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Mensch und Sache — zum Problem des Eigentums

 

Das Verhältnis zur dinglichen, beherrschbaren Umwelt ist dem Menschen von Anbeginn mitgegeben. Damit ist auch das Problem der rechtlichen Gestaltung dieses Verhältnisses gestellt. Diese Gestaltung kann nicht für alle Zeiten unter den Begriff des Eigentums gebracht werden, ohne gerade die wesentlichsten Erscheinungen langdauernder rechtsgeschichtlicher Perioden von vornherein mißzuverstehen. Nur weil wir heute diese Beziehung in erster Linie unter dem Begriff des Eigentums verstehen, ist dieser Begriff zur Andeutung des gemeinten Problembereichs hier vorangestellt.

Die heutige europäische Rechtswissenschaft unterscheidet streng systematisch zwischen absoluten (dinglichen) und relativen (obligatorischen) Rechten. Mit dieser leicht eingängigen, klaren und die rechtswissenschaftliche Schulung ungemein erleichternden Trennung der Bereiche sind jedoch weitreichende Vorentscheidungen verknüpft, die selten oder nie in das Bewußtsein treten. Sofern die darin liegenden Fragen nicht völlig zu Unrecht der Rechtsphilosophie zugewiesen und aus der Rechtssystematik ausgeschieden werden, herrscht weithin die naive Vorstellung, daß es sich um zeitlos gültige kategoriale Erkenntnisse handele. Das rechtsgeschichtliche Gewissen wird damit zufriedengestellt, daß man jene Absolutheit als das immanente Ziel der Entwicklung des Eigentumsbegriffs ansieht, welcher die ebenso weitgehende rechtliche — allein sittlich gebundene — Freiheit des Menschen als Rechtssubjekt entspreche.

Jene systematische Unterscheidung von absoluten und relativen Rechten setzt nun eine Reihe vollzogener Scheidungen und Unterscheidungen voraus.

1. Zunächst schließt dieser Eigentumsbegriff alle sonstigen Formen von Sachenrechten in dem Sinne begrifflich ein, daß diese nur immer als Ausschnitt, als begriffliches Minus des Vollbegriffs erscheinen können (Pfandrecht, Nutzungsrechte). Sie sind deshalb immer nur herausgeschnittene, quantitative Teile des Begriffsganzen. Die volle Form des Begriffs ist die höchste und damit die einzige. Es kann neben dem Eigenbegriff keine andere Vollform der Rechtsbeziehung zwischen Mensch und Sache geben (Singularität des Eigentums). Zugleich wird die relativ umfassendste Gestaltung dieser Beziehung

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mit der absoluten Vollgestalt gleichgestellt (Totalität des Eigentums).

2. Kraft jener Unterscheidung wird aus dem Begriff und damit aus der Beziehung Mensch-Sache jede positive mitmenschliche Beziehung (abgesehen von der außerhalb des Begriffs liegenden Gewährleistung des Eigentums in der Gesamtrechtsordnung und den negativen Rechtsfolgen der Ausschließung jedes Dritten aus diesem Verhältnis) ausgeschieden. Für diese Ausscheidung wird dem Rechtsgenossen das gleiche absolute Recht an seinem Sachbereich zugestanden, so wie zwei souveräne Staaten eifersüchtig über ihrer unumschränkten Gerichtsbarkeit über ihre Staatsangehörigen wachen und jedem anderen Staat reziprok des Gleiche zubilligen. Indem alle mitmenschlichen Beziehungen aus dem absolut verstandenen Rechtsbegriff der Sachherrschaft herausgenommen werden, stehen grundsätzlich unverbundene und nur auf einer anderen Ebene, nämlich der des öffentlichen Rechts, verknüpfte isolierte Rechtssubjekte nebeneinander. Der absolute Eigentumsbegriff enthält also zugleich die Scheidung zwischen öffentlichem Recht und Privatrecht und schließt die Möglichkeit aus, öffentlich-rechtliche Beziehungen in sich konstruktiv aufzunehmen. Diese erscheinen vielmehr als eine Art hypothekarische Belastung eines begrifflich geforderten Vollrechts.

3. Die Ausscheidung mitmenschlicher Rechtsbeziehungen aus dem Eigentumsbegriff und seine Isolierung auf das Verhältnis (Einzel-)Mensch-Sache stellt beide als voneinander vollständig getrennte Größen, als Subjekt und Objekt einander gegenüber. Damit wird diese Beziehung als rechtliche zugleich vollständig wertfrei. Jeder denkbare Gebrauch des Eigentums von der pfleglichen, behutsam die Früchte erzielenden Benutzung über Raubbau und Vernachlässigung bis zur Zerstörung wird als rechtlich gleichwertig vom Begriff gedeckt und für gleichmäßig zulässig erachtet. Einschränkungen erscheinen auf der, wie geschildert, systematisch völlig getrennt gehaltenen öffentlich-rechtlichen Ebene und als Verkürzung des Begriffs. Das Bedürfnis einer materialen Ausfüllung des Begriffs wird auf die Ethik und in die Rechtsphilosophie verwiesen. Der absolute Eigentumsbegriff setzt die Trennung von Recht und Ethik voraus. Diese Trennung wiederum setzt die Überlegenheit der Ethik über die Rechtsdogmatik voraus, da sonst die erstere ihre ausfüllende Funktion gegenüber der Rechtsdogmatik nicht erfüllen könnte. Sie entläßt die so entleerte Rechtsdogmatik in die Autonomie ihrer selbstgesetzlichen Begriffsbildung. Das materiale „Innen” der Ethik steht dem für sich wertlosen, formalen „Außen” des Rechtes gegenüber.

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4. Zugleich nimmt dieses Übergewicht der (Rechts-)Ethik die (Rechts-)Dogmatik aus der Geschichte heraus. Es kann in der Entwicklung der Rechtsdogmatik des Eigentumsbegriffs grundsätzlich nichts mehr passieren außer der sinnlosen Preisgabe und Zerstörung der einmal in Erscheinung getretenen absoluten Idee, der Vollgestalt jenes Grundverhältnisses. Läßt also die Dogmatik des Instituts begrifflich kein plus ultra zu, vermag sie sich selbst also nicht mehr in eine neue wesentlich andere Gestalt zu transzendieren, so wird auch die Rückbeziehung auf geschichtlich frühere Formen im allgemeinen und auf die Genesis, den Ursprung des Instituts selbst unwesentlich. Die Geschichte steht im Begriff still. Rechtsgeschichte und Rechtsdogmatik werden zu prinzipiell getrennten Bereichen und Lehrfächern. Diese offensichtlich unmögliche Scheidung wird nur dadurch wieder verklammert, daß die rechtsgeschichtliche Entwicklung als Vehikel der Entfaltung des Begriffs verstanden wird. Das gegenwärtige Jetzt und Hier des Begriffs wird ebenso absolut gesetzt wie den Inhalt des Rechtes selbst.

Von da aus gibt es nur die Rechtsgeschichtsphilosophie des Verfalls, der Devolution, oder das Verschließen des Blickes gegenüber jeder neuen Entwicklung. Wenn auch wohl nirgends die volle denkerische Konsequenz dieser Trennungen durchgehalten wird, so entgeht doch wiederum in Wahrheit niemand diesen unausweichlichen Folgerungen in positiver Weise, wenn er einmal sich auf den gedanklichen Ausgangspunkt gestellt und die Prämisse bejaht, den gefährlichen und weittragenden ersten Schritt getan hat.

5. Zugleich mit der Ausscheidung mitmenschlicher (relativer) Rechtsbeziehungen aus dem Eigentumsbegriff als dem Vollbegriff der Sachherrschaft wird der vorausgehende Erwerbs- und Aneignungsakt aus dem Begriff herausgenommen und damit bedeutungslos. Er scheint grundsätzlich und notwendig abgeschlossen und ohne Wirkung auf den Inhalt des Rechtes selbst zu sein. Die Rechtslehre unterscheidet systematisch zwischen originärem und derivativem Erwerb von Eigentum. Ob das ein ausschließender Gegensatz ohne weitere Gemeinsamkeit als die Gleichartigkeit des Ergebnisses ist, mag hier zunächst dahinstehen. Betrachten wir zunächst den derivativen Erwerb für sich allein. Durch den Erwerb tritt der Erwerber in die positiven Rechte des Voreigentümers ein. Die Vorstellung vom Eigentum als absolutem Recht bedeutet dann, daß nach vollzogenem Erwerb das Verhältnis des Eigentümers zum Vormann das gleiche ist wie zu jedem anderen Rechtssubjekt: das Verhältnis der absoluten Berechtigung zur absoluten Nichtberechtigung. Das Rechts-Ich

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steht dem Rechts-Nicht-Ich schlechthin beziehungslos gegenüber. So verstanden gliche das Eigentum einer Kugel, die ihren Inhalt nach allen Seiten gleichmäßig umschließt und abschließt. In Wahrheit ist es ein Gefäß, das einen Inhalt zwar nach allen Seiten abschließt, aber eine schmale Öffnung hat, durch die erst der Inhalt in die leere Form einfließt. Dieser Vorgang ist der Akt des Erwerbs. D.h. gegenüber dem Nichtberechtigten ergibt sich der Inhalt des Eigentums als Ausschließung aus dem Begriff; gegenüber dem Voreigentümer aus dem konkreten historischen Rechtsakt, der Preisgabe des eigenen Rechtes an den Erwerber. Dieser Verzichtsakt ist sozusagen der Pfropfen, der das Gefäß abschließt. Er erfüllt zwar die gleiche Funktion wie die Wandung, aber er ist etwas anderes und er kann unter Umständen herausgenommen werden, so daß der Inhalt zurückfließt. Der Rechtsgrund der aus dem Eigentum sich ergebenden Ansprüche auf Achtung seines herrschaftlichen Bestandes fließt also nach der einen Seite aus dem Institut, nach der anderen aus dem Rechtsakt. Durch die Vernachlässigung dieses Unterschiedes und die Gleichsetzung beider versinkt der Voreigentümer aus der Eigenschaft des Rechtspartners in die bloße Tatsächlichkeit eines abgeschlossenen Faktums, so wie der Erblasser stirbt und aus dem Rechtsverkehr ausscheidet. Das geschichtliche Geschehen wird mit dem Ablauf des Vollzugs irrelevant. La recherche de la paternité ist zwar nicht untersagt, aber gleichgültig. Dabei wird übersehen, daß der Rechtsgrund der Position des Erwerbers allein der Titel jenes Verzichtes ist, und daß dieses „nomen” allein ihm die Rechtswirkungen des Rechtsinstituts, der „res” zuwendet und sichert. Erst der konkrete Akt vollzieht den Eintritt in die Ordnung, verknüpft Rechtsträger und Rechtsordnung.

Ist aber der Titel des Verzichtsaktes in solchem Maße entscheidend, so drängt sich die Frage auf, ob überhaupt die Vorstellung einer wirklichen „Übertragung” von Rechten den Sachverhalt trifft und der körperlichen Übergabe des Besitzes vergleichbar ist, die ja auch zu ganz anderen, rechtlich erheblichen Zwecken dienen kann. Die Vorstellung von der Abgeschlossenheit des Aktes setzt in der Tat ein Verständnis der Vorgangs voraus, welche der mechanischen Bewegung körperlichen Massen wenigstens einigermaßen vergleichbar ist. Dies aber auszusprechen, heißt es schon in Zweifel ziehen. Denn dieser Verzicht ist immer doch nur höchstens ein Bild, ein Zeichen und Gleichnis, ein „als ob”. Freilich ist die Übergabe immer ein positiver und realer Akt. Für die dingliche Einigung aber trifft keines von beiden zu. Sie bringt eine ideelle, irreale Intention zum

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Ausdruck, die dem bloßen Realakt erst Inhalt und Farbe gibt. Sie ist aber zugleich ein Akt der Selbstentäußerung, des Verzichts, durch den sich der Verfügende bindet. So heißt die Auffassung im mittelalterlichen Rechtslatein „resignatio”. Daß er diese nicht beliebig rückgängig machen kann, folgt aus der Verbindlichkeit und Geschichtlichkeit, welche beide Wesensmerkmale des Rechtes sind. Aber daß er für immer und unter allen Umständen darauf verzichtet, ist deswegen im Begriff nicht enthalten. So kann der Undank des Beschenkten den Akt in Frage stellen und den Heimfall des Geschenkten bewirken. Dies ist freilich im Rahmen der heutigen Systematik als obligatorische Anspruch ausgestaltet, gehört aber sachlich als ein Rest personalen Inhalts der dinglichen Einigung hierher. Ebenso wie durch den freiwilligen Verzicht in der dinglichen Einigung unter Lebenden pflanzt sich die Sachherrschaft im Erbgang durch den Schwund, nämlich durch den Verfall des Eigentümers im Tode fort. Der Tote erbt den Lebenden, d.h. er macht ihn durch den regelmäßig unfreiwilligen Tod, das Gegenteil von Freiwilligkeit, das Höchstmaß von Unfreiheit, zum Rechtsnachfolger. Die Herrschaft des Menschen über die Sache ist letztlich entropisch, dem Verfall unterworfen. Die gleichartige Struktur dieser dinglichen Übertragungs- (man könnte plastischer sagen) Fortpflanzungs-Akte ermöglicht es, ein weiteres Moment des gegenwärtigen Eigentumsbegriffs, nämlich die Freiheit, aus diesem auszuscheiden. Die grundsätzliche Verfügungsfreiheit unter Lebenden und von Todes wegen (Testierfreiheit) ist der konsequente Ausdruck der beziehungslosen Trennung von Subjekt und Objekt und der Vorstellung von der menschlichen Übertragung von Rechten analog der Bewegung körperlicher Gegenstände. Beides aber ist das gemeinsame Produkt der gleichen Metaphysik. Nur unter der Voraussetzung der Gültigkeit ihres Grundansatzes gelten auch die Einzelheiten dieser Gestaltung; von ihr aus ist das gesamte Institut während der Dauer ihrer Gültigkeit gestaltet und sind alle widersprechenden Züge ausgeschieden und unterdrückt worden. Das Eigentum ist schon deshalb nicht absolut, weil die zentrale Vorstellung von dieser Absolutheit engbegrenzte geistesgeschichtliche Voraussetzungen hat, die als solche zusammenfassend beschrieben und auf eine einheitliche Wurzel zurückgeführt werden können.

Dieser Eigentumsbegriff ist in unserer Rechtsgeschichte erst verhältnismäßig spät und zwar Anfang des 13. Jahrhunderts in den Kölner Rechtsbüchern — hier schon unter der Bezeichnung Eigentum — in seinen Anfängen nachweisbar und hat dann durch die Rezeption

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des römisches Rechts eine entscheidende Verstärkung erfahren, indem jetzt die Ergebnisse sehr später rechtsgeschichtlicher Epochen eines fremden Rechtssystems Einfluß erlangten. Durch die humanistische Naivität der Rezeption wurde der Glaube an die Absolutheit dieser Begriffe außerordentlich gefördert. Der fast durchgängig unwissenschaftliche, gedanklich unzulängliche und gefühlsmäßige Protest dagegen ist seitdem nie ganz verstummt. Was sich aber im Zusammenhang unserer Rechtsgeschichte vollzog und herausbildete, das ist das Rechtsdenken des Spiritualismus. Sobald und indem die Eigentlichkeit des Menschen, sein Heil aus einer verderbten Welt in seine Innerlichkeit zurückgenommen wird, werden Mensch und Sache beziehungslos, wird aber zugleich damit die Sache als ohne grundsätzlichen Eigenwert der schrankenlosen Verfügung des Menschen freigegeben. Es entsteht die beschriebene Form des Eigentums, die man als Verkehrseigentum bezeichnen kann. Mit der eigentümlichen Isolierung von Mensch und Sache, aber auch der Herauslösung des Instituts aus all den genannten Bezügen entsteht ein ganz neuer Bereich von Neben- und Parallelwirkungen, die zum Verständnis der Erscheinung notwendig mitgesehen werden müssen und die weltgeschichtliche Ausmaße besitzen. Sie können aber nur recht verstanden werden, wenn man zuvor die Rechtsformen beschreibt, die diesem Verständnis des Problems Mensch-Sache vorausgegangen sind.

Für unsere Rechtsgeschichte ist vor dem 13. Jahrhundert der Begriff des Eigentums unanwendbar. Da der Begriff „Besitz” ein terminus technicus des romanistischen Rechtsdenkens als Gegensatz zum Eigentum ist, empfiehlt es sich zur Vermeidung von Mißverständnissen an Stelle dessen von Herrschaft oder Sachherrschaft zu sprechen (Schwerin-Thieme, Grundzüge der deutschen Rechtsgeschichte, S. 14, Anm. 6). Diese Herrschaft ist nun keine begrifflich abgeschlossene, totale und höchste, beruht ebensowenig auf der Trennung ihres Trägers von Rechtsgenossen, sondern sie ist imstande, sehr verschiedenartige Beziehungen in sich aufzunehmen. Eben darum fehlt ihr die logische Vollendung, die abschließende Definierbarkeit; denn diese Beziehungen sind in sehr vielfältiger Form und zu sher verschiedenen anderen Rechtsträgern denkbar, verändern also jeweils Struktur und Tendenz des Instituts. Solange noch nicht die Beziehung aller Rechtsbefugnisse auf eine Person und ihre punktuelle Existenz, ihre Zusammenfassung in einem Prisma und damit der Einheitsgedanke mit seinem monistischen Zuge vorausgesetzt wird, zersplittert sich das Phänomen und entzieht sich weitgehend

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der Rationalisierung. Trotzdem bleibt es eine echte Größe, die aus der Grundbeziehung Mensch-Sache entsteht und in ihr immer wieder seinen Mittelpunkt hat. Deswegen lassen sich trotzdem gewisse immer wiederkehrende Grundbezüge darstellen und aus ihrem Strukturvergleich wesentliche Hinweise gewinnen.

Drei Hauptformen der Sachherrschaft ergeben sich nun: die freie (Allod), die im Lehnsverbande stehende (Feod) und die genossenschaftliche Sachherrschaft. Die erstgenannte Form scheint unserem gegenwärtigen Eigentumsverhältnis am nächsten zu stehen. Aber gerade sie ist nicht ablösbar von den sozialen Bindungen, in denen die Herrschaftsträger steht, in erster Linie seiner Bindung an die Sippe. Dies wiederum ist nicht einfach die Auswirkung sozialer Tatsachen, die nach Analogie des öffentlichen Rechtes auf die privatrechtliche Größe „Eigentum” als eine äußere heterogene Tatsache oder eine einfache positive Satzung zurückwirken, die das „Eigentum” belastet. Es entsteht vielmehr daraus, daß die Beziehung zwischen beherrschendem Menschen und beherrschter Sache eine sehr viel engere ist als die zwischen Subjekt und Objekt. Leopold Ziegler sagt in seinem Buche „Überlieferung” (S. 54ff.) über die Entstehung des Eigentums:

„Daß die urheberische Kraft unteilbar an den einzelnen Gliedschaften, Abfallstoffen und sogar Ausscheidungen des Leibes haftet, ist ... noch nicht alles. Sondern Gleiches tritt durchweg auch für das benutzte Werkzeug zu, für Waffe und Jagdgerät, Schmuck und Kleidung: und eben dieser Vorgang einer Übertragung magischer Urheberkräfte auf eine an sich ,tote’ Ding- und Sachwelt läßt uns mit einiger Wahrscheinlichkeit vermuten, es möchte hier etwa der wahre Ursprung des Sondereigentums zu suchen sein. Wie man heute weiß, gibt es in dieser frühen Gesellschaftsverfassung, die freilich alles andere als einfach ist, bereits auch die ersten Ansätze des Sonderbesitzes, auch dann zwar, wenn hier im allgemeinen jener naive Kollektivismus und Kommunismus, der vielleicht besser ,der reine Sozialismus’ hieße, vorherrschend war. Es ist eine Verfassung, die beispielsweise auch für unsere germanischen Vorfahren bezeugt ist, wenn sie Wald und Weide, Vieh und Ackerland dem Gemeineigentum zuzählen, indes die oben erwähnten Gegenstände, Waffe und Werkzeug, Kleidung und Geräte, entschiedener Eigenbesitz waren. Das Haus bedürfte dabei einer Untersuchung für sich. Weshalb aber gelten dieses letztgenannten Gegenständlichkeiten in einem so viel strengeren und persönlicheren Begriffe für jeweiliges Eigentum als selbst die lebenswichtigsten Gebrauchsgüter und Herstellungsmittel

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der Wirtschaft? Es gibt darauf nur die eine Antwort: Weil sie dem einzelnen in demselben spezifisch magischen Sinne zugehörig sind, wie sein Ebenbild und Name, wie seine Leibesglieder, seine Abfallstoffe und seine Ausscheidungen. Wer mir also Jagdspeer oder Fangnetz ... ja, wer mir vollends mein Amulett, meine Medizin entwendet, begeht kein kleineres Verbrechen, als wer mir Schatten oder Namen stiehlt ... Von diesem Gesichtspunkt aus könnte man sich ... versucht fühlen zu dem Entwurf einer Liste von Sachwerten und Sachen, die je nach den jeweiligen Abständen von ihrem individuellen Zentrum, zu welchem hin sie magisch gravitieren, nacheinander in Besitz genommen oder als Besitz ergriffen werden ... Für uns kann es nie mehr einem Zweifel unterliegen, daß die Entstehung des Eigentums, wenn auch vielleicht nur teilweise, ein seelengeschichtlicher, nicht aber ein wirtschaftlicher Vorgang ist.”

Der Befund der Rechtsgeschichte bestätigt die Sicht des Kulturphilosophen. Indem sich der Mensch der Sache bemächtigt, durchdringt er sie mit seinen Kräften und macht sie in einem besonderen Maße zu seiner eigenen. Sie wird ein Stück seiner selbst. Wir empfinden die auch heute noch im Hausrat bewohnter Wohnungen, an langbenutzten Gegenständen des täglichen Bedarfs, Gerät und Kleidern, die ein körperlich spürbares Fluidum an sich tragen und das Gepräge ihres Inhabers besitzen. Sie sind nicht für den Verkehr zwischen beliebigen Menschen, sondern für den Gebrauch gewisser Menschen bestimmt und dadurch ausgezeichnet. Auch das heutige Zwangsvollstreckungsrecht schützt weitgehend das persönlichste Eigentum, nicht allein aus sozialen Zweckmäßigkeitsgründen und wegen des absoluten Mißverhältnisses zwischen Gebrauchswert und Verkehrswert: vielmehr drückt sich gerade in dieser Wertdifferenz die Andersartigkeit der Beziehung aus. Wie der Staat unter Zurückstellung öffentlicher Interessen den nahen Verwandten ein Zeugnisverweigerungsrecht im Prozeß gibt und sie sogar von der Anzeigepflicht für Straftaten entbindet, ihre Begünstigungshandlung straflos läßt, so respektiert er diesen innersten Kreis der Sachherrschaft, weil er mit dem Kern menschlicher Existenz untrennbar verknüpft und nicht durch eine juristische Operation von ihm ablösbar ist. Welchen menschlichen Substanzverlust drückt es aus und bedeutet es zugleich, wenn es beispielsweise in den Vereinigten Staaten zunehmend üblich wird, bei Ortswechsel seine gesamte Wohnungseinrichtung zu veräußern und am neuen Ort von der Stange wieder zu kaufen. Im Kraftfahrzeughandel muß man bei Rückgabe eines neuen Fahrzeugs selbst bei geringfügiger Benutzung immense Preisabschläge

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in Kauf nehmen. Diese übersteigen weit die Gefahr unsachgemäßer Behandlung und dadurch eingetretener Wertminderung. Durch den Antritt der Sachherrschaft wird die Sache in einer irrationalen Weise verändert. Dieser ideelle Wert der Ingebrauchnahme tritt auch sonst im Handel weit über die reale Wertminderung hinaus in Erscheinung. Die Sachherrschaft integriert Mensch und Sache zu einer Einheit und verändert damit die Sache.

Die Sachherrschaft drückt also zunächst die Mächtigkeit des Menschen aus. Das Kind, das ständig seine Schulsachen beschädigt oder verliert, ist nicht der Sache unmächtig, sondern seiner selbst. Die Fähigkeit der Zuordnung gegenständlicher Dinge hat seine Parallele in der Fähigkeit geistiger Aneignung. Sie beruht nicht primär auf der Quantität aufgewandter Kraft, sondern auf einem Integrations- und Auswahlakt, der das Bezügliche ergreift, das nicht Bezügliche vernachlässigt und das Bezügliche sich planmäßig aufbauend zuordnet. Viele junge Menschen gehen in ihre Berufsausbildung mit zwar unsystematischen und unzulänglichen, aber trotzdem beträchtlichen Vorkenntnissen, die sie sich aus angeborenem Interesse spielend und halbbewußt angeeignet haben. Der wissenschaftliche Mensch ist derjenige, der Erkenntnisse sich selbst im Zusammenhang zuzuordnen bestrebt und befähigt ist. Ein ähnliches Charisma setzt auch der Sacherwerb voraus. Zu ihm gehört nicht nur der einmalige Akt, sondern auch die kontinuierliche Fähigkeit, das Erworbene zu halten. Der einfache Mensch hat auch heute noch ein Gefühl dafür, inwieweit der Besitz Ausdruck einer solchen Mächtigkeit oder einer unredlichen List oder einer bloßen Konjunktur ist, und versucht zu unterscheiden. Ebenso hat er unbewußt im Hintergrunde immer den Verdacht, daß der Gescheiterte und Besitzlose mit Recht aus einem echten inneren Mangel, nicht aus äußeren Gründen versagt hat, so wenig aus alledem ein rational zuverlässiges Urteil über Menschen und Vorgänge zu gewinnen ist. Wie stark dieser ordnende Mittelpunkt des konkreten Menschen wirkt, zeigt jede Zeit der völligen Rechts- und Ordnungslosigkeit, wo mit der Achtung der Person zugleich mit Blitzesschnelle der sorgsam gehütete Besitz in alle Winde zerstreut wird, ohne zu einem entsprechenden echten Besitz, vielmehr um verschleudert und verludert zu werden. Der Satz „Unrecht Gut gedeihet nicht” ist nicht moralische Ermahnung, sondern seinsmäßige Erfahrung. Nicht nur die Schutz- und Kontrollmaßnahmen der öffentlichen Ordnung, sondern auch innere Gründe bewirken, daß statistisch von allem geraubten, gestohlenen Gut dem Täter nur etwa ein Zehnte des Wertes wirklich zugute kommt.

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Zugleich aber wirkt die Sache auf den Menschen zurück. Sie qualifiziert seine Position, seine soziale Stellung. Wer die sogenannte Filzung in einem Gefangenenlager einmal durchgemacht hat, wird Verständnis für diesen Sachverhalt haben. Weder Sicherheitsgründe noch militärische Pedanterie oder Habgier erklären den Trieb, den Machtlosen durch die Wegnahme gerade des Persönlichsten, objektiv völlig Unbrauchbaren und Wertlosen zur nackten Person zu machen, seine Unmächtigkeit, seinen Nicht-Stand durchzusetzen und zu kennzeichnen. Auch gebildete und unabhängig denkende Offiziere höherer Grade unterlagen diesem psychologischen Zwange genau so wie die Subalternen und verdeckten ebenso naiv diesen Tatbestand durch primitive Selbsttäuschungen.

Die Sache bestimmt nun den Menschen insofern, als er sich ihr in irgendeiner Weise preisgeben muß, um sie zu besitzen, sei es, daß er sie im Schweiße seines Angesichts arbeitend herstellt, sei es, daß er sie durch Aufopferung anderer Werte erkauft oder daß er ein Erbe zu erhalten hat, an das er damit zugleich gebunden ist. Indem er etwas hat, ist er etwas ebenso Bestimmtes. Er ist der Bauer, der Untermüller, der Fabrikbesitzer bis hin zur Lächerlichkeit der Münchner Realitätenbesitzerswitwe. Wie stark die Sache auf den Menschen einwirkt, zeigt die verschiedenartige Vererblichkeit der Sachherrschaftsformen. Der Grundbesitz erzeugt erfahrungsgemäß auch die menschlich-psychologischen Kräfte, ihn in weiteren Generationen zu vererben. Im kommerziellen und industriellen Eigentum ist diese Fortdauer eine ungleich geringere. Je stürmischer der Aufstieg, desto schneller der Verfall. Nicht nur sozialer Geltungstrieb, sondern auch Erhaltungstrieb hat Leute der Verkehrswirtschaft von jeher veranlaßt, sich durch relativ unrentablen Grundbesitz zu befestigen. Der evangelische Gedanke der Besitzlosigkeit stammt nicht aus der Angst vor dem ethisch verstandenen Mißbrauch der Güter dieser Welt. Dazu ist die Heilige Schrift viel zu unbefangen gegenüber dem natürlichen legitimen Gebrauch der guten Gaben Gottes. Hier wird die Mächtigkeit der Dinge noch real gesehen und begriffen und deshalb gefordert, daß der Mensch sich für eine andere Mächtigkeit freihalte. Der Mensch also, der sich den Dingen preisgeben muß, um sie zu beherrschen und zu nutzen, wird ihrer doch im Grunde niemals ganz Herr: Sein Leben ist begrenzt — sie sind Teile eines unerschöpflichen, unbesiegbaren Heeres, das sich aus dem Boden der Erde immer wieder erhebt und erneuert, der Erde, die ihren Herrn schließlich wieder verschlingt. Er hat sein zeitliches Ziel, sein Telos, sie ist zeitlos und hat nur ihr Eschaton einer

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endgültigen Aufhebung. Die Unvergleichlichkeit beider Partner dieses Verhältnisses macht seine eigentümliche Gefährlichkeit aus, unter deren Gesichtspunkt allein jene evangelische Forderung zu betrachten ist.

Jene enge Durchdringung der Sache durch den Menschen verbietet es folgerichtig, sie willkürlich von seiner Existenz abzulösen. Damit verbietet es sich gleichzeitig, sie aus seiner sozialen Existenz herauszunehmen. Ich kann nicht meine Existenz an meine Kinder durch die Fortpflanzung weitergebend und ihnen die übrigen Attribute dieser Existenz in Gestalt des Sachbesitzes vorenthalten. Eine solche realistische Betrachtung des Problems im Gegensatz zu einer spiritualistischen ist also unvereinbar mit einer völligen Testierfreiheit. Die Testierfreiheit kann sich sinngemäß nur in Vermächtnissen ausdrücken. Dem leiblichen Erben gebührt das sachliche Erbe. Die spiritualistische Auffassung verflacht diesen Tatbestand zur sittlichen Pflicht, in der es die Dinge bezeichnenderweise aus dem Rechtlichen herausnimmt und im Pflichtteilsrecht nur das Feigenblatt einer rechnerischen Mindestmaßes davorheftet. Der mit Opfern und Mühe herangezogene Erbe tritt in die persönliche und sachliche Position des Vaters ein und erneuert das Verhältnis zur Sache, wie man einen unentschiedenen Kampf erneuert, bis sie auch ihm aus der Hand genommen wird. So nimmt die Erde schließlich mit dem Menschen dasjenige in sich zurück, was er ihr entrissen, von ihr losgelöst, vereinzelt und dem er seinen eigenen Stempel aufgedrückt hat. Das Verhältnis Mensch-Sache schließt also ein paralleles Verständnis des Erbrechtes ein; und die innere Gemeinsamkeit beider Probleme liegt in der notwendigen Selbstpreisgabe des Menschen an beide. Diesem gewissermaßen vorwärts in die Zukunft gerichteten, auf die Dauer der Erhaltung zielenden Doppelbezug entspricht ein anderer Doppelbezug nach rückwärts, wenn man auf den Ursprung der Sachherrschaft blickt.

Herrschaftserwerb ist logisch entweder originärer, schöpferischer oder abgeleiteter traditioneller. Dieser letztere aber, der die Herrschaftsposition eines verzichtenden oder abgelebten Inhabers fortsetzt, sei es auch durch eine unendliche Kette von Traditionen, führt irgendwo auf einen schöpferischen Urakt der Aneignung und Zuordnung zurück. Dies aber bedeutet, daß die Sache irgendwie, irgendwann einmal aus der Gesamtheit der Natur, des kosmischen Zusammenhanges herausgenommen, ausgesondert und ausgezeichnet wird. Damit entfaltet und bezeugt der Mensch seine Mächtigkeit. Aber er weiß tief im Untergrunde, daß er durch diese Aneignung eine

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vorgegebene Ordnung verletzt und aufbricht. Es ändert sich hierbei gar nichts, wenn diese Verletzung eine Sache der Gemeinschaft ist. Die darin liegende Ursünde der Selbstmächtigkeit ist deshalb keine andere. Diese Spannung vermag der Mensch nur dadurch zu begreifen, zu rechtfertigen und auszuhalten, daß er die ihm innewohnende Mächtigkeit als ein Teil und als ein Geschenk einer höheren Mächtigkeit auffaßt, die auch Herr dieser Natur in ihrer Gesamtheit ist und die ihm einen Teil ihrer Verfügungsgewalt abgetreten hat. So kann menschliche Existenz gerade im Blick auf die dingliche Umwelt nur in traditionalem Zusammenhang verstanden werden, in dessen fernem Verlauf einmal eine göttliche Macht sich auf unbegreifliche, wunderbare Weise durch fleischliche Verbindung mit dem Menschengeschlecht über einen Heros, Halbgott oder Stammesvater in dieses verleibt und übertragen hat. Das ist nicht im historisch objektivierbaren Sinne auf einen bezifferbaren Zeitpunkt, sondern im mythisch-existentiellen Sinne zu verstehen. Es muß dem Menschen etwas hinzugegeben worden sein, damit er etwas hinzunehmen kann.

Nach rückwärts, nach dem historischen Ursprungsort gesehen, ist also ebenso ein Doppelbezug gegeben, der dem nach vorwärts in die Zukunft entspricht. In einem eigentümlichen Zwischenzustand ist der Mensch mit der ihm zugeordneten Sache zwischen Schöpfung und Tod ebenso wie zwischen der alten unverletzten und der sich wiederherstellenden Ordnung des Kosmos gleichsam aufgehangen, auf der zeitlichen Achse des sich in der Geschlechterfolge vollziehenden Geschehens, wie auch eingespannt in den Kampf zwischen der schöpferischen Kraft und der ruhenden Gegenständlichkeit, die sich immer nur um den Preis der Erschöpfung etwas abringen läßt. Was hier skizziert wurde, ist das vorrationale mythische Verständnis des existentiellen Verhältnisses Mensch-Sache, welches also eine sehr präzise formulierbare und höchst bemerkenswerte Struktur besitzt.

Dem entspricht auch eine ganz bestimmte geschichtliche Rechtsform, die des traditionalen, gebundenen Eigentums. Der jeweilige Inhaber ist nach zwei Richtungen gebunden: nach rückwärts an die Sippe, den engeren oder weiteren Geschlechtsverband, des Clans oder die Markgenossenschaft als übergreifende Größen; nach vorwärts an den leiblichen Erben. In vielfältiger Weise sind seine Verfügungen an Zustimmungs- und Beispruchsrechte der Rechtsgenossen und der präsumtiven Erben gebunden. Von da aus treten die Unterschiede der Formen dieser Sachherrschaft sehr stark zurück. Nur wer jene

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Partner sind, ist verschieden: beim Allod die Sippe, beim Feod der Lehnsherr, beim Gemeineigentum die Rechtsgenossen. So verschieden die Formen und Grade der Bindung sind, so wenig wird auch irgendwo die Sachherrschaft im modernen absoluten Sinne aus jenen Beziehungen völlig herausgelöst, vor allem für das Grundeigentum und alle wesentlichen Vermögensrechte. Ja, es zeigt sich sogar rechtsgeschichtlich dort, wo etwa die Sippenbindung zurückzutreten beginnt, ein aus äußeren geschichtlichen Gründen allein nicht zu erklärender Zug zur neuen Relativierung der Herrschaftsrechte in der schnellen und umfassenden Ausbreitung des Lehnssystems, welches eine ungeheure Anziehungskraft ausgeübt haben muß.

Diese traditionale Sachherrschaft hat eine ganz bestimmt typische Form ihres juristischen Ausdrucks: Alle Rechtsverhältnisse werden sowohl als hierarchische von oben nach unten, vom besser Berechtigten auf den Minderberechtigte sich übertragend, und zugleich sämtlich als dingliche verstanden. Nicht die obligatorische, ethisch strukturierte Verpflichtung, nur der dingliche Besitz ist rechtsfähig. Folgerichtig weigern sich alle ältere Rechte, bloßen Konsensual-Verträgen Rechtswirksamkeit zuzugestehen. Das gilt sowohl für das altrömische wie für das altgermanische Recht. Dann aber zerbricht in einer geschichtlichen Wende, die für unsere Rechtsgeschichte etwa in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts liegt, diese Anschauung. Ein neues spiritualistisches Verständnis der Sachherrschaft tritt hervor. Das bedeutet keineswegs seine schnelle praktische Durchsetzung. In einem langen Kampf von Jahrhunderten ringen bis heute traditionelle Sachherrschaft und spirituales Verkehrseigentum miteinander. Noch heute erklären sich viele praktische Reibungen und gedankliche Schwierigkeiten aus der Gegensätzlichkeit von traditionsbedingtem, in zyklischem Zusammenhang der Jahrzehnte und Geschlechter lebenden bäuerlichem Besitz und industriell-kommerziellem Verkehrseigentum. Nur die idealistische Rechtswissenschaft weiß davon nichts.

Im spiritualistischen Weltbild steht der Mensch in tödlicher Einsamkeit, aber auch scheinbar vollkommener Freiheit der Dingwelt gegenüber. Er selbst wählt die Zwecke, die er sich setzt und die er durch Beherrschung der Dinge verwirklicht. Er ist aus all jenen Bezügen herausgenommen und herausgetreten, die die eigentümliche Ganzheit des mythischen Weltbildes ausmachen. Wie Bruchstücke nach einer Sprengung liegen sie unverstanden oder im besten Falle ins Ethische verkehrt um ihn herum, und er bemüht sich, sich aus diesen Trümmern zu befreien. Er selbst wird am allerwenigsten

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bestreiten, daß jenes Bild ihn doch schützend umgeben, geborgen und eingeordnet hat. Aber er wird nüchtern auf das unwiederbringlich Zerstörte verzichten. Keine Romantik führt in das verlorene Paradies einer geschlossenen Welt zurück. Prometheisch wird derselbe entmythologisierte Mensch sich seiner Chancen bewußt werden und sie mit einem Gefühl der Befreiung, vielleicht sogar mit Leidenschaft auszunutzen versuchen. Aber indem er das tut, gerät er vor die Wahrheitsfrage. Genügt es, ein bestimmtes Verständnis menschlicher Existenz zu zerstören, um die Bedingungen dieser Existenz nunmehr frei gestalten zu können?

Die verneinende Antwort auf diese Frage gibt nicht eine späte Philosophie, sondern die Rechtsgeschichte selbst. Nicht philosophische Vorstellungen, sondern konkrete institutionelle Rechtsformen sind geschichtsfähig und zeigen den  tatsächlichen Verlauf der Rechtsgeschichte an. In einer verhängnisvollen Verkehrung ist die Rechtswissenschaft immer mehr zur Ideengeschichte und Philosophiegeschichte geworden, statt die Geschichte der Institutionen auf ihren geistesgeschichtlichen Gehalt zu untersuchen. Immer weniger wird die Frage gestellt, was denn von jenen theoretischen Bemühungen in die konkrete Rechtsgeschichte übergegangen ist.

Die Umformung der traditionellen Sachherrschaft in das freie Verkehrseigentum ist wie gesagt nur sehr zögernd vor sich gegangen. Zunächst erringt sich nur ganz bescheiden das freie Vertragsrecht eine geduldete Position neben dem strengen Recht der Real- und Formalkontrakte. Allmählich werden immer mehr Rechtsverhältnisse staat auf den Sachbesitz und die sakrale Bindung auf die freie, nur durch Treu und Glauben, die Verkehrssitte, die strenge Vertragsmoral der Kaufleute, die auf ihr Kreditinteresse gegründete Vertragsform überführt. So wie vordem das Rechtsleben alle Rechtsverhältnisse verdinglichte, so ethisiert es sie jetzt in vielfältigen Formen obligatorischer Verpflichtungen. Das alte Recht kannte zahllose Formen der Sachherrschaft und nur wenige Formen der Kontrakte im Rechtsverkehr. Das neue Recht kennt nur ein Eigentum mit seinen Minderformen, aber dafür zahllose und beliebig vermehrbare Typen der obligatorischen Verpflichtung. Aus dem geduldeten Gast, der zunächst nur auf Umwegen Rechtsschutz erlangt, wird alsbald der Herrscher. Der Rechtsverkehr wird aus einem Mittel, das zur Erweiterung und Bereicherung menschlichen Lebens dient, zum maßgebenden und gültigen Lebenssinn. Die spanische katholische Naturrechtslehre erklärte die Verpflichtung der Indianer, sich dem Handelsverkehr zu öffnen, als Naturrechtssatz, dessen Verletzung

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die Gewaltanwendung durch die Spanier rechtfertigte. Nicht mehr die Erhaltung des Gegebenen, die Deckung des Bedürfnisses, die Sicherung der Fortdauer, sondern der immer raschere Fluß und Umschlag wird zum Leitgedanken. Die Sicherung dieses Verkehrs durch Heeresmacht und Justiz, seine Erleichterung durch Verbesserung der Verkehrswege, die Steigerung der Anforderungen und Ansprüche, die der Verkehr selbst in dem Wege der Urzeugung hervorbringt, zwingt immer mehr Lebensgebiete in die Form des Verkehrsrechts hinein. Aus dem begrenzten Stand, den es zu erfüllen und zu sichern galt, tritt der Mensch in eine immer schnellere und unendliche Bewegung. Auch das festeste Gefüge der Rechtsordnung wird verflüssigt. Der Lehnsverband wird gelockert und schließlich zugunsten freier Verkehrsfähigkeit des Grundbesitzes ohne Rücksicht auf die Existenzmöglichkeiten der Familie aufgelöst. Der bäuerliche Besitz wird auf Parzellen hinunter geteilt. Wo nicht real geteilt wird, belasten die in Geld ausgedrückten Erbteile der Miterben den Besitz oft weit über den Rand des Erträglichen. Um existieren zu können, muß der landwirtschaftliche Besitz sich hypothekarisch verschulden. Auf jedem Realbesitz baut sich ein immer größer und immer empfindlicher werdendes Kreditgebäude, eine Summe obligatorischer Rechte auf, eine Konstruktion, die bei der leistesten Schwankung der Gesamtwirtschaft, des Zinsfußes, der Kreditflüssigkeit ins Schwanken gerät, ohne daß sich am Ertrage oder an der Grundlage etwas geändert zu haben braucht. Jeder Sachbesitz wird zur Produktion gezwungen, und zwar zu immer höherer Intensivierung und Rationalisierung. Schließlich verliert der als Basis des Kreditgebäudes dienende Sachbesitz seine Dauer, wenn nicht völlig, so doch in beträchtlichem Umfange. Die Werkseinrichtung, die heute modern ist, ist in einigen Jahren veraltet und längst vor dem Ende ihrer tatsächlichen Brauchbarkeit abschreibungsreif. Der Sachwert tritt hinter dem Verkehrs- und Produktionswert immer mehr zurück. Er ist nur noch eine punktuelle, fiktive und  rechnerische Größe, die ich nach den Bewertungs- und Abschreibungsgrundsätzen der Steuerbehörde richtet. Andererseits resultiert der Wert weniger aus der Beziehung zum Besitzer als aus der Beziehung zum Markt und zu dem Inbegriff der allgemeinen Produktionsbedingungen. Schließlich kann kein nennenswerter Besitz mehr erhalten werden, ohne daß er einen bestimmten sehr hohen Grad der verkehrswirtschaftlichen Rentabilität erreicht hat. Selbst Churchill als Premierminister von England muß das Haus seiner Ahnen, der Herzöge von Marlborough mehrere Tage in der Woche gegen Geld zeigen lassen, um es

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überhaupt halten zu können. Typisch für die Gesamtentwicklung ist die des Geldes. Es hat zunächst noch ungefähr den Wert, den es repräsentiert, dann wird es zur Schuldverschreibung (Papiergeld). Dann aber wird selbst die Anhäufung solches quasidinglichen Besitzes als verkehrswidrig bekämpft und die möglichst schleunige Überführung dieser Förderung in den Verkehrslauf durch Übergabe an eine Bank gefördert, so daß aus der verbrieften Forderung die Forderung auf eine solche wird. Die Verflüssigung erreicht also die zweite Potenz.

Die Freiheit, die der Mensch sich im Verhältnis Subjekt-Objekt gegenüber der Sache zu nehmen versucht hat, wird ihm also durch ein mindestens ebenso hohes Maß von Unfreiheit wieder genommen. Die autonome Sachherrschaft bedeutet nur Scheinfreiheit. An Stelle übersehbarer, oft sehr drückender personaler Bindungen aber steht er nun namenlosen schwer berechenbaren Kräften gegenüber: dem Staat und den Bedingungen der Verkehrswirtschaft, dem Markt. Der Staat fordert die steigenden Zinslasten der sozialen Hypothek ein. Die Grundsätze der Verkehrswirtschaft zwingen ihn zugleich mit dieser Last zur äußersten und pausenlosen Anstrengung seiner Kräfte. Es besteht in Verbot der Bedürfnislosigkeit und der Muße, der extensiven Wirtschaft, der Nicht-Ausnutzung von Chancen. Für diese neue Unfreiheit wird er mit einer begrenzten Sicherheit und einem ständig steigenden Lebensstandard belohnt, auf den er wiederum gar nicht verzichten kann. Denn ihnen stehen eine Fülle von Zivilisations- und Berufskrankheiten neuer Art gegenüber, welche den Menschen den höheren Lebensstandard nicht genießen lassen oder ihn weitgehend zur Wiederherstellung der überforderten Kräfte aufzehren.

Die — sehr allgemeine — Kritik dieses Zustandes heftet sich begreiflicherweise an die gegenwärtigen Verhältnisse und Vorstellungen. Aber es ist die Frage, ob sie wirklich eine neue Ebene des Verständnisses und damit innere Unabhängigkeit vn der gewissen Zwangsläufigkeit dieses Geschehens erreicht. Die Auseinandersetzung wird allein mit dem gegenwärtigen — oder soll man sagen: kaum noch gegenwärtigen? — Begriff des Verkehrseigentums geführt. Die früheren Formen werden, obwohl sie auch in der Gegenwart durchaus noch nicht vollständig abgelöst sind, in den Bereich der existentiell nicht interessierenden Rechtsgeschichte verwiesen.

Die geschilderte Spiritualisierung der Sachherrschaft geht nun aus einem autonomen Selbstverständnis des Menschen, einer im Verhältnis zum Vorausgehenden grundsätzlich neuen Subjektivität hervor und setzt sie voraus. Dieser Autonomie entspricht wie gesagt

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eine rechtlich nicht gestaltete, rein innerlich verstandene ethische Verpflichtung. Diese ist durchaus nicht praktisch bedeutungslos. Wäre das Eigentum unter völliger Mißachtung dieser Verpflichtungen so gehandhabt worden, wie es der Inhalt des Rechtes formal erlaubte, wäre das Zusammenleben der Menschen längst unmöglich geworden. Gerade die Fälle und Zeiten des Versagens machen das deutlich. Gerade die moderne Verkehrswirtschaft hat unzweifelhaft gezeigt, daß dieses Verhältnis von äußerer rechtlicher Freiheit und innerer ethischer Gebundenheit zur Bewältigung der Probleme nicht ausreicht. Darüber hat sich der Patriarchalismus, und zwar gerade dort, wo er sich seiner Verpflichtungen durchaus bewußt war, oft und lange Zeit getäuscht, ebenso zum Teil aus gleichen, zum Teil aus anderen Gründen die Theologie. Die Minderbewertung des Rechtes gegenüber der Ethik ist selbst ein Merkmal des Spiritualismus.

Da man nun ein absolutes Eigentum mit unzulänglicher ethischer Bindung vor sich hatte, und dieses Eigentum der Ausdruck einer radikalen menschlichen Autonomie war, erschien nunmehr der Kritik das Eigentum als die Ursünde, von der es sich zunächst und grundsätzlich zu befreien galt. Das gibt bis heute dem Sozialismus sein religiöses Pathos, auch wo er seine Forderungen längt reformistisch ermäßigt hat. Der liberale Optimismus, das Vertrauen in die eigenen ethischen Kräfte macht einem radikalen Pessimismus Platz, der weit über das  tatsächliche Versagen hinaus ethische Kräfte im wirtschaftlich-rechtlichen Leben grundsätzlich als wirkungslos ansieht. Die Betrachtung ist im entscheidenden Punkt negativ fixiert an einem ebenso absolut verstandenen Eigentumsbegriff, wie ihn das bisherige Verständnis ausgebildet hat.

Sinngemäß könnte diese Betrachtung nur das produktive, verkehrsfähige, das Eigentum an den Produktionsmittel treffen. Aber es gelingt aus inneren Gründen nicht, eine wirksame Scheidung zwischen persönlichem Eigentum im engeren Sinne, das von der Person stärker geprägt ist, herbeizuführen, das Gebrauchseigentum vom Verkehrseigentum zu sondern. Denn es wird, wo diese Tendenz der Eigentumsvermeidung wirksam wird, die Vermögensbildung weitgehend unterbunden, damit aber auch etwa der Hausbau aus eigenen Kräften, die Ansammlung von Mitteln, mit denen Bedürfnisse befriedigt werden könnten, die über die laufende Erhaltung des Lebens hinausgehen. Immer mehr Menschen leben von der Hand in den Mund — auch bei einem hohen Standard! —, weil auch bei hohem Einkommen über Erhaltung und allenfalls Altersversorgung

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hinaus nichts herauskommen kann. Damit aber werden in den schwächeren Schichten immer mehr Menschen außerstande, selbst für ihr Alter vorzusorgen und fallen der öffentlichen Hand zur Last. — Der Mensch wird auf diese Weise wirklich restlos in die Verkehrswirtschaft eingegliedert und hereingesaugt; er hat soviel, wie er produktiv wert ist, zum Umsetzen. Ist er produktiv nichts mehr wert, wird er erhalten, solange und soweit der Staat diese Verpflichtung anerkennt, — und als eine Folge auf sich nimmt, die ihm aus der Totalisierung der Verkehrswirtschaft zuwächst — was in den Oststaaten bereits nicht mehr der Fall ist. —

Die spiritualistische Spaltung der Beziehung Mensch-Sache in das einseitige Verhältnis Subjekt-Objekt endet in einem Geisteszustand des Menschen, den man als schizophren oder auch als cyklothym bezeichnen kann, der aber jedenfalls krankhaft ist. Die optimistische Bewältigung der Dinge, die ständige Expansion — größer, schneller, besser — die Steigerung der Produktivität muß Erfolg haben, damit nicht umgekehrt der Mensch in die Depression einer totalen Verneinung seiner Möglichkeiten verfällt. Liberale und sozialistische Betrachtungen liegen deshalb durchaus auf derselben Ebene — für und wider das absolute Eigentum. Beide orientieren sich am Machtproblem. Die liberale Anschauung ist theologische gesprochen — und man muß theologisch darüber reden! — synergistisch, indem sie die vorgegebenen Bedingtheiten durch die eigene Aktivität des Menschen ergänzt und bewältigt. Die sozialistische ist prädestinatarisch: der Mensch ist durch die ökonomischen Gesetze vorherbestimmt, also heteronomen Bedingungen ausgeliefert, die man nicht verändern, denen nur sinngemäß gehorcht werden kann, die aber in einer grundsätzlichen Krisis und Neuschöpfung einmal abgelöst und überwunden werden. Die theologische Struktur dieser Sätze zeigt, daß hier die Bewältigung des Verhältnisses Mensch-Sache, an der seine Wohlfahrt hängt, zu einer geistlich-geistigen Existenzfrage geworden ist. Der Mensch ist im tiefsten gerade durch den Versuch, als autonomes Subjekt dem Objekt gegenüberzutreten, von dem Erfolg dieses Bemühens abhängig geworden. Das zeigt sich ganz deutlich in der Einstellung zum Lebensstandard. Gelingt es nämlich nicht, einen bestimmten Lebensstandard zu erreichen, oder gelingt es dem „System” nicht, dem Menschen diesen Standard zu verschaffen, so darf man rebellieren — man ist jeder Verpflichtung ledig, weil ja der im Standard ausgedrückte Lebenssinn fehlt. Der Spiritualismus führt in den Materialismus. Die Autonomie des Menschen gegenüber der Sache hebt also schließlich auch die

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Scheidung zwischen Außen und Innen im Sinne der spiritualen Trennung geistig-geistlicher und weltlich-zeitlicher Güter von innen her auf.

Es ist kein Zufall, daß örtlich und zeitlich mit den Anfängen der Verkehrswirtschaft, also der beginnenden Loslösung des Verkehrseigentums vom traditionalen, der Bedarfsdeckung dienenden Sachbesitz auch die Bettelorden entstehen. An die Stelle der Doppelformel der Benediktiner „bete und arbeite” — die den Menschen gleichzeitig der geistlichen Ordnung und dem Gesetze, dem Fluche des Ackers unterwirft, tritt die völlige Besitzlosigkeit, die sich auch an keine Kulturarbeit bindet; an die Stelle der bäuerlichen stabilitas loci tritt die Heimatlosigkeit, die Unstabilität der neuen Orden. Am Ende der Antithese von expansivem Besitzstreben und völliger Besitzlosigkeit steht, wie wir gesehen haben, die völlige Abhängigkeit des Menschen vom Materiellen — gerade im Zeichen pseudoreligiöser Verneinung des Besitzes.

Die apostolische Forderung „zu haben, als hätte man nicht” kann aber in Wahrheit nicht erfüllen, wer überhaupt nicht hat, wer die Verantwortung und Versuchung des Besitzes in Wahrheit gar nicht kennt. Er unterliegt der umgekehrten Versuchung, vom Nichtbesitz her alles zu betrachten. Die Forderung der Besitzlosigkeit ist eine eschatologische. In der Zeit zwischen Auferstehung und Wiederkunft gelten Gesetz und Evangelium miteinander; sie dürfen weder getrennt noch vermischt werden. Die christologische Formel von Chalcedon ist auch der Schlüssel für die sozialen Probleme der menschlichen Existenz in der Nachfolge. Wer einfach besitzen will und sich darauf verläßt, daß er die damit verknüpften Forderungen erfülle und erfüllen könne, der verfehlt das Evangelium. Wer sich des Besitzes entschlägt und dadurch das Heil zu erlangen sucht, verfällt einer falschen Eschatologie. Der Sozialismus lebt davon, das Evangelium zum Gesetz zu machen, der Liberalismus, es durch Gesetz zu erfüllen: Beide verfehlen es in gleicher Weise.

Es wird heute sichtbar, daß jene beiden Richtungen auf der grundsätzlich gleichen Ebene liegen. Dabei ist es das Verdienst des Sozialismus, die Grundsätzlichkeit der Frage offengehalten zu haben, dasjenige des Liberalismus, die Bereitschaft zu freiem, unideologischem Handeln zu stärken. Es wird weiter heute sichtbar, daß mit der Aufhebung des Eigentums, auch demjenigen an den Produktionsmitteln das Problem überhaupt nicht angegriffen wird, daß sich vielmehr das Problem der Macht und des Machtsmißbrauchs, des Verhältnisses zur Sache sich nur, unter Erzeugung entgegengesetzter Fehler, auf andere planwirtschaftliche, kollektive, anonyme Träger verlagert.

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Demgegenüber ist die sozialistische Seite in eben dem Maße blind wie die liberale gegenüber den Nachteilen optimistischer Freiheit. Es ist nun ach nicht Entscheidendes getan, wenn man den Liberalismus sozialisiert und den Sozialismus liberalisiert, ein heute weit vorgeschrittener Vorgang. Das kann zwar erheblich zur Entgiftung der Atmosphäre, zur Ausschaltung pseudoreligiöser Affekte helfen, ersetzt aber nicht den Blick auf das konstruktive Problem.

Die Absolutheit des Eigentums ist auch rechtsgeschichtlich schon rückläufig; es ist die Frage, ob wir in einem Heilungsprozeß stehen, der unbeschadet seiner eigenen Mangel doch jene Schizophrenie allmählich zu überwinden beginnt. Diese sich abzeichnende und noch in den Anfängen liegende Wandlung muß vorsichtig existentiell interpretiert werden. Nicht was gemeint wird, sondern was geschieht, ist entscheidend.

Zunächst wird in weiten Bereichen eine Trennung von Eigentum und Verfügungsbefugnis sichtbar. Das kann eine weitere Verfallserscheinung sein, die dem Zerfall der idealistischen Persönlichkeitseinheit entspricht. Andererseits tritt damit eine Funktionalisierung ein. Ursprung und Ausübung werden getrennt, aber doch nicht völlig voneinander abgelöst. Indem der Betrieb eine rechtliche Eigengröße wird, tritt doch eine bedeutende Relativierung des Eigentumsverständnisses ein. Das kann sowohl zur Verhärtung einer falschen Sachlichkeit wie zu einem neuen Treuhandgedanken führen.

Auf der anderen Seite bildet sich die Verpflichtung gegenüber der Belegschaft aus einer ethischen zu einer rechtlichen aus. Stillegungsverbote usw. zeigen, daß der Belegschaft schon ein Recht auf Betrieb und Arbeitsplatz gegeben ist. Sie tritt damit n die Rolle der Agnaten, der Erben mit Beispruchsrecht ein. In dieser Linie ist auch das Mitbestimmungsrecht zu sehen: nicht als der mechanische Teil einer unteilbaren Größe, von der man aus Machtgründen eine möglichst große Quote erkämpft. Die Funktionalisierung schließt die Relativierung der Position aller Beteiligten ein. Die Funktionen von Kapital, Leitung, Mitarbeit können nicht aufgehoben werden. Man muß sich endlich entschließen anzuerkennen, daß dem Einfluß jedes der Beteiligten bestimmte Grenzen gezogen sind, auch wenn sie sich nicht immer gesetzliche rationalisieren lassen. Eine solche Anerkennung ist bisher nicht erfolgt; man lebt in einem Stadium des als ob, welches offenläßt, daß es ganz grundsätzlich anders sein könnte. Die Kämpfe gehen immer noch auf der falschen Ebene um einen Quotenanteil am Ganzen und der Vorstellung, daß Sachherrschaft an sich eine Sünde sei, weil sie Macht bedeutet.

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Es bleibt übrig, nüchtern festzuhalten, daß der Fluch über den Acker, von dem der Mensch sich im Schweiß seines Angesichts nähren soll, und die Unausweichlichkeit des Todes bestehen bleibt, der Aufzehrung unserer Kräfte, indem die Erde wieder nimmt, was sie dem Menschen an Physis widerwillig gegeben hat. Bebel hat gemeint, im Zukunftsstaat werde der Mensch mit drei Stunden Arbeit auskommen. Das ist eine primitiv-quantitative Umdeutung der Marxschen These, daß nach Beseitigung der knechtenden Arbeitsteilung jeder nach seinen Fähigkeiten arbeiten, jeder nach seinen Bedürfnissen erhalten werde. Was hier versucht wird, ist das Ausweichen vor dem Unausweichlichen jenes Fluchs. Drei Stunden Arbeit: — hier wird es deutlich — sind kein existenzielles Problem mehr, sondern eine gesundheitsfördernde Bewegung. Es handelt sich hier wie in der sehr viel feineren Marxschen Formulierung darum, jenen letzten tödlichen Gegensatz zwischen Mensch und Sache zu harmonisieren und zu verharmlosen. Das ist ein gewaltsamer idealistischer Versuch mit zerstörenden Folgen. Hier sind Mächte, exousiai, die ihrer nicht spotten lassen. Der Mythos der Harmonie kommt einem Wunsche des Menschen entgegen, aber er ist existenzfremd.

Neben diesem Mythos zukünftiger Harmonie steht für die Gegenwart ein weitverbreiteter Standpunkt mißtrauischer Passivität. Man verlangt, daß das System funktioniere und bedeutende materielle Leistungen erbringe. Aber man hat kein Verständnis dafür, daß dasselbe System eine ständig sich erneuernde Fülle aktivster Leistung wissenschaftlicher, technischer und organisatorischer Art erfordert. Man will die Früchte haben, aber nicht sich eingestehen, auf welchen Voraussetzungen sie beruhen. Man erkennt im großen und ganzen nicht an, daß auch die moderne Wirtschaft ihre Hierarchie hat. Daß diese Hierarchie nichts ohne ihre Mitarbeiter, aber diese Mitarbeiter nichts ohne die Hierarchie sind, übersteigt offenbar das Vorstellungsvermögen in seiner gewohnten Eingleisigkeit. Auch die größten und selbstlosesten Pioniere der modernen Wirtschaft haben kein Echo und keine Anerkennung bei denjenigen, die ohne sie rein physisch nicht leben könnten. Sie gelten als bürgerlich und gehören deshalb nicht dazu; sie zählen nicht. Das traditionale Eigentum war ein durchaus männliches, vaterschaftsrechtliches. Der gleiche männliche Geist der Eroberung, der Ausdehnung hat der Verkehrswirtschaft ihre Kraft, ihren Impuls gegeben. Jetzt droht das atavistische weibliche Ressentiment der ewig Unterlegenen die Voraussetzungen der schöpferischen Kultur zu vernichten. Dies ist die letzte Spaltung und Gefahr des spiritualistischen Verständnisses, daß die

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Ruhelosigkeit und Grenzenlosigkeit der expansiven Verkehrswirtschaft niemals die Zeit hat, um in ausreichendem Maße in die cyklische Dauer der Wiederkehr zurückzukehren, um erst von da aus wieder aufzubrechen.

Im ganzen zeigt sich, daß das mythische Bild des Verhältnisses von Menschund Sache jenseits seiner zeitgebundenen Formen sehr viel tiefer als geahnt die existentiellen Elemente dieses Verhältnisses darstellt und zusammenfaßt, die durch seine Ablösung auseinanderfallen. Es geht deshalb hier auch um die existentielle Interpretation des Mythos, nicht um eine Entmythologisierung.

Es ist noch zu früh, die Entwicklungen deuten zu können, die sich hier zeigen, obwohl die Tendenz zur Relativierung in verschiedener Richtung an den Beispielen deutlich wird. Es wäre schon viel, wenn wir aus der einen unfruchtbaren Perspektive des Habens und Nichthabens, von Subjekt und Objekt, herauskämen und aufhörten, einer abgelebten Metaphysik Tribute zu zahlen.

Auch heute ist der Mensch zwischen Gott und der Welt aufgehängt. Sich daraus zu befreien, ist ihm nicht gegeben; nur wenn er glaubend und wissend es auf sich nimmt, ist ihm in der Nachfolge die Freiheit der Kinder Gottes verheißen.