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Bekenntnis und Ordnung

 

I. Kirche und Kirchenrecht heute

Jede Bemühung um das Kirchenrecht begegnet der Frage nach dem Grunde und dem Grade ihrer Berechtigung. Kirchenrecht und Liturgie hängen zusammen. Wenn wir nicht bereit sind, die Folgerungen aus der Neuordnung des Gottesdienstes in der Ordnung der Kirche zu ziehen, hätten wir lieber die Hände von der Liturgie lassen sollen. Wir haben einstmals gehofft, daß von der Liturgie her die Kirche sich ordnen lassen werde. Jetzt aber, nachdem man die liturgische Frage aufgenommen hat, verordnet die Kirche Liturgie. Um so klarer müssen wir um beides und um den Zusammenhang beider kämpfen.

Aber ist mit dem Kirchenrecht vielleicht nun doch wieder eine Herrschaft aufgerichtet, eine reale über Menschen und eine angemaßte über den Geist? Das ist ein weitverbreitetes Mißverständnis des Rechtes wie des Kirchenrechtes. Kirchenrecht setzt der Kirche so wenig etwas hinzu wie der recht verstandene Vorgang der Tradition. Sie sind beide nur die Weise, in welcher wir das Evangelium haben und es weitertragen.

Unsere Bemühung um Kirchenordnung, um Kirchenrecht hat freilich ihre Berechtigung nur soweit und solange wir sie bewußt im Zusammenhang mit dem ganzen Leben der Kirche halten. Der guten Tradition der reformatorischen Kirchenordnungen folgend, haben wir in „Credo ecclesiam” in der gesamten Darstellung das Miteinander von Lehre, Ordnung und geistlichem Leben des einzelnen Christen festgehalten. In dieser Gliederung aber gehören Gottesdienstordnung und Kirchenordnung notwendig und untrennbar zusammen.

Daß die Fragen des Kirchenrechts heute besonders stark hervortreten, entspricht einer inneren Entwicklung des gesamten Protestantismus und wird auch in der ökumenischen Bewegung sichtbar. Überall geht es sowohl um die Lehre von der Kirche wie um die konkrete Kirchwerdung. In besonders starke Weise tritt diese Frage im Mutterlande der Reformation, im Protestantismus deutscher Zunge auf. Aber warum sind die Dinge bei uns zugleich so besonders schmerzhaft und schwierig?

Die Ablösung des landesfürstlichen Kirchenregiments 1918 traf unsere Kirche unvorbereitet. Sie hatte sie noch nicht einmal gewünscht. Einer unserer Brüder wurde damals beauftragt, einem Kirchenhaupt die Absicht der preußischen Regierung mitzuteilen, sie werde bei Schaffung einer autonomen Kirchenverfassung auf die bischöflichen Rechte verzichten. Darauf brach dieser Oberhirte in die klassischen Worte aus: Oh weh, wenn der Platzregen kommt, duckt sich der Hase in die Furche! Dieser Notschrei zeigt, wie sehr die Kirche der Eigenverantwortung entwöhnt war und abgesagt hatte. Zu den schmählichsten Ereignissen der Kirchengeschichte gehört die Art und Weise, mit der in den 90er Jahren die Generalsynode der Altpreußischen Union den Kehrtwendungen der

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Sozialpolitik Kaiser Wilhelms II. folgte. Einmal war die sozialpolitische Aktivität eine Aufgabe der Kirche; dann paßte man sich der Parole an: „Christlichsozial ist Unsinn”.

 

II. Reformation und Kirchenrecht

Aber diese schlimmen Dinge sind die späten Früchte sehr alter Versäumnisse. Die Reformation proklamierte für das Kirchenregiment den Grundsatz „non vi sed verbo” — nicht durch äußere Gewalt, sondern nur durch die gehorsamfordernde Macht des Wortes Gottes. Ihr Überleben als gleichberechtigtes Bekenntnis, aber auch als Volks- und Landeskirche verdankte sie jedoch nicht allein der Macht des Wortes Gottes, sondern ebensosehr der weltlichen Gewalt und den sehr realen Interessen des aufstrebenden Landesfürstentums. Ohne diese Kräfte hätte die deutsche Reformation das Schicksal der Hussiten und Hugenotten erlitten, nach mörderischen Kämpfen zur hoffnungslosen, verfolgten Minderheit zu werden. Sie saß von Anbeginn zwischen zwei Stühlen. Die Bischöfe versagten sich ihr. Schutz und Ordnung der Kirche durch Fürsten und Magistrate bedeutete die Preisgabe des Kirchenregiments an diese. Daraus folgte eine Fülle von Halbheiten und Schwierigkeiten. Gewiß ließen sich viele dieser weltlichen Kirchenregenten von einem lebendigen Glaubensinteresse leiten. Regenten, die regelmäßig Predigt hören, beichten und kommunizieren, sind etwas anderes als aufgeklärte oder totalitäre Gewalthaber. Aber es liegt ein seltsamer Widerspruch darin, daß man einen so grundsätzlichen Standpunkt wie den der Reformation auf die so vergängliche geschichtliche Christlichkeit der weltlichen Gemeinschaft aufbaute. Und unvermeidlich trat eine ständige Vermischung des Evangeliums mit einem politischen Interesse ein. Bald erschien der Fürst als ein hervorragendes Glied der Kirche, als Verteidiger und Schützer des Glaubens, bald handelte er kraft weltlicher Ordnungsgewalt — ein ständiges Bäumchenverwechseln. Die englischen Bischöfe erkannten den König als Oberhaupt der Kirche nur mit fragwürdigen Vorbehalten an. Wir Deutschen haben diesen Zustand noch in einer besonders schlechten Form erlebt. In Schweden und England steht wenigstens die ganze Kirche unter einem Oberhaupt als Einheit dem Staate gegenüber. In Deutschland entwickelte sich ein grotesker Provinzialismus von Dutzenden und Hunderten von Lokalkirchen.

Aber das eigentlich Verhängnisvolle liegt noch nicht einmal in diesem Zwielicht der Vermischung von Kirche und weltlichem Regiment. Vielmehr wurde selbst die Lehre der Kirche über die Kirche als Gegenstand des Glaubens verstümmelt. Das Augsburgische Bekenntnis verneint mit Recht die weltliche Gewalt der Bischöfe. Aber mit keinem Wort deutet es den entsprechenden Satz an, daß der weltlichen Gewalt nicht das Kirchenregiment zustehe. Damit geriet das Bekenntnis in den Zustand einer nur halben Rechtgläubigkeit. Was es sagte, war richtig und notwendig. Aber es versäumte zu sagen, was um der Freiheit des Evangeliums und um der unverkürzten biblischen Lehre willen hätte gesagt werden müssen. Ich halte den von uns ausgesprochenen Satz:

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Die Kirche kann nur rechte Kirche sein, wenn sie sich gleich weit entfernt hält von Theokratie und Staatshörigkeit

für einen durchaus notwendigen Satz des Glaubens und der Auslegung des dritten Artikels.

Die Reformatoren haben diesen Satz in der Lage von 1530, angewiesen auf den Schutz der Fürsten und Magistrate nicht aufstellen können. Sie meinten aber auch, ihn nicht aufstellen zu müssen. Warum lag ihnen die Entsprechung beider Sätze fern? Sie trennten die Predigt und Sakramentsverwaltung und die damit verbundene unmittelbare Gemeindeleitung vom Kirchenregiment im weiteren Sinne und betrachteten dieses letztere als eine Sache des äußeren Kirchenwesens. Dieses konnte man dem weltlichen Regiment überlassen, ja sollte es eigentlich fast. Die Kirche, von Professoren der Theologie neu gestaltet, nahm fast den Stil einer Universität an: Landesherr und Kurator sorgen für das Äußere, damit die Professoren von ihren Lehrkanzeln ungestört in ihrer Gelehrtenrepublik wissenschaftliche Vorlesungen halten können. Daß Solowjew in seinen apokalyptischen Visionen als geschichtlichen Repräsentanten des Protestantismus nichts anderes als den standhaften Professor Pauli darzustellen vermochte, hat mir immer einen Schlag gegeben. Wohl ihm, wenn er besteht. Aber ist es nicht schlimm, daß der Protestantismus in seiner geschichtlichen Gestalt vom Menschen nicht mehr zu umgreifen vermag, als was im Akademischen darstellbar ist? Während man meinte, durch diese Konzeption der Dynamik des Geistes Raum zu schaffen, beruhte sie in Wirklichkeit auf einer völlig statischen Vorstellungsweise, auf der Meinung nämlich, Verkündigung und äußeres Kirchenregiment einigermaßen sauber und dauernd voneinander trennen zu können. Wir haben 400 Jahre bis zum Kirchenkampf gebraucht, um von diesem Irrtum bekehrt zu werden. Denn Evangelium und Welt sind aktive gegeneinander und aufeinander wirkende Kräfte. Das weltliche Kirchenregiment konnte gar nicht im Zustande der Dienstbarkeit bleiben. E s wurde notwendig Herrschaft über die Kirche bis in die innersten Bereiche ihres geistlichen Dienstes. Es regelte Bekenntnis (cuius regio eius religio), Kultus, Vorbildung, Auswahl und Disziplin des geistlichen Amtes usw. Es griff also bis in die Tiefe dessen, was man dem geistlichen Amt und der Gemeinde vorbehalten zu können gemeint hatte. Diese Konzeption hat die schwersten erblichen Mißbildungen unserer Kirche hervorgerufen. Es ist ein Ausdruck unseres Traditionalismus, daß man das nicht wahr haben will.

1. Ohne ein Wort, ohne einen Federstrich wurde jede konkrete und verbindliche Einheit der Kirche oberhalb und außerhalb der großen und kleine Territorien, wurden Bischofsamt und Diözesen der einen Kirche aufgehoben, dem Provinzialismus und dem Partikularismus Tür und Tor geöffnet, die ökumenische Kirche zu einer rein spiritualen Größe.

2. Die fruchtbaren Ansätze zu einem reformatorischen Gemeindediakonat der Armen- und Kastenordnungen gingen widerstandslos als äußeres Wesen in

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der staatlichen Sozialfürsorge auf. Durch Verlust von Episkopat und Diakonat bekamen wir das unheilvolle Einmannsystem des einzigen Amtes, des Pfarramtes, welches sich bis heute der Ausgliederung der Ämter und Dienste widersetzt, weil es gar keine Deutungsmöglichkeit für etwas anderes hat. Es haftet seither unserer Kirche ein eigenartiger monistischer Zug an. Die Betonung des einen Amtes, des Amtes als Einheit, war nur nach der einen Seite richtig; nach der anderen verdrängte dieser Gedanke gegen das biblische Zeugnis und Vorbild die Vielfalt von Gaben und Dienste, der Verrichtungen am Leibe Christi. So kann man heute Kirchenordnungen finden, in denen vier Seiten lang über das Pfarramt, dagegen über sämtlichen anderen Ämter zur in zehn Zeilen gehandelt wird. Oder man verweist den biblisch begründeten Diakonat unter dem Sammelbegriff der sonstigen Kirchenbeamten oder stellt ihn mit Sekretärinnen und Kassenrendanten zusammen.

3. Die theologischen Entscheidungen der weltlichen Machthaber werden bis heute als sakrosankte Grundlage kirchlichen Lebens angesehen: Was Landgraf Moritz der Gelehrte, was der oranische Fürst von Fulda, was Friedrich Wilhelm III. von Preußen einmal über die Gemeinden verfügt haben, ist wichtiger und bedeutsamer als deren Glaubensüberzeugung und Bekenntnisbereitschaft selbst. Den Gemeinden von heute wird das Recht abgesprochen, über ihr Bekenntnis zu bestimmen. Der historische Zustand ist unantastbar, weit mehr als der Canon der Schrift selbst.

4. Die Rechtsbegriffe, unter denen die Kirche durch die Jahrhunderte seither gedacht, und die Rechtsformen, in denen sie geordnet wurde, haben sich in jedem Jahrhundert dem jeweiligen Staatsdenken angepasst und der Entfaltung einer biblisch-begründeten Lehre von Kirche und Kirchenrecht wirksam entgegengestanden. Im 18. Jahrhundert verstand man die Kirche naturrechtlich, im 19. aus dem Gemeinschaftsbegriff des Idealismus und so fort. Und schließlich hat erst eine weltliche Bewegung, nämlich die Tendenz zur Autonomie aller Lebensbereiche das Verständnis für die Eigenständigkeit der Kirche und ihr Recht wieder wachsen lassen. Die Übergabe äußerer Ordnung an die weltliche Gewalt hat nicht im Amt der Kirche dem Pneuma Raum gegeben, vielmehr wird dieses Amt selbst jetzt nach den Begriffen des staatlichen Beamtenrechts verstanden. Man meint z.B., man könne niemand zum Pfarrer ordinieren, wenn er nicht eine Planstelle begehrt und erhält, sondern unabhängig davon einen geistlichen Dienst versieht.

Wie kann man nun dies alles zusammenfassen? Weil der Reformation die Eigenständigkeit der Kirche in der Form verderbter Theologie begegnete, hatte sie gemeint, diese Eigenständigkeit auf die weltliche Gewalt ablasten zu können und zu sollen. Sie wagte und unternahm es nicht mehr, ihr selbst zu stehen. Aber sie kann dem Problem dieser geschichtlichen Eigenexistenz nicht entgehen, wenn sie nicht den Gehorsam gegen das Evangelium selbst verfehlen will. Ihre Aufgabe ist unvertretbar und unteilbar. Seither ist auch der einzelne Protestant

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dessen entwöhnt, gemeinschaftlich zu handeln, und desto mehr gewöhnt, anderen die Schuld für das eigene Versagen aufzubürden, beim ersten Mißerfolg auseinander zu laufen wie die Reichsarmee bei Roßbach.

Wir haben gesehen, wie das Versagen des Bekenntnisses als Bekenntnis von der Kirche die Kirche deformiert und zugleich Lehre und Leben der Gemeinde in falsche Richtung drängt. Theologie ist nach dem Worte einer unserer Brüder eine verantwortliche Arbeit, deren Fehlentscheidungen sich nach Jahrhunderten in sozialen Katastrophen auswirken. Die Dinge konnten so lange halbwegs und scheinbar leidlich gut gehen, als Kirche und Staat sich beiderseits in einiger Übereinstimmung als christliche verstanden. Damit ist es heute und eigentlich seit langem vorbei.

Die traditionelle Unklarheit über diese Frage hat bis jetzt eine wirkliche Klärung hintangehalten, selbst nach 1945. Erst jetzt etwa hat man, nach dem Wortes eines führenden Mannes genau elf Jahre zu spät, nachdem nämlich die meisten Kirchenordnungen vorliegen, einen Grundsatzausschuß zur Klärung der Grundsätze einer lutherischen Kirchenverfassung niedergesetzt. Der Theologische Konvent Augsburgischen Bekenntnisses in Fulda bemüht sich mit Ernst um vieles. Wir dürfen das begrüßen. Aber wie in Fulda der Liturgie scheint uns oft der Mut zum Durchbruch in neue Erkenntnisse wie zu  durchgreifender Selbstkritik durch starken Traditionalismus gehemmt zu sein. Wir haben auch keine Veranlassung, begrüßenswerte Fortschritte zu verkleinern. Die Verfassungen der Unierten Kirchen von Provinz Sachsen und Pommern haben beachtliche Bischofswahlordnungen geschaffen. Die Vereinigte lutherische Kirche versucht, das Landeskirchentum in ihrem Bereich zu überwinden. Aber wie sehr sind wir dann immer noch im Bereich des Nationalkirchentums!

Unsere Bemühungen können nur recht verstanden werden als eine durchgreifende Kritik des historischen Zustandes und des Selbstverständnisses unserer Kirche. Es gilt, die unvollendete Reformation weiterzuführen und aus einem Lande auszuwandern, in welchem die römische Kirche und die evangelischen Kirche gemeinsam geblieben sind. Die Kritik an unseren Thesen hat nicht ganz mit Unrecht die entsprechende Entfaltung der Christologie vermißt. Gewiß, es gehören dazu sowohl Christologie wie die Lehre von der Schöpfung. Aber überfordern wir auch das Gesagte nicht! Denken wir auch daran, daß wir 400 Jahre Christologie ohne zulängliche Lehre von der Kirche betrieben haben, und daß die Christologie schon heute wieder als Vorwand dient, um jede Bemühung um das Problem der Kirche und die Entfaltung des dritten Artikels anzugreifen.

 

III. Grundsätze kirchlicher Ordnung

Kirchenrecht ist liturgisches Recht

Wenn wir nunmehr nach den Maßstäben kirchlicher Ordnung fragen und das Wort vom Bekenntnis fällt, so packt uns der ganze Jammer unserer Kirche an. In dem Kampfe zwischen Union und Konfession können wir auf keiner von

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beiden Seiten mit ungeteiltem Herzen stehen — und so gestellt, scheint uns die Frage nicht echt zu sein. Mit Recht versucht man auf der einen Seite, die Substanz der Kirche gegen Schwunderscheinungen, gegen die Willkür theologischer Zeitmeinungen und Schulen durchzuhalten. Wenn man nichts mehr dabei findet, daß in einer Unierten Kirche das geistliche Amt der Kirchenleitung bei versammelter Synode aufhört und diese der Synode wie eine parlamentarische Regierung verantwortlich ist, so sieht man, wie schnell der Begriff des geistlichen Amtes sich verflüchtigt. Aber mit welchen Mitteln und um welchen Preis wird dieser Kampf geführt?! Die Bekenntnisbildung wird in erster Linie auf die reformatorischen Bekenntnisschriften bezogen, die ökumenischen Bekenntnisse treten zurück. Aber aus den Kämpfen ihrer Zeit entstanden, vermögen die Bekenntnisschriften nicht alles herzugeben, was heute nottut. So werden sie ständig überfordert, überinterpretiert, zuweilen geradezu mißbraucht, um unbequemen Fragen zu entgehen. Man behauptet, das Bekenntnis sei verletzt, aber man sagt schon gar nicht mehr konkret, worin eigentlich. Denn darüber kann dann wieder eigentlich nur der entscheiden, der sich an es gebunden weiß. So wird das Bekenntnis als subjektive Bekenntnisgebundenheit geradezu zu einer persönlichen, spiritualen Qualität des Bekennenden, parallel zu der abgelehnten seinsmäßigen Qualität des geweihten römischen Priesters. Bekenntnis im Sinne einer historisierenden Lehrorthodoxie ohne ständige verantwortliche Fortbildung des Dogmas führt zu einer verhängnisvollen Überschätzung des Akademisch-Lehrhaften. Man geht an dem geistlichen Leben und der tatsächlichen Gemeinsamkeit vorbei, welche sich auf die Lehrbegriffe nicht abgrenzen läßt. Dagegen verfallen bekenntislose Kirchengemeinschaften ebenso offenkundig der Willkür der Einzelnen wie der Gruppen, wo selbst die dreistete Haeresie ihre Blöße nur noch mit dem Feigenblatt der subjektiven Gewissenhaftigkeit der Schriftauslegung zudecken kann.

Die Erkenntnisse, die über diesen Zustand der Unklarheit, Unentschlossenheit und falschen Tradition hinausführen, scheinen mir in unserer Zeit reif zu werden. Aber diese Früchte müssen gepflückt und verwertet werden, man darf sie nicht verkommen lassen. Der Gottesdienst bestimmt die Maßstäbe kirchlicher Rechtsbildung — so sagten wir in Credo ecclesiam — und das Bekenntnis hat Ursprung und Ort im Gottesdienst. Genau ebenso kann Karl Barth zur gleichen Zeit in seiner Schrift „Die Ordnung der Gemeinde” das Kirchenrecht als liturgisches wie als bekennendes Recht bezeichnen. Was heißt das nun?

Der gottesdienstliche Vollzug weist einem jeden Gliede der Kirche seinen bestimmten Platz, seine Rolle, seinen Ort und „ordo” in ihm selbst an, als Handelnder und als Empfangender, und in unterschiedlicher Weise nach seiner Berufung und seinen Gaben. Nach diesen Rollen bildet sich dann die Ordnung der Kirche. Weder durch Stiftung als Ganzes noch durch Erweckung und Zusammentreten der Einzelnen wird vorweg eine Kirche konstituiert, welche dann nachträglich etwas tut, nämlich insbesondere Gottesdienst hält. Sondern der Gottesdienst, das ganze besondere, der Kirche zukommende Handeln konstituiert in

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ständigem Vollzuge die Gestalt der Kirche, welche sich dann auch in ihrer außerhalb des Gottesdienstes vorfindlichen Verfassungsordnung ausprägt. Das gibt der Ordnung der Kirche ein strenges Maß, eine sehr konkrete Form. Aber es widerstreitet allem menschlichen Vollkommenheitsstreben, aller Idealität, welche mit der gehorsame Beugung des Gottesdienstes unvereinbar ist. Das will sagen: die Ordnung der Kirche ist kein Idealzustand, den man vorweg abstrakt deduzieren und dann in schrittweiser Annäherung erreichen kann, sondern sie nimmt ihr Maß an dem besonderen Dienst der Kirche, in welchem das Entscheidende zwischen gehorsamen und bereiten Menschen durch Christus selbst geschieht.

So soll es nicht nur eine Forderung sein, welche wir etwa heute auf Grund neuerer theologischer Erkenntnisse erheben. Von jeher hat sich die Verfassungsgeschichte der Kirche an den Fragen des Gottesdienstes entschiedne. Ich nenne nur eines der bedeutendsten Beispiele. Wie der Jesuit Jungmann beschrieben hat, wandelte sich im Hochmittelalter der Vollzug der Messe in der lateinischen Kirche. Sie war nicht mehr eine Gemeinschaftsfeier mit vielen Mitwirkenden, welche von der Gemeinde oder wenigstens einer Stiftsgemeinschaft getragen wurde. Jetzt wurde das vollständige Meßbuch eingeführt, welches jedem Priester den vollständigen, gemeinschaftslosen Meßvollzug ermöglichte. Parallel wandelte sich die Stellung des Klerus in der Kirche. Er wurde endgültig zum alleinigen Subjekt der Kirchengewalt. Das urkirchliche und altkirchliche Gemeindewahlrecht wurde etwa in Rom nach einem Kampfe von 120 Jahren (1059 bis 1179) zugunsten des Kardinalskollegiums abgeschafft. Die gegenwärtige römische Kirche beruht auf der Preisgabe des altkirchlichen Gottesdienstverständnisses und der dadurch bedingten Zerstörung des kanonischen Rechts der alten Kirche. Wenn die Reformation eine kirchliche  Revolution von unten her war, so setzte sie wie alle Revolutionen die Revolution von oben fort, die Zerstörung überlieferter Gemeinschaftsordnung durch einseitige Herrschaftsansprüche. Der Bruch des kanonischen Rechts durch das Papsttum ist zugleich der Ursprung der Zerstörung kirchlicher Einheit.

Was geschieht hier eigentlich? Das Geheimnis, das Mysterium, das Ursakrament, das alle Sakramente umfaßt, die Kirche wird innerweltlichen Begriffen der Substanz und Kausalität unterstellt. Der scholastische Satz „operari sequitur esse”, das Tun folgt dem Sein und aus dem Sein, unterwirft das geistliche Geschehen den Begriffen der Philosophie und der Physik und mißversteht darin das Geheimnis der Fleischwerdung. Deshalb müssen jetzt die Kirche und der einzelne Priester ein spirituales Sein, ein „esse”, eine Qualität und Dignität haben, um kraft ihrer dann „operari” zu können, die Aufgabe des Heilszwecks zu erfüllen, insbesondere und zuallererst das gottesdienstliche Opfer zu vollziehen.

Hat die Reformation nun diesem scholastischen Denken und seinen Folgen für die Kirchenordnung ein Ende bereitet? Man wird das nicht sagen können. Sie

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verwarf die Vorstellung seinsmäßiger Voraussetzungen für das Handeln des Amtes. Aber in Wahrheit blieb von dem scholastischen Satz nunmehr lediglich das „operari” als Funktion allein übrig. Das heißt: Alles kirchliche Handeln ist Funktion unter möglichst radikalem Absehen von der Person des Funktionsträgers. So wird, wie man meint, der Allenigkeit des Handelns Gottes in der Kirche Raum gegeben, wann und wie es ihm gefällt. Aber darin liegt in Wirklichkeit nicht der Unterschied. Denn mit allen christlichen Kirchen lehrt auch die römische, daß das Subjekt der Kirche Jesus Christus allein ist. Es handelt sich immer nur um die Frage, wie diese Herrschaft Christi in der Kirche konkret wird. Weil es nun keine Funktion ohne Subjekt gibt und das menschliche Subjekt ausgeschlossen wird, weil das mediale Verhältnis von Gott und Mensch unter kausalen Begriffen nicht zu verstehen ist, tritt als Substanz und Grundlage, als esse der Kirche, das Bekenntnis, die reine Lehre, die historisch-kritische Methode als Grundlage wie das Unterscheidungsmerkmal an dessen Stelle. In ihnen hat die Kirche ihr Sein, von dem aus sie nun handelt.

Es ist verständlich, daß man so das geistliche Geschehen in der Kirche weder verstehen noch ordnen kann. Schon die Kausalvorstellungen dieser gegensätzlichen und in Wahrheit so eng verwandten Lehren sind heute überholt. Das Handeln der Kirche so verstehen wollen, wäre soviel, als wolle ein heutiger Physiker sich vorweg endgültig entscheiden, daß er nur Korpuskel oder nur Wellen betrachten wolle. Entscheidet er sich für Korpuskel, so wäre er römisch, entscheidet er sich für Wellenfunktionen, dann wäre er protestantische. Vor allem aber kann man den Handelnden von dem Gegenstand seines Handelns nicht mehr abtrennen, also gerade das, was die Vorstellung des funktionalen Amtes versucht hat.

Wieder führt uns dies darauf, daß die kirchliche Ordnung sich aus dem Vorgang der Liturgie ergibt. Ordnung ist überhaupt nicht allein ein Zustand, sondern immer auch ein Vorgang. Nach der Lehre der Reformation wie in der Gegenwart Peter Brunners gibt sich uns Gott (sacramentum) und wir geben uns ihm, indem wir ihm danken und ihn loben, ihm die erhaltene Gnade zurückbringen (gratiam referre), als das einzige, was wir vor ihn zu bringen vermögen, das Opfer Christi und durch Christus (sacrificium). Es ist kein Widerspruch, daß man nicht darbringen kann, was man empfängt, sondern eine sinngemäße Verknüpfung, wie es Paul Gerhardt im Weihnachtsliede ausdrückt:

Ich steh’ an deiner Krippen hier, o Jesu, du mein Leben,
ich komme, bring und schenke dir, was du mir hast gegeben.

Alles dies geschieht per Jesum Christum dominum nostrum im Heiligen Geiste, welcher sowohl im Amte wie in der Gemeinde tätig wird. Daraus ergibt sich das grundsätzliche Miteinander und Gegenüber von Amt und Gemeinde, nicht allein in der Ortsgemeinde, sondern in der ganzen Kirche. Mit Recht hat Bruder Maurer deshalb den Bischof als synodalen Bischof, als Bischof in und mit der Synode

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bezeichnet. Das schließt bestimmte Dinge sehr deutlich aus: die Herrschaft des Klerus über die Laien — „clerici laicos subesse” — ebensosehr demokratische Vorstellungen synodal-parlamentarischer Verantwortlichkeit, vom demokratischen Charakter des Protestantismus uws. Es ist bezeichnend, daß wir beim Verlassen dieses Ansatzes, beim Überschreiten dieser Grenze, überall auf kirchenfremde Begriffe staatlicher Herrschaftsformen treffen. Erfreulicherweise wehrt sich auch Karl Barth gegen die Übertragung solcher Begriffe in das Kirchenrecht. Pius XI. hat unter den Irrtümern der Ostkirche ausdrücklich verdammt, daß sie die Monarchie des Papsttums leugnet. Mit dieser Dogmatisierung eines politischen Begriffs wird die Grenzüberschreitung im römischen Kirchenrecht besonders deutlich. Wir wissen uns mit der Ostkirche im Festhalten am altkirchlichen pneumatischen Recht gegen die römischen Neuerungen weitgehend einig.

In der Abwehr politisch-staatsrechtlicher Begriffe im Kirchenrecht haben wir einen sehr bestimmten Maßstab, wenn auch nur in einer Richtung. Wer die absolute Monarchie des Papsttums ablehnt, muß auch demokratische Synodaltheorien ablehnen. Die Versuchung liegt hier darin, daß viele Demokraten dem Phantom der herrschaftslosen Herrschaft nachjagen und deshalb schwärmerisch sehr leicht Demokratie mit einer pneumatischen Kirchenordnung unter dem Gesetz der Liebe verwechseln.

Hier herrscht eine vollkommene Verwirrung der Begriffe und Maßstäbe. Der Präsident einer lutherischen Landessynode unterbrach die Verhandlungen über die Kirchenordnung mit der klassischen Frage: Die Synode möge erwägen, ob sie die Kirchenordnung noch verabschieden könne. Denn sie werde ja in einigen Monaten neu gewählt und müsse sich fragen, ob sie den „Willen des Kirchenvolks” noch repräsentiere. Dagegen aber erhob sich keine Stimme des Bekenntnisses. In einer anderen Kirche wurde bei der Erörterung des Verhältnisses von Bischof und Synode als selbstverständlich geltend gemacht, die Kirchenordnung sei demokratisch, infolgedessen gelte der Grundsatz der Gewaltenteilung. Hierbei wurde das geistliche Amt als Exekutive verstanden. Alles dies, was hier und an zahllosen anderen Orten naiv und unwidersprochen vorgetragen wird, widerstreitet von Grund auf dem Wesen der Kirche. Das Amt kann weder aus der Gemeinde abgeleitet werden — nicht ihr habt Mich gewählt, sondern Ich habe euch gewählt! —, noch kann das Amt von der Gemeinde abgetrennt werden: das Volk ist das Pleroma des Bischofs (Chrysostomos). Hier muß hart und entschlossen gekämpft werden.

 

IV. Inwiefern wird dies grundsätzlich verkannt?

Was hier zunächst ohne Rücksicht auf die Erfahrungen des Kirchenkampfes fortlebt, ist die idealistische Kirchenrechtsanschauung Günther Holsteins, welcher Geistkirche und Rechtskirche scheidet. Die Geistkirche wird durch das Wort Gottes geleitet, die Rechtskirche genossenschaftliche verfaßt. Daneben aber haben

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wir jene Erkenntnisse nach zwei Seiten hin klarzustellen und zu verteidigen. Auf der einen Seite gegen eine bestimmte Tradition im Luthertum. Diesem ist zwar die Formel „Amt und Gemeinde” vertraut. Aber sie wagt es nicht, sie wirklich durchzuhalten, oder mißversteht sie. Sie sieht sie doch nicht vom Gottesdienst, sondern von anderen Vorstellungen her. Hier wirkt sich die Mißdeutbarkeit des Begriffes „doctrina”-Lehre verhängnisvoll aus. Für Luther ist sie Einordnung, lebendige Zuordnung, für Melanchthon vorzugsweise autoritatives Lehren. Deshalb kommt Luther dazu, bis an den Rand demokratischer Vorstellungen das Amt aus der Gemeinde hervorgehen zu lassen; bei Melanchthon wird die Kirche fast zur Schule. Die Wahrheitsmomente beider Anschauungen finden nicht zusammen: die Gemeinschaftsbezogenheit und gemeinschaftsbildende Kraft des Wortes Gottes wie sein autoritativer Charakter. So schwankt man zwischen beiden Polen hin und her. Die Sinneinheit vom Gottesdienst her — das kleine Wort „und” geht verloren, auf welches es doch ankommt. Einer wesentlich lehrhaften Fehldeutung des Evangeliums entspringt vor allem auch eine Überschätzung der doctrina, und gegenüber der Lehre ist die Gemeinde wesentliche rezeptiv.

Aber die doctrina ist formlos. Hier lebt eine alteingewurzelte Formfeindschaft und Rechtsfremdheit. Man meint, durch Abstreifung alles „nur Geschichtlichen” eine Mindestform der Kirche gefunden zu haben, welcher jeder zustimmen müsse, der nicht die geschichtlichen Formen überbewerte. Diese Form, ausgedrückt in den Artikeln V und VII des Augsburgischen Bekenntnisses, ist aber selbst eine geschichtliche Form, welche alle die schon genannten Momente, gesamtkirchliche Einheit, Besonderheit der Ämter, abschneidet und nicht zur Ausbildung kommen läßt. Wie Gerhard Ebeling kürzlich ausgesprochen hat, ist man gerade dadurch sehr viel traditionalistischer geworden, daß man sich dem Problem der Tradition und damit der geschichtlichen Form nicht gestellt hat.

Man zögert auch, den Satz „Kirchenrecht ist liturgisches Recht”, wirklich aufzunehmen. Von einem unhaltbaren Rechtsbegriff her setzt man Regel und Recht gleich und versteht beides als Gesetz im theologischen Sinne, welchem die rechtlose Freiheit des Evangeliums gegenüberstehe. Es gibt eine verbreitete Meinung: in der Kirche gelte allein die göttliche Liebe, die agape, als lex caritatis; daneben haben nur das als Mittel frei benutzte weltliche Recht und die in den apostolischen Schriften geforderte Ein-, Unter- und Zuordnung, die „taxis” Platz. Agape und Kirchenrecht verhalten sich jedoch wie Liebe und Glaube. Es gibt nach 1. Kor. 13 einen wirklichen, bergeversetzenden Glauben, der dennoch ohne Liebe leer ist. Aber die Liebe Christi setzt den Glauben voraus. Es gibt keine Liebe an der Wahrheit vorbei. Eine so verstandene lex caritatis würde schwärmerisch den Glauben überspringen. Daß im Evangelium Gott sein gnadenvolles Recht am Menschen ihn ansprechend geltend macht, daß das Bekenntnis diesen Ausspruch anerkennt; daß das Kirchenrecht auf der wechselseitigen Anerkennung geistlicher Entscheidung beruht, wird nicht anerkannt. Die Teilkirchen

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haben dadurch Gemeinschaft miteinander, daß sie sich wechselseitig als rechtgeordnete, rechtlehrende, rechthandelnde anerkennen. Ich fürchte, daß bei diesen Hemmungen wie so viele Früchte der liturgischen Neubesinnung, auch die Erkenntnis vom liturgischen Charakter des Kirchenrechts höchstens äußerlich bejaht, in der Folge doch fruchtlos bleiben wird.

Auf den anderen Seite haben wir diese Erkenntnis gegen Barth selbst zu verteidigen, der sie nicht allein gefunden, aber in die Dogmatik eingeführt hat. Denn er proklamiert sie, ohne sie durchzuführen. Sie bleibt ganz formal, wenn nicht der Gottesdienst bestimmte Gestaltelemente in sich trägt, welche damit auch die Gestalt der Kirche bestimmen, eben jenes Miteinander von sacramentum und sacrificium, von Amt und Gemeinde. Dann bleibt nur ein Wettbewerb des gehorsamen Hörens auf das Wort Gottes, ein immer neuer Versuch des Kirchenrechts, aber kein Kirchenrechts selbst mehr übrig. Die Kirchen können gar nicht jeder anderen als einer subjektiv nach rechten Gehorsam strebenden Kirche schon um dieser Anstrengung willen Gemeinschaft zusprechen. Sonst tritt die subjektive Redlichkeit des Bemühens an die Stelle der grundlegenden Merkmale der Kirche. Diese Frage kann nicht relativiert werden, und sie entscheidet sich an der Frage der Sakramentsgemeinschaft.

 

V. Kirchenrecht is zugleich bekennendes Recht

Barth kann mit Recht das Kirchenrecht auch als bekennendes recht bezeichnen. Wir verdanken der schönen Schrift unseres Bruders Maurer „Bekenntnis und Sakrament” die Erkenntnis, daß das Bekenntnis nicht aus dem Bedürfnis der Kirche nach lehrmäßiger Abgrenzung, sondern aus dem Vollzug der Taufe entstanden ist. Es ist übereinstimmendes Reden mit der Selbstbezeugung Gottes, der den Menschen in der verkündigten Offenbarung anspricht. Daß der Mensch bekennen kann, muß ihm zuvor gegeben werden. Das Fiat des Maria, das Christuswort Petri sind echte Bekenntnisse in der unmittelbaren Begegnung mit dem Göttlichen, welches zuvor mit dem Menschen Gemeinschaft gemacht hat: Der Herr ist mit Dir, du Begnadete! sagt der Engel. Darin hat das Bekenntnis unabhängig von jeder Lehre seinen personalen Charakter. Auch die schwierigen dogmatischen Formulierungen der altkirchlichen Konzile, etwa über die zwei Naturen, über die zwei Willen sind immer noch eingefügt in das personale Bekenntnis zum dreieinigen Gott, gleichsam in seine geschichtliche Personalbeschreibung: Die Kirche bezeichnet sehr klar den Gott, den sie anbetet, als denjenigen, der sich in der Geschichte seines Heils offenbart hat. Ja, Gott selbst verschmäht es nicht, sich durch seine Heilstaten selbst zu legitimieren: Im Mosaischen Gesetz bezeichnet er sich selbst als denjenigen, der das Volk Israel aus dem Diensthause geführt hat, und fordert um des erwiesenen Heils willen Vertrauen und Gehorsam. Um dieses personalen Charakters des Bekenntnisses willen bekennen wir uns zu dem altkirchlichen Satze, daß dogmenfähig nur ist, was liturgiefähig

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ist. Das Bekenntnis hat also seinen Ursprungsort wie seinen Sitz in der Liturgie, im sakramentalen Vollzug. Es entspricht dem empfangenen und zu empfangenden Heil, gibt es antwortende wieder. Wieder werden wir darauf hingewiesen, daß sich Liturgie, und damit Kirchenrecht, im Miteinander und Gegenüber von Handeln und An-Sich-Handeln-Lassen vollzieht. Das Bekenntnis als antwortender Empfang hat seinen Sitz im Leben der Kirche auf der sakrifiziellen Seite, auf der Seite des Opfers, wo es heißt: Laßt uns darbringen das Lobopfer aller Zeit …, auf der Seite, welche der sakramentale Selbsthingabe und Selbstbezeugung Gottes für uns „entspricht”. Das Bekenntnis hat seinen Sitz in dem Merkmal der Kirche, welches in ihm selbst als katholisch bezeichnet wird, d.h. die ganze Trinität, die ganze Heilsgeschichte und die ganze Christenheit verbindend die neue Schöpfung mit ihrer Ganzheit umgreifend. Das Bekenntnis weist also noch einmal auf die unaufhebbare Doppelheit im geistlichen Geschehen hin und spricht dies zugleich in den beiden Merkmalen des Apostolischen und des Katholischen aus.

 

VI. Die Kirche als apostolische und katholische

Mit diesen beiden Begriffen sind Bestimmungsmerkmale und Ordnungselemente gegeben, welche im Bekenntnis sichtbar werden. Apostolizität heißt der Bezug auf die durch apostolische Tradition verbürgte Identität des hier bezeugten dreifaltigen Gottes.

1. Die Apostolizität der Kirche kann nicht aus einem Prinzip oder Begriff her abgeleitet werden. Sie ist geschichtlich, konkret und personal. Als wirkliches Geschehen der Selbsthingabe Gottes in de traditio ist sie geschichtlich und personal, ein freies Geschehen, wann und wie es ihm gefällt. Wir haben die apostolische Tradition nicht anders als das Sakrament, mit derselben Unverfügbarkeit, aber auch mit der gleichen Verheißung als etwas, was ständig erbeten, intendiert und zugleich vollzogen werden muß. Weil es um die apostolische traditio geht, geht es bei der Bestellung zu den Ämtern gar nicht um den Menschen, weder darum, daß er etwas ist, noch daß er nichts ist. Das ist beides vom Menschen her gedacht. Weil das fortdauernde Handeln Gottes in der Kirche, und damit der Tradition der apostolischen Verkündigung, sakramentalen Charakter hat, deswegen muß auch der zum aktiven Handeln Berufene in diesem Bereich durch die sakramentale Ordination einbezogen werden. Das eine Ursakrament der Kirche zieht alles sakramentale Leben nach sich; aber nach einem weisen Worte des Augsburgischen Bekenntnisses lohnt es nicht, über die Zahl der Sakramente zu disputieren. Aber am Sakramentsverständnis entscheidet sich alles, weil es hier um die fortgesetzte Wirklichkeit der Heilsgeschichte geht. Das macht das Problem der apostolischen Sukzession noch um einige Grade dringlicher, als wir es schon dargestellt haben. Die Reformation hat diesen Gedanken nicht übernommen. Nachdem die römische Kirche Generationen hindurch die höchsten Ämter der Christenheit nach Willkür an Simonisten und unmündige Knaben vergeben hatte, sich unbedenklich auf ihre Macht zur Priesterweihe berufend, ist

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es verständlich, daß man von der successio personae nichts mehr wissen wollte. Trotzdem ist ihre Verneinung ein humanistischer Irrtum. Eine Trennung von successio personae et fidei ist erkenntnistheoretisch unhaltbar, ein Denkirrtum. Wir wären geistlich gar nicht existent, wenn nicht auf irgendeinem Weise eine successio personae sich vollzogen hätte, den Gott der Herr trotz der päpstlichen Kirchenrechtstheorie offen gehalten hat. Eine subjektlose Lehre gibt es jedenfalls nicht. Ein Jesuit berichtete vor einigen Jahren in der Herder-Korrespondenz über die lutherische Kirche in Norwegen. Er stellt fest, daß hier durch 400 Jahre geistliches Leben der Kirche geblüht habe. Um diesen Tatbestand recht zu begreifen sagt er, müsse sich Rom eine andere Theorie von der apostolischen Sukzession einfallen lassen. Der Satz von Morgenstern: „Denn also schließt er messerscharf, daß nicht sein kann, was nicht sein darf” reicht jedenfalls nicht dazu aus.

Es besteht eine Versuchung zu sagen: Verschafft uns doch die Sukzession. Wir suchen keine falsche Sicherheit, aber doch die rechte Gewißheit, von der wir in unserem Handeln ausgehen dürfen. Diese Not ist angesichts der Unordnung unserer Kirche echt und groß. Aber dieser Weg ist unmöglich, weil er auf einem falschen Begriff von Sukzession beruht. So wenig wie die Liturgie ist die Sukzession ein Allheilmittel. Zur Verdeutlichung des schon in unserem Gutachten Gesagten muß ich noch einmal aussprechen: Niemand kann Euch ordinieren, der nicht Jurisdiktion, wirkliche Entscheidungs-Sendungs-Leitungsgewalt über Euch hat. Da hilft keine Winkelweihe. Wir sind gegenüber unseren eigenen Bischöfen in einer sehr ähnlichen Lage wie der Reformation gegenüber den ihrigen. Durch die Bekenntnisschriften klingt immer wieder der Ruf: Wenn sie doch rechte Bischöfe sein wollten! So sagen wir heute: Wenn sich doch nicht Ihre Vorurteile für das Evangelium ausgeben wollten! Wenn sie doch das über das sacramentum ordinis in Apologie XIII Gesagte anerkennen wollen! Eine neue Schrift von Heubach über die Ordination erwähnt die Stelle überhaupt nicht einmal. Stattdessen beordern kirchliche Behörden nichtordinierte Vikare durch Verwaltungsverfügung oder Telefonanruf zur Sakramentsverwaltung. Wer sich dagegen wehrt, bekommt entweder keine Antwort oder wird eines magischen Sakramentalismus bezichtigt. Dennoch sind wir auf unsere Kirchen gewissen, die Gott der Herr in seiner Langmut auf verborgene Weise erhält. Wir dürfen nicht ablassen, von der schlecht unterrichteten an die besser unterrichtete Kirche zu appellieren. Wir sind zu katholisch, d.h. an die geschichtliche und leibhafte Einheit der Kirche gebunden, um uns zur Sekte abdrängen zu lassen oder zu den Römern abzufallen. Aber es ist und bleibt eine Sache des bewußten Gehorsams, einer so ungehorsamen Kirche treu zu dienen.

2. Es ist der Sinn unserer Schrift zu sagen: Der Weg zur Apostolizität geht über die Herstellung der Katholizität. Katholisch ist die in Übereinstimmung mit der ganzen Kirche bekennende Kirche. Sind wir schon dadurch bekennende Kirche, daß und wenn wir uns an die Bekenntnisschriften der Reformation oder etwas zusätzlich an Barmen 1934 gebunden wissen? Ich glaube kaum. Es ist ein

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anerkannte Satz des allgemeinen Kirchenrechts, daß eine jede im heiligen Geist versammelte Ekklesia Kirchenversammlung, Synode, Gemeinde die ganze Kirche repräsentiert — (wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind …). Aber dieser Satz gilt nicht ohne den bei uns meist übersehenen oder gar verleugneten Satz, daß alles, was eine solche Ekklesia beschließt, nur Wirksamkeit hat, soweit es von der allgemeinen Kirche als geistgewirkt angenommen wird. Das ist echtes pneumatisches Recht. Heute wird Bekenntnis als ein in besonderer geschichtlicher Lage gegebenes Wort verstanden, so daß die Kirche ohne den Kairos einer solchen Lage in diesem Stil und Rang nicht bekennen könne. Oder aber das Bekenntnis wird als jeweilige aktuale Entscheidung verstanden. Bei alledem fällt die jederzeit, kontinuierlich und aktual sich vollziehende Bekenntnisfunktion der Kirche und damit die Identität des einen Geistes und die Einheit der Kirche zu Boden. Sie zerfällt in besondere kirchengeschichtliche Ereignisse und die Jeweiligkeit vieler einzelner Situationsentscheidungen. Das bedeutet praktisch, daß hundert Synoden Entscheidungen treffen, deren Lebensdauer und Gewicht höchst fraglich ist. Sie werden schnell zu Makulatur, und entbehren der wirklichen, scheidenden und bindenden Verantwortlichkeit. In Wahrheit geht niemand an wirkliche Fragen heran, wie es die alte Kirche unausgesetzt in mutigem Gehorsam getan hat. Wir haben Bekenntnisse, die in der Theorie reformabel sind wie die Kirche, aber praktisch irreformabel, weil niemand befugt, ja auch gar nicht ernstlich gewillt ist, sie weiterzubilden, ja auch nur verbindlich zu interpretieren. Daher der Traditionalismus und die Überforderung des Bekenntnisses, von dem man entgegen den Anspruch seiner Verfasser behaupten kann, es enthalte alles Wesentliche für ewige Zeiten. Oder aber, die unverbindliche Jeweiligkeit des Bekennens wird zur theologischen Willkür. Zwischen Traditionalismus und Aktualismus klafft eine Lücke, und in ihr verschwindet das bekenntnismäßige Merkmal der Allgemeinheit der Kirche. Wir haben bekenntnisgebundene und bekennende Kirche zu unterscheiden. Bekennende Kirche kann nur diejenige sein, die mit dem Anspruch der Verbindlichkeit imstande ist, trennend und verbindend zu entschieden, d.h. ökumenisches Konzil zu halten. Der Bekenntnischarakter der Kirche, anders ausgedrückt, ihre Katholizität, erfordert eine kirchliche Ordnung, welche diese Entscheidungsfähigkeit gewährleistet. Geistlich entscheidungsfähig zu sein, gehört zum Merkmale der Kirche, aber eben nicht nur für jede Gemeinde, sondern auch für die Gesamtkiche bis an die Grenzen der kirchentrennenden Merkmale. Wir treffen hier zum zweitenmal auf die nur halbe Orthodoxie unserer überlieferten Bekenntnisse und unserer Theologie überhaupt; wie im Verhältnis Kirche und weltliche Gewalt finden wir auch im Verhältnis von Gemeinde und Teilkirche zum Gesamtkirche von zwei notwendig einander ergänzenden Grundsätzen nur den einen ausgesprochen, den anderen beiseitegestellt. Deshalb sagten wir: die Gemeinde ist nicht ohne die Gesamtkirche, die Gesamtkirche nicht ohne die Gemeinde und das eine ist nicht aus dem anderen abzuleiten.

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VII. Sind unsere Forderungen konkret genug?

Man hat erklärt, was wir mit „Credo ecclesiam” gesagt haben, das sei hoffnungslos deutsch und protestantisch und in guter ökumenischer Gesellschaft unmöglich; insbesondere sei Nicaea IV, der Gedanke der Bischofsgemeinschaft überinterpretiert. Ich habe hier versucht, dem Rechnung zu tragen, was ich selbst an dieser Kritik für richtig empfinde. Man kann gewiß nicht die Kirche einfach auf Nicaea IV allein aufbauen — Asmussen wertet seine Hervorhebung als ein wesentliches Verdienst. Aber so einseitig ist sie auch nicht gemeint. Es steht dahinter die grundsätzliche Einsicht, daß die Kirche nicht auf einen, sondern auf zwei sich ergänzenden Grundpfeilern, dem apostolischen und dem katholischen steht, und daß für uns der Weg über das Letztere zum Ersteren geht. Man muß es tragen, daß der Weg zur Kirche für uns ein Weg der Not ist: durch die vereinseitigenden Tendenzen theologischer Lehren, durch Verwirrung, ja durch das tiefe Inferno eines schizophrenen Zustandes im glaubenden Vertrauen zur rechten Ordnung der Kirche zu finden — das ist ein Weg, dessen Schwierigkeit in dem milden Licht einer schönen, ungebrochenen patriotischen Tradition nicht sichtbar werden kann. Wir stehen nicht vor, sondern hinter den Entwicklungen und Verwicklungen, welche die lateinische Kirche nach dem großen Schisma gewagt und durchgemacht hat. Wenn wir soviel von der alten Kirche sprechen, so idealisieren wir nicht romantisch eine Vergangenheit. Aber wir nehmen Unverzichtbares auf und sind doch ganz in unserer Lager: Nicht mit Unrecht haben Spengler und Toynbee gesagt, daß wir unseren Großvätern näher sind als unseren Vätern. Es werden heute Dinge verständlich, die lange verschüttet waren. Das ist auch eine kirchengeschichtliche Tatsache. Wie Paulus den Juden ein Jude, den Griechen ein Grieche so haben wir den Christen deutscher Zunge Deutsche zu sein, das Leiden der Kirche in Deutschland auf uns zu nehmen und durchzutragen. Dieser Gehorsam aber verbietet uns allerdings, die Mißbildungen unserer Kirche als Vorzüge zu betrachten oder auch nur als Gegebenheiten hinzunehmen.

Man könnte wohl sagen: Gott hat ohne Eure Weisheit so lange die Kirche erhalten. Was kommt es darauf an! Jawohl — hominum confusione et dei providentia wird die Kirche erhalten. Aber das ist keine Rechtfertigung menschlicher Konfusion. Wer möchte heute im 18. Jahrhundert leben, wo aus dem Kirchenlied das biblische Wort vertilgt wurde, im neunzehnten, wo auf den Kanzeln und Lehrstühlen idealistische Philosophie und liberaler Fortschritt mit dem Evangelium verwechselt wurden. Wenn das heute nicht mehr so ist, so unter gnädiger Hilfe Gottes durch ernsthafte Besinnung und redliche Arbeit. Wir haben Not genug, mit den Häresien unserer Zeit fertig zu werden. Aber man soll den heiligen Geist weder versuchen noch betrüben, indem man die Unordnung als normal ansieht. Mit Recht hat Karl Barth in seiner erwähnten Schrift mehr als einmal gesagt, daß die Kirche immer zwischen Verhärtung und Liederlichkeit stehe.

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Aus alledem ergeben sich drei Forderungen bekenntnismäßiger Ordnung:

1. Der Auftrag der Kirche fordert deren volle auch rechtliche Eigenständigkeit. Ihre geschichtliche Verantwortlichkeit kann auch nicht zum Teil auf die weltliche Gewalt abgelastet werden. Dies ist nicht so selbstverständlich, wie es heute scheinen könnte. Es bedeutet mehr als eine formelle Unabhängigkeit vom Staat.
a) Wir müssen geistliche Ordnung in der Kirche schaffen, und die politischen Begriffe aus dem Kirchenrecht vertilgen.
b) Wir dürfen nicht aus der Staatsabhängigkeit in theokratische Tendenzen umschlagen, das Privatchristentum nicht durch Gesellschaftshörigkeit ersetzen.
c) Wir müssen erst lernen, die Aufgabe der Kirche gegenüber Staat und Welt recht wahrzunehmen.

2. Die eigene Ordnung der Kirche nimmt ihr Maß aus dem grundsätzlichen Miteinander und Gegenüber von sacramentum und sacrificium, von Amt und Gemeinde. Nicht eine allgemeine Bereitschaft allein, auf das Wort Gottes zu hören, sondern sehr konkrete Vorstellungen über das, was in der Kirche auftragsgemäß zu geschehen hat, gibt die Richtlinie dafür. Darum bauen sich vom Gottesdienstverständnis her die Kirchen und scheiden sich ebenso daran. Wo aber in der Kirche nichts geschieht und nur unverbindlich geredet wird, gibt es auch kein Kirchenrecht.

3. Um bekennende Kirche sein zu können, bedarf die Kirche entscheidungsfähiger, gesamtkirchlicher, ökumenischer Ordnung.

Diese drei Momente sind in der Lehre unserer Kirche nicht positive geleugnet, aber in hohem Grade verkürzt und in ihrer Ordnung nicht zur Darstellung gebracht.

Manche Kritiker haben gesagt, daß aus einem großen Berg von Erwägungen doch nur sehr bescheidene, allzu selbstverständliche Forderungen entsprungen seien. Die Wirklichkeit sieht anders aus.

Es kann trotz liturgischer Ordnungen bis jetzt keine Rede davon sein, daß Kirchen und Gemeinden bereit sind, sich vom Gottesdienst her reformieren zu lassen, zu tragen, was hier in Kürze Vollgottesdienst genannt werden soll. Ist es wenig gefordert, daß die fast sakramentlose Kirche eine sakramentale werde?

Nach wie vor herrscht ungebrochen jener Monismus des einen Amtes, welches der Vielfalt der Gaben und Dienste wegen eines verengten Begriffes von Verkündigung nicht Raum gibt. Ist es wenig verlangt, endlich das eine Amt der Kirche wirksam zu gliedern?

Ebenso ist es mit der Ordnung der Kirche nach Nicaea IV. Nach wie vor fühlen sich die Kirchen sehr wohl im Vollbesitz ihrer synodalen Souveränität, wachen eifersüchtig über ihren Rechten und Besonderheiten und leugnen jede Verpflichtung, sich in ein größeres Ganzes einordnen zu lassen. Ist es wenig gefordert, eine Summe von Landes- und Nationalkirchen durch eine ökumenische bischöfliche Kirche zu ersetzen?

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Vielleicht müssen wir tatsächlich manches noch sehr viel deutlicher sagen. Wir haben die Fahne weit vorausgeworfen, auf die Gefahr hin abgeschnitten und preisgegeben zu werden. Aber wir haben nichts Neues begonnen, sondern nur an einer zweiten Front dasselbe getan wie ehedem: Uns selbst und die Kirche vom Gottesdienst her ordnen zu lassen.

 

Schlußbemerkung zur Aussprache
Jurisdiktion — Ordination — Sukzession

In der Aussprache ergab sich die Notwendigkeit, gerade diese drei Begriffe eindeutig zu klären. Kirchenrecht soll ausschließlich helfen, geistliches Handeln zu verstehen — freilich sehr präzise — und damit recht zu ordnen. Recht verstandenes Kirchenrecht setzt der Kirche nichts zu, es ist pneumatisches Recht, nicht Ordnung als Gegensatz zum Geist. Deshalb trifft auch die Sorge um eine Verrechtlichung der Kirche nicht zu. Gegen diese oft falsche Sorge wendet sich auch mit Recht Karl Barth in seiner Schrift „Ordnung in der Gemeinde”.

1. Der (in den Bekenntnisschriften ungenau übernommene) Begriff der Jurisdiktion ist bereits in Credo Ecclesiam als Entscheidung über die Angezeigtheit geistlichen Handelns umschrieben. Wenn getauft, getraut, absolviert, gelehrt wird, ist immer eine — meist stillschweigende — Entscheidung erfordert, ob in Bezug auf diesen Empfänger dieses Handeln geboten, angezeigt ist. Immer handelt es sich um die Frage, ob der Betreffende dazu berufen ist, die Taufe usw. zu empfangen. Jurisdiktion ist das — unvermeidliche! — geistliche Urteil über geistliches Handeln. Wie der Richter verfügen wir niemals, sondern sind an das von Gott Gegebene gebunden. Jurisdiktion hängt mit dem Geheimnis der Prädestination, der Erwählung zusammen. Auch alle kirchliche Wahlen sind jurisdiktionelle Akte, Entscheidung darüber, ob der Kandidat berufen ist, was sich durch Gaben und Wandel ausdrückt. Wir verfügen in der Wahl nicht über das Amt, sondern haben den Berufenen zu berufen.

2. Ordination. Luther sagt „ordinirn heißt berufen und befehln”. Berufen (vocatio) können wir, wie schon gesagt, nur den, den Gott berufen hat. Der Berufsbegriff stammt ursprünglich von Beruf in der Kirche, von den geistlichen Gaben. Befehlen heißt hier nicht eine Forderung aussprechen, sondern anbefehlen, übergeben, anvertrauen. Vokation und Ordination verhalten sich etwa wie Verlöbnis und Trauung: durch die Berufung wird der Amtsträger bezeichnet und ausgesondert, durch die Ordination an seinen Ort gestellt, eingegliedert und durch Übertragung des Amtscharismas wirksam bevollmächtigt. Daß Berufung und Ordination sich widersprechen, ist eine biblische Paradoxie. So wie Glaube und Taufe zueinander zugeordnet sind, so die deklaratorische Vokatio und die konstitutive Ordinatio. Hier Widerspruchslosigkeit zu fordern, zeigt das Eindringen weltlich-kausalen Denkens in das Verständnis pneumatischen Geschehens. Gerade diese Paradoxie muß durchgehalten werden. Sie wird nach beiden Seiten aufgelöst: in der protestantischen Betonung der Vokatio, durch welche die Ordinatio zum Zeichen oder zur „Confirmatio” herabsinkt und römisch durch die für sich bestehende quasidingliche, absolute Ordination.

Man kann hier wie Luther unter „Ordinatio” beides zusammenfassen oder den Begriff nur auf die Übertragung der Amtsvollmacht beziehen. Diese Begriffsabgrenzung ist gegenüber dem richtigen Verständnis der Sache selbst belanglos.

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Aus dem Gesagten ergibt sich, daß Jurisdiktion und Ordination zwar unterschieden werden müssen, aber nicht getrennt werden können. Letzteres versucht zu Unrecht die römische Auffassung in der Trennung von Generalvikar und Weihbischof. Umgekehrt verwischt die protestantische Kirchenrechtslehre interesselos beides oder legt einseitiges Gewicht auf die Vokation unter Ablehnung eines exhibitiven Handelns in der Ordination.

Worum geht es?

Um eine Kirche, die so handelt und verfaßt ist, daß die Kirche mit apostolischer Sukzession ihre Abendmahlsgemeinschaft gewähren können. Denn diese Letztere, die Koinonia, über welche Werner Elert so eindrücklich geschrieben hat, ist das entscheidende Band der una sancta catholica ecclesia. Es geht um eine Kirche, in der Bischofsamt und Gemeinde, Predigt und Sakrament entgegen geschichtlichen Vereinseitigenden wieder in ihr rechts Verhältnis gekommen sind. Würden wir meinen, es gehe zunächst darum, von irgendwo her die apostolische Sukzession zu bekommen, so würden wir uns selbst als geistlich nicht existent bezeichnen. Gäbe es nicht eine personale Sukzession, so wäre niemand von uns ein Christ. Wir würden nachträglich unsere Väter zu Haeretikern stempeln.

Wir haben in diesen Tagen einen echten kanonischen Rechtsakt vollzogen. Der Rat als eure Ältesten hat die neuen Konventsältesten nach ihren Gaben erwählt, und sie euch vorgestellt; ihr habt sie in aller Form in freier geistlicher Entscheidung anerkannt. Darauf wurden sie durch Handauflegung dreier Ältester ordiniert. Unser Entscheidungsakt wurde durch eure freie geistliche Entscheidung angenommen, rezipiert. Wir konnten nicht einseitig über das Amt verfügen und ihr könnt nicht demokratisch wählen. So entsteht Kirchenrecht durch wechselseitige Anerkennung geistlicher Entscheidung.

Dies ist der ordentliche Fall. Wenn aber der außerordentliche Fall eintritt, daß irgendetwas in Verwirrung gerät, zweifelhaft wird, mit den normalen Begriffen nicht sicher zu entscheiden ist, so hat die alte Kirche mit der souveränen Freiheit des Geistes in einem pneumatischen Rechtsakt entschieden, ob dieses zweifelhaft gewordene für vollgültig anzusehen ist. So sollten wir nach seinem Zustand unserer Kirche streben, welche es Kirchen mit apostolischer Sukzession ermöglicht, uns in dieser Freiheit als rechte Kirche anzuerkennen. Dann und in dieser Freiheit, aber auch erst dann könnten wir erwägen, die Sukzession wieder anzunehmen, nicht umgekehrt. Die römische Kirche hat sich selbst die Unionsmöglichkeit mit den Anglikanern zunichtegemacht, weil sie den freien Geist an ihre juristischen Begriffe bindet und nicht mehr jene Freiheit des pneumatischen Rechtes kennt. Zugleich wird hier völlig verständlich, daß diese Freiheit die regelmäßige Ordnung nicht aufhebt, sondern erfüllt.

Aus dem Gesagten wird die Grundthese des dritten Teils unserer Schrift verständlich: Unser Weg zur Apostolizität geht über die Katholizität, die Aufnahme in die Abendmahlsgemeinschaft. Das heißt für uns zweierlei:
1. Wir lehnen es ab, nach der apostolischen Sukzession zu schielen.
2. Wir streben mit aller Kraft nach der Gestalt einer Kirche, in welcher Bischof und Gemeinde, Predigt und Sakrament in rechter Weise beieinander sind, einer Kirche, deren Leben und Ordnung anderen Kirchen deren Anerkennung ermöglicht nd halten dieses Ziel nicht für belanglos, oder zweitrangig. Eben dieses verbietet uns, uns mit dem gegenwärtigen Zustand unserer Kirche zufrieden zu geben.