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Juristische Bemerkungen zum Gleichnis von den bösen Weingärtnern (Mark. 12, 1-12)

 

Die vorhergehende Abhandlung unter dem Titel ,Juristische Bemerkungen zur Rechtfertigungslehre’ erfordert eine Untersuchung in Richtung auf die Begriffe Schuld, Strafe und Haftung. Neben der forensische Begrifflichkeit der paulinischen Theologie sind jedoch auch andere Aussagen des NT einer juristischen Auslegung fähig und bedürftig. Ich lege eine solche für ein bedeutendes Rechtsgleichnis vor, welches in dieser Art nach den mir zugänglichen Kommentaren bisher nicht bearbeitet worden ist. Die Gegenüberstellung eines paulinischen Begriffs und einer synoptischen Perikope dürfte von systematischem Interesse sein. Es kann hier gezeigt werden, was eine rechtliche Untersuchung zu leisten vermag. Die hierbei anzuwendenden Grundsätze sind eingangs der erwähnten Abhandlung dargelegt; insoweit darf auf jenen Text verwiesen werden.

 

I. Das Gleichnis als Rechtsgleichnis

Das genannte Gleichnis ist insofern Rechtsgleichnis, als es das Verhältnis Gottes zu den Menschen in einem Rechtsverhältnis und seiner Entwicklung, in einem Rechtsgeschehen darstellt. Zum Rechtsgleichnis wird es dadurch, daß nicht nur ein einzelner Rechtsbegriff oder Rechtsgedanke verwendet wird, sondern für die folgerichtige Entwicklung des bildhaften Geschehens die Rechtsgedanken konstitutiv und integrierend sind. Ohne die volle Ausdeutung der rechtlichen Elemente läßt sich daher der Sinn des Gleichnisses nicht unverkürzt erschließen.

Andererseits ist und bleibt es Rechtsgleichnis. Es geht nicht um die Rechtsfrage als solche, sondern um die Gottesfrage im Bilde und in der Gestalt des Rechts. Im rechtlichen Geschehen schimmert überall dieser Sinn durch. Die Durchführung ist intentional auf den so verkleideten theologischen Aussagegehalt gerichtet. Das innerweltliche Geschehen entspricht dem heilsgeschichtlichen Sinn und spricht ihn dadurch sinnfällig aus. Dieser Sinn bindet sich insofern an das innerweltliche Geschehen, als nichts gesagt und kein Gedanke verwendet werden kann, der innerweltlich sinnlos und unmöglich oder auch nur grob unwahrscheinlich ist. Sonst würde das Gleichnis Anschaulichkeit und Überzeugungskraft verlieren. Im Gegenteil: durch

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Verdichtung und Vereinfachung eines innerweltlich möglichen, ja zum Teil alltäglichen Geschehens gewinnt das Gleichnis gerade die Kraft der Aussage. Es überzeugt nicht nur, es überführt geradezu.

Im Gleichnis finden wir nun eine Anzahl von Rechtsverhältnissen, die je für sich wie in ihrem Zusammenhange und ihrer ineinandergreifenden Fortentwicklung überprüft werden müssen:
1. das Verhältnis des Herrn zu seinem Eigentum, dem Weingarten,
2. das Vertragsverhältnis zwischen dem Herrn und den Weingärtnern,
3. das Verhältnis zwischen dem Herrn und
a) seinen Bevollmächtigten
b) seinem Sohn und Erben,
4. dasjenige der Weingärtner zu den Bevollmächtigten und dem Erben,
5. das prozessuale und materiellrechtliche Verhältnis des Herrn zu den Weingärtnern, nachdem sie das Abkommen gebrochen und den Sohn getötet haben.

Dabei treten die handelnden Rechtssubjekte in drei Gruppen auf:
1. der Herr als Eigentümer, Vertragspartner und Gerichtsherr
2. die Bevollmächtigten und der Erbe
3. die Weingärtner

Die Bedeutung dieses triadischen Aufbaus wird sich durch den Vergleich mit dem Haushaltergleichnis Matth. 25, 14 ff. erschließen. Ich gehe nun zunächst die einzelnen Rechtsverhältnisse in ihrer aneinander anschließenden Entwicklung durch und erörtere dann im zweiten Durchgang den Zusammenhang, auch im Vergleich mit anderen Gleichnissen.

 

II. Der Herr als Grundeigentümer

Der Herr wird als Eigentümer eines nutzbaren Grundstücks eingeführt. Rechtlich und wirtschaftlich steht das Gleichnis in einer agrarischen Situation. Eine einseitige oder gar naive Bindung der n.t.-lichen Texte an eine agrarische Struktur kan jedoch nicht festgestellt werden, auch wenn Verhältnisse, Situationen und Begriffe aus diesem Lebenszusammenhang außerordentlich zahlreich sind, ja vorwiegen. Es wird gleichzeitig auch mit einer entwickelten Geldwirtschaft gerechnet. So wird Matth. 14, 27 als mögliche und positive Alternative die zinstragende Anlage des anvertrauten Geldes erwähnt.

Das Eigentum ist jedoch eine soziale Größe. Es setzt immer Mehrere voraus. Der Mensch ordnet sich Gegenstände zu und grenzt damit

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zugleich seinen Herrschaftsbereich gegen Andere ab. Ein Zusammenhang dieses Eigentums mit einer Gemeinschaft wird jedoch mit keinem Worte angedeutet. Von einer polis, einer Markgemeinde oder Nachbarn ist nicht die Rede, ebenfalls nicht, woher der Eigentümer sein Eigentum hat. Dadurch gewinnt oder behält das Gleichnis etwas von einer archaischen Offenheit. Anlage und Einzäunung des Weinberges (V. 1) hat etwas von ursprünglicher Landnahme an sich. Die sachlichen Elemente originären Eigentumserwerbs, ja der Genesis von Eigentum überhaupt, treten hier deutlich auf: gestaltende Zuordnung und Abgrenzung gegenüber Dritten. Obwohl dies alles in einer etablierten Rechtsordnung möglich ist, wird eine solche Ursprungssituation doch nicht ausgeschlossen. Das Verhältnis des Menschen zum Grundeigentum ist nun ein qualitativ Anderes als zu anderen Gegenständen der Sachherrschaft, etwa zum Werkzeug. Auch das Werkzeug wird zugeordnet, gestaltet und vermöge der Ausgrenzung dem Zugriff anderer entzogen. Aber das Werkzeug ist ein Objekt, das zur Gewinnung anderer Objekte instrumental benutzt wird, deshalb aber auch als nur potentielle Möglichkeit jederzeit abgestellt und aufbewahrt werden kann. Aber eben darum engagiert es den Eigentümer nicht. Das Grundeigentum ist kein Instrument: es bringt selbst die Früchte hervor, um derentwillen es sich der Mensch zuordnet. Es engagiert und nötigt ihn zu ständiger planmäßiger Bebauung. Es verwildert sonst und fällt trotz formeller Beherrschung in einen ursprünglichen Zustand zurück. Der Mensch verbindet mit ihm seine ständig durchzuhaltende Zweckbestimmung und bindet sich selbst an diese. Er kann also, wenn er sich entfernt — wie der Herr im Gleichnis — es nicht einfach liegen lassen. Es ist bemerkenswert, daß im vergleichbaren Haushaltergleichnis (Matth. 25) auch für den Geldbesitz diese Nötigung zur produktiven Verwendung vorausgesetzt, und die nur ruhende fruchtlose Verwahrung zu zukünftigem Gebrauch ausgeschlossen wird, also in einer nicht mehr agrarischen, sondern verkehrswirtschaftlichen Lage. Das bedeutet eine bedeutsame Vergeschichtlichung. Mit dem Erwerb von Eigentum über rein instrumentale Verwendung hinaus wird unter freier Auswahl der Möglichkeiten ein vorgeplanter und festgelegter Geschehens- und Verwendungsablauf notwendig. So gewiß es das telos ist, das der Eigentümer dem Eigentum gibt, so gewiß muß er ein telos haben. Er kann sich der planenden Vorausbindung nicht entziehen. Das Grundeigentum kann nicht in aktualistischer Jeweiligkeit verwendet werden. Der Versuch, die Verwendung auf eine instrumentale Jeweiligkeit der Zwecke zu beschränken, um die

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Planbindung zu vermeiden, würde eine romantisch-unwirkliche Rücknahme dieser Vergeschichtlichung bedeuten. Wo bestimmte soziale Beziehungsformen theologisch erörtert und womöglich gewertet werden, etwa in der Bevorzugung aktualistischer Formen wie des Nomadentums („wanderndes Gottesvolk”), muß der sozialgeschichtliche Stellenwert und die Angemessenheit solcher Formen genau geprüft werden. Es ist wichtig, daß ausgehend von einer ursprünglichen, fast archaischen Ausgangssituation das telos von vornherein bezeichnet und bis zum Ende durchgehalten wird: der Weinberg soll seinem Herrn Früchte tragen. Es ist daher über die Illustration und sinnfällige Ausschmückung hinaus von sachlicher Bedeutung, daß mit der Anlage des Weingartens die Schaffung von entsprechenden Anlagen für die Bewirtschaftung vorweg berichtet wird. Der Herr gibt den Pächtern nicht Land zur beliebigen Nutzung aus, sondern hat die Art der Benutzung bereits vorbereitet und festgelegt. Nicht sie gestalten schöpferisch die unberührte Natur, ergreifen die dargebotenen Möglichkeiten, sondern ihr Werk ist ihnen vorgezeichnet. Nicht ihnen ist hier im Sinne von Gen. 1, 28 ein „dominamini” aufgegeben, sondern diese Erde ist des Herrn und soll zu seinem, von ihm vorbestimmten Nutzen bearbeitet werden.

Der Herr, der den Weinberg anlegt und zur Bewirtschaftung einrichtet, erscheint gleichwohl nicht selbst als Wirtschaftender. Er überträgt die Bewirtschaftung anderen und geht davon. Das Gleichnis hat insoweit die gleiche Voraussetzung und Ausgangslage wie Matth. 25. Schniewind und Lohmeyer stoßen sich an diesem Zuge. Aber diese Kritik, für die beiderseits keine Begründung gegeben wird, offenbar in der Meinung, sie leuchte von selbst ein, ist unbegründet, ja eine befremdliche Verkennung. Die Abwesenheit des Herrn ist sachlich wir für die Plastik der Darstellung schlechthin notwendig. Würde der Herr als anwesend dargestellt, so könnte es nicht zu einem eigenständigen und später zu verantwortenden Handeln der Pächter und Haushalter kommen, um das es ja geht. Er müßte eingreifen und könnte die Dinge nicht gehen lassen. Dann wäre die Geschichte aus, bevor sie ihren Sinn entfaltet hätte. Griffe er aber anwesend nicht ein, so wäre die Lage absurd. Nur der Abwesende kann zum Gericht wiederkehren, nur er kann Rechenschaft fordern über das, was ohne ihn getan worden ist.

 

III. Das Rechtsverhältnis zwischen dem Eigentümer und den Weingärtnern

Das Verhältnis wird in V. 1 mit „exédoto” ziemlich neutral bezeichnet.

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Es ist kein terminus technicus für eine bestimmte Vertragsform. Etwas unbestimmter, aber doch analog hat Matth. 25, 14 „parédoken”. Gleichwohl handelt es sich sicher um mehr als um ein weisungsgebundenes Handeln von Knechten, die im Haus verbleiben. Es sind selbständige Partner eines Rechtsverhältnisses mit beiderseitigen Rechten und Pflichten. Auch die lutherische Übersetzung, der sich ein analoges Wort anbot, ist mit „austun” einigermaßen umbestimmt. Die Frage nach dem Inhalt des Verhältnisses stellt sich unausweichlich, weil im Fortgang der Herr ja wiederum einigermaßen umbestimmt „apó tôn karpôn” von den Früchten fordern läßt. Inwieweit stehen ihm diese Früchte zu?

Es sind verschiedene Gestaltungen des Verhältnisses denkbar:
1. die Weingärtner übernehmen die Bewirtschaftung auf eine Rechnung und Gefahr und werden dem Herrn einen Pachtzins schuldig.
2. Es handelt sich um ein Halbpachtverhältnis, in dem der Herr außer dem Land auch die Geräte stellt, dafür aber von dem Gesamtertrag einen Teil — regelmäßig die Hälfte — in natura zu fordern hat. Solche Halbpachtverhältnisse sind heute noch in Südeuropa weit verbreitet.
3. Dem Herrn kommt der ganze Ertrag zu. In diesem Falle wird er den Weingärtnern einen Lohn schuldig, der sich zum Teil in natura geleistet wird, normalerweise auch schon zum Teil durch Unterhalt während der Zeit der Arbeit.

Möglichkeit 1 kann nach dem Text mit einiger Sicherheit ausgeschlossen werden. Der Herr läßt nicht nach dem Zins, sondern nach den Früchten fragen. Die von Lohmeyer verwunderlicherweise ebenfalls beanstandete „Zins”-forderung des Herrn liegt also gar nicht vor. Der Hintergrund dieser Kritik ist klar. Weil dem Menschen entschieden verwehrt wird, nach Verdienst vor Gott zu fragen, darf auch Gott von dem Seinigen nicht verdienst- und zinsnehmend vorgestellt werden. Aber dem NT ist der Lohngedanke nicht fremd, und noch viel weniger problematisch, daß die Erde des Herrn ist und was darinnen ist, und daß dem Herrn die Früchte gebühren.

Die Möglichkeit 2 bietet sich als typische Verhältnis an und wird durch die Bereitstellung der Einrichtung bei der Anlage bis zu einem gewissen Grade gestützt, aber nicht zwingend erwiesen. Das vorsichtige „apó tôn karpôn” dagegen wird nicht angeführt werden können. Es ist offensichtlich nur die Forderung eines Teils. Aber diese Begrenzung der Forderung kann dazu dienen, die Billigkeit und Zurückhaltung des Herrn zu betonen, der noch nicht einmal das

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ihm zustehende Ganze, sondern bescheiden nur einen Teil fordert, um durch diese Bescheidenheit die unbestreitbare Billigkeit seines Verlangens zu zeigen.

Möglichkeit 3 kann nicht klar ausgeschieden werden. Dafür spricht, daß auch Matth. 25 eher eine Hausgemeinschaft und abhängige Klientel als selbständige Pächter meint. Aber exédoto ist, wie schon bemerkt, stärker als das vertrauliche „paradidonai”. Dagegen spricht, daß bei einem Anspruch des Herrn auf alle Früchte die Lohnfrage auftauchen würde. Die Arbeiter sind auf Lohn angewiesen. Wenn sie auch noch so sehr der Treue ihres Herrn vertrauen, so müßte und könnte bei Einforderung des Teils als teilweiser Vorwegnahme einer Ganzforderung die Lohnfrage als Gegenfrage gestellt werden. Diese aber taucht nirgends auch nur andeutungsweise in unserem Gleichnis auf und soll nach seiner ganzen Anlage überhaupt vermieden werden.

Die größere Wahrscheinlichkeit hat demnach Fall 2. Kann 1 eindeutig ausgeschieden werden, so bleibt die Wahl zwischen 2 und 3 offen. Sie braucht zum Verständnis des Fortgangs nicht notwendig entschieden zu werden, wenn auch 2 dieses Verständnis erleichtert.

Sachenrechtlich ist die Frage nicht ganz ohne Bedeutung. Der Herr ist und bleibt Eigentümer. Im Fall 2 hat er den Pächtern unmittelbaren Besitz eingeräumt und behält rechtlich nur mittelbaren Besitz. Im Fall 3 dagegen sind die Weingärtner im Rechtssinne nur Besitzdiener ohne eigenen Besitz. Die Abgesandten versuchen jedoch nicht, sich unmittelbar in den Besitz eines Teils der Ernte zu setzen, wie sie es in Fall 2 dürften, sondern fordern die Herausgabe. Das mag durch die faktische Ausschließlichkeit der Verwahrung durch die Weingärtner bedingt sein. Praktisch wird jedenfalls der Anspruch nicht als sachenrechtlicher Herausgabeanspruch, sondern als schuldrechtlicher Leistungsanspruch geltend gemacht.

 

IV. Die Abgesandten und der Sohn

Der Herr schickt eine ganze Folge von Knechten, um seine Forderung geltend zu machen. Das Verbum „apostellein” läßt die Frage nach ihren Befugnissen aufwerfen. Apostolos sive schaliach ist der Abgesandte, der nach jüdischer Auffassung die Person des Absendenden vollmächtig repräsentiert. Jedoch kommt die Frage einer vollen Stellvertretung hier nicht zur Hebung. Praktisch sind sie zunächst nur Boten, die den Willen des Herrn, seine Forderung gültig übermitteln. Die Weingärtner können nicht einwenden, die Mitteilung gehe sie nichts an, weil sie nicht direkt vom Herrn selbst

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erhoben wird. Die Abgesandten wären auch ermächtigt, die Leistung mit befreiender Wirkung in Empfang zu nehmen, deshalb aber auch Qualität und Menge zu prüfen und zu bestätigen oder zu verwerfen. Wie weit oder wie eng man ihre Vollmacht auslegen mag, sie haben jedenfalls keine reale Macht, die leistungsweigernden Schuldner aus dem Besitz zu setzen oder den Zugriff auf die Früchte direkt zu erzwingen. Die faktische Machtlosigkeit der Abgesandten wird sogar stark hervorgehoben: mit unendlicher Geduld entsendet der Herr immer neue Boten, die seine Forderung wiederholen. Diese Nachsicht und Langmut sprengt fast die Wahrscheinlichkeit des Bildes und läßt um so deutlicher seinen heilsgeschichtlichen Sinn hervortreten.

Die entscheidende Steigerung des Vorgangs ist schließlich die Entsendung des Sohnes und Erben. Er unterscheidet sich von den Abgesandten dadurch, daß er nicht nur beauftragt und bevollmächtigt ist, sondern zugleich aus eigenem Recht auftritt. Er ist zwar nicht Eigentümer, aber als Erbe Anwärter auf eben dieses Eigentum. Wo die Ansprüche aus dem Eigentum geltend gemacht werden, geht es auch um die Wahrung seines zukünftigen Erbes. Zugleich wird er in der Erwartung entsandt, daß er um seiner Nähe zum Vater als Eigentümer eher Respekt und Anerkennung finden werde als die abhängigen Knechte. Mit der Entsendung der Knechte wie des Sohnes wird eine heilsgeschichtliche Kontinuität des gemeinten Verhältnisses angesprochen. Aber erst durch das Auftreten des Sohnes erscheint eine christologische Konzeption. Mit dieser ist dann eine Peripetie verbunden, die sich in der Abweisung der Vorläufer erst abzeichnet, aber noch nicht zur Reife kommt. Diese zeigt sich nun in dem Verhalten der Weingärtner.

 

V. Das Verhalten der Weingärtner

In dem Haushaltergleichnis Matth. 25, das mit Übergabe des Besitzes und Fortgang des Eigentümers genau ebenso einsetzt wie unser Text, wie in jedem sonstigen Gerichtsgleichnis ist regelmäßig der Anspruch des Herrn unbestritten. Mehr noch: die Diener, Knecht, Haushalter bemühen sich je nach Eifer und Einsicht, ihre Pflicht zu erfüllen. Sie weisen den Ertrag ihrer Arbeit vor und suchen ihre Entschlüsse, die Wahl der Mittel zu rechtfertigen und den Mißerfolg zu entschuldigen. Die Erfüllungswilligkeit ist außer Streit. Niemand würde wagen, die Erfüllungspflicht dem Herrn gegenüber zu leugnen. Ganz anders hier. Die Weingärtner bestreiten ihre Pflicht weder mit diskutablen Einwänden noch mit hergeholten Scheingründen.

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Sie begründen ihre Weigerung überhaupt nicht. Sie bringen den Anspruch auf Erfüllung durch Vertreibung oder Tötung der lästigen Mahner zum Schweigen. Er gehört zur logischen Struktur des Rechts, daß es sich als konkreter Geltungsanspruch immer wieder auf einen Rechtsgrund beruft und auf diesen zurückverweist. Die völlige Rechtlosigkeit des Handelns der Weingärtner wird darin sichtbar, daß sie eine Rechtfertigung ihres Handelns nicht einmal zum Schein versuchen, nur um etwas vorzugeben, um formal diesem Begründungszwang des Rechtes zu genügen. Gegen den liquiden Anspruch setzen sie die reine Gewalt.

Eben darin zeigt sich, daß das Gleichnis einen völlig anderen Skopus hat als jene anderen. Zunächst geht es auch hier verbotenus um die Erfüllung der selbstverständlichen Ansprüche des Herrn aus dem Pachtverhältnis. Darunter enthüllt sich jedoch ein anderer Streitgegenstand. In jenen anderen Bildern geht es um verpflichtende Ansprüche. Sie sind erfüllbar, ihre Erfüllung wird von allen versucht, und die Erfüllung auch bei einem Teil der Knechte vom Herrn anerkannt. Von einer durchgängigen Unerfüllbarkeit dieser Forderungen kann vollends keine Rede sein. Werden diese Forderungen im ganzen theologisch als „Gesetz” qualifiziert, so ist dieses Gesetz jedenfalls nicht unerfüllbar. Der Satz „lex semper accusat” gilt hier gewiß nicht. Bei den Weingärtnern aber wird diese unbestrittene Lage beiseite gedrängt. Es geht nicht mehr um Ansprüche und Gehorsam: es geht jetzt um die Herrschaft. Die Weingärtner wollen sich des Erbes bemächtigen. Sie wollen den Pachtbesitz durch Verdrängung der Abgesandten, recht eigentlich aber durch Tötung des Erben, zu einem zwar nur faktischen, immer rechtlos bleibenden, Scheineigentum steigern, das von niemandem mehr angefochten werden kann. Die langmütigen Mahnungen des abwesenden Herrn werden nicht als Zeichen der Nachsicht, sondern als solches der Schwäche verstanden: es bedarf nur noch der Beseitigung des Erben. Bis zu diesem Punkte könnten sie noch das alte Verhältnis gehorsamer Verantwortung wahrnehmen und aufrechterhalten. Bis zuletzt wird ihnen dieser Weg in das legitime Vertragsverhältnis offengehalten. Selbst die mit strafbaren Delikten der Körperverletzung beschwerte und belastete Abweisung der Abgesandten könnte durch einen Akt der bereiten Erfüllung gutgemacht werden. Mit der Tötung des Erben wird der Vertragsbruch irreparabel. Die Metabasis des Problems eis allo genos ist durch ihre provokatorische Usurpation und ihr Verbrechen vollzogen.

An dieser Stelle wird die grundlegende Bedeutung der Fortbildung

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des Gerichtsgleichnisses aus dem Zweierschema in das Dreierschema deutlich. Im Zweierschema wird versucht, den Anspruch des Herrn zu erfüllen: dieser Versuch unterliegt dem eschatologischen Urteil. Dieser Versuch liegt innerhalb des Bundesverhältnisses, welches nur zwei Partner kennt: den Herrn und die Knechte. Die Einschaltung dritter Personen in einer weiteren Rolle hätte hier keine konstruktive Bedeutung. Der wiederkommende Herr fordert selbst Rechenschaft und bedarf hierzu keiner Vermittlung. Nicht diese Mittler, sondern nur er kann jenes endgültige Urteil vollziehen. Würden sie irgendwie eingeschaltet, so wären sie nur Doubletten der Rolle, die er selbst spielt und ohne Bedeutung für den Fortgang des Geschehens. Vollends der Erbe hat hier keinen sinnvollen Platz. Die Einschaltung der Abgesandten gewinnt hier nur durch die grundsätzliche Abwandlung Bedeutung, daß die Leistung verweigert wird, ein Verhalten, welches gegenüber dem wiederkehrenden Herrn sich von selbst verbietet. Aber selbst dies bleibt bis zuletzt in der Schwebe: der Rückweg wäre offen. Erst durch die Tötung des Erben wird der Streit um die Herrschaft offenbar. Es zeigt sich zugleich, daß die Weingärtner von vornherein nicht als Pächter oder Verwalter, sondern ausschließlich zu eigenem Nutzen gearbeitet haben. Ihr zunächst und scheinbar korrektes Tun zielt auf die endlich hervortretende Usurpation des Eigentums. Sie haben das Erbe in Verwaltung gehabt und hätten es als dieses behalten können, wenn sie den Herrn in Gestalt seiner Abgesandten und des Sohnes als Herrn anerkannt und dies durch die Erfüllung der bescheiden ermäßigten Verpflichtungen bezeugt hätten. Sie wollten aber selbst die Herren sein. Nunmehr werden sie wegen des Vertragsbruches wie wegen der Tötung bestraft. Das Erbe aber wird nicht zu eigener unmittelbarer Bearbeitung durch den Herrn zurückgenommen: es wird anderen ausgegeben, da es seinem telos nach (s.o.) der Verwaltung und Bearbeitung bedarf.

Nur durch die Einschaltung einer dritten Rolle, letzten Endes der Vermittlung durch den Erben selbst, wird dieser grundsätzliche Übergang von der Verpflichtungserfüllung in den Herrschaftsstreit ermöglicht. Nur weil der Erbe im Verhältnis zum Herrn selbst eine Rolle eigenen, wenn auch abgeleiteten und nachgeordneten Rechts spielt, kann dieser Streit zum Ausbruch kommen.

Der Streit ist hart und durch keine Milderung vermittelt. Daß der als Erbe Auftretende wirklich der Sohn und Erbe ist, wird als erkennbar im Gleichnis problemlos vorausgesetzt. In dem zugrunde liegenden theologischen Sinn aber wird den hiermit Angesprochenen die

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volle Last der Verantwortung dafür zugeschoben, daß sie ihn nicht nur wie die Vorgänger als vom Herrn gesandt, sondern als seinen Sohn selbst erkennen und anerkennen. Kein noch so begreiflicher Zweifel an dieser Legitimation wird ihnen nachgesehen und entschuldigt. Er hat sich zu erkennen gegeben und fordert Glauben.

Der hier dargestellte Übergang von der Verpflichtungserfüllung zum Herrschaftsstreit hat die weitesttragende Bedeutung. Es ist das Ende des alten Bundes: das Bundesvolk selbst hat ihn unwiderruflich gebrochen, genauer: es wird vor die Frage des Bruches gestellt und die Verantwortung ihm selbst zugemessen, aufgedeckt.

Der Eigentumsgedanke, von dem das Ganze ausgeht, hat eine doppelte, zweideutige Form: Eigentum ist der personale Bereich des Volkes Gottes — dieses ist das Volk des Eigentums und wird selbst im Bilde des Weingartens dargestellt. Zugleich ist aber dieser Weingarten ein Feld verantwortlichen Tuns desselben Volkes. Dieses Ackerfeld soll Frucht bringen und muß im Schweiße des Angesichts getreulich bearbeitet, beschnitten und gereinigt werden, damit es rechte Frucht bringe, wie denn der Vater selbst als der Weingärtner vorgestellt wird, der die Reben reinigt und beschneidet. Und schließlich erscheint Jesus selbst im Bilde des Weinstockes, an dem die Reben mit dem telos, Frucht zu bringen, hängen.

Der Eigentumsgedanke wandelt sich nun streng rechtlich in den des Erbes. Es ist das Erbe des Sohnes, das dieser selbst wahrnimmt und dessen Früchte er einfordert — in Übereinstimmung mit dem Eigentümer, aber doch als das Seinige. Es ist wie eine Art Vorausverfügung unter Lebenden, daß dem Erben vivente patre das Erbe als das Seinige anvertraut wird.

Der Übergang vom Eigentum in das Erbe — bei gegenständlicher Identität — wie der Unterschied des Rechtsgedankens selbst ist von außerordentlicher Bedeutung.

Der Übergang als solcher wird durch denjenigen vom Alten in das Neue Testament begrifflich erfaßt. Nicht aber wird dadurch der inhaltliche Unterschied ausgesprochen. Dieser wird auch nicht durch die traditionelle Unterscheidung von Gesetz und Evangelium zulänglich bezeichnet. Evangelium heißt Gute Botschaft und man darf sinngemäß ergänzen: gute Botschaft von einem neuen, im Alten Bunde noch nicht zugesprochenen und angebotenen Heil. Aber worin dieses Neue Heil besteht, ist damit nicht deutlich gemacht. Es kann sogar den Fehlschluß erzeugen, als sei der Alte Bund nicht in seiner Weise ebenfalls Heilszusage. Erst die Verschiebung von Eigentum in Erbe spricht unzweideutig aus, was Neues geschieht und geschehen

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ist, und was providentiell durch die Weigerung, den Erben als solchen anzuerkennen, sich vollzieht. Mit der Vorstellung von Eigentum und Erbe deckt sich die johanneische Aussage: er kam in sein Eigentum und die Seinen nahmen ihn nicht auf, wie viele ihn aber aufnahmen… (Joh. 1). An keiner Stelle ist ein Bruch der juristischen Gedankenführung zu erkennen, an keiner Stelle schieben sich verschiedene Gedankenreihen übereinander — der Vorgang ist vielmehr mit voller Folgerichtigkeit bis zu Ende geführt, an keiner Stelle ist eine Unwahrscheinlichkeit zugemutet.

Daß der eigentliche Sinn erst in der gemeinten heilsgeschichtlichen Bedeutung hervortritt, ist etwas ganz anderes und kein Einwand gegen die Schlüssigkeit als Rechtsgleichnis. Diese Zuspitzung und die überführende Gewalt des Gleichnisses ist im Gegenteil mit der größten Sparsamkeit der Darstellungsmittel durch eine unerhörte Konzentration und Vereinfachung des Ablaufs erreicht. Der bedeutende Gedankenertrag ist aus dem geschichtlichen Zusammenhang herausgenommen und auf eine grundsätzliche Formel gebracht, — daß die Nichterfüllung der Verpflichtung gegenüber dem Herrn recht eigentlich Herrschaftsanmaßung, nicht ethisches Versagen ist.

Gedankenbildungen von so großer und imponierender Einfachheit und Folgerichtigkeit sind einer nur referierenden und nach bestimmten (auch legitimen) theologischen Interessen umbildenden Gemeindetradition keinesfalls zuzurechnen. Folgerichtigkeit ist nur dem bedeutenden Einzelnen gegeben. Noch seltener ist das Zusammentreffen von Gedankenschärfe und Darstellungskraft. Bei dem Verfasser des Johannesprologs wird in einer ähnlichen großartigen Weise die Macht ins Spiel gebracht, die es nach Ferdinand Lasalles Wort bedeutet, „auszusprechen, was ist”. Der ganze Ertrag und Verlauf des alten Bundes wird auf eine Formel gebracht. Dies ist nicht nur die Aussage einer radikal gefaßten Wahrheit: es hat noch darüber hinaus einen konstitutiven Charakter, es ist ein Akt, der zugleich herbeiführt, was er bezeugt. Es ist nicht meine Sache, zu beurteilen, ob das Gleichnis unter die verba ipsissima zu rechnen ist: seine vollmächtige Evidenz legt es mir näher als jedes andere Urteil.

 

VI. Die forensische Lage

Abschließend ist erforderlich, den Ausgang des Gleichnisses zu bedenken. Er wird ja knapp in V. 9 als prophetische Aussage formuliert. Nach unserem Verständnis haben sich die Weingärtner einerseits strafrechtlich der Körperverletzung, der Nötigung, der

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Beleidigung und des Mordes schuldig gemacht, zivilrechtlich dagegen des Vertragsbruchs. Daß beides Folgen nach sich ziehen muß, liegt auf der Hand. Wir würden heute die strafrechtlichen Folgen jedoch von den zivilrechtlichen trennen. Hoheitsrechtlich würden die Delikte verfolgt werden, zivilrechtlich der Vertragsbruch. Im Gleichnis wird ebenso selbstverständlich ausgesprochen, daß der Herr selbst beides tut, die Täter bestraft und aus dem Besitz setzt. Er nimmt sein Recht selbst wahr, nimmt nicht Recht und Rechtsschutz von einem beiden Teilen übergeordneten Richter. Genauso wird in Matth. 25 verfahren. Dies erklärt sich zunächst daraus, daß der verweisenden Sinn des Gleichnisses trotz seiner vollen Durchführung für jeden Hörer erkennen läßt, daß hier nicht ein gewöhnlicher Herr gemeint ist, sondern Gott selbst in Person. Gleichwohl könnte so doch nicht argumentiert werden, wenn nicht im Anschauungsbereich der Hörer Verhältnisse geläufig wären, die eine solche Verbindung von Herrschaft und Privatrecht enthalten. Zwar stellt auch der knappe Text beides ganz unverbunden nebeneinander. Aber der innere Zusammenhang von Vertragsbruch und Straftaten ist doch so eng, daß ihre rechtliche Verbindung erwogen werden muß. Wir kommen damit noch einmal auf die Struktur des Verhältnisses und den rechtlich ausgedrückten Gesamtsinn des Gleichnisses zurück.

Frühe Rechtsordnungen kennen schuldrechtliche Verträge auf wechselseitige Leistung überhaupt nicht, sondern nur Realverträge, d.h. solche Verträge, die auf Übertragung von dinglichen Rechten gehen. So nicht nur die Übertragung von Eigentum, sondern auch die Einräumung von Nutzungs- oder Pfandrechten, gebundenes Untereigentum (Lehen), schließlich auch Darlehn, weil die Rückgewähr begrifflich eingeschlossen ist. Verpflichtungen auf Erfüllung sind so nicht Inhalt, sondern Folge des Verhältnisses. Mit der Besitzübertragung wird zugleich ein personales Band begründet. Die Verletzung der Verpflichtungen aus einem solchen Verhältnis ist deshalb zugleich ein Angriff auf die noch fortbestehende Sachherrschaft des Obereigentümers, Pfandgebers usw. Zugleich bleibt die, wenn auch vermittelte Herrschaftsstellung des Sachgebers bestehen. Die Vorstellung, daß wechselseitige Verträge auf Leistung sozusagen zum natürlichen Grundbestand menschlicher Rechtsbeziehungen gehörten, findet keine Stütze in der Rechtsgeschichte. Im Gegenteil kommen solche Verträge in älteren Rechtsordnungen, wie z.B. dem frühen römischen und germanischen Recht gar nicht vor: sie würden der rechtlichen Verbindlichkeit entbehren. Die theologische Problematik des Lohns muß unter dieser Voraussetzung bedacht werden.

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Bei schuldrechtlichen Verträgen ohne diese realrechtliche Grundlage, wie sie erst in bürgerlich-rechtlichen Rechtssystemen vorkommen, ist ohnehin die Gegenleistung, der Entgelt und Lohn nur dann verdient, wenn die Leistung der Vereinbarung entspricht, also gefordert ist. Sonst hat sie nur den Marktwert, d.h. der Wert hängt davon ab, ob die Leistung an den Mann gebracht werden kann. Ebenso wie der substratlose schuldrechtliche Vertrag auf gegenseitige Leistung ist die Trennung von öffentlichem Recht und Privatrecht systembedingt, gehört einer bestimmten rechtsgeschichtlichen Entwicklungsstufe an. Es setzt eine Scheidung von verfügbaren und unverfügbaren Rechten ein. Verfügbar ist die res privata, unverfügbar die „res publica”, öffentliche Gewalt, die an das bonum commune gebunden ist, wie das Strafrecht, weil die Strafe sittlich gefordert und daher nicht disponibel ist. Diese Scheidung ist, wie etwa Max Weber gezeigt hat, ursprünglich nicht vorhanden. Über das, was wir als öffentliches und Hoheitsrecht verstehen, wird ursprünglich durchaus persönlich, ,privat’, jedenfalls zu eigenem Recht verfügt: die Folgen eines schweren Verbrechens, selbst gegen das Leben, werden nicht durch die ,sittlich’ geforderte Strafe abgegolten, sondern im Wege der Beilegung (,compositio’) durch Geldzahlung abgekauft. Wo also der Begriff der (Un-)verfügbarkeit auftritt, befinden wir uns im Bereiche verkehrsrechtlich-bürgerlichen Denkens ebenso wie beim Auftreten schuldrechtlicher Vorstellungen im oben bezeichneten Sinne1.

In unserem Gleichnis tritt nun der Herr zugleich als Gerichtsherr


1 Die Theologie, welche in sehr viel allgemeineren Gedankenzusammenhängen von ,Unverfügbarkeit’, etwa Gottes, des Geistes, des Heiligen usw. spricht, setzt den Gegenbegriff der Verfügbarkeit voraus. Das bedeutet die gegenständliche Abgrenzung beider Bereiche. Beide Begriffe tragen also unvermeidlich die gleiche Denkstruktur. Die Singularität des Unverfügbaren kann also gerade auf diese Weise nicht festgehalten, ausgedrückt und sichergestellt werden. Das Weltverhältnis wird an der entsprechenden Rechtsstruktur deutlich sichtbar. Es impliziert eine Metaphysizierung von Staat und Sittlichkeit (ius publicum und Strafe). Andererseits können von diesen Voraussetzungen aus Epochen und Strukturen, denen diese vergegenständlichende Scheidung fremd ist, weder verstanden noch kritisiert werden. Man unterschiebt ihnen sonst als Anlaß der Kritik Fragestellungen und Entgegensetzungen, die ihnen gänzlich fremd sind und die nur im eigenen System gelten.

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wie als Anspruchsberechtigter auf. Diese Verbindung ist nicht nur eine abkürzende Kontraktion des Stoffes, sondern weist auf den rechtshistorischen Horizont, innerhalb dessen der Text auszulegen ist, also eine Rechtsstruktur, innerhalb noch keine Scheidung zwischen öffentlichen und Privatrecht durchgeführt ist. Die Verkennung dieser strukturellen Voraussetzung muß unvermeidlich zu falschen Ergebnissen führen. Das Gleichnis archaisiert durch die außerordentliche Knappheit des Ausdrucks noch beträchtlich. Die Existenzialien drängen zur Reduktion auf die Grundverhältnisse. Was hier angekündigt wird, ist auf die einfachste Formel gebracht. Der Herr tut kurzerhand aus eigener Vollmacht, was ja in der Sache unzweifelhaft rechtens ist — denn das kann von den Hörern niemand bestreiten. Das Ganze wäre unverständlich, wenn auch jetzt noch Nachsicht geübt würde. Aber obwohl der Rechtscharakter des Verhältnisses zwischen den verschiedenen Deutungsmöglichkeiten, und damit der Grad persönlicher Verpflichtung nicht eindeutig auszumachen ist, drängt doch alles auf die Betonung des Herrschaftsverhältnisses und auf einen Streit um die Herrschaft. Die ethische Perspektive, die ja immer das unbestrittene Postulat des Rechtshandelns (Kant) voraussetzt, fällt wie etwas Vorläufiges, wie ein Schleier vor den nackten Tatsachen hinweg: es bleibt übrig der Streit zwischen Rechtsmacht und Eigenmacht. Nicht die relative oder absolute Unvollkommenheit eines wenigstens in der Intention guten Willens, sondern der radikal widerständige Eigenwille des Menschen tritt hervor. Dies wird aufgedeckt und den Hörern wie ein Felsblock vor die Füße geworfen, während sie sich selbst als die legitimen Verwalter des Weinbergs des Herrn verstehen und die volle Loyalität für sich in Anspruch nehmen. Alle Gesetzesproblematik wird mit der harten These ein für allemal beiseite geschoben: Wie jene Bundbrecher und Mörder wolltet Ihr ja überhaupt nicht! Die Bundesgeschichte in ihrer Entwicklung wie das Bundverhältnis nach seinem Gehalt fallen in eines und werden an diesem Punkte auf die Machtfrage zugeführt: Ihr wollt (Eigentümer) sein wie Gott.

Dies wird nun vollends dadurch auf die Spitze getrieben, daß es sich nicht an der unbezweifelbaren, sich selbst ausweisenden Macht des Herrn entscheidet, sondern an dem aus der Verhüllung der Machtlosigkeit sich offenbarenden Erben, der aus eigenem Recht das Recht des Vaters mit dessen Willen repräsentiert und wahrnimmt. Daß die Machtfrage an der machtlosen Repräsentation der Herrschaft zur Entscheidung kommt, zeigt den dialektischen Charakter des nt.-lichen Heilsgeschehens, der über die Gesetzesproblematik grundsätzlich

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hinausführt und deshalb durch die in ihrem eigenen Zusammenhang legitime Reflexion auf diese nur verdunkelt werden kann. Das Gleichnis entlarvt nicht nur die Unwahrhaftigkeit der Gesetzeserfüllung durch die Angeredeten, gleichsam nach rückwärts, sondern schließt auch nach vorwärts alles aus, was sich später als ,ethisches Christentum’ verstanden hat. Um so erstaunlicher, daß das Gleichnis mit der Langmut des Schöpfers und seiner anhaltenden, immer erneut anfragenden Bundestreue zugleich auch diese Dialektik sowohl vorbereiten wie ausdrücken kann, eben durch die Machtlosigkeit. Nur eine überlegene Einsicht kann die Dinge mit wenigen Strichen und Zügen und doch mit einem verhaltenen gerechten Zorn so ablaufen lassen.