5. Kapitel

Die Funktionen des Staates

 

Für jeden seiner Zwecke bildet der Staat auch besondere Funktionen aus. Es handelt sich hier nicht um eine erschöpfende Aufzählung der tatsächlichen und möglichen Staatsfunktionen überhaupt: sondern nur um die Darstellung der lebensnotwendigen Grundfunktionen, die unbeschadet ihrer Ausgestaltung im einzelnen unabdingbare Bestandteile seines Wesens sind, zu seiner Entfaltung gehören.

 

a 1.) Dem Machtwert dienst als erste Funktion zunächst die Außenpolitik mit allen ihren technischen Formen der Repräsentation und Diplomatie. Aber sie ist als Politik nie ein einseitiges Handeln; sie hat immer ein Gegenüber. Sie ist objektlos wie das Leben selbst, wie die Liebe, wie alle tieferen menschlichen Beziehungen, die sich in keinem praktischen Akte und Ergebnis erschöpfen. Immer von neuem ist die Aufgabe der Gestaltung des gegenseitigen Verhältnisses und der Balancierung der Kräfte gegeben, füllt sich die scheinbar entleerte Spannung von innen heraus aufs neue. Es liegt außerhalb ihrer Bestimmung und ihrer Macht, ewige Verhältnisse und Lösungen zu schaffen, sondern es gilt für jede zeit und jede Generation die Gegebenheiten neu zu gestalten. Jeder Partner wird dabei immer wieder gewogen, für genügend oder zu leicht befunden, er gewinnt, behauptet sich oder verliert. Lebensversicherungen sind im politischen Leben noch nicht eingeführt.

Führt aber dieses außenpolitische Kräftespiel nicht mehr zu Ergebnissen, so tritt ein Kurzschluß ein; dieser Kurzschluß ist der Krieg. Auch hierauf muß der Staat vorbereitet sein. In diesem Sinne ist in der Tat der Krieg die Fortsetzung der Diplomatie mit anderen Mitteln. Aber er ist immer nur eine echte ultima ratio. Wer den Kurzschluß zum Normalzustand und zur

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Methode erhebt, stellt die Dinge auf den Kopf und wird zum Brandstifter. „Wehe dem Staatsmann, der vor dem Kriege sich nicht nach einem Kriegsgrund umsieht, der auch nach dem Kriege noch ebenso stichhaltig erscheint wie vorher” (Bismarck).

Der Funktionsträger, der jene ultima ratio vollzieht, ist das Heer. Es schützt den Staat vor gewaltsamer Einwirkung von außen auf die politische Entschlußfreiheit sowohl wie auf die kulturelle und wirtschaftliche Entfaltung. Seine Würde und sein Ansehen in jedem Volke beruhen nicht nur auf seiner ständigen Dienst- und Todesbereitschaft, sondern noch mehr auf dem fundamentalen Charakter seiner Funktion. Daß dem Heere dieser Rang und diese Bedeutung in Staaten nicht eingeräumt wird, die militärisch kaum bedroht sind und bedroht werden können, liegt auf der Hand. Die soziale Mißachtung des Berufssoldaten in England im Gegensatz zur Marine ist das beste Beispiel dafür. Freilich hat das Heer nicht nur außenpolitisch, sondern auch innenpolitisch im Falle der Revolution und des Bürgerkrieges die gleiche Schutzfunktion. Aber dieser unvermeidlich mit politischen Entscheidungen verknüpfte Einsatz ist nicht seine spezifische Aufgabe und stellt es vor Probleme, denen seine Führung nicht oder nur vorübergehend gewachsen sein kann. Daß man auf Bajonetten nicht sitzen kann, beruht viel weniger auf der Unzulänglichkeit der militärischen Macht als solcher als auf der Unzulänglichkeit der politischen Wirkungsmöglichkeiten der militärischen Machthaber. Diese Erwägungen gelten nur in Verhältnissen, in denen das Heer als Inhaber des Wehrmonopols eine besondere Funktion darstellt, wo Volk und Heer nicht mehr unmittelbar zusammenfallen wie im fränkischen Maifeld.

Dem Machtwert dient als weitere Repräsentationsform die Staatssymbolik wie die Staatsliturgie. Sie sind Mittel der immer wiederholten Darstellung und Vergegenwärtigung der gemeinschaftsbildenden Grundlagen und finden ihren Sinn in der ständigen Neuintegration der politischen Einheit durch Abgrenzung und Bewußtmachung, in der Fortpflanzung des Gemeinbewußtseins vor und jenseits aller inhaltlichen und zweckhaften Gestaltung.

Die grundlegende Bedeutung des in voller Bewußtheit gewählten, eine scharfe Abgrenzung bedeutenden Staatsnamens ist bereits dargelegt worden. Ihm schließen sich Fahnen, Farben, Wappen, Devisen als repräsentative Formen an. Jeder Staat muß notwendig ihnen Achtung bezeugen und verschaffen; der Wert, der ihnen beigemessen wird, zeigt das Maß lebendigen politischen Gemeinbewußtseins an; kein Staatsschutzgesetz kann andererseits einen Respekt erzwingen, der nicht vorhanden ist. Ein Staat, der solche Formen nicht besitzt und nicht besitzen will, ist in eben dem Maße kein Staat.

Die öffentlichen Erörterungen über die Farben der Deutschen Bundesrepublik haben ein bedenkliches Maß von Verständnislosigkeit für die fundamentale politische Bedeutung der Staatssymbolik an den Tag gebracht. Man kann seine Nationalfarben nicht aussuchen wie ein junges Mädchen

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den Stoff zu seinem Sommerkleid. Die schließliche Wiederaufnahme der unveränderten schwarz-rot-goldenen Fahne bedeutet in Anknüpfen an 1848 und 1919, zugleich aber den Verzicht auf Miteinbeziehung der Opposition und auf eine Selbstkritik an der mangelnden Integrationswirkung dieses Symbols in der Vergangenheit.

Zur Staatssymbolik gehört die Ehrung geschichtlicher Repräsentanten, sei es der Reliquien der Könige, sei es mythischer Gestalten wie Tell oder geschichtlicher Führer wie Washington. Dem unpersönlichen Massenstaat entspricht die Ehrung des unbekannten Soldaten. Auch Münzen und Briefmarken gehören hierher, und Ethelbert Stauffer hat die staatspolitisch-religiöse Bedeutung der Münzprägungen der römischen Kaiserzeit aus profunder Kenntnis der Numismatik dargestellt.

Die Staatssymbolik geht ohne scharfe Grenze in die dynamische Form der Staatsliturgie über. Beide dienen gleichermaßen der Neuschöpfung, Selbstdarstellung und Befestigung des staatlichen Zusammenhangs, des Staatsbewußtseins. Liturgie ist immer Bezeugung der Bindung und des Zusammenhangs mit einem Transzendenten; in diesem Sinne ist jeder Staat ohne Rücksicht auf seinen ideellen Gehalt der Einzelperson transzendent. Der Versuch, dies zu leugnen, ändert nichts an der Tatsache, sondern führt nur zur Verkümmerung des Staates. Daß diese Ehrung nicht der Person des Trägers der Staatshoheit glt, sondern dieses selbst, drückte sich früher in der Verwendung sakraler Königsgewänder, dann in der militärischen Uniform des Monarchen aus. Seitdem dies mißverstanden wurde und der Staat unter der Fiktion der Entmachtung durch das Gesetz lebt, drückt man gerade die Ehrung des Amtes durch die bürgerliche Unauffälligkeit des Trägers aus, so daß die Staatsakte sich dem Stile von Leichenbegängnissen nähern. Zur Staatsliturgie gehören ebenso Krönungsfeierlichkeiten, Volksversammlungen, Staatsfeiertage, Nationalhymnen und schließlich Paraden, welche die im Staat vereinte Macht der sie tragenden Gesamtheit veranschaulichen und zum Bewußtsein bringen. Beides, Staatssymbolik wie Staatsliturgie wirkt, wenn auch in verschiedenartigen Graden, gleichzeitig nach außen wie nach innen.

 

a 2.) Die zweite Funktion des Machtzwecks ist entsprechen der außenpolitischen die innenpolitische Führung. Ist die außenpolitische Führung sowohl die Sammlung der eigenen Kräfte unter dem Gedanken eines bestimmten Verhältnisses zur Außenwelt und zugleich die Gestaltung dieses Verhältnisses zu der fremden Macht, so tritt beides in der Innenpolitik mit umgekehrten Vorzeichen und Schwerpunkt wieder auf. Der innere Zustand eines Staates ist nicht ohne Rückbeziehung auf seine Nachbarn. Auch bei völliger formaler Freiheit, sich in seinem Hause nach Belieben einzurichten, tritt eine Rückwirkung ein. Die Parallelität der innenpolitischen Entwicklung der europäischen Völkergemeinschaft und die entschieden Tendenz sie

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aufrechtzuerhalten, ist unverkennbar. Während in der Außenpolitik wenigstens zunächst Staat gleich Staat ohne Rücksicht auf seine inneren Verhältnisse gesetzt wird, hat nach innen der eigene Gestaltungswille ohne Rücksicht auf fremde Formen der Vorrang. Dennoch sind auf beiden Gebieten jene ergänzenden Gesichtspunkte nicht zu übersehen. Neben einem dominanten Faktor steht jeweils ein rezessiver. Auf dem Gebiete der Innenpolitik nun steht wie auf dem der Außenpolitik der gestaltende politische Wille dem Widerlager der Geführten, der spontanen Kräfte und Bestrebungen der Gesamtheit gegenüber. Dieses Gegenüber zu einem Ergebnis zu gestalten, ist ebenso die immer neue Aufgabe des politischen Lebens. Wo Führung und spontanes Leben nicht mehr zueinander finden, die Regeln ihres Spiels nicht mehr funktionieren oder willkürlich preisgegeben werden, setzt ebenso wie in der Außenpolitik im Kriege der Kurzschluß der Revolution ein. Wer auch hier den Kurzschluß zum Prinzip und zur Methode erhebt, für den gilt das gleiche, was schon oben gesagt wurde — einer hat dem anderen nichts vorzuwerfen.

Dem Machtzweck in der Innenpolitik dient die politische Polizei. Diese ist bisher von der Staatstheorie stiefmütterlich behandelt worden, so wie der kleine Fehltritt eines Verwandten in einer guten Familie. Aber nachdem fast jeder männliche Europäer heute einmal durch die Hände einer solchen Einrichtung gegangen ist und viele durch mehrere, kann man sie unmöglich noch so nebensächlich abtun. Da sie in allen Ländern entwickelt worden ist und steigende Bedeutung erlangt hat, ergibt sich, daß sie ein Ausfluß des Staatsbegriffs ohne Rücksicht auf Staatsform und Staatsidee, nicht eine Besonderheit totalitärer Systeme ist. Sie schützt wie ein Heer zunächst die Entschlußfreiheit der Regierung gegen ungesetzliche Einflüsse von innen, einschließlich solcher, die von außen in das Staatsgebiet hineingetragen werden. Aber mehr noch: sie schützt die verfassungsmäßige Willensbildung, den Staatswillen in seiner Entstehung. Daraus erklären sich die großen Unterschiede in der Ausdehnung ihres Wirkungsbereichs, der allerdings für liberale und totale Staaten wesentlich verschieden ist. Sie erlangt notwendig dort die größte Ausdehnung, wo die Bildung des Staatswillens einem einzelnen oder einem engen Kreise unter Ausschluß der übrigen Bürgerschaft zugewiesen ist, wo also gegenüber der eingetretenen Monopolisierung jede sonstige politische Tätigkeit an sich schon illegal ist. Sie beschränkt sich in einem liberalen Staate auf den Schutz der verfassungsmäßigen Freiheit der Wähler und der Parlamente und richtet sich hier vorzugsweise gegen alle bündischen und revolutionäre Gruppenbildungen, die das Schema des freien Spiels der Kräfte, der rationalen Diskussion durch andere Formen der Machtbildung zu sprengen drohen. Sie wird sich hier auf eine beobachtende Rolle beschränken, bis jene Bildungen zu verfassungswidrige Formen anwachsen. Daß sie damit zugleich zu einem gefährlichen Instrument der Regierung gegen verfassungstreue Gegner werden und mißbraucht werden kann, ist

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klar, berührt aber ihr eigentliches Wesen und ihre Unentbehrlichkeit nicht. Sie hat nach dem Gesagten immer einen gewissen potentiellen Charakter und sondert sich deutlich von allen anderen Zweigen der Polizei, die der öffentlichen Wohlfahrt, nicht politischen Zwecken dient.

 

a 3.) Die dritte dem Machtzweck dienende Staatsfunktion ist die der politischen Gerichtsbarkeit. Auch für sie fehlt wie für die politische Polizei fast ganz die systematische staatstheoretische Durchdringung. Die Ursache liegt zum großen Teil in der Vogel-Strauß-Haltung der Verfassungstheorie des 19. Jahrhunderts, welche glaubte, mit der verfassungsmäßigen Abschaffung der sogenannten Sondergerichte das Problem negativ erledigt zu haben. Aber auch hier gilt: naturam si expellas furca tamen usque recurret. Der Ausdehnung des Tätigkeitsbereichs der politischen Polizei entspricht genau die der politischen Gerichtsbarkeit, auch hier ohne Rücksicht auf Staatsform und Idee, aber mit grundsätzlichen Unterschieden. Wesentliche Dinge hierzu sind bereits in dem oben gegeben Zitat Rudolf Smends enthalten. In der politischen Gerichtsbarkeit wird der Mensch nicht an sittlichen, sondern an politischen Maßstäben gemessen. Der Spion, der für sein Vaterland arbeitet, handelt nicht unsittlich, aber er vergeht sich gegen den Machtbereich des anderen Staates. Er wird unzweifelhaft von Rechts wegen verurteilt. In der Prisengerichtsbarkeit wird ebenso entschieden, ob eine Verletzung des von der aufbringenden Macht in Anspruch genommenen Bereichs erfolgt ist. Politische Gerichtsbarkeit nach innen richtet ebenfalls über politische Handlungen, nicht über kriminelle. Sie entscheidet, ob der Betreffende in das Kraftfeld der Gemeinschaft eingeordnet werden kann oder abgestoßen werden muß, wie in einem magnetischen Feld ein entgegengesetzt geladenes Teilchen. Ist seine Ladung negativ und zu stark, um angezogen zu werden, wirkt es wie ein Fremdkörper und wird abgestoßen. Der politische Prozeß dient also der Neuintegration nach irgendeiner Störung. Er setzt immer voraus, daß ein positives politisches Prinzip vorhanden ist, eine positive Bestimmtheit, an der alle anderen Kräfte gemessen werden können, eine positive Ladung, die die negative abstößt. Es ist daher schlechthin entscheidend, in wessen Namen sie ausgeübt wird — es gibt keine politische Gerichtsbarkeit in abstracto oder nach einem ewigen Kodex — sei es auch der politischen Moral. Jedoch wird selten versäumt, der politischen Gerichtsbarkeit das Mäntelchen der Moral und der positiven Gesetzlichkeit umzuhängen. Sie handelt zwar verfassungsrechtlich einigermaßen justizförmig, ihr materieller Gehalt ist jedoch rechtslogisch nicht zu bestimmen. Das formulierbare Sittengesetz gehört auf die Ebene des Strafrechts. Hier aber erscheinen mit den bisherigen Zielen plötzlich auch die bisherigen Methoden verwerflich, der Volksheld wird zum Verbrecher. Zwingli, der Reformator Zürichs, benutzte ein relativ harmloses Verbot der Annahme ausländischer Pensionen, um den Vater (!) eines verstorbenen wiedertäuferischen Gegners

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im Gegensatz zu zahlreichen anderen glimpflich behandelten Beschuldigten aufs Schafott zu bringen. Kennzeichnende Vorgänge auf diesem Gebiet spielten sich im Scherbengericht der athenischen Demokratie ab. Die äußerste Steigerung der Politisierung rechtlich-sittlicher Begriffe ist in der bolschewistischen Partei erreicht, in der jeder von der Generallinie Abweichende als Schwerverbrecher bezeichnet wird.

Immer aber spielt sich die politische Gerichtsbarkeit vor dem Souverän ab, richtet sich nicht gegen ihn. Ein Souverän, der gerichtet werden kann, ist keiner. Das Unternehmen Cromwells, Hand an den gesalbten König zu legen, ein für die damaligen Zeiten unerhörter Vorgang, bedeutet staatsrechtlich die Aufrichtung der Volkssouveränität, auch ohne Abschaffung der Monarchie. Dem Souverän bleibt mit der Unverletzlichkeit das souveräne Recht zu irren, schlecht beraten zu sein. Ist nun das Volk souverän, so richtet die tatsächliche oder scheinbare Mehrheit über die politisch Unterlegenen, indem sie sich für gerechtfertigt und unverletzlich, die anderen für verwerflich und stafbar erklärt. Cromwells Puritaner legten nach dem Siege den im ritterlichen Kampfe für ihren rechtmäßigen König unterlegenen Kavalieren hohe Geldstrafen auf. Die Souveränität, um die hier erst gekämpft worden war, wurde ganz typisch schon als vorher dem Volke zustehend aufgefaßt und fingiert; von dieses Basis wurde dann geurteilt. So ist politische Gerichtsbarkeit in der Demokratie meist nicht Neuintegration durch Ausscheidung der Führer, deren Richtung sich abgelebt hat, sondern ist Desintegration, ist Spaltung, welcher erst die heilende Zeit und andere politische Erlebnisse entgegenwirken. Politische Gerichtsbarkeit im demokratischen Staate ist daher weithin Selbstzerstörung, ist Selbstzerfleischung als Ausdruck einer negativen Inversion. Die Ausdehnung der Entnazifizierung auf den breiten Massen passiver Mitglieder der nationalsozialistischen Bewegung beruhte also auf einem im Wesen der Demokratie liegende politischen Denkfehler und zugleich auf der puritanisch-jakobinischen Vermischung von Politik und Moral.

 

b. Die gleiche systematische Struktur wie die Dreiheit der Staatszwecke in sich und die Funktionen des Machtwertes als solchen weisen die Funktionen des Wohlfahrtswertes auf.

 

1.) Zunächst steht in diesem Bereich die Wohlfahrt des Staates selbst, seine eigene Finanz- und Betriebswirtschaft, die untrennbar verbunden ist mit der Wohlfahrt des Ganzen, aber dennoch bis zu einem gewissen Grade ein Eigenleben und ein Eigengewicht hat, wie das Gehirn auch ein in sich selbst ausbalanciertes und gesteuertes Organ, nicht allein dienender Teil ist. Seine Hauptfunktionen müssen auch unter Zurückstellung weniger wichtige aufrechterhalten bleiben.

Jener Staatswirtschaft dienen vor allem die Organe der Finanz- und Zollverwaltung. Der gleichen Aufrechterhaltung der Staatsordnung als solcher

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außerhalb politischer Gesichtspunkte dient dann die Ordnungspolizei im engeren Sinne. Die inneren Grenzen der Polizeimacht verkennen freilich Polizeiminister ebenso leicht wie Kriegsminister diejenigen militärischer Gewalt. Unter einen gewissen Grad kann aber nirgends die Polizeiorganisation herabgesetzt werden, ohne daß der Staat in Anarchie verfällt. Es gibt allerdings kein entsprechendes Wort für Stillstand der Polizei wie Justizium für Stillstand der Rechtspflege.

 

2.) Neben die Ordnungsfunktion als solche und die Eigenwirtschaft des Staates tritt als zweites die positieve Kultur- und Wirtschaftspolitik des Staates. Sie trägt einen gewissen potentiellen Charakter. Der Staat bietet durch Schulen, Institute und vielen andere einen gewissen Rahmen, den er doch selbst nicht auszufüllen vermag, in den die freien schöpferischen Kräfte einfließen, durch den sie aber nicht geschaffen werden. Wo diese Kräfte den Rahmen der allgemeinen Ordnung überschreiten, treffen sie wie die entsprechenden Kräfte des politischen Lebens auf die politische Polizei, auf die vielfachen Formen der Bau-, Gewerbe-, Gesundheits- usw. Polizei. Daraus ergibt sich zugleich der sehr verschiedene Grad der Auswirkung dieser Funktion je nach der politischen Struktur des Staates. In einem liberalen gibt die Staatliche Kulturpolitik nur Hilfestellung, in einem totalen sucht sie eifersüchtig jede Regung zu kontrollieren, alles selbst zu gestalten und inhaltlich zu bestimmen. Die Funktion der Kulturpolitik ist also da, aber ihre Ausdehnung kann aus dem Staatsbegriff nicht abgelesen werden. Dazu bedarf es einer inhaltlichen Wertidee. Aus dem Vorhergesagten ergibt sich aber, daß von einem gewissen Grade der Verstaatlichung der Kulturpolitik wie der führungsmäßigen Organisation des politischen Lebens eine Strukturveränderung eintritt, die die produktiven Verspannungen der tragenden Elemente aufhebt und diese Verbindung durch einen Kurzschluß unterbricht. Der gleiche Kurzschluß tritt ein, wenn sich auf beiden Gebieten wesentliche tragende Kräfte der Mitarbeit in Politik und Kulturpolitik versagen — eine solche Krise kann für eine Zeitlang bis zur Lösung des Krampfs gewaltsam überbrückt werden wie eine Herzaffektion mit einer schweren Spritze. Auf die Dauer kann Leben nicht so erhalten werden, sonst entsteht aus dem Krampf der Revolution in Permanenz der Krampf der Diktatur in Permanenz.

 

3.) Auch der Wohlfahrtswert hat seine Form der Rechtsprechung und seine rechtliche Schranke in der Verwaltungsgerichtsbarkeit. Wenn diese in formeller Absonderung erst seit dem 19. Jahrhundert vorhanden ist und als Errungenschaft des bürgerlichen Rechtsstaates gilt, so wäre zu untersuchen, ob nicht die gleichen Aufgaben früher von der ordentlichen Gerichtsbarkeit in unkritischer Vermengung mitversehen worden sind, bevor mit der Ausdehnung der öffentlichen Verwaltung auch eine systematische Unterscheidung und eine technische Differenzierung erfolgte. Auf die oben

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angeführten Ergebnisse der rechtswissenschaftlichen Arbeiten der letzten Jahrzehnte kann insoweit verwiesen werden.

 

c. Dies führt bereits auf die anschließende Frage nach den Funktionen, die dem Rechtswert dienen. Daß jeder der Staatszwecke seine eigene Form justizförmiger Entscheidung besitzt, ist anscheinend mit dieser Bestimmtheit bisher noch nicht ausgesprochen worden. Daß jede dieser Sonderformen ihren Ausgangspunkt in der Gerichtsbarkeit im allgemeinen, undifferenzierten Sinne hat und sich in Formen und Tendenzen nach ihr ausrichtet, ist wohl ohne Frage richtig. Trotz des formalen Grenzcharakters der Rechtsprechung ist hier noch einmal nach ihrem Gehalt zu fragen. Jene allgemeine Rechtsüberlegung kann gewiß nicht unabänderlich inhaltlich festgelegt und aus ewigen Prinzipien abgeleitet werden. Aber als lediglich willkürliche Setzung würde sie echte Allgemeingültigkeit nicht erlangen können. Hier gilt im übertragenen Sinne das Wort Mohammeds: Mein Volk kann nie in einem Irrtum übereinstimmen. Die Mehrheit kann korrumpiert sein; eine echte Anerkennung im Sinne des Rechts ist auch durch die bloße Mehrheitsentscheidung ebensowenig zu erzielen wie durch den Zwang des Staates. Die Entnazifizierung ist ein sehr markantes Beispiel dafür, wie sehr sich in nicht als Recht empfundenes Gesetz von innen heraus ablebt. Das allgemeine Wertbewußtsein verhärtet und konkretisiert sich zum Rechtsbewußtsein und wird als solches im Richterspruch in der unzweideutigen Form der Entscheidung zwangsweise verwirklicht. Damit wird zugleich das sittliche und Rechtsbewußtsein der Allgemeinheit stets von neuem umgrenzt und gestaltet. Rechtsprechung ist sittliche Integration wie Verfassungsleben politische.

Aber die richterliche Entscheidung ist doch nicht die einzige typische Form, in der dieses Wertbewußtsein fortgepflanzt wird. Ihr Gegenpol ist die Lehre, das Gegenbild des Richters der Lehrer. Die Umschreibung des dritten Staatszwecks als Rechtszweck ist also nicht falsch, aber einseitig. Freilich entspricht die rechtliche Form sittlicher Wertverwirklichung dem Charakter des Staates als Willensverband. Aber er schließt die selbsttätigen Kräfte der Sittenordnung, die dem substantiellen unbewußten sozialen Gefüge des Volkes anhaften, nicht aus sondern ein. Beide finden ihren gemeinsamen Ausgang und Berührungspunkt im sittlichen Bewußtsein. Beide Formen sind einander ebenso streng entgegengesetzt in der Form des Handelns, wie identisch im Gegenstande. Dies zeigt sich sehr deutlich im Jugendstrafrecht. In seiner folgerichtigen Durchbildung tritt überall die rechtliche Verantwortlichkeit zurück, wo erzieherische Gesichtspunkte Platz greifen. Wo die Pädagogik beginnt, hört die rechtsfähige, voll verantwortliche Persönlichkeit auf. Erziehung und Recht sind kontradiktorische Gegensätze, und Lehrer wie Geistliche sollten kraft Gesetzes vom Richteramt ausgeschlossen sein. Aber beide Funktionen sind gleichermaßen nicht produktiv,

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sondern reproduktiv, sie schaffen nicht die Gebote, die Maßstäbe, die die verkünden und anwenden, sondern sie bilden sie nur immer wieder nach, sie setzen die Werte nicht und vermögen sie nicht frei zu schaffen, sondern nur einem, freilich dem höchsten Gesetze zu folgen.