hindurch, so daß auch der Vertretungsgedanke gar nicht „die” Repräsentation, sondern nur eine geschichtliche Teilform ist. Vertretung in diesem Sinne ist Repräsentation im Willen. Eine solche kommt deshalb im Raum der Kirche nur insoweit in Betracht, als hier Raum für das liberum arbitrium ist. Alle Beteiligten sind hier Menschen. In der Kirche geht es aber um die Frage, inwieweit und in welcher Form eine Repräsentation des Handelns Gottes stattfindet. Diese entsprechend ihrer Wichtigkeit gefährliche Frage kann nicht ohne genaue Verhältnisbestimmung zu den innerweltlichen jeweiligen Repräsentationsformen und ihrem Einfluß auf die Kirche einerseits, und konkreten Ordnungsfragen andererseits behandelt werden. Es muß hier genügen, das Grundsätzliche des Repräsentationsbegriffs darzulegen und zu zeigen, daß die praktisch nicht unberechtigten Bedenken Kinders das Problem nicht betreffen.

Christus ist ein Stifter, der zugleich Subjekt und Gegenstand der Stiftung ist, Stifter und Stiftungsgut zugleich. Das trifft sich mit der Bonhoefferschen Formulierung „Christus als Gemeinde existierend”. Er stiftet eben darum auch nichts außerhalb seiner selbst Liegendes, kein — seinem Willen freilich dienstbares — „Instrument”, welches „Zwecke” erfüllt, keine „Anstalt”. Dieser Stiftungssachverhalt richtet alle Theokratie oder Christokratie.

Er gibt deshalb auch keine Gesetze, außer dem einen Gesetz der Liebe, welches er zuvor erfüllt, und in dem zu bleiben in ihm bleiben heißt. Es

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folgen aus der Stiftung gerade soviel Forderungen, als durch den Charakter als Gabe bedingt ist. Sie muß angenommen werden, indem der Mensch Gott gegen sich radikal Recht gibt.

Die Vorstellung eines Christus legislator, eines zweiten Mose ist gerade alttestamentlich vom Gnadenbund her als Gabe verstanden worden, jedoch später beeinflußt und verändert durch die Rezeption der antiken Rechtsphilosophie, die mit steigender Ausschließlichkeit im Rahmen der Gerechtigkeitsproblematik das Recht als normativ verstehen ließ. Es kann hier dahinstehen, wieweit dies bereits selbst eine Verschiebung gegenüber dem ursprüngliche Bestände dieser Philosophie war, da jedenfalls dieses Traditionsgefälle sich in Richtung auf den Normativismus auswirkte. Von diesem Rechtsdenken ist die katholische Theologie geprägt, ebenso wie die reformatorische Theologie von ihrem Verhältnis dazu. Denn da die Reformation diese Tradition nicht in Frage stellte, sondern als gültige Interpretation des Rechtsbegriffs voraussetzte, mußte sie sich entweder grundsätzlich in einen rechtsfreien und damit „gesetzesfreien” Raum begeben, während das Recht damit in die Nähe der naturwissenschaftlichen Gesetzlichkeit geriet. Oder sie mußte unter radikaler, rigoristischer Verschärfung der evangelischen Forderungen versuchen, dieses normative Recht in den Dienst zu nehmen. So wurde entweder die konkrete Ethik säkularisiert oder das Evangelium zum neuen Gesetz. Luthers Irrtum, daß die Juristen sozusagen von Berufs wegen an die Gerechtigkeit aus den Werken glaubten, wäre ein belangloser Fehlgriff, wenn nicht im größeren Zusammenhang jene unüberwundene Tradition dahinterstände.21

Gibt sich also dieser Stifter selbst in ständiger Aktualität, so entstehen damit als zwei notwendige Fragen: erstens die nach den handelnden Vermittlern und der Vermittlung dieser Gabe und zweitens nach der subjektiven Möglichkeit des Empfanges. Denn so außerordentlich und so wenig selbstverständlich diese Stiftung selbst ist, so außerordentlich und außerhalb der natürlichen Möglichkeiten des Menschen liegt die Kommunikation von seiner Seite. Der sich so gibt, muß ein Übriges tun und die Annahme der Gabe auch noch ermöglichen. So sind Selbststimmung zur Gabe und die Bereitung der Empfänger, Stiftung und Geistausgießung geschichtlich differente, eben dadurch geschichtlich zusammengehörige, und durch diesen differenten Zusammenhang gerade geschichtliche Akte.

Zustimmend zur Verwendung des Repräsentationsbegriffs auf das Abendmahl auch Helmut Gollwitzer in einer Besprechung von Kurt Plachte, Das Sakrament des Altars:22

„Im Akte der Repräsentation bin ich als Vater, Lehrer, Richter, Priester, Dichter, Denker, usw. für Dich da in der Gestalt meiner leibhaften, aber durchseelten und geistgetragenen Existenz”.23 Jesus Christus ist in keinem Sinne Objekt, sondern durchaus Subjekt der

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gottesdienstlichen und sakramentalen Repräsentation. Seine Selbstmitteilung geschieht im Akte seiner Selbstdarstellung „als” Gegenwart Gottes (Geheimnis der Offenbarung) „für” uns Menschen (Ereignis der Offenbarung) „in” einer irdisch-leiblichen Gestalt (Zeugnis der Offenbarung) (111). Grund und Recht erhält das Verständnis des Sakraments als einer Selbstrepräsentation Christi aus der Stiftung Jesu. Sie sagt der Gemeinde, daß der Christus praesens sich vergegenwärtigt in der von ihm eingesetzten Handlung.”

Obwohl Gollwitzer die Fruchtbarkeit des Repräsentationsgedankens erkennt und ihn deswegen bejaht, verkennt und umgeht er ihn doch im Grunde. Es sei eine aufzulösende Zwangsvorstellung, unter ihr „nur das stellvertretende oder auch verfügende Gegenwärtigsten eines Anderen zu verstehen”. Der Begriff der „Verfügung” scheidet als unangemessen ohnehin aus. Verfügung wäre immer begriffswidrige Eigenmacht. Der Begriff der Stellvertretung dagegen kann nur ausgeschlossen werden, wenn darunter etwas ganz Verfehltes verstanden wird — und daß dies unter der scheinbaren Selbstverständlichkeit des Begriffes geschieht, ist leider mit großer Wahrscheinlichkeit anzunehmen — eben ein mehr oder minder willkürliches, vom Repräsentanden abgelöstes oder ablösbares Verhalten. Im Gegenteil ist für das Repräsentationsverhältnis das von Gollwitzer festgehaltene Schema Subjekt — Objekt gänzlich unangemessen. Daß der Repräsentand über dem Repräsentanten steht, ist so selbstverständlich, daß es gar nicht betont und gesichert zu werden braucht. Die Repräsentation ist eine personale Kommunikationsform und ist so viel weiter angelegt als das dem kausalen Denken entstammende Subjekt-Objekt-Schema, daß sie sogar den Schein dieses Schemas bieten kann: die Repräsentation kann durch ein Subjekt wie durch ein (sakramentales) „Objekt” in den Elementen geschehen, weil Gott diese Elemente repräsentationsfähig gemacht hat.

„Der Begriff der Realpräsenz ist durch den Begriff der Repräsentatio zu überholen.” „Repräsentation ist diejenige Seinsweise, die sich von dem Vorhandensein der Dinge einerseits und von dem Insichsein des reinen Geistes andererseits darin unterscheidet, daß hier ein Sein aus sich herausgeht, ein anderes ergreift, sich ihm mitteilt und darin sich darstellt und geltend macht als lebende Gestalt” (183)

Gollwitzer bejaht offenbar auch die Bedeutung des Begriffs für das Gespräch der Konfessionen auf einer neuen Ebene. Seine Vorbehalte gehen mehr gegen die Verknüpfung des Gedankens mit dem Symbolproblem, welches von mir nicht aufgenommen worden ist. Verwunderlich ist für den Juristen freilich, daß der rechtliche Gehalt des Begriffs nicht einmal in Betracht gezogen wird, einschließlich der Erfahrungen, welche die Rechtswissenschaft bei ihren Bemühungen um das Phänomen gemacht hat. Der (theologische) Begriff ist alles — die soziale Wirklichkeit kommt demgegenüber gar nicht in Betracht.24

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Sehr treffend sagt Erik Wolf:25

„So war und ist die ,Gemeinde’ (der Jüngerkreis) echte repraesentatio der basileia tou theou und gleichzeitig soziologische Realität.
Die dem reformatorischen Denken begreiflicherweise anstößige römisch-katholische Identifizierung von ,Gottesreich’ mit ,Kirche’ und die dem römisch-katholischen Denken verständlicherweise ebenso anstößige reformatorische Isolierung des Gottesreichs von der ,Kirche’: diese Problematik ist vielleicht in ihrer heutigen Schärfe nur die Folge einer (dem modernen naturwissenschaftlich-mathematischen Zeitbegriff entsprechenden) Verkennung der Einheit der ,eschatologischen’ mit der ,gegenwärtigen’ basileia tou theou.
... Von Gott erwählt und von Menschen geformt: eine gleichzeitig weltgeschichtliche und heilsgeschichtliche Wirklichkeit, ist die Gemeinde das Gottesrecht und ist es noch nicht.”

Dazu ist mehreres hinzuzufügen: dieses „noch nicht” und „doch schon” als zeitlicher Aspekt deckt sich sachlich mit der dialektischen Aussage von Chalcedon, wie die obige Gegenüberstellung von Gleichsetzung und Trennung deutlich zeigt.

Sodann zeigt sich hier, daß der Protest der Einen und die Selbstdurchsetzung der Anderen beide, je für sich wie gegenseitig, in eine immer stärkere Verfehlung der Sache führt, um die es beiden geht und gehen muß: der Katholizismus hindert die Katholizität (Stählin), und der Protestantismus die Reformation. Sodann bietet die moderne Naturwissenschaft Denkformen an, die geeigneter sind, als diejenigen der klassischen Physik und Mathematik: im Komplementaritätsbegriff sind Elemente unumkehrbarer Geschichtlichkeit inbegriffen.

Repräsentation ist also ein höchst personaler und geschichtlicher Vorgang, nicht das Aufscheinen und Hervortreten einer immer wieder sich erweisenden Wahrheit. Das entworfene Rollenbild wäre aber unvollständig, wenn nicht der Repräsentand hinter dem Repräsentanten, zugleich aber vor denen stände, denen gegenüber er repräsentiert wird. Denn Repräsentation ist nur denkbar, wenn der Repräsentand erfüllt, was der Repräsentant in seinem Namen, von ihm herkommend, tut. Aber ohne daß zuvor etwas geschehen ist, was für das gegenwärtige Leben in Bezug genommen worden ist, könnte nichts freudig erwartet, nichts gehofft werden — stände jene Zukunft nicht aus, so verliefe jene Repräsentation in ihrem eigenen Handeln, wäre sie gerade keine solche. Die Stärkung des Präsenzglaubens hilft uns also nicht, die Verheißung festzuhalten, und die Steigerung des Zukunftsglaubens nimmt diesem Glauben seinen Inhalt. Zukunft ist hier wesentlich Wiederkunft, — und Re-präsentatio und Wiederkunft hängen ineinander.

Die drei Begriffe und Phänomene: Bund, Testament, Repräsentation hängen, wie sich ergibt, in einer bemerkenswerten Weise untereinander zusammen. Der Testamentsbegriff führt den Bundbegriff weiter, indem

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er ihn aufnimmt: der Repräsentationsbegriff, der im Gegensatz zu jenen beiden ja kein biblischer Terminus, sondern eine biblische Struktur ist, erhellt die Geschehensweise von jenen beiden. Repräsentation ist deshalb nicht nur ein Begriffsmittel, welches in glücklicher Weise speziell der Sakramentslehre zur Überwindung falscher Antithesen von Objektivität und Subjektivität, falscher Zeitvorstellungen verhilft, sondern eine sehr viel bedeutendere Weise der Kommunikation, welche die Schriftauslegung unter dem Geschichtspunkt der „Verhaltensforschung” verstehen kann. Vom Alten Bund und Neuen Testament geht die apostolische Repräsentation aus.